Bibelvers der Woche 17/2023

Im Reich dieses Königs hat man das Recht lieb. Du gibst Frömmigkeit, du schaffest Gericht und Gerechtigkeit in Jakob.
Ps 99,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Macht und Recht

Wir haben Vers 4 von Psalm 99 gezogen, eines recht kurzen Lobpreispsalms. Aber der Vers ist widerständig. Die Lutherübersetzungen bieten eine Fülle von Übersetzungsangeboten für den ersten Versteil. In der Fassung der Lutherbibel 1912, aus der ich ziehe, lautet der Halbvers: Im Reich dieses Königs hat man das Recht lieb. Die Lutherbibel 1984, oft recht eng am Original, gibt: … und die Macht des Königs, der das Recht lieb hat. Die Fassung von 2017, übersetzt: Die Stärke des Königs ist, dass er das Recht liebt.

Also müssen wir ins Original schauen. Unten ist die Interlinearünbersetzung von Rita Maria Steurer abgebildet. Sie gibt den hebräischen Text Wort für Wort in Aussprache und Übersetzung wieder, der hebräischen Schreibung folgend von rechts nach links. Was man sieht, ist eine Art Puzzle, und ich hätte es so zusammengesetzt: Die Macht eines Königs ist das Recht, das er liebt. Das ist nun allerdings, wie ich feststelle, wörtlich der Vorschlag der katholischen Einheitsübersetzung. Deshalb habe ich dieses Mal oben zur Einheitsübersetzung verlinkt 🙂 

Psalm 99,4 in der Interlinearübersetzung — entnommen aus Steurer, Rita M., Interlinearübersetzung Altes Testament hebräisch-deutsch, Band 4, SCM R. Brockhaus, 1999, S. 817

Im Vers wird Macht und Recht gleichgesetzt. Aber nicht nach dem Muster „Wer die Macht hat, hat das Recht“. Es wird auch nicht gesagt, dass die Macht aus dem Recht folgt, wie es dem modernen Verfassungsverständnis entspricht. Die Macht eines Königs, so sagt der Vers, entspringt vielmehr der Liebe zum Recht. Man muß darüber nachdenken, der Psalm gibt weiter keine Erläuterung. 

Maßnahmen und Verordnungen, die aus der Liebe zum Recht geboren werden, haben ihre eigene Dynamik — sie sind nicht interessengeleitet und auch nicht willkürlich. Das verschafft ihnen einen entscheidenden Überlebensvorteil in der politischen Auseinandersetzung. Ein Herrscher, der für seine Liebe zum Recht bekannt ist, wird mit der Zeit unangreifbar, seine Ordnungsvorstellungen kann er ohne Reibungsverluste und faule Kompromisse durchsetzen, mühelos fast. Das ist wirkliche Macht, nicht die Inhaberschaft des Amts. Nelson Mandela fällt mir ein, und Michail Gorbatschow, in den entscheidenden Jahren ihrer politischen Laufbahn. 

Ein König dieser Art ist Gott, sagt der Vers. Aber es dürfte in der Welt ruhig noch mehr solche Herrscher geben. Liebe zum Recht muß kein göttliches Monopol sein. Wir aber, heute, geben diesen Kredit keinem Politiker, sei er noch so demokratisch gewählt. Das halten wir für klug. Aber wie klug ist es? Was bekommen wir denn statt dessen? 

Ich wünsche uns allen gesegnete Tage, besonders aber unseren Politikern,
Ulf von Kalckreuth

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