… sondern hat Lust zum Gesetz des HErrn und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht!
Ps 1,2
Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017.
Wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen
Es ist der zweite Vers des ersten Psalms. Der Psalm spricht von „Gottesfürchtigen“ und „Frevlern“. Letztere tauchen in den Psalmen sehr oft auf, als negative Identifikationsfiguren. Die Frevler, das sind nicht Menschen, die manchmal fehlen, sondern solche, die ständig und systematisch gegen Gottes Willen arbeiten, das Böse suchen, unverrückbar auf ein schadenstiftendes Verhaltensprogramm festgelegt. Durch den Blätterwald ging kürzlich die Nachricht über Forschungsergebnisse aus der Psychologie, denen zufolge es sich tatsächlich so verhalten mag — hier ein Link. Vermutlich aber ist es angebracht, den „Frevler“ und den „Gottesfürchtigen“ als Aspekte unserer eigenen Existenz zu sehen, die durchaus koexistieren können.
Der Weg der Frevler geht verloren, sagt der Psalm. Wer in Gott verankert ist, verfügt dagegen über eine unerschöpfliche Energiequelle. So jedenfalls würden wir Nordeuropäer es nennen. Der Orientale spricht bezeichnenderweise von einer unerschöpflichen Wasserversorgung: „er ist ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen“.
Die Schlüsselbotschaft hier ist die „Lust am Gesetz des Herrn“. Zur Zeit des Psalmisten gab es keine Trennung von religiösem Gesetz, Zivilrecht und Staatsrecht. Die Thora umfasst alle drei, und sie wurden durch dieselben Richter geregelt. Für uns klingt der gezogene Vers sonderbar. Gesetz ist ja etwas, das unser Handeln beschränkt — ständig müssen wir Sorge haben, gegen eine Bestimmung zu verstoßen, die wir vielleicht nicht einmal kennen. Lust am Gesetz?
Man versteht diese Lust besser, wenn man sich ganz kurz vorstellt, es gebe kein Gesetz. Das wäre der blanke Horror: es würde uns in eine Art Vor-Steinzeit katapultieren. Vielleicht kann die Gattung Mensch ohne Gesetz überhaupt nicht überleben.
Gesetz ist Voraussetzung für menschliches Leben und in der Tat Grund für Freude und Dankbarkeit. Der „Gesellschaftsvertrag“ ist eine moderne Vorstellung und im Kern etwas naiv – wer hätte diesen Vertrag je mit wem geschlossen? Früher stellte man sich Gesetz als gottgegeben vor, im Grunde ebenso wie die Welt als Ganze. Im Judentum gibt es ein eigenes Fest: „Simchat Torah“, die Freude am Gesetz. An diesem Tag wird die Verlesung der Thora im Gottesdienst mit dem letzten Abschnitt beendet und sofort wieder von vorn begonnen.
Das Gesetz in der Bibel ist Richtschnur und Weg für das mitmenschliche Zusammenleben ebenso wie für das Leben mit Gott. Und für das eigene Leben, für gelingendes Leben. Gesetz und Gnade: Dies sind die beiden Teile Seines Geschenks an die, die ihm folgen. Grund genug also für ein Freudenfest.
Ich wünsche eine gute Woche, mit Freude am und im Gesetz. Im Ernst!
Ulf von Kalckreuth