Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird…
Luk 2,34
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Ecce homo
Ich mußte meine Betrachtung zu diesem Vers heute neu schreiben. Während des Tags erreichte mich gestern die Nachricht, dass Alexej Nawalnyj in einem russischen Straflager gestorben ist. Alexej Nawalnyj, der fest an ein besseres Russland glaubte und die Menschen seines Landes aufrief, gegen Putins Terror aufzustehen und an diesem Russland zu arbeiten, ist tot.
So weit sollte es eigentlich schon vor dreieinhalb Jahren sein. Im August 2020 brach er auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammen. Nach einer Notlandung und einer ersten Behandlung in Omsk gelangte er in die Berliner Charité. Dort wurde eine Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe diagnostiziert. Statt im einigermaßen sicheren Westen zu bleiben — wirklich sicher war er nicht, der FSB mordet auch im Ausland — kehrte er nach Russland zurück, nach Moskau. Am Flughafen schon wurde er verhaftet. Seither, bis zu seinem Tod gestern, lebte er in Gefängnissen und Straflagern, oft in Isolation und Folter. Aber vergessen ist er nicht, und auch nach seinem Tod noch weckt er Mut.
Dabei war er sicherlich kein Mann nach dem Bild des bundesdeutschen Zeitgeists. Sich selbst bezeichnete er als „nationalistischen Demokraten“, und das trifft es, in beiden Teilen des Ausdrucks.
Was hat dies mit dem Bibelvers der Woche zu tun?
Jesu Eltern brachten ihr Kind kurz nach der Geburt in den Tempel. Nach jüdischer Vorstellung waren erstgeborene Knaben in besonderer Weise Eigentum des Herrn. Das Leben dieser Kinder gehörte Gott und wurde mit einem Opfer im Tempel ausgelöst. Simeon, ein frommer Mann, wird an der Schwelle des Todes Seher: er erkennt Jesus, dankt Gott, dass er ihn diese Stunde erleben läßt, und gibt eine eigentümliche, visionäre Zusammenfassung von Jesu Leben. Dabei spricht er Maria an. Hier ist der Vers im Zusammenhang:
Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.
An Jesus werden sich die Geister scheiden — er ist ein Zeichen, dem widersprochen wird. Die einen fallen, andere stehen auf, ein Schwert wird ins Herz Mariens dringen. Und am Streit um Jesus wird das Innere der Menschen offenbar. Wie eine Art Lackmustest für das, was sonst unsichtbar bliebe.
Was Lukas damit meint, wird elf Kapitel weiter hinten im Text klarer. Jesus spricht harte Worte (Luk 12,49-53):
Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollbracht ist! Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.
Man muss das zweimal lesen. Das ist nicht das herze Jesulein, das wir so gern sehen und gut zu kennen meinen. Hier geht es um elementare Wahrheiten, und da bleibt Streit nicht aus. Sie ist eben nicht zu haben, die Wahrheit, ohne Streit, und die letzte Wahrheit schon gar nicht.
Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um ihn und seine Lehre ging Jesus vom einigermaßen sicheren Norden des jüdischen Landes schutzlos nach Jerusalem, dem Zentrum der Macht seiner Gegner, geradewegs in den Tempel, um dort zu predigen. Nawalnyj war gläubiger Christ. Einen Vergleich mit Jesus hätte er abgelehnt. Aber auch er hat sich für seine Welt, seine Gemeinschaft und das Gute darin freiwillig in die Gewalt seiner Feinde gegeben. ‚If they decide to kill me, it means that we are incredibly strong‘ sagte er. Er wusste, was er tat, und er tat es, weil er es wusste.
Ecce homo.
Der Herr behüte uns in dieser Woche
Ulf von Kalckreuth