Es ist kein Gott wie der Gott Jesuruns. Der im Himmel sitzt, der sei deine Hilfe, und des Herrlichkeit in Wolken ist. Dtn 33,26
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Wenn nichts bleibt als ein Segen…
Ein Segensspruch. Mose weiss, dass er sterben muss. Nachdem er Josua als seinen Nachfolger in der militärischen und politischen Führung eingesetzt hat — dazu hatten wir vor wenigen Wochen den BdW 50/2023 gezogen — und mit dem „Lied des Mose“ den Israeliten sein geistliches Testament übergeben hat, ist es nun Zeit, Abschied zu nehmen. Die Söhne Jakobs sind zu Stämmen eines Volks geworden. Und genau wie Jakob am Ende des Buchs Genesis sterbend seine Söhne segnet, ist es nun an Mose, die Stämme Israels zu segnen, jeden einzeln, Stamm für Stamm. Der Segen, den wir gezogen haben, lautet im Ganzen wie folgt (Lutherbibel 1984, Dtn 33,26f):
Es ist kein Gott wie der Gott Jeschuruns, der am Himmel daherfährt dir zur Hilfe und in seiner Hoheit auf den Wolken. Zuflucht ist bei dem alten Gott und unter den ewigen Armen. Er hat vor dir her deinen Feind vertrieben und geboten: Vertilge!
Wer aber ist Jeschurun, dem dieser Segen gilt? Hier ist der Eintrag im Bibellexikon. Der Name tritt im Alten Testament nur viermal auf. In dreien dieser Fälle verweist er auf das Volk Israel als Ganzes. Hier aber, an dieser Stelle, würde man eigentlich den Namen eines Stammes erwarten. Aber keiner der Söhne Jakobs heißt Jeschurun. Es gibt die Vermutung, dass hier vielleicht ein Segen für eine nicht ursprünglich israelitische Bevölkerungsgruppe eingefügt wurde.
Es ist spannend, die Segnungen am Ende des ersten und des fünften Buchs Mose zu vergleichen, Gen 49 vs. Dtn 33. Es sind im fast dieselben Namen und es ist derselbe Duktus, oft geheimnisvoll und mit Bezügen, die wir nicht mehr verstehen. Manche Segenssprüche in den beiden Texten entsprechen einander, wie die für Asser und Sebulon, andere sind sehr unterschiedlich, am auffälligsten die Sprüche für Levi. Einige Stämme werden von Mose sehr kursorisch behandelt, als seien sie nurmehr eine ferne Erinnerung. Simeon taucht in Moses Abschied gar nicht mehr auf. Der Stamm scheint nur vorübergehende Existenz besessen zu haben, siehe die etwas schwermütige Betrachtung zu BdW 51/2020.
Kann es sein, dass der Segen für Jeschurun ursprünglich dem Stamm Simeon galt und nun in der Bibel fortlebt als Segen für Gottes Volk als Ganzes? Was für eine Vorstellung: wenn von Menschen am Ende nichts bleibt als — ein Segen?
Und der Gott, der im Himmel sitzt, sei unsere Hilfe! Ulf von Kalckreuth
…so sollst du den Mann oder das Weib ausführen, die solches Übel getan haben, zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen. Dtn 17,5
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Einander vor das Stadttor führen…
Der Vers ist kurz und brutal. Es geht um die kultischen Praktiken Kana’ans, die es im Gelobten Land der Israeliten nicht geben soll. Wird ein Israelit abtrünnig und bei götzendienerischen Praktiken beobachtet, so soll die Angelegenheit gründlich geklärt werden. Verhält es sich so, soll der oder die Schuldige vor den Toren der Stadt gesteinigt werden. Es muss dafür mindestens zwei oder drei Zeugen geben, und diese Zeugen sollen die ersten sein, die den Stein werfen.
Andersgläubige sollst du steinigen!
Eine Entsprechung für diesen Vers bezieht sich auf ganze Städte, die sich auf götzendienerische Abwege begeben. Ihre Einwohner sollen, wenn ihre Schuld feststeht, dem Bann verfallen, also ohne Ausnahme getötet werden: siehe BdW 07/2023 zu Dtn 13,13ff.
Die Kulte Kana’ans sind verschwunden, die Weisung besitzt keine unmittelbare Relevanz. Aber das mosaische Gesetz ist im Judentum bindend und den Christen dient es zur Orientierung. Die Ideen von Ausschließlichkeit, Reinheit und Todeswürdigkeit sind es, die im Mittelalter massenhafte Hexenverbrennungen möglich machten. Um die Zeitenwende waren es die Anhänger der neuen christlichen Lehre, die gesteinigt wurden, und Jesus selbst entging diesem Schicksal zweimal nur knapp (Lk 4, Joh 8). Und das Gebot, Abtrünnige zu töten, gibt es auch im Islam.
Vor etwas mehr als zwei Jahren hatten wir eine andere tödliche Mitzwah als Bibelvers der Woche, und ich habe seinerzeit versucht darzulegen, wie man konstruktiv damit umgehen kann, siehe den BdW 41/2022. Das fällt mir heute schwerer als damals.
Was tun mit diesem Vers? Wir können ihn sehr bewusst zur Kenntnis nehmen. Er erlaubt uns einen Blick in unser gemeinsames abrahamitisches Genom. Das ist nicht schön oder erhebend, aber wertvoll, auch heute. Gerade heute. Denn wenn wir nicht vorsichtig miteinander sind, führen wir einander schnell vor das Stadttor.
Von den Engeln spricht er zwar: „Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen”,… Heb 1,7
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Botschaft im Wind
Es ist einer dieser Verse, in denen ein anderer steckt, wie in einer Matrioschka. Der Autor des Hebräerbriefs will aufzeigen, um wie vieles der Sohn Gottes höher steht als die Engel, und er zitiert dazu Verse aus dem Alten Testament. Im Vers oben stellt er einen Vergleich mit der Art und Weise an, wie ihrerseits die Engel gepriesen werden. Zitiert wird dabei Psalm 104,4. In der Lutherbibel 1984 lautet dieser Psalmvers:
…der du machst Winde zu deinen Boten und Feuerflammen zu deinen Dienern
„Bote“ und Engel“ werden im Hebräischen durch dasselbe Wort wiedergegeben: mal’ach. Im Psalmvers aber werden Winde zu Boten und Flammen zu Dienern gemacht, nicht umgekehrt, wie im Zitat des Hebräerbriefs.
Aber vielleicht spricht der Psalmvers ja nicht wirklich über Engel, sondern über die Art und Weise, wie Gott zu uns redet. Manchmal durch Erscheinungen in der Natur, Elemente, wie Feuer und Wind. Aber das muss man verstehen wollen. In meiner Frankfurter Gemeinde berichtete vor einigen Jahren eine Frau, wie sie in ihrer Jugend früh an das Ende ihrer Möglichkeiten gekommen war, sich gescheitert fühlte, auch durch eigenes Verschulden, und sich von Gott und den Menschen verlassen sah. Sie stand an einer Bushaltestelle, in der Dämmerung, und wollte nicht mehr leben. Sie sagte, „Gott, wenn es dich gibt, wenn du mich hörst, dann sprich jetzt zu mir!“ Abwesend blickte sie in Richtung einer dünnen Plastiktüte, die an der Bushaltestelle auf dem Boden lag. Dann nahm sie wahr, wie diese Tüte anfing, sich zu bewegen: sie war in einen Luftwirbel geraten und drehte sich, tanzte hin und her, erhob sich in die Luft und legte sich schließlich wieder nieder. Die junge Frau sah, dass Gott sie gehört hatte und verstand die Antwort.
Diese Kommunikation hatte mit einer Glaubensentscheidung zu tun — stärker noch; sie war durch eine Glaubensentscheidung bedingt. Die junge Frau hätte die tanzende Tüte ebensogut ignorieren oder gar Spott darin sehen können.
Hier ist noch einmal eine Matrioschka: In dieser Geschichte aus Frankfurt spiegelt sich ein ganz alter Bericht, 1 Kö 19,11-13. Als Elia am Ende war und keine Hoffnung mehr hatte, suchte er den Herrn am Horeb und fand ihn nicht: nicht im Sturmwind, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Er fand ihn schließlich im Säuseln des Windes. Und wie die junge Frau hätte Elia in diesem Moment die Freiheit besessen, in dem Säuseln nichts zu sehen und zu hören.
Aber die Begegnung richtete ihn wieder auf und änderte sein Leben, wie das der jungen Frau, von der ich berichtet habe.
Der Herr, der die Winde zu seinen Boten macht und seinen Engeln befohlen hat, uns zu behüten, sei mit uns! Ulf von Kalckreuth
Ihr Narren, meinet ihr, dass es inwendig rein sei, wenn’s auswendig rein ist? Luk 11,40
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Sehen, worauf es ankommt
Für manche Menschen hat die Entwicklung ihrer Potentiale allergrößte Bedeutung — self development auf neudeutsch. Unsere Möglichkeiten haben wir mitbekommen, als Grundausstattung, sie gehören uns, unveräußerlich. Was wir daraus machen, ist im wesentlichen unsere Sache, und vielleicht ist es wirklich Sünde, die eigenen Möglichkeiten brachliegen und verkommen zu lassen. Die Hoch-zeit für „Self-Developer“ ist Neujahr und die Tage davor — Zeit, Bilanz zu ziehen und Orientierung für die Zukunft zu suchen.
Dabei gilt es zu sehen, worauf es im Kern ankommt, in der jeweiligen Zeit, der jeweiligen Situation. Unsere Ressourcen an Zeit, Kraft und Geistesgaben sind beschränkt und Erfolg können wir nur haben, wenn wir sie effektiv einsetzen. Womit wir bei Jesus sind. Von ihm stammt das Gleichnis mit den Talenten, und im gezogenen Vers mahnt er uns, auf den springenden Punkt zu schauen.
Weil der Vers in der Fassung von 1912 ungenau übersetzt ist, gebe ich ihn hier aus der Lutherbibel von 1984 wieder, mitsamt dem Kontext. Die anderen großen Übersetzungen bieten ähnliche Fassungen:
Als er noch redete, bat ihn ein Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein und setzte sich zu Tisch. Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte. Der Herr aber sprach zu ihm: Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere geschaffen hat, auch das Innere geschaffen? Doch gebt als Almosen von dem, was da ist; siehe, dann ist euch alles rein.
Jesus wirft dem Pharisäer vor, die Form streng zu achten und den Inhalt zu vernachlässigen. Dabei ist er ausgesprochen unhöflich; mit seinen harten Worten schmäht er den Gastgeber. Der Inhalt ist, worauf es in Wahrheit ankommt — von außen ist er nicht sichtbar. Sein statt Schein. Jesus deutet an, worum es geht: im zitierten Text spricht er von tätiger Nächstenliebe, weiter unten dann vom Recht und der Liebe Gottes. Das sind Umrisse, ausfüllen müssen wir sie selbst, mit unserem Leben.
Wir alle sind Self-Developer, ob wir es wollen oder nicht. Ich wünsche uns allen ein frohes und gesegnetes Neues Jahr 2024, in dem wir zur Sonne hin wachsen können und nicht aus dem Blick verlieren, worauf es ankommt.
Alle Köpfe werden kahl sein und alle Bärte abgeschoren, aller Hände zerritzt, und jedermann wird Säcke anziehen. Jer 48,37
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Weihnachten? Weihnachten!
Der letzte Bibelvers für dieses Jahr. Er spricht vom Fall Moabs. Vor fünf Jahren hatten wir mit BdW 44/2018 den herzzerreißenden Vers gezogen, der unmittelbar vorangeht und der BdW 14/2019 gibt gleichfalls tiefe Einblicke. Schauen Sie mal hinein.
Der gezogene Vers ist hart und kompromißlos. Das verhaßte Brudervolk, Moab, geht unter. Niemand kann es wenden und Gott wird nicht retten. An Versen dieser Tonlage ist die Bibel nicht arm, und wenn man zufällig zieht, kann man auch in der Weihnachtswoche einen erwischen. Das weiß ich, aber ich freue mich, wenn es einen Zweiklang gibt zwischen den großen Festen und ihren Versen, und häufig geschieht das auch. In der vergangenen Woche saß meine jüngere Tochter neben mir, als ich den Weihnachtsvers zog, und wir waren beide etwas enttäuscht, und sie sagte mir tröstend, dass ich doch wisse, dass die Bibel kein Orakel ist — sie kennt das Wort nicht, aber das hat sie gemeint.
Ja, das weiß ich. Die Bibel ist kein Orakel. Aber sie steckt voller Bezüge, innerhalb ihrer Texte, zu Gott und zu unserer Wirklichkeit. Und nach diesen Bezügen darf ich suchen.
Der Prophet ist verzweifelt, aber der Untergang Moabs, das übergroße Leid seiner Einwohner, ist Realität. Der Bezug zu unserer Welt ist sehr deutlich zu sehen. Und dort, genau dort gehört Weihnachten hin! Unsere Welt ist gefallen. Gott kommt zu uns, weil sie gefallen ist, und weil nichts dies noch ändern kann. Gott wird Mensch, wird geboren, leidet mit den Menschen und stirbt schließlich von ihrer Hand einen entsetzlichen Tod.
„Welt ging verloren, Christ ist geboren“. So heißt es im alten Lied, und eigentlich ist das zu schwach. Es müsste heißen: Christ ist geboren, weil die Welt verloren ging. Die gefallene Welt ist Voraussetzung für Weihnachten, Weihnachten ist gewissermaßen ihr Ausdruck. Weihnachten überwindet dies Fallen, ohne es aufhalten zu können. Jesus rettet die Welt nicht, er überwindet sie. Nicht umsonst feiern wir Weihnachten, wenn es kein Licht mehr gibt. Wenn man genau hinguckt, sieht man es: Sie umkreisen einander, die fallende Welt und ihr Weihnachtsstern.
Ein Zweiklang also, rauh und elementar! Ich wünsche uns allen ein frohes Weihnachtsfest, froh im freien Fall, trotz aller Feinde Toben, und viel Kraft für die Zeit, die vor uns liegt.
Ich schweige wohl eine Zeitlang und bin still und halte an mich; nun aber will ich wie eine Gebärerin schreien; ich will sie verwüsten und alle verschlingen. Jes 42,14
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Gott als Gebärende
Merken Sie es? Eine neue Zeit soll beginnen. Der Vers markiert den Umbruch, den Moduswechsel: von einem passiven, abwesenden Gott, der sich nicht äußert, zu einem Gott, der machtvoll eingreift. Er ist in ein Loblied zur Ehre Gottes eingebettet — Israel ist gefangen, und im Vorausgriff wird Gott gelobt für eine Rettungsta, die noch nicht stattgefunden hat.
Die Übersetzung der letzten Worte des Verses in der Lutherbibel von 1912 ist nicht recht nachvollziebar. In der Lutherbibel 1984 lautet der Vers gemeinsam mit den beiden Folgeversen:
Ich schwieg wohl eine lange Zeit, war still und hielt an mich. Nun aber will ich schreien wie eine Gebärende, ich will laut rufen und schreien.Ich will Berge und Hügel zur Wüste machen und all ihr Gras verdorren lassen und will die Wasserströme zu Land machen und die Seen austrocknen. Aber die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerige zur Ebene. Das alles will ich tun und nicht davon lassen. Aber die sich auf Götzen verlassen und sprechen zum gegossenen Bilde: »Ihr seid unsre Götter!«, die sollen zurückweichen und zuschanden werden. (V.14-17)
Eigenartig aber — diese Verse beschreiben Stadien im Erwachen und Eingreifen Gottes:
Schweigen und Passivität.
Gewaltiges Rufen, erst aus Schmerz, dann als Signal zu Aufbruch und Kampf. Gott als Gebärende. Eine neue Wirklichkeit wird geboren.
Gott kehrt das Unterste zuoberst.
Gott wendet sich den Blinden zu — den Orientierungslosen, die ihren Kurs im Leben und ihren Halt verloren haben. Für sie gibt es nun Führung und Licht und Gott bahnt ihre Wege.
Die Götzendiener treffen auf ihr Schicksal.
Dem Propheten steht das deutlich vor Augen, noch bevor der Umschwung begonnen hat, die Rettung einsetzt. Und alles beginnt damit, dass Gott laut wird, wie eine Gebärende schreit. Gott als Gebärende, Kraftzentrum einer Welt in Neuschöpfung, ein Bild in unglaublich leuchtenden und dynamischen Farben. In der Offenbarung des Johannes taucht es wieder auf.
Chag HaMolad heißt Weihnachten auf Hebräisch, Fest der Geburt. Die Verse sind aus einem Teil Jesajas, der vom Auftreten des Gottesknechts und der Errettung von Gottes Volk handelt. Ich wünsche uns eine laute, frohe Woche hin zum Weihnachtsfest. Keine Besinnlichkeit, sorry!
Der HERR aber, der selber vor euch her geht, der wird mit dir sein und wird die Hand nicht abtun noch dich verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht. Deut 31,8
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Fürchte dich nicht!
Wenn man Verse zufällig zieht, kann man echte Überraschungen erleben, echte Begegnungen. Vom Vers dieser Woche bin ich wie betrunken.
Mose fühlt sein Ende nahen und übergibt die Führung an seinen Nachfolger, Josua. Er selbst darf das Heilige Land nicht betreten, so hat es Gott lang vorher bestimmt. Hundertzwanzig Jahre ist er alt, bald wird das Volk den Jordan überschreiten und er wird nicht dabei sein. Dein eigenen Tod vor Augen spricht Mose seinem Nachfolger Mut zu. Alleine schafft es Josua nicht, das wissen alle, aber der Herr selbst wird für ihn streiten!
Es geht um Landnahme und einen Eroberungskrieg, der manches Mal zum Vernichtungskrieg gerät. Ich will hier etwas politisch Unkorrektes tun, das zudem gegen meine eigenen Prinzipien verstößt. Ich will den Kontext ignorieren und nur den Satz selbst betrachten. Hier wird jemanden, der bis weit über seine Grenzen hinaus mit Aufgaben beladen ist, Mut und Gewissheit zugesprochen, Gewissheit, dass des Herrn Kraft ihn tragen wird.
In dieser Lage sind wir alle, wenn wir unser Leben verstehen. Es gibt kein leichtes Leben — wem seines so vorkommt, der sieht die Herausforderungen nicht. Am Ende muß die Gegenwehr erlahmen, am Ende überwältigen die wachsenden Widernisse die schwächer werdenden Kräfte, in den Strudel eines Zusammenbruchs hinein.
Und doch! Und doch wird des Herrn Kraft uns tragen. Das ist es, was die Bibel uns im Kern sagt. Auch im Zusammenbruch, in der Überforderung, der Schwäche und der endlichen Vernichtung, dem Tod:
Des Herrn Kraft wird dich tragen. Fürchte dich nicht!
Das ist eine ungeheure Vorstellung. Wer kann sie annehmen? Der es tut, wird gänzlich anders leben.
Denn „alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen…„ 1 Pe 1,24
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
…und ihre Stätte kennen wir nicht mehr
Zum Verständnis zunächst der engere Kontext, einschließlich der Fortführung des begonnenen Satzes im darauffolgenden Vers: .
…habt euch untereinander beständig lieb von Herzen, als die da wiedergeboren sind und nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt. Denn „alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit ist wie des Grases Blume, Das Gras ist verdorrt, und die Blume abgefallen, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ Das ist aber das Wort, welches euch verkündigt ist.
Die Vergänglichkeit des Menschen stellt Petrus neben die Ewigkeit des Worts Gottes. Und in sehr eigentümlicher Weise trägt der Vers seine Wahrheit in sich selbst!
Schauen Sie selbst. Petrus zitiert Jesaja 40,6-8. Dieser Abschnitt gehört zum „Trostbüchlein“ des Deuterojesaja, einer Schrift, die vermutlich aus der Zeit des babylonischen Exils stammt. Als Petrus die Verse in seinem Schreiben wiedergibt, ist das Trostbüchlein bereits rund 600 Jahre alt. Aber der zitierte Vers des Deuterojesaja selbst setzt sich aus uralten Psalmworten zusammen. Psalm 90f: „Du lässt sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst, und des Abends welkt und verdorrt.“ Psalm 103,15f: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennen wir nicht mehr.“ Und schließlich Psalm 119,89f; „Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht, und deine Wahrheit für und für.“
Und für uns ist es wiederum 2000 Jahre her, dass Petrus den Vers geschrieben hat. Der Vers und seine Quellen überbrücken also beinahe 3000 Jahre, das Leben einer unübersehbaren Vielzahl glaubender Menschen in denkbar verschiedenen Lebenslagen. Der Vers — Gottes Wort — blieb in dieser ganzen Zeit unverändert. Gibt es etwas anderes, was in dieser Zeit noch geblieben wäre? Welche Blume ist seither nicht dahingefahren? Und dann: Was wir lieben, wird bald ebenso dahin sein wie wir selbst.
Das Wort Gottes ausgenommen. Der Herr bleibe bei uns Ulf von Kalckreuth
Und da sie ihm zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will deinen Kamelen auch schöpfen, bis sie alle getrunken haben. Gen 24,19
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Verborgene Botschaften
Oben sehen Sie das Wappen meiner Familie. Im Schild sind zwei gekreuzte Werkzeuge, Kalkreuten genannt. Vielleicht sind es Kalkofengabeln, genau weiss man es nicht. Zu Wappen und Namen gibt es eine Sage, an die der Vers mich erinnert. Weiter unten will ich sie erzählen.
Zuerst aber der Vers. Abraham war schon hochbetagt, als seine gleichfalls alte Frau Sarah den gemeinsamen Sohn Isaak zur Welt brachte. Nun sollte Isaak verheiratet werden. Ehen wurden in dieser Zeit von den Vätern oder den Clanchefs der Brautleute gestiftet. Abraham war in Kanaan reich und mächtig geworden, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Schwiegertochter auf keinen Fall aus Kanaan kommen dürfe, sie solle vielmehr aus dem aramäischen Heimatland stammen. Harran, die Stadt, in die Abrahams Vater gezogen war und wo noch sein Neffe Betuel lebte, lag fast 1000 km nördlich von Machpela in Kanaan — er selbst konnte nicht dort hin. Was also tun?
Abraham schickt einen Diener in die weit entfernte Stadt mit dem Auftrag, eine Frau für seinen Sohn zu finden. Keinesfalls dürfe der Diener Isaak mitnehmen. Der Diener schwört es und macht sich auf den Weg. Schließlich erreicht er Harran. Nun müsste er eigentlich mit der Verwandtschaft Abrahams Kontakt aufnehmen, um in den Großfamilien nach einer Braut zu suchen oder nach Informationen, bei welchen anderen Clans die Werbung sinnvoll wäre. Aber er hat große Angst, nicht fündig zu werden oder auf eine Braut zu stoßen, die ihm nicht nach Kanaan folgen will.
Er bittet Gott um Hilfe, und mit großem Gottvertrauen und erstaunlichem Selbstbewusstsein zugleich nennt er Gott ein Zeichen. Die „rechte“ Braut solle mit einem Krug auf ihn zukommen, und wenn er sie um Wasser bitte, so solle sie antworten: Trinke, und deine Kamele will ich auch tränken. Der zweite Teil der Antwort ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Tat ein Zeichen ist: Wer würde für einen Fremden solche Mengen Wassers aus der Quelle schöpfen und nach oben tragen? Kamele sind berühmt für ihren ungeheuren Durst!
Und das Wunder geschieht: kaum hat der Diener sein Gebet gesprochen, sieht er ein zartes und unberührtes junges Mädchen, mit einem gefüllten Krug auf ihrer Schulter, und als er sie um Wasser bittet, gibt sie nicht nur ihm zu trinken, sondern will auch seine Kamele tränken. Sie spricht also die magischen Worte, das ist der gezogene Vers. Der Diener hat Rebekka gefunden, Isaaks künftige Frau, Mutter Jakobs, Stammmutter damit aller Israeliten und Juden! Der Himmel öffnet sich ein Stück. Die Sippe — nahe Verwandte Abrahams übrigens — nimmt des Dieners Werbung und die Brautgeschenke gern an. Und Rebekka ist ohne weiteres bereit, ins weit entfernte Kanaan zu gehen, um dort einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt. Schließlich aber sind die beiden Brautleute, als sie sich schließlich sehen, einander herzlich zugetan.
Der Diener bittet, dass Gott ihm die Braut zeige, und er legt fest, wie die Gesuchte sich als rechte Braut ausweisen soll. Wie Soldaten, die sich anhand einer Parole zu erkennen geben: der eine sagt ein Wort, der andere ein anderes. Aber die Verabredung über die Parole besteht mit Gott. Rebekka, als sie spricht, kennt ihre eigentliche Bedeutung ihrer Worte nicht.
In der Einleitung hatte ich Ihnen eine Sage versprochen. Es ist eine richtige Rittersage, ich gebe sie gekürzt wieder. Ein junger Mann zieht fort von seiner Heimat und kommt an den Hof eines fremden Königs. Er bewährt sich und macht sich beliebt, aber nicht bei allen. Es gibt Neider, und einer von ihnen beschließt, für des jungen Mannes vorzeitigen Tod zu sorgen. Er redet dem König ein, dass dessen Frau dem jungen Mann sehr — zu sehr — gewogen sei. Der König glaubt ihm und fragt, was zu tun sei. Der Verleumder sagt, der König solle nicht lang fackeln, sondern den jungen Liebhaber in einem Kalkofen verbrennen lassen. Dazu möge er den Jüngling zu einem Kalkofen schicken und dort fragen lassen, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Wer immer sich mit diesen Worten an die Arbeiter wende, den sollten die Arbeiter packen und in den Ofen werfen.
So geschieht es. Der Jüngling macht sich auf den Weg zum Kalkofen. Dabei wird er jedoch für einige Zeit aufgehalten. Dann macht auch der Verleumder sich auf den Weg, um zu sehen, ob alles gelungen sei. Er wendet sich an die Arbeiter und fragt, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Diese packen ihn und wollten keine Ausflüchte und Begründungen hören, dass dies so doch gar nicht gemeint sei — sie werfen ihn in den Kalkofen und dort stirbt er, an des jungen Mannes Stelle.
Als der Jüngling verspätet beim Kalkofen erscheint, und seinerseits fragt, ob der Befehl ausgerichtet sei, kommt alles ans Licht, und der König ist sehr zufrieden, dass es der Verleumder in die selbst gegrabene Grube gefallen ist und nicht sein unschuldiges Opfer. Den jungen Mann aber macht er zu seinem Gefolgsmann und Ritter.
Wie bei der Brautschau im Vers haben die Worte, die der Jüngling an die Arbeiter richten soll, eine ganz eigene schwerwiegende Bedeutung, die der Überbringer selbst nicht kennt. Und in meiner Familie erzählt man sich, der junge Mann habe von den Kalkofengabeln das Wappen und seinen ritterlichen Namen bezogen, und niemand anders sei er als der Stammvater aller Kalckreuths…!
Verborgene Botschaften. Ja, wir überbringen Botschaften, und nicht immer kennen wir ihre Bedeutung für uns und für andere. Gebe der Herr, dass es Botschaften zum Heil sind, wie bei Rebekka, und nicht zum Unheil, wie in der Legende…! Ulf von Kalckreuth
Also kam Salomo von der Höhe, die zu Gibeon war, von der Hütte des Stifts, gen Jerusalem und regierte über Israel. 2 Ch 1,13
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Worauf es ankommt, Teil II
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei. Einen einzigen. Da kann man schon ins Grübeln kommen. Salomo opfert dem Herrn öffentlich auf der Höhe zu Gibeon, und in der Nacht darauf erscheint ihm der Herr und sagt ihm, er möge einen Wunsch äußern.
Ein wenig wie im Märchen. Was soll Salomo sich wünschen? Er ist das uneheliche Kind Davids mit Batseba, einer verheirateten Frau, deren Mann sein Vater hatte töten lassen. Um den Thron besteigen zu können, hat er sich aus einer hinteren Position gegen seine vielen Brüder durchgesetzt, auch gewaltsam. Seine Macht ist nicht gefestigt. Da wäre der Tod der Feinde als Wunsch naheliegend, auch Macht und Reichtum, um sich durchsetzen zu können. Aber Salomo wünscht sich etwas, das nicht auf der Hand liegt: Weisheit und Erkenntnis. Sehr zum Erstaunen des Herrn:
Weil du dies im Sinn hast und nicht gebeten um Reichtum noch um Gut noch um Ehre noch um deiner Feinde Tod noch um langes Leben, sondern hast um Weisheit und Erkenntnis gebeten, mein Volk zu richten, über das ich dich zum König gemacht habe, so sei dir Weisheit und Erkenntnis gegeben. Dazu will ich dir Reichtum, Gut und Ehre geben, wie sie die Könige vor dir nicht gehabt haben und auch die nach dir nicht haben werden. (2 Chr 1,11+12)
Ich sehe hier zweierlei. Manchmal schenkt Gott Dinge, um die wir nicht gebeten haben. Wenn wir hadern, dass das Leben die Erfüllung unserer Wünsche hartnäckig verweigert, mögen wir schauen, was da ist, ohne dass wir es uns gewünscht haben — Freundschaften, Erlebnisse, Musik, vielleicht ein wacher Geist oder die Freude an einem schönen und kraftvollen Körper. Wenn ich hinschaue, so ist meine Welt voll solcher Dinge.
Zweitens und spezifischer: Salomos Wunsch nach Weisheit ist ein weiser Wunsch. Könige haben ein spezielles Problem. Man ist König nur weil und solange andere sich nicht trauen, die Gefolgschaft zu versagen oder sich aufzulehnen. Ein König hat keine nennenswerte eigene Kraft, seine Kraft ist geliehen von anderen. Deren Schwert muß er einsetzen. Auf das eigene Schwert zurückgeworfen lebt er nicht lange. Die anderen sind stärker, wenn sie sich zusammentun, immer! Die Kräfteverhältnisse zu durchschauen, mit stets wachem Auge, das Gewicht zu verlagern, um das Gleichgewicht zu wahren und nicht abzustürzen, Erwartungen aufzubauen, Phantasien, Ängste und Träume anderer zu nähren, zu richten, zu steuern, dazu ist Erkenntnis und Weisheit nötig. Für Königtum ist das ist die Grundlage. So ausgerüstet steigt Salomo herab von der Höhe Gibeon, um Israel zu regieren. Und so kommt auch das andere, Reichtum, Macht und Ehre — und viele Frauen.
Der Vers der vergangenen Woche gab Anlass nachzudenken, worauf es ankommt im Leben. Und ich hatte gefragt, ob in der Aufzählung des Psalms etwas fehlt. Hier ist eine gute Antwort: Weisheit und Erkenntnis. Weisheit und Erkenntnis bergen indes manchmal Wahrheiten, denen man sich eigentlich gern entziehen würde. Vielleicht deshalb ist der Wunsch Salomos nicht universell. Aber am Ende wird die Wahrheit uns frei machen, sagt Joh 8,32. Daran habe ich stets geglaubt und tue es noch.
Der Herr verleihe uns Weisheit und Erkenntnis! Ulf von Kalckreuth