Das Buch der Bücher: eine Fahrt ins Blaue

Ich begrüße Sie auf dem Blog für das Buch der Bücher. Es ist wieder Buchmesse. Eine große Industrie feiert sich, das organisierte Wissen der Welt, Kultur, Meinung, Unterhaltung, Selbstdarstellung. Und wie schon in den vergangenen Jahren wird der „Bibelvers der Woche“ als akkreditierter Blog dabei sein. Zu Recht. Denn wie begann alles?

Ein revolutionäres Werk trifft auf eine revolutionäre Technik. Martin Luther hatte die Bibel, das spirituelle Herz und kulturelle Codebook der westlichen Welt, sprachlich für jedermann verfügbar gemacht. Und mit einer genialen Erfindung, dem Buchdruck mit beweglichen Lettern, ermöglichte es Johannes Gutenberg, dass dieses Werk zu einem Bruchteil seines früheren Preises den Massen auch ökonomisch zugänglich wurde. Damit änderten die beiden — alles.

Die Welt des Buchs allemal. Nach Angaben des Deutschen Bibelwerks ist die Bibel heute vollständig in 733 Sprachen übersetzt, Teile davon gar in 3610 Sprachen. Die Gesamtauflage liegt laut Statista bei bis zu drei Milliarden Exemplaren. Damit ist sie das mit Abstand meistverkaufte Buch der Welt. Und sie ist Mutter einer ganzen Industrie, vieler Tausend religiöser Verlage, christlich und jüdisch, mit Hunderttausenden von Titeln, die sich alle auf dieses Werk beziehen.

Dieser Blog wählt einen Zugang, der nicht makroskopisch ist, sondern mikroskopisch. Jede Woche wird ein einzelner Vers gezogen, in seinen Zusammenhang gestellt, beleuchtet und darauf abgeklopft, was er sagt — heute sagt. Nach und nach, Woche für Woche, Ziehung für Ziehung, entsteht hierbei ein im Wortsinne empirisches Bild der Bibel, das man sich durch ein geschlossenes Werk nicht holen kann. Es ist eine echte Fahrt ins Blaue.

Fahren Sie mit!

Bibelvers der Woche 43/ 2024

Und der HErr redete mit Mose und sprach:…
Num 3,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Was will Gott von mir?

Diesen Vers hatten wir schon einmal, als BdW 51/2018. Naja, nicht wirklich, wenn man darüber nachdenkt, wir hatten Num 5,1, und dort standen dieselben Worte in einem anderen Kontext, will sagen: der HErr spricht anschließend etwas anderes. Ich habe mir damals Gedanken über den Wortlaut des Verses gemacht, losgelöst vom Kontext, und über die drei sprachlichen Perspektiven, die in diesem Satz zusammenlaufen. Gucken Sie gern einmal darauf. Auch eine Variante gab es: BdW 48/2021 zum Aussatz von Häusern: „Und der HErr redete mit Mose und Aaron und sprach…“ 

Ich darf also hier über den Inhalt dessen nachdenken, was Gott zu Mose sagt. Es geht um den Dienst der Leviten. Die Nachkommen Levis, des dritten der Söhne Jakobs, waren dem Tempeldienst geweiht, siehe Dtn 18,1ff.  Sie besaßen kein Land, statt dessen hatten sie Rechte auf die Opfer, die die Israeliten brachten. 

Dieser Dienst wird hier begründet, und zwar auf spezielle Weise. Gott erhebt grundsätzlich Anspruch auf alle männliche Erstgeburt, siehe Ex 13,2ff und Num 3,3ff. Bei Tieren geschieht dies durch ein Opfer. Wertvolle Tiere können ausgelöst werden. Die Erstgeburt wird dann durch ein geringerwertiges Tier ersetzt. Beim Menschen muß die Erstgeburt immer ausgelöst werden. In älterer Zeit geschah dies durch Zahlung von 5 Schekel Silber. Zur Zeit Jesu war die Opferung zweier Tauben üblich — siehe den Bericht in Lk 2,22ff zur Darstellung Jesu im Tempel. Mit dem auf unseren Vers folgenden Satz begründet Gott den Dienst der Leviten, indem er sie als Ersatz für die eigentlich geschuldete Erstgeburt in Anspruch nimmt: „Siehe, ich habe die Leviten genommen aus den Israeliten statt aller Erstgeburt, die den Mutterschoß durchbricht in Israel, sodass die Leviten mir gehören sollen“. In den Versen 40ff. wird die Auslösung detailliert nachvollzogen. 

Bei den Leviten besteht mithin eine besondere Dienstpflicht qua Geburt, die für ein älteres Eigentum steht, das Gott an allen männlichen Erstgeborenen hat. Ich erinnere mich noch, wie ich in der Bibel davon las, dass Erstgeborene im Grundsatz dem Herrn als Opfer zustehen. Ich war fünfzehn und bin erster Sohn. Von der Pflicht, die Erstgeburt auszulösen, las ich auch. Aber was bedeutet der originäre, uralte Anspruch? Und war ich wirklich ausgelöst? Die Erzählung von der Opferung Isaaks war mir gegenwärtig. 

Ich habe nie darüber gesprochen — erst hier und jetzt mit Ihnen. Mein Vater hat die 5 Schekel Silber gewiss bezahlt, auf seine eigene Weise. Und Christen dürfen getrost sein , mit dem Opfertod Jesu ausgelöst zu sein. Jesus war übrigens erstgeborener Sohn und Paulus nennt ihn den „Erstgeborenen der Schöpfung“, Kol 1,15. Hier geht es um eine Schuld, die nichts zu tun hat mit Verstrickung in Sünde. Sie besteht gewissermaßen a priori — bei den Leviten wie bei den Erstgeborenen, vielleicht bei allen Menschen. Verschwindet solche Schuld durch Auslösung oder wandelt sie sich nur? 

Was will Gott von mir? Ich hoffe, Sie halten mich nicht für verrückt. 

Der Herr sei mit uns in der Woche, die vor uns liegt.
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 42/2024

Das Salz ist ein gutes Ding; wo aber das Salz dumm wird, womit wird man’s würzen?
Lk 14,34

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Dummes Salz

Der Vers wirkt durchaus rätselhaft. In dem Abschnitt, aus dem er stammt, geht es um Nachfolge, und im Zusammenhang lautet er (in der Übersetzung von 1984):

Das Salz ist etwas Gutes; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit soll man würzen? Es ist weder für den Acker noch für den Mist zu gebrauchen, sondern man wird’s wegwerfen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Auch in Matthäus 5,13 ist der Vers zu finden, in der Bergpredigt. Dort ist der bekannte Satz vorangestellt: „Ihr seid das Salz der Erde!“

Luther übersetzt, dass das Salz „dumm“ werden könne, andere übersetzen „töricht“. Ich bin des Griechischen nicht kundig, aber ich habe mir von meiner Frau sagen lassen, dass dies die Hauptbedeutung des zugrundeliegenden Verbs ‚morantä‘ ist — sich als töricht erweisen. Es gibt eine Nebenbedeutung: „fade werden, den Geschmack verlieren“. Die moderne Übersetzung oben greift darauf zurück.

Das ergibt Sinn, auf den ersten Blick jedenfalls, aber dann fragt man sich: Wie kann Salz denn aufhören, salzig zu sein? Im Internet ist zu lesen, dass in Judäa das Salz vom Toten Meer komme und die sonderbare Eigenschaft habe, nach einiger Zeit seinen Geschmack zu verlieren. Naturwissenschaftlich orientierte Menschen melden sich zu Wort und sagen, dass Salz seine chemischen Eigenschaften behalte, solange es Salz sei. Punkt,

Das ist wohl der Schlüssel. Jesus liebte Antinomien, Widersprüche. Salz kann gar nicht aufhören, salzig zu sein, sonst ist es kein Salz. Salz würzt Speisen nicht nur, sondern macht sie haltbar. Das war von überragender Bedeutung, als es zur Konservierung kaum andere Möglichkeiten gab. Salz hatte einen ungeheuren ökonomischen Wert. Die Nachfolger Jesu sollen präsent sein und erkennbar bleiben, bewahren und forttragen. Sie sollten den Unterschied machen, so lese ich es — und sie können auch gar nicht anders, sonst wären sie keine Nachfolger.

Ja. Vielleicht kann man das verallgemeinern. Wenn wir aufhören, in die Welt als das zu gehen, was wir sind, sind wir wie salzloses Salz, ein Widerspruch in sich, unnütz — dumm, töricht? — ein Ärgernis jedenfalls. 

Gottes Segen sei bei uns in dem, was wir sind — so sind wir gewollt,, etwas anderes können wir letztlich nicht sein, und wenn wir’s versuchen, sind wir nichts.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 41/2024

Denn gleichwie Jona war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein.
Mat 12,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Das Zeichen des Jona

In diesem Vers erläutert Jesus öffentlich eines seiner Bilder. Das tut er sonst nicht, Erläuterungen gibt er nur seinen engsten Gefährten.

Jesus wird von den Pharisäern mit der Forderung nach „Zeichen“ konfrontiert — wunderbaren Geschehnissen oder göttlichen Offenbarungen, welche die Wahrheit seiner Botschaft belegen.

Diese Forderung verstehe ich gut. Ich bin Wissenschaftler und habe gelernt, zu akzeptieren, was von mehreren unabhängig beobachtet werden kann oder aus solchen Beobachtungen logisch folgt, was denknotwendig ist, oder — und hier wird es bereits kritisch — eine plausible und von vielen geteilte Erklärung dessen ist, was beobachtet werden kann. Mit anderem mag man prüfend sich befassen, aber man wird es nicht zum Kernbestand dessen fügen, womit die Wissenschaft die Welt erklärt. 

Eine Freundin aus alten Tagen, promovierte Naturwissenschaftlerin, ist engagierte Atheistin. In ihrer Realität gibt es keine Anker für die Existenz eines persönlichen Gottes.

Jesu Antwort auf die Bitte um ein Zeichen ist schroff. Dieses Geschlecht — damit meint er seine Zuhörer — ist in seiner Bosheit und Arroganz unerträglich und nun fordern sie auch noch Zeichen. Sie werden keines bekommen, „es sei denn das Zeichen des Propheten Jona“. 

Was ist hier gemeint? In unserem Bibelvers wird eine Erklärung hinterhergeschoben: so wie Jona drei Tage im Walfisch verbrachte, um dann wieder ans Land zurückzukehren, wird er, der Menschensohn, drei Tage unter der Erde sein, bevor er zur Welt zurückkehrt. 

Diese Erklärung können die Pharisäer unmöglich verstehen, denn Tod und Auferstehung haben ja noch gar nicht stattgefunden. Antwortet Jesus mit dem Ziel, nicht verstanden zu werden? Der Text ergibt mehr Sinn, wenn man die Erklärung wegläßt. Denn die drei Tage und Nächte im Walfisch waren ein Zeichen für Jona, der vor seiner Aufgabe fliehen wollte, siehe den BdW 01/2023. Niemand sonst war dabei und konnte es erleben.

Das Zeichen des Jona, das Zeichen, das dieser selbst gab, war etwas anderes: mit Gottes Hilfe war er imstande, eine ganze, denkbar gottesferne, zynisch und brutal handelnde altorientalische Großdespotie zu bekehren. Er ging mitten hinein in die assyrische Hauptstadt Ninive, ein antiker urbaner Moloch, und begann zu predigen, den raschen Tod vor Augen. Und er hatte umwerfenden, wirklich wunderbaren Erfolg. Erfolg, den jeder sehen konnte. Diese Leute aus Ninive, so spricht Jesus weiter, würden am Jüngsten Tag zu Anklägern der Pharisäer, denn jene hätten es um so vieles leichter, ihre Wege zu ändern. 

Und genau so — ohne den eingeschobenen Verweis auf Tod und Auferstehung — steht die Geschichte in Lk 11,29-32

Das Zeichen, das Gott uns Fragenden gibt, wäre dann also überzeugende, zu Herzen gehende vom Geist inspirierte Predigt. Auf manche Menschen wird sie wirken. Es mögen gar hartgesottene Assyrer darunter sein. An anderen wird sie vorbei gehen. Gott spricht, sagte ich meiner Freundin. In der Bibel und in unserem Leben. Ich gab ihr eine Einzelausgabe des Buch Genesis. Einige Leser mögen nun wissen, was ich ihr statt dessen hätte geben sollen, aber dieses Buch und diese Ausgabe hatte mich selbst einst zu Gott geführt, vor 18 Jahren, in einem Flugzeug, und davon hatte ich ihr erzählt. Sie las also das Buch, die Sache war ihr wichtig und sie ging den Dingen gern auf den Grund. Aber sie konnte nichts damit anfangen. Ich sagte ihr, dass Gott wirklich zu uns spreche: persönlich, unmissverständlich manchmal. Das sei zwar nicht „intersubjektiv nachprüfbar“, wie es bei Wissenschaftlern heißt, aber für mich und meinem Glauben ist es so fundamental wie die Bibel. Das hat sie durchaus akzeptiert, was mich betrifft. aber zu ihr spreche Gott eben nicht, sagte sie. Wir waren in verschiedenen Welten, konnten nicht wirklich miteinander reden und waren beide etwas traurig. 

Das liegt wieder sehr in der Nähe der am Ende etwas fatalistische Betrachtung zum BdW 39/2024 vor zwei Wochen. Christen sagen, dass das Heil nur jenen zuteil wird, die es glaubend ergreifen. Das wirkt etwas willkürlich und auch zirkulär —  wer es nicht sieht, für den ist es nicht da. Irgendwie haben in ihrer jeweiligen Welt beide recht, meine Freundin und ich. Ist das nicht wie Gefangenschaft in einer Todeszelle? Biblisch ist das gut verankert, z.B. in Römer 9, 14ff oder Mat 25,29, und ich leide unter dieser Vorstellung, ich komme nicht zurecht damit. Ich bitte den Herrn inständig, nicht auf das zu sehen, was seine dummen Kinder mit ihrem Kopf denken und für wahr oder falsch halten, sondern auf das, was in ihren Herzen ist.

Bei aller Schroffheit: Jesus verspricht uns etwas, hören Sie es? Das Zeichen des Jona — das ist machtvolle Predigt, Verkündigung, die die Herzen selbst der Assyrer erreicht. Mögen wir solche Predigt hören, bald. Möge sie nach Gaza dringen, nach Tel Aviv, nach Beirut, nach Teheran, nach Moskau und nach Washington. Und auch zu meiner Freundin, einer guten Frau.

Machtvolle Predigt hin zu einer neuen Welt. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2024

Er sprach: Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden. Sie antwortete: So gib mir ein Pfand, bis dass du mir’s sendest.
Gen 38,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wer es sagt, ist’s selber…!

Eine schmutzige Geschichte, keine, die unmittelbar das Herz erheben könnte. Aber unser Vers steht mitten darin und spielt dort eine Schlüsselrolle, und so muß ich sie ganz erzählen. Bitte bleiben Sie dran, ich glaube, es lohnt sich!

Juda, der Sohn Jakobs und Stammvater Davids, hat drei Söhne. Sein ältester Sohn, Er, heiratet Tamar. Aber bald darauf stirbt er, und Tamar ist Witwe. Juda gibt ihr seinen zweiten Sohn, Onan, zum Mann. Eine sogenannte Leviratsehe zur Sicherung der Witwe, der Erbfolge und der Verbindung zweier Familien: Starb ein verheirateter Mann kinderlos, so mußte sein Bruder die Witwe zur Frau nehmen und an seiner Stelle für Nachwuchs sorgen. Der erste Sohn galt als Kind des Bruders, siehe Dtn 25,5-10. 

Onan aber will seine Pflicht nicht erfüllen. Im ehelichen Verkehr mit Tamar läßt er seinen Samen „auf die Erde fallen und verderben“. Coitus interruptus — wenn wir heute von ‚Onanie‘ sprechen, benutzen wir eigentlich ein falsches Wort. 

Dem Herrn ‚mißfiel dies‘, schreibt die Bibel, und er läßt auch Onan sterben. Nun müsste Juda eigentlich Tamar seinen jüngsten Sohn Schela zum Mann geben. Aber er hat Sorge, dass auch sein dritter Sohn sterben könnte. Er sagt Tamar, sie könne Schela heiraten, wenn er groß geworden sei. Bis dahin möge sie bitte bei ihrem Vater bleiben. Viele Jahre gehen ins Land, Judas Frau stirbt und Tamar versteht, dass dieses Versprechen auf immer ein Versprechen bleiben soll. Juda verweigert Tamar „seinen Samen“, wie in Genesis die Nachkommenschaft eines Mannes genannt wird — im Grunde wie sein Sohn Onan.

Tamar ist in der Ecke, scheinbar ohne Handlungsmöglichkeiten, in völliger Passivität. Im Hause ihres Vaters soll sie warten, bis Schela kommt. Sie ist mit ihm verlobt und die Verpflichtungen aus ihren beiden Ehen gelten fort. Sie kann nicht einmal einen anderen Mann suchen. So geht es viele Jahre. Ihre Uhr tickt, immer lauter. Schließlich bricht sie aus und holt sich Judas Samen auf eigene Art.

Sie setzt sich an den Weg, auf dem Juda kommen muss, der einen Freund besuchen will. Tamar trägt einen Schleier und macht sich unkenntlich. Juda hält sie für eine Prostituierte und will sich ihr nähern. Er einigt sich mit ihr über den Preis, den er allerdings nicht an Ort und Stelle bezahlen kann. Sie bittet um ein Pfand — das ist unser Vers! — und er hinterlässt ihr seine Siegelkette, seine Schnur und seinen Stab. Die Insignien seiner Stellung als Patriarch. Es ist fast, als habe er seinen Personalausweis als Pfand gegeben. 

Sie verkehren miteinander und Juda geht seiner Wege. Tamar taucht ab. Als Judas Freund sie sucht, um den verabredeten Preis zu entrichten, weiß niemand von ihr — nie war an diesem Ort eine Prostituierte tätig. Tamar war ins Haus ihres Vaters zurückgekehrt, und sie ist schwanger. Bald sehen es die Leute, und sie hinterbringen es Juda: Deine Schwiegertochter hat gehurt und bekommt ein Kind. Sie soll sterben, sagt Juda, sie soll herausgeführt und hingerichtet werden. 

Tamar läßt ihm die drei Teile des Pfandes bringen: Der Vater des Kinds ist, wem diese Dinge gehören, sagt sie — erkennst du sie? Juda erkennt sie, und er erkennt auch, welchen Fehler er gemacht hat. Tamar bringt Zwillinge zur Welt und Juda akzeptiert sie als seine Söhne und Tamar als seine Frau. „Aber er ging nicht mehr zu ihr ein“, sagt die Bibel.

Wir können die Geschichte aus Genderperspektive betrachten. Das ist einfach, harte Worte wären wohlfeil, aber die Wertungen wären nutzlos, und ich will Ihnen und mir das ersparen. Die Geschichte ist eine Miniatur aus der frühen Eisenzeit. Sie steht isoliert mitten in der Josephsgeschichte, und ich denke, sie steht dort, weil sie eine interessante Botschaft hat. 

Es geht um das Wesen von Schuld. Onan und Juda verweigern sich und berauben damit Tamar der Grundlage ihres Lebens als Frau m alten Orient. Beide geben nicht, aber sie nehmen: Sex. Tamar wird schwanger. Juda sieht die Gelegenheit, die fortwährende Schuld endgültig aus der Welt zu schaffen und fordert ihren Tod. Die Bibel spricht es nicht aus, aber ich vermute, dass er sich auf das mit Todesdrohung bewehrte Verbot des Ehebruchs beruft (Lev 20,10). Wenn aber sie eine Ehebrecherin ist, dann ist er der Ehebrecher — er bricht die fortwirkende Ehe seiner Söhne und verstößt noch dazu gegen das explizite Verbot sexueller Beziehungen zu Schwiegertöchtern (Lev 18,12).

Sein Finger zeigt auf Tamar, aber indem er das tut, weisen drei Finger zurück auf ihn selbst: Bruch zweier Ehen und Sex mit einer nahen Verwandten. Dabei ist seine eigentliche Schuld eine andere. In diesem Augenblick steht er da als vollkommenes Monster — vor uns und wohl auch vor sich selbst. „Sie ist gerechter als ich“, stöhnt er.

Weit mehr als 1000 Jahre später steht ein direkter Nachkomme von Tamar und Juda auf einem Platz im Jerusalemer Tempel. Aufgebrachte Menschen zerren eine Frau zu ihm. Sie ist Ehebrecherin und von ihm, dem Gesetzeslehrer, verlangen die Leute ein Urteil. Es kann nur eines geben. Jesus spricht es nicht aus, sondern malt in den Sand. Schließlich sagt er, dass derjenige den ersten Stein werfen möge, der ohne Schuld sei. Keiner rührt sich, und die Menge verläuft sich schließlich. 

Hat Jesus an Tamar gedacht, als er im Sand malte? 

‚Wer es sagt, ist’s selber‘, sagen unsere Kinder, und es stimmt. Schuld ist Gift und in gewisser Weise wird es geschaffen durch den, der die Beschuldigung ausspricht. Etwas bleibt hängen. Manchmal ist es viel. Vielleicht kann nur Gott Schuld zuweisen, ohne schuldig zu werden? 

Gelobt sei, der unsere Schuld vergibt — so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…!
Ulf von Kalckreuth


Nachspiel: Richtig vergeben ist gar nicht so einfach. Ich habe diesen Text in den Pausen eines großen Musikfestivals geschrieben. Vielleicht merkt man das. Als ich aufstand, rempelte eine Frau, die rasch in den nächsten Saal wollte, mich hart von hinten. Wir sahen uns an und schließlich sagte sie genervt: „Entschuldigung!“ Ich erwiderte: „Ich habe darüber nachgedacht, wer von uns beiden sich entschuldigen muß, aber wenn Sie es nun tun, will auch ich Sie gern um Verzeihung bitten!“ Ihre etwas rätselhafte Antwort war: „Aber ich habe mich als erste entschuldigt…!!“ Mmh. Besser hätte ich gesagt: „Ist schon ok, ist die Musik nicht großartig? 

Bibelvers der Woche 39/2024

…denn es steht geschrieben: „Er wird befehlen seinen Engeln von dir, dass sie dich bewahren…
Luk 4,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wenn zwei das gleiche sagen…

… so ist es nicht das gleiche, sagt das Sprichwort. Im vorliegenden Fall ist einer der Psalmist, der andere der Teufel höchstpersönlich. In der Wüste trifft er auf Jesus, der vom Fasten geschwächt ist, und versucht ihn. Dabei bezieht er sich auf die überlieferten heiligen Gebete. Es ist Psalm 91, 11+12, den der Teufel zitiert:

Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest

Das sind beliebte Taufverse — Eltern wünschen das ihren Kindern. Der Teufel interpretiert die Verse messianisch: der Psalm richte sich an den Sohn Gottes. Er kann tun, was er will, er kann vom Turm springen, Gott wird ihn schützen. Damit will der Teufel Jesus versuchen. 

Hat er vielleicht recht? Ist der Sohn Gottes gemeint, oder wenigstens der König? Im Psalm geht es weiter: „Auch wenn tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten: es wird dich nicht treffen“. Wer sind die Tausende, die es erwischt? Wer ist der Angesprochene, den es nicht trifft — bin das ich? Wer unter uns wird von Engeln getragen, wer stößt seinen Fuß nicht an einen Stein? Vor einigen Jahren habe ich zu Psalm 91 ein Lied geschrieben. Aber es lässt mir keine Ruhe: wer fällt, wen wird es nicht treffen? 

Es ist Freitagmorgen. In einer Stunde muß ich aufbrechen zu einer Beisetzung. Ein Bruder unserer Gemeinde ist gestorben. Nach einem Herzinfarkt und vor einer Operation, die ihn hätte retten sollen, fiel er in ein Koma und erwachte nicht mehr. N. war 59 Jahre alt. Er hinterlässt eine Frau und vier Söhne.

Im Sommer dieses Jahres ist auch L. ins Koma gefallen, ein anderer Bruder unserer Gemeinde. Nach einem Herzstillstand war sein Gehirn wohl etwa zehn Minuten ohne Versorgung. Aber nach mehreren Wochen erwachte er. Er hat sich sehr weitgehend erholt und alles spricht dafür, dass keine wesentlichen Beeinträchtigungen verbleiben werden. L. ist etwa gleich alt wie N., auch er hat vier Kinder. Beide gehörten zur Kerngemeinde, gingen ihren Weg mit Gott, für beide wurde viel gebetet, intensiv, und auch verzweifelt. Warum L., warum nicht N.? 

Das wirkt beinahe erfunden, nicht wahr, fast wie ein Gleichnis. Aber es ist die reine Wahrheit. Mich erinnert es an den Bibelvers der Woche 04/2024. Im Gefängnis, dem Vorhof des Todes, trifft Josef auf den Mundschenk und den Bäcker des Pharao. Der Mundschenk wird begnadigt, der Bäcker aber gehängt. Der Ratschluss Gottes und des Pharao, und Josef erfährt ihn im Traum. Von Gründen erfährt er nichts. 

Jesus gibt dem Teufel eine Antwort. Es stehe auch geschrieben, so Jesus, dass wir den Herrn, unseren Gott, nicht versuchen dürfen. Vom Turm zu springen, hieße Gott zwingen zu wollen. Gott ist unverfügbar. Am Anfang und am Ende. Für Martin Luther war es die Frage seines Lebens: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Unter den Antworten, auf die er im Laufe seines Lebens stieß, ist sola gratia vielleicht die wichtigste: Allein durch Gnade. Das ist in machtvoller Weise zirkulär. Wir können uns die Gnade nicht verdienen. Oder mit Gebeten erzwingen. 

Der Teufel ist der Verwirrer. Wenn er Psalmen wörtlich zitiert, so dürfen wir davon ausgehen, dass seine Interpretation in die Irre leiten will. Nein, es ist nicht nur der Sohn Gottes gemeint. Und noch einmal nein, die Zusage kann nicht eingefordert werden. Sie gilt dem, der ‚unter dem Schirm des Höchsten sitzt‘, dem Gott gnädig ist, den er in dieser Welt behalten will. Wer das ist, entscheidet Er. Der HERR spricht: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich (2. Mose 33,19).

Das ist schwer zu akzeptieren, schwer zu tragen. Juden beten Psalm 91 auf Beerdigungen. Darin steckt eine Interpretation. Zum Ende seiner Traueransprache für N. sagte unser Pfarrer, dass der Herr unseren Ausgang und unseren Eingang behüten möge — unseren Ausgang aus dieser Welt und unseren Eingang in eine neue Welt, in der Gott all unsere Tränen abwischt…! 

So sei es.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 38/2024

Bei unsrem Ruhm, den ich habe in Christo Jesu, unsrem Herrn, ich sterbe täglich.
1 Ko 15,31

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Noch einmal: worauf es ankommt

Nichts, so sagt Paulus, ist wichtiger als die Auferstehung der Toten. Paulus schreibt an die Korinther, Dort hielten einige die Auferstehung der Toten für einen frommen Wunsch. Auch im Judentum gab es zwei Fraktionen. Die eher progressiven Pharisäer, zu denen Paulus selbst einst gehörte, glaubten fest an die Auferstehung, die priesterlich-konservativen Sadduzäer dagegen nicht.  

Für Paulus aber st der Glaube nichtig, Schall und Rauch, wenn es die Auferstehung nicht gibt: 

Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. (V. 16-19)

Dann denkt er darüber nach, was die Qualen und Leiden wert sind, die er selbst des Glaubens wegen erduldet. Er sterbe jeden Tag für den Glauben, so unser Vers, aber welchen Sinn hätte das alles, wenn es die Auferstehung nicht gibt? Wäre es so, schreibt er,  dann „lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“. Paulus steht die Auferstehung sehr konkret und physisch vor Augen, wie wir kürzlich im Bibelvers 25/2024 gesehen haben. Eine körperlose Ewigkeit mag er sich gar nicht vorstellen. 

In der Folge haben die Christen den Glauben an die Auferstehung der Toten zum Kernbestand erklärt. Er ist Teil beider großer Glaubensbekenntnisse. Aber es überrascht mich sehr, wie vollständig Paulus den Wert seines Glaubens an die Auferstehung knüpft. Wenn es keine Auferstehung gäbe — wäre denn das alles wirklich nichts wert? Gott kennen und lieben, seinen Schutz und seine Kraft spüren, ihm in seinem Sohn begegnen, mit Gott sprechen können, Gottes Vision einer heilen Welt sehen? Seinen heiligen Namen preisen? 

Anders herum: wie wichtig ist denn meine ewige Fortexistenz — wie wichtig bin ich? Sind Gott und die Welt nichts, wenn ich darin kein Beobachter bin? 

Wie wird der Herr dasjenige, was meine Persönlichkeit und mein Leben ausmacht, in eine Welt nach meinem Tode einbringen? Ich will und muss das ihm überlassen, vertrauensvoll, denn meine Vorstellungskraft versagt. Ich glaube fest daran, dass der Tod nicht alles wertlos macht. Und dass, was wir sind und tun, aufbewahrt bleibt in Gott, der uns liebt.

Der Herr bewahre uns vor Angst und Nihilismus und schenke uns Freude an ihm und dieser Welt!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 37/2024

…(denn das Gesetz konnte nichts vollkommen machen); und wird eingeführt eine bessere Hoffnung, durch welche wir zu Gott nahen;
Heb 7,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Worauf es ankommt…!

Der Hebräerbrief wendet sich an eine nicht namentlich bekannte Gemeinde von Judenchristen, die „in die Gesetzlichkeit“ zurückzufallen droht, so hätte man früher gesagt. Sie sucht ihr Heil nicht so sehr in Jesus Christus als vielmehr in der Torah. Der gleichfalls namentlich nicht bekannte Autor des Briefs will die Natur von Gottes Gnade durch Jesus Christus in der Terminologie und in den Kategorien jüdischen Glaubens darlegen, siehe z.B. den Bibelvers der Woche 29/2021.

Hier ist zum Verständnis der vollständige Satz (Vers 18+19) nach der Lutherbibel 1984: 

Denn damit wird das frühere Gebot aufgehoben – weil es zu schwach und nutzlos war; denn das Gesetz konnte nichts zur Vollendung bringen –, und eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir uns zu Gott nahen.

Der Vers steht in einem Abschnitt, der begründet, dass Jesus ein Hohepriester neuen Typs ist — ein Priester von der Ordnung Melchisedeks. Er steht neben, oder besser: über dem aaronitischen Priestertum. Melchisedek ist eine geheimnisvolle Gestalt: Priester des Herrn lang bevor es hebräische Priester gab, empfängt er von Abraham (!) den Zehnten, siehe hierzu den Bibelvers der Woche 08/2019.

Unser Vers blickt darauf, was aus der Einsetzung eines übergeordneten Priestertums folgt. Der Autor sagt, es bedeute, dass auch das Gesetz nicht mehr gelte. Das Gesetz ist Weg zu Gott, und in dieser Funktion ist es aufgehoben durch die „gesetzlose“ Hoffnung, die uns Jesus Christus gibt. 

Juristisch steht das auf schwachem Boden, finde ich — warum sollte das Gesetz nicht mehr gelten, wenn es einen neuen Richter gibt? Aber der Vers wirft ein Schlaglicht darauf, worum es dem Verfasser des Briefs recht eigentlich geht. Kämpft Euch nicht ab, sagt er, verliert euch nicht, geht nicht zugrunde im Gestrüpp unzähliger und detaillierter Auslegungen des mosaischen Gebots. Richtet Euren Blick darauf, worauf es ankommt: Der Vater hat uns in Jesus Christus die Hand gereicht — durch den Vorhang hindurch, der unsere Welt und das Reich Gottes trennt, Vergängliches und Ewiges, das Heilige und den Sand. Wenn wir diese Hand verlieren, verlieren wir alles. 

Die Frage nach dem Gesetz hat das Christentum und die Theologen durch die Geschichte begleitet. Das Gesetz ist da, was tun wir damit? Jesus sagt, er wolle kein Jota daran ändern. Wir aber haben von Teilen dieses Gesetzes Abstand genommen, von anderen nicht. Die Katholiken haben einen ernsthaften Versuch untergenommen, hier Ordnung zu schaffen und eine neue Dogmatik errichtet. Das ist wertvoll, aber es hat sie dem Vorwurf ausgesetzt, in die Gesetzlichkeit zurückzufallen — und tut es noch. 

Die Torah steht für bedingungslose Klarheit. Sie besteht geradezu auf Eindeutigkeit — vor dem Blick des Herrn teilen sich die Dinge und offenbaren ihr Wesen. Binär, sozusagen. Unsere Welt aber kann beharrlich mehrdeutig und multivalent sein. Leser dieses Blogs erinnern sich vielleicht an meine etwas hilflose Auseinandersetzung mit einem Freund über das Gebot, Götzendiener zu steinigen, siehe den Kommentarteil zum Bibelvers der Woche 03/2024. Ein anderer Freund unterzieht sich einer Geschlechtsumwandlung. Dies ist sein Weg. Hilft das Gesetz? Wem? Wann?

Die Erinnerung des Hebräerbriefs an dasjenige, worauf es in Wahrheit ankommt, kann Antwort sein und Leitschnur. Gerade weil es juristisch so schwach ist. Es steht nämlich über dem Gesetz.

Der Herr behüte uns in dieser Woche und er leite unser Handeln. So oder auch anders.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 36/2024

…aber der HErr nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!
Amos 7,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Umgang mit dem Untergang

Zunächst einmal der vollständige Satz (Vers 14+15), nach der Lutherbibel 1984:  

Amos antwortete und sprach zu Amazja: Ich bin kein Prophet noch ein Prophetenjünger, sondern ich bin ein Hirt, der Maulbeeren züchtet. Aber der HERR nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!

Die Geschichte, in die wir hier hineinplatzen, spielt im Nordreich Israel, während der Regierungszeit von König Jerobeam, einige Jahrzehnte vor der Vernichtung des Reichs durch die Assyrer. Der Herr hatte Amos berufen, prophetisch zu sprechen. Er war Viehzüchter und zog Maulbeeren. Zu den beamteten und bestallten Propheten an Hof und Tempel gehörte er nicht. Er kam aus Juda, predigte jedoch in Beth-El, dem Tempel des Nordreichs. 

Und er predigt den Untergang — des Nordreichs, aber auch der umliegenden Länder und Regionen. Unheilbare moralische Verderbtheit, vor allem der Oberschicht und des Königshauses, ist der Hintergrund. Der Herr, so spricht Amos, hat die Geduld verloren. Die Erwählung schützt nicht mehr, sie ist im Gegenteil für Gott jetzt Anlass, besonders genau hinzusehen.  

Entsetzt und erbost wendet sich Amazja, der Hohepriester von Beth-El, an König Jerobeam. Wohl mit dessen Rückendeckung verweist er dann Amos des Landes und verbietet ihm alles prophetische Reden im Nordreich. Amos antwortet sinngemäß: ‚Was ich tue, ist mir nicht in die Wiege gelegt, ich bin mitnichten ein „echter“ Prophet. Aber was ich euch gebe, ist nicht mein Wort, sondern das des Herrn‘. Und dann, bevor er geht, fasst er vor Amazja seine Vision zu Israel zusammen und sagt dessen persönlichen Untergang voraus. 

Filmreif eigentlich. Amos gibt das Wort des Herrn weiter, verliert alles und wird ausser Landes gejagt. Immer wieder erzählt die Bibel von den traumatischen Erfahrungen ihrer Propheten. Wie geht man um mit dem Wort, wenn man es bekommt, wie eine heiße Kartoffel? Ein kleines Echo davon habe ich gerade kennengelernt. Ich zog diesen Vers, las nach und sah, dass er von Israels Untergang handelt. Da fiel mir Netanjahu ein, Gaza, die Hamas, der Vers der vergangenen Woche, die Bomben, die Hisbollah, die Raketen, die militanten Siedler, und meine erster Gedanke war: Nein, zu diesem Vers schreibe ich nichts! Aber das wäre gegen alle Regeln, und ausserdem sah ich sofort, dass der Vers selbst es ausdrücklich verbietet. 

Wie in der letzten Woche also: lasst uns beten für Juden und Palästinenser und ihr gemeinsames Heiliges Land!
Ulf von Kalckreuth

P.S. Hier ist eine Illustration zum Vers von ChatGPT. Ich habe die KI gebeten, das Gespräch aus der Perspektive von Amos‘ Innenwelt zu illustrieren, den Untergang Israels vor Augen. Es ist keine ganz große Kunst, aber für jemanden, der selbst keine Innenwelt hat, macht sie das gut. Amos klammert sich an seinen Maulbeeren regelrecht fest. Auf diese Idee wäre ich nicht gekommen. Auch der Hintergrund ist interessant — Amos hat ein warmes Weiß, Amazja ein kaltes. Amos erinnert mich an David.

Amos wird von Amazja verbannt

Bibelvers der Woche 35/2024

Und also machten sie den Bund zu Beer-Seba. Da machten sich auf Abimelech und Phichol, sein Feldhauptmann, und zogen wieder in der Philister Land.
Gen 21,32

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gaza und Be’er Sheva

Der Vers bezeichnet den Abschluß einer wichtigen Begebenheit in der „ersten“, der friedlichen Erzählung zur Einwanderung ins Gelobte Land. Diese Erzählung lautet kurz gefasst wie folgt: Abraham kommt als halbnomadisch lebender Viehzüchter von Norden aus Haran nach Kanaan. Er erwirbt Güter, Gefolgschaft und Einfluss. In hohem Alter wird er Vater zweier Söhne, die als Stammväter der Araber (Ismael) und der Israeliten (Isaak) gelten. Er schwört dem Philisterkönig Abimelech einen Lehenseid und erwirbt von dem Hethiter Efron ein Erbbegräbnis. Er ordnet er sich in die bestehenden Strukturen des Landes ein, bleibt dabei aber stets eigenständig. Am Ende ihres Lebens gehören seine Frau und er zu den Großen des Landes.  

Im Vers geht es um den Eid, den er dem Philisterkönig Abimelech schwört. Abraham wohnt zu dieser Zeit in der Halbwüste westlich des Toten Meers, an der Peripherie des Herrschaftsgebiets der Philister. Deren Städte liegen an der Küste. Abraham ist zu einer lokalen Macht herangewachsen, er ist in der Lage, kleinere Kriege zu führen (Gen 14). Das Verhältnis zur politischen Herrschaft ist ungeklärt. Abimelech, ein König der Hethiter, erscheint bei Abraham mit einer bewaffneten Streitmacht und fordert ihn auf, seine Treue zu bekunden — sehr freundlich, unter Lobesbekundungen. Ihm wäre es am liebsten, am unruhigen Rand seines Herrschaftsgebiets einen loyalen Vasallen zu haben. Abraham ist dazu grundsätzlich bereit, fordert aber seinerseits Garantien hinsichtlich der Wasserstellen, die er für sein Vieh braucht. Abimelech und Abraham schwören einander die Treue. Dies geschieht bei Beerscheba, einem Ort, der deshalb „Schwurbrunnen“ heißt. Abimelech gibt den Ort und die Wasserstellen Abraham als Lehen. Die Peripherie ist befriedet. Unser Vers erzählt, wie Abimelech und sein General in seine Stadt zurückkehren.

Be’er Sheva gibt es noch heute, es ist eine größere israelische Stadt am Rand der Negev. Der Name von Abimelechs Stadt wird nicht genant. Ist es Gaza, die nächstgelegene und größte der alten Philisterstädte?

Die Begebenheit habe ich früher bereits kommentiert, siehe den BdW 18/2022. Es ist spannend, heute wieder darauf zu schauen. Die Palästinenser leiten sich und den Namen ihres Volks von den Philistern ab. Die Israelis wiederum sehen sich als Nachkommen Abrahams und Isaaks. Vor zwei Jahren konnte ich hoffnungsvoll schreiben. Heute gibt es einen blutigen Krieg, der nicht aufhören will. In diesen Tagen sind die Vermittlungsbemühungen der USA, Ägyptens und Katars im Krieg um Gaza erneut gescheitert, vielleicht endgültig. Ein größerer Krieg steht nun vor der Tür. Was muss denn noch geschehen? In der frühen Eisenzeit fanden Abimelech und Abraham eine Lösung, die beiden Seiten nutzte. Mit Händen lässt sich greifen, dass dies auch heute möglich wäre.

Guter Wille ist wohl zu viel verlangt. So gebe der Herr, Gott Israels und der Völker, den Menschen wenigstens Einsicht und einen Blick fürs Wesentliche! Lasst uns darum beten.

Ulf von Kalckreuth