Bibelvers der Woche 13/2024

Da führten sie Jesum von Kaiphas vor das Richthaus. Und es war früh; und sie gingen nicht in das Richthaus, auf dass sie nicht unrein würden, sondern Ostern essen möchten.
Joh 18,28

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Radwechsel

Die Karwoche ist eine Höllenfahrt zum Tod. Sie beginnt mit einer Blüte aus dieser Welt: Jesus zieht in Jerusalem ein und die Menschen erkennen ihn als Messias. Und sie endet mit einer Blüte aus einer anderen Welt.

Unser Vers — zufällig gezogen ! — führt uns mitten hinein in die Karwoche. Jesus ist verraten und verhaftet worden, in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag. Der jüdische Hohe Rat verhört ihn und berät und befindet, dass dieser sterben müsse, damit das Volk sicher vor den Römern leben könne. Aber mit seinem Tod will man nichts zu tun haben. Die Wachen bringen Jesus zum Richthaus der Römer, ins Prätorium. Sehr früh am Morgen ist es. Auf der Höllenfahrt ist dies eine Art Radwechsel. Und ein wunderlicher Dialog entspinnt sich: 

TextSubtext
28 Da führten sie Jesus von Kaiphas zum Prätorium; es war früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten.Wir wollen uns nicht die Hände schmutzig machen!
29 Da kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Was für eine Klage bringt ihr gegen diesen Menschen vor?Was wollt ihr von mir um diese Zeit? Was fällt euch ein, mich herauszurufen?
30 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet. Dein Job ist’s der dich ruft…!
31 Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz. Kümmert euch um eure Angelegenheiten selbst!
Da sprachen die Juden zu ihm: Wir dürfen niemand töten.Nein, großer Besatzer, es ist wirklich dein Job, hier geht es um ein Kapitalverbrechen!
Joh 18, 28-31

Schließlich nimmt Pilatus die heiße Kartoffel. Es ist der Tag vor Pessach, das Volk ist erregbar, und er will keinen Fehler machen. Der Hohe Rat bezichtigt Jesus, er gebe sich als König der Juden aus und das kann Kampfansage gegen die römischen Besatzer sein. 

Sehen Sie, wie tief Jesus gesunken ist? Von ihm gibt es hier keine Aktion, Reaktion oder Äußerung. Er wird zwischen zwei Gruppen hergeschoben, die nichts mit ihm zu tun haben wollen. Lukas berichtet, Pilatus habe gar versucht, ihn an Herodes Antipas, den Statthalter von Galiläa loszuwerden. Der aber schickte ihn postwendend zurück.

Jesus ist nun Objekt der Dispositionen anderer, bestimmt dazu, Schläge entgegenzunehmen und schließlich den Tod. Sein Königtum beginnt danach… 

Gott bleibe bei uns in unserer Karwoche!
Ulf von Kalckreuth


Ein P.S. zur Karwoche: Ich werde sie auf ganz eigene Weise verbringen — in einer Zelle im Turm der Frankfurter Weißfrauenkirche. Mitten in Frankfurt, vielleicht 800 m von meinem Arbeitsplatz entfernt. Die Gitarre nehme ich mit und den Computer. Ich will versuchen, aus den Bibelversen der Woche ein Buch zu machen — und mal sehen, was sonst noch geschieht…

Das Türmerzimmer in der Frankfurter Weißfrauenkirche

Bibelvers der Woche 07/2024

…und die Leviten und die Sänger alle, Asaph, Heman und Jedithun und ihre Kinder und Brüder, angezogen mit feiner Leinwand, standen gegen Morgen des Altars mit Zimbeln, Psaltern und Harfen, und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Drommeten bliesen;
2 Chr 5,12

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gottesdienst

Der Tempel wird eröffnet. Jahrzehntelang wurde gebaut, und viel länger noch, schon unter David, wurde der Bau vorbereitet. Alles treibt seit langem auf diesen Höhepunkt zu. 

Zu mir spricht dieser Vers sehr direkt, fast wie eine Antwort. In der letzten Woche endete ich mit der Vorstellung, dass die vom Volk erbetene und von Gott gewährte Mittlerrolle Mose geteilte und kollektive Gotteserfahrungen nicht mehr vorsieht — der Austausch mit der Gottheit vollziehe sich nun über berufene Mittelsmänner. Große theokratische Strukturen sind die Folge. Als Beispiel für eine Wende, einen Ausbruch habe ich das Pfingstereignis erwähnt. 

Aber etwas anderes noch vermittelt seit viertausend Jahre Glaubenden geteilte Erfahrung mit Gott: der Gottesdienst, mit Gebeten und Gesängen. Auch dafür steht ja die Einweihung des Tempels: für regelmäßigen, d.h. Regeln folgenden Gottesdienst einer großen Vielzahl von Menschen. Jeder Mann sollte dreimal im Jahr zu den hohen Festen den Tempel besuchen und dort seinen Dienst an Gott verrichten. Dieser Dienst war vor allem Opfer, und es gab keine Predigten im heutigen Sinne. Aber da war schon vieles, was es heute noch gibt: Psalmgesänge, Gebete, Lobpreis. 

Und wie heute waren Gottesdienste Raumzeiten gemeinsamen Erlebens. Für mich selbst ist dies sehr oft mit Musik verbunden, Musik der verschiedensten Art. Und als ich las, wie Asaf, Heman, Jeditun und alle Tempelsänger zur Eröffnung des Tempels ihre Stimme erhoben, unterstützt von 120 Priestern, die Trompete bliesen wie ein Mann, alle angetan in feinstes Leinen — da sah ich es nicht nur vor mir, sondern ich hörte es auch ein wenig, und ich wusste, woran ich in der vergangenen Woche nicht gedacht hatte. 

Hier Psalm 150, der den Psalter beschließt: 

Hallelujah! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! 
Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! 
Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! 
Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! 
Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! 
Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Hallelujah!

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 04/2024

Es ist kein Gott wie der Gott Jesuruns. Der im Himmel sitzt, der sei deine Hilfe, und des Herrlichkeit in Wolken ist.
Dtn 33,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wenn nichts bleibt als ein Segen…

Ein Segensspruch. Mose weiss, dass er sterben muss. Nachdem er Josua als seinen Nachfolger in der militärischen und politischen Führung eingesetzt hat — dazu hatten wir vor wenigen Wochen den BdW 50/2023 gezogen — und mit dem „Lied des Mose“ den Israeliten sein geistliches Testament übergeben hat, ist es nun Zeit, Abschied zu nehmen. Die Söhne Jakobs sind zu Stämmen eines Volks geworden. Und genau wie Jakob am Ende des Buchs Genesis sterbend seine Söhne segnet, ist es nun an Mose, die Stämme Israels zu segnen, jeden einzeln, Stamm für Stamm. Der Segen, den wir gezogen haben, lautet im Ganzen wie folgt (Lutherbibel 1984, Dtn 33,26f):

Es ist kein Gott wie der Gott Jeschuruns, der am Himmel daherfährt dir zur Hilfe und in seiner Hoheit auf den Wolken. Zuflucht ist bei dem alten Gott und unter den ewigen Armen. Er hat vor dir her deinen Feind vertrieben und geboten: Vertilge! 

Wer aber ist Jeschurun, dem dieser Segen gilt? Hier ist der Eintrag im Bibellexikon. Der Name tritt im Alten Testament nur viermal auf. In dreien dieser Fälle verweist er auf das Volk Israel als Ganzes. Hier aber, an dieser Stelle, würde man eigentlich den Namen eines Stammes erwarten. Aber keiner der Söhne Jakobs heißt Jeschurun. Es gibt die Vermutung, dass hier vielleicht ein Segen für eine nicht ursprünglich israelitische Bevölkerungsgruppe eingefügt wurde.

Es ist spannend, die Segnungen am Ende des ersten und des fünften Buchs Mose zu vergleichen, Gen 49 vs. Dtn 33. Es sind im fast dieselben Namen und es ist derselbe Duktus, oft geheimnisvoll und mit Bezügen, die wir nicht mehr verstehen. Manche Segenssprüche in den beiden Texten entsprechen einander, wie die für Asser und Sebulon, andere sind sehr unterschiedlich, am auffälligsten die Sprüche für Levi. Einige Stämme werden von Mose sehr kursorisch behandelt, als seien sie nurmehr eine ferne Erinnerung. Simeon taucht in Moses Abschied gar nicht mehr auf. Der Stamm scheint nur vorübergehende Existenz besessen zu haben, siehe die etwas schwermütige Betrachtung zu BdW 51/2020

Kann es sein, dass der Segen für Jeschurun ursprünglich dem Stamm Simeon galt und nun in der Bibel fortlebt als Segen für Gottes Volk als Ganzes? Was für eine Vorstellung: wenn von Menschen am Ende nichts bleibt als — ein Segen? 

Und der Gott, der im Himmel sitzt, sei unsere Hilfe!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 51/2023

Ich schweige wohl eine Zeitlang und bin still und halte an mich; nun aber will ich wie eine Gebärerin schreien; ich will sie verwüsten und alle verschlingen.
Jes 42,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gott als Gebärende 

Merken Sie es? Eine neue Zeit soll beginnen. Der Vers markiert den Umbruch, den Moduswechsel: von einem passiven, abwesenden Gott, der sich nicht äußert, zu einem Gott, der machtvoll eingreift. Er ist in ein Loblied zur Ehre Gottes eingebettet — Israel ist gefangen, und im Vorausgriff wird Gott gelobt für eine Rettungsta, die noch nicht stattgefunden hat. 

Die Übersetzung der letzten Worte des Verses in der Lutherbibel von 1912 ist nicht recht nachvollziebar. In der Lutherbibel 1984 lautet der Vers gemeinsam mit den beiden Folgeversen:

Ich schwieg wohl eine lange Zeit, war still und hielt an mich. Nun aber will ich schreien wie eine Gebärende, ich will laut rufen und schreien. Ich will Berge und Hügel zur Wüste machen und all ihr Gras verdorren lassen und will die Wasserströme zu Land machen und die Seen austrocknen. Aber die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerige zur Ebene. Das alles will ich tun und nicht davon lassen. Aber die sich auf Götzen verlassen und sprechen zum gegossenen Bilde: »Ihr seid unsre Götter!«, die sollen zurückweichen und zuschanden werden. (V.14-17)

Eigenartig aber — diese Verse beschreiben Stadien im Erwachen und Eingreifen Gottes: 

  1. Schweigen und Passivität.
  2. Gewaltiges Rufen, erst aus Schmerz, dann als Signal zu Aufbruch und Kampf. Gott als Gebärende. Eine neue Wirklichkeit wird geboren.
  3. Gott kehrt das Unterste zuoberst. 
  4. Gott wendet sich den Blinden zu — den Orientierungslosen, die ihren Kurs im Leben und ihren Halt verloren haben. Für sie gibt es nun Führung und Licht und Gott bahnt ihre Wege. 
  5. Die Götzendiener treffen auf ihr Schicksal.

Dem Propheten steht das deutlich vor Augen, noch bevor der Umschwung begonnen hat, die Rettung einsetzt. Und alles beginnt damit, dass Gott laut wird, wie eine Gebärende schreit. Gott als Gebärende, Kraftzentrum einer Welt in Neuschöpfung, ein Bild in unglaublich leuchtenden und dynamischen Farben. In der Offenbarung des Johannes taucht es wieder auf.

Chag HaMolad heißt Weihnachten auf Hebräisch, Fest der Geburt. Die Verse sind aus einem Teil Jesajas, der vom Auftreten des Gottesknechts und der Errettung von Gottes Volk handelt. Ich wünsche uns eine laute, frohe Woche hin zum Weihnachtsfest. Keine Besinnlichkeit, sorry! 

Der Herr sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 47/2023

Also kam Salomo von der Höhe, die zu Gibeon war, von der Hütte des Stifts, gen Jerusalem und regierte über Israel.
2 Ch 1,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Worauf es ankommt, Teil II

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei. Einen einzigen. Da kann man schon ins Grübeln kommen. Salomo opfert dem Herrn öffentlich auf der Höhe zu Gibeon, und in der Nacht darauf erscheint ihm der Herr und sagt ihm, er möge einen Wunsch äußern. 

Ein wenig wie im Märchen. Was soll Salomo sich wünschen? Er ist das uneheliche Kind Davids mit Batseba, einer verheirateten Frau, deren Mann sein Vater hatte töten lassen. Um den Thron besteigen zu können, hat er sich aus einer hinteren Position gegen seine vielen Brüder durchgesetzt, auch gewaltsam. Seine Macht ist nicht gefestigt. Da wäre der Tod der Feinde als Wunsch naheliegend, auch Macht und Reichtum, um sich durchsetzen zu können. Aber Salomo wünscht sich etwas, das nicht auf der Hand liegt: Weisheit und Erkenntnis. Sehr zum Erstaunen des Herrn: 

Weil du dies im Sinn hast und nicht gebeten um Reichtum noch um Gut noch um Ehre noch um deiner Feinde Tod noch um langes Leben, sondern hast um Weisheit und Erkenntnis gebeten, mein Volk zu richten, über das ich dich zum König gemacht habe, so sei dir Weisheit und Erkenntnis gegeben. Dazu will ich dir Reichtum, Gut und Ehre geben, wie sie die Könige vor dir nicht gehabt haben und auch die nach dir nicht haben werden. (2 Chr 1,11+12)

Ich sehe hier zweierlei. Manchmal schenkt Gott Dinge, um die wir nicht gebeten haben. Wenn wir hadern, dass das Leben die Erfüllung unserer Wünsche hartnäckig verweigert, mögen wir schauen, was da ist, ohne dass wir es uns gewünscht haben — Freundschaften, Erlebnisse, Musik, vielleicht ein wacher Geist oder die Freude an einem schönen und kraftvollen Körper. Wenn ich hinschaue, so ist meine Welt voll solcher Dinge.

Zweitens und spezifischer: Salomos Wunsch nach Weisheit ist ein weiser Wunsch. Könige haben ein spezielles Problem. Man ist König nur weil und solange andere sich nicht trauen, die Gefolgschaft zu versagen oder sich aufzulehnen. Ein König hat keine nennenswerte eigene Kraft, seine Kraft ist geliehen von anderen. Deren Schwert muß er einsetzen. Auf das eigene Schwert zurückgeworfen lebt er nicht lange. Die anderen sind stärker, wenn sie sich zusammentun, immer! Die Kräfteverhältnisse zu durchschauen, mit stets wachem Auge, das Gewicht zu verlagern, um das Gleichgewicht zu wahren und nicht abzustürzen, Erwartungen aufzubauen, Phantasien, Ängste und Träume anderer zu nähren, zu richten, zu steuern, dazu ist Erkenntnis und Weisheit nötig. Für Königtum ist das ist die Grundlage. So ausgerüstet steigt Salomo herab von der Höhe Gibeon, um Israel zu regieren. Und so kommt auch das andere, Reichtum, Macht und Ehre — und viele Frauen. 

Der Vers der vergangenen Woche gab Anlass nachzudenken, worauf es ankommt im Leben. Und ich hatte gefragt, ob in der Aufzählung des Psalms etwas fehlt. Hier ist eine gute Antwort: Weisheit und Erkenntnis. Weisheit und Erkenntnis bergen indes manchmal Wahrheiten, denen man sich eigentlich gern entziehen würde. Vielleicht deshalb ist der Wunsch Salomos nicht universell. Aber am Ende wird die Wahrheit uns frei machen, sagt Joh 8,32. Daran habe ich stets geglaubt und tue es noch. 

Der Herr verleihe uns Weisheit und Erkenntnis!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2023

Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre.
Gen 6,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Außerirdisch…!

Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein: 

Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)

Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!

Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird. 

Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt. 

Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.

Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth

Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von  Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!

Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!

Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2023

Und der König Joas gedachte nicht an die Barmherzigkeit, die Jojada, sein Vater, an ihm getan hatte, sondern erwürgte seinen Sohn. Da er aber starb, sprach er: Der HErr wird’s sehen und heimsuchen.
2 Chr 24,22

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Kleiner König

Der Bibelvers stellt eine Frage. Um sie zu verstehen, muß man die Geschichte dazu kennen. Man kann sie als Märchen erzählen, als böses Märchen. 

Es war einmal ein kleiner König, er hieß Joasch. Besser gesagt: am Anfang war er gar kein König, sondern ein Kleinkind, dessen Vater gestorben war. Der war König. Als Joaschs Vater tot war, liess seine böse Großmutter Atalja alle seine Geschwister töten: sie selbst nämlich wollte Königin sein und niemand sonst. Joasch überlebte als einziger, weil seine Tante Joscheba, Schwester seines Vaters, ihn im Tempel versteckte. Sie war verheiratet mit dem Priester Jojada, und die beiden sorgten viele Jahre im Geheimen für den kleinen König, der nicht König werden durfte. Seine böse Großmutter Atalja aber herrschte über das Land und betete fremde Götter an. Den Tempel Gottes ließ sie verfallen.

Nach sieben Jahren fasste der Priester Jojoda Mut. Er sprach mit Hauptleuten der bewaffneten Männer im Reich und sagte ihnen, dass doch eigentlich Joasch König sein müsse und nicht die böse Großmutter Atalja. Und die Hauptmänner hörten zu. Sie setzten die böse Großmutter Atalja ab und töteten sie; Joasch aber machten sie zum König.

Jetzt war der kleine König sieben Jahre alt, und Herrscher von Juda. Als er heranwuchs, gab Jojoda ihm zwei Frauen, und er zeugte viele Söhne und Töchter. Der Priester erinnerte Joasch daran, wie verfallen der Tempel war, in dem er so lange versteckt gelebt hatte, und König Joasch zog Steuern ein. Er ließ die Menschen viel Geld bezahlen, damit der Tempel erneuert werden konnte. 

Nach langer Zeit starb Jojoda, er wurde 130 Jahre alt. Als er begraben war, kamen die Oberen Judas und huldigten dem König. Sie hielten nicht viel vom Gott des Volks Israel, sie beteten Aschera an und andere Götzen. Und merkwürdiges geschah: Joasch folgte ihnen. 

Da stand Secharja auf, der Sohn Jojodas. Er machte dem König und den Oberen bittere Vorwürfe. Er sagte, der Gott Israels werde sein Volk verlassen, wenn man ihn verlasse. Die Oberen des Landes sprachen zum König und sagten, dass Secharja nicht länger leben dürfe. Man müsse ihn steinigen. Und Joasch, der kleine König, der nun ein großer war, gab den Befehl dazu. Secharja starb unter der Steinwürfen seiner Verfolger. Er konnte noch rufen, dass Gott dies sehen und rächen werde. 

Hier endet unser Märchen und es kommt die Frage, die der Bibelvers stellt. Secharja war der Sohn des Hohepriesters Jojada, der Joasch nicht nur gerettet, sondern auch zum König gemacht hatte. Mit dieser Biographie — was um aller Welt trieb Joasch dazu, nun Götzen anzubeten und den Sohn Jojodas zu töten?

Man darf annehmen, dass Joasch und Secharja sich gut kannten. Secharja muß viel älter gewesen sein als der König, bedenkt man das hohe Alter Jojodas. Wollte Joasch den Übervater endlich ganz zum Schweigen bringen — endlich selbst wirklich König sein? Wenn es so war, gab es für ihn eine andere Möglichkeit? Wie wäre sein Leben dann verlaufen? Oder hatte er mit seinem Leben schon abgeschlossen?

Das Ende des kleinen Königs, wir ahnen es, ist tragisch und kommt schnell — lesen Sie nach. In Wahrheit ist die Geschichte alles andere als ein Märchen, sie ist Stoff für ein ausgewachsenes Drama, wie Shakespeare sie geschrieben hat.

Der Herr möge seinen Segen geben und seinen Zorn von uns wenden.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 42/2023

Sonne und Mond werden sich verfinstern, und die Sterne werden ihren Schein verhalten.
Joel 4,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Tag des Herrn

Der Vers ist Teil einer Apokalypse, das sieht man sofort. Das Buch Joel ist kurz, vier Kapitel nur, und seinen Inhalt fasst Wikipedia wie folgt zusammen: Joel prophezeit Gottes Gericht, das wie eine Heuschreckenplage hereinbricht, und Gottes Gnade; sowohl zu seiner Lebzeit, als auch in der Zukunft, am Tag des Herrn, dem endgültigen Gericht Gottes.

Um diesen Tag des Herrn geht es im Vers. Das Volk Israel hat nach schrecklichen Katastrophen als Strafe Gottes die Gnade des Herrn wiedererlangt. Gott gießt seinen Geist aus über alles Fleisch. Im Tal Joschafat — der Name bedeutet „Gott wird richten — wird Gericht gehalten. Die „Völker“ versammeln sich, ihre Armeen und alle Starken, und der Herr zieht sie zur Rechenschaft für das, was sie seinem Volk angetan haben. 

Der Tag des Herrn. Gezogen habe ich den Vers abends am Donnerstag, den 5.10. Ich ziehe immer eine Woche vorher, um Zeit für eine Betrachtung zu haben, und diesmal sogar etwas früher, weil wir auf Reisen gehen wollten. Das fühlte sich diesmal gespenstisch an. Am Samstag überfiel die Hamas Israel. Viele hundert Menschen wurden getötet oder entführt und nun steht ein großer Krieg mit Bodenoffensive im Gaza-Streifen vor der Tür. Am selben Samstag erschütterte ein furchtbares Erdbeben Afghanistan, mit tausenden Toten. In der Ukraine geht das Sterben weiter. Für uns selbst endete, ebenfalls am Samstag, eine Zusammenkunft der Großfamilie in einer großen und gänzlich unerwarteten Enttäuschung. Und immerzu hatte ich den Vers im Kopf.

Hier, in Frankfurt am Main, ist alles höchst sonderbar friedlich — kein Krieg oder Bürgerkrieg, kein Hunger, keine Erdbeben, nicht Dürre noch Flut, die Versorgung mit medizinischen Leistungen ist gut, die meisten Menschen können ohne Sorgen heiraten, Kinder bekommen und alt werden. Atemberaubend. Im Alten Testament könnte das als Beschreibung des Reichs Gottes durchgehen. Dabei treffen sich hier wirklich die „Völker“. Unter den Jüngeren in Frankfurt geraten die ethnisch Deutschen in die Minderheit. Der Umgang miteinander ist pfleglich und gut, meistens jedenfalls. Ist das — normal? Wie kommen wir dazu? Was können wir tun, es zu erhalten? 

Der Vers und sein Umfeld sind bildmächtig. Die Illustration, die Sie oben sehen, habe ich mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz Dall-E erzeugt. Als Anweisung habe ich ihr einfach die Verse 4,14b und 15 in englischer Sprache gegeben — das und sonst nichts. Das Bild trifft mein Gefühl.

Der Herr möge seinen Segen geben und seinen Zorn von uns wenden.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 41/2023

The LORD said that he would dwell in the thick darkness

So habe ich nun ein Haus gebaut dir zur Wohnung, einen Sitz, dass du ewiglich da wohnest.
1 Kö 8,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Unverfügbar

Salomo spricht. Vor versammeltem Volk eröffnet er den Tempel des Herrn. Im Zusammenhang lautet der Vers: Da sprach Salomo: Die Sonne hat der HERR an den Himmel gestellt; er hat aber gesagt, er wolle im Dunkel wohnen. So habe ich nun ein Haus gebaut dir zur Wohnung, eine Stätte, dass du ewiglich da wohnest.

Salomo verweist auf die Vergangenheit, als früher schon das ganze Volk vor Gott stand. Das war am Horeb, als Gott die zehn Gebote gab. Mose musste Mittler sein, weil das Volk Gottes Gegenwart nicht ertrug — So stand das Volk von ferne, aber Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war (2. Mose 20,21).

Gott, der sich Mose offenbarte, ist überörtlich und überzeitlich, er war, der er sein wird, und er zeigt sich, wem er will, wo er will und wann. Unverfügbar. Salomos Werk war der Tempel, das große Interface zwischen Gott und Mensch. Ort des Opfers, des Gebets, des heiligen Gesangs. Einziger Ort für all dies, für die Verehrung Gottes. Um den Tempel herum gründete sich eine Bürokratie, die Zugang gewährte oder verwehrte, ein Steuersystem, eine beamtete Priesterkaste, die Verschränkung von Staat und Kult. 

Ist es recht, dem großen Gott, der im Dunkel wohnen will, ein Haus zu bauen? Zu zeigen, wo Gott wohnt, und damit auch, wo er nicht wohnt? 

Die Gnade unseres dunklen Gotts sei mit uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 38/2023

Er half dem Elenden und Armen zum Recht, und es ging ihm wohl. Ist’s nicht also, dass solches heißt, mich recht erkennen? spricht der HErr.
Jer 22,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Das Recht des Schwachen achten

Worauf kommt es Gott bei Macht und Herrschaft an?.Mit einer ungeschminkten und sehr provokativen Warnung wendet Jeremia sich an Zedekia, den letzten König von Juda, um das über dem Reich hängende Unheil noch abzuwenden. Jeremias Botschaft wertet auch die drei schwachen Vorgänger: Joahas (Schallum), der nur drei Monate regierte, als der ägyptische Pharao ihn wieder absetzte, Jojakim, sein Bruder, der sich erfolglos gegen die Babylonier auflehnte, und sein Sohn Jojakin,(Chonja), der mit achtzehn Jahren König wurde und sofort die Politik seines Vaters büßen musste: er wurde weggeführt nach Babylon. Zum Verständnis von Abschnitt 22 siehe die BdW 41/2019 und BdW 41/2019

Der gezogene Vers nimmt den Vers 22,3 wieder auf, der wie eine Art Klammer und Überschrift den kardinalen Fehler der letzten Könige von Juda beschreibt: Die Mächtigen Judas haben sich nicht um Recht und Gerechtigkeit gekümmert, sondern waren vor allem darauf aus, Schwächere auszubeuten: 

So spricht der Herr: Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt kein unschuldiges Blut an dieser Stätte. Werdet ihr das tun, so sollen durch die Tore dieses Hauses einziehen Könige, die auf Davids Thron sitzen, und fahren mit Wagen und Rossen samt ihren Großen und ihrem Volk. Werdet ihr aber diesen Worten nicht gehorchen, so habe ich bei mir selbst geschworen, spricht der Herr: Dies Haus soll zur Trümmerstätte werden. (22,3-5)

Herrschaft des Rechts — wie im BdW 17/2023 aus diesem Jahr. Der gezogene Vers oben richtet sich spezifisch an Jojakim: Jeremia fragt, ob sein Vater, der große Reformkönig Josia, denn „nicht auch gegessen und getrunken“ habe. Dabei habe er aber das Recht der Elenden und Armen geachtet und geschützt. Für Gott und Jeremia müssen gute Könige keine heiligen Asketen sein. Aber sie müssen die Basics hochhalten, und die liegen im Recht des Schwachen. 

Und im Nachsatz verstärkt der Vers die Botschaft auf eine Weise, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Das Recht des Schwachen achten heisst den Herrn achten. Gott identifiziert sich hier geradezu mit dem Recht des Schwachen. Nicht nur von fern erinnert das an Mat 25,40: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Herrschaft des Rechts. Zeitlos und aktuell. Man wünscht sich mehr davon. Auch in diesem Land.  

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth