Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilt würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.
Gal 6,1
Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Gesetz und Geist
Noch einmal Paulus. Der Vers kann für sich selbst stehen, ich muss nicht viel schreiben. Er steht am Ende des Galaterbriefs, einer sehr engagierten, streckenweise enttäuschten Diskussion über den Wert der Gesetzlichkeit bei den Christen, speziell denen „aus den Völkern“. Bei den Galatern gibt es Bestrebungen, nun doch den ganzen Weg zu gehen, sich beschneiden zu lassen, die jüdischen Feiertage und Speisegebote einzuhalten, im Ergebnis: Juden zu werden, um so Jesus von Nazareth besser nachfolgen zu können. Zur Zeit Jesu und danach war dies möglich und üblich. Nun war Paulus Mission vor allem unter Proselyten erfolgreich, Nichtjuden also, die in der Nähe jüdischer Gesetzlichkeit lebten. Paulus ist von der Vorstellung regelrecht entsetzt. Nicht die Gesetzlichkeit macht gerecht, sondern der Glaube allein.
Nun bleibt der Glaube aber nicht folgenlos. Paulus stellt das „Fleisch“ gegen den „Geist“. Die Werke des Fleisches sind „Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, Saufen, Fressen, und dergleichen“, und weiter: „Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben“. Die Frucht des Geistes* aber ist „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“. Ohne den Geist bedarf es des Gesetzes zum Schutz vor den Werken des Fleisches. Mit dem Geist aber ist das Gesetz nicht nötig — eine Krücke, die man wegwerfen kann.
Das ist eine schöne Vorstellung, an die ich gern denke. Aber wir sind (noch) keine Lichtwesen, und die genannten Werke des Fleisches sind auch unter Christen nicht unbekannt. Dann also doch: Verfehlung — gegen ein Gesetz, das zwar weniger spezifisch ist, aber nichtsdestotrotz unbedingte Beachtung verlangt? Ja. Aber. An diese Stelle gehört der Vers. Der Fallende braucht Hilfe von außen, und zwar von Leuten, die um ihre eigene Gefährdung wissen und nicht eifern. Es folgt der bekannten Spruch: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi (!) erfüllen“. Hier ist nicht materielle Bedürftigkeit gemeint, sondern moralische Last.
Ich habe diesen Vers sofort „vorab“ einem Pastor geschickt, dem ein Kollege gesagt hatte, er müsse in der Gemeinde nun endlich einmal mit eisernem Besen auskehren. Ich glaube, darüber hat Paulus gesprochen.
Eine Woche mit Geduld, sine ira et studio, wünscht uns
Ulf von Kalckreuth
*Siehe auch Eph 5,8-9: „Wandelt als Kinder des Lichts, die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“ — der Taufspruch meiner älteren Tochter.