Bibelvers der Woche 37/2019

Ich kehrte mein Herz, zu erfahren und erforschen und zu suchen Weisheit und Kunst, zu erfahren der Gottlosen Torheit und Irrtum der Tollen,…
Pred 7,25

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, ausnahmsweise aus der Züricher Bibel.

Die Frau… und der Sinn des Lebens

Der gezogene Vers ist unvollständig, eine Einleitung. Hier hat jemand alles getan: sein Herz gekehrt, erfahren, gesucht, geforscht, um die großen Strukturen im Leben zu verstehen. Man kann an dieser Stelle innehalten und sich fragen, ob man auch schon einmal an diesem Punkt war, worum es ging und was dabei herauskam — und ob es heute noch wichtig ist. Vielleicht genügt das ja für diese Woche schon?  

Aber die Fortsetzung des Satzes durch den großen Philosophen Kohelet ist ein echter Stein des Anstoßes: 

… und fand, daß bitterer sei denn der Tod ein solches Weib, dessen Herz Netz und Strick ist und deren Hände Bande sind. Wer Gott gefällt, der wird ihr entrinnen; aber der Sünder wird durch sie gefangen. (Pred 7,26)

Ein solcher Satz kann den Ruf eines Menschen ruinieren, wenn man ihn ins Internet stellt, selbst nach zweieinhalbtausend Jahren. Es gibt mehrere Veröffentlichungen zu der Frage, ob Kohelet frauenfeindlich gewesen sei oder nicht. Dabei ist die Frage zentral, ob er sich die Aussage in Vers 26 zu eigen macht oder ob er sie — als Meinung anderer — nur zitiert, um sie dann zu widerlegen. Da geht es um Stilmittel, spezielles Vokabular und Bezüge zu anderen Texten. Ich kann der Diskussion fachlich nicht folgen. Der hebräische Text wirkt auf mich aber durchaus so, als sei Vers 26 dasjenige, was der Prediger im Vers 25 ankündigt, das Ergebnis großer geistiger Mühen. Also muss auch ich mich mühen. Ich habe drei Ebenen gefunden, auf denen der Vers zu uns sprechen kann. 

Liest man ihn für sich selbst, so geht es um sexuelle Anziehung und das andere Geschlecht als Bezugspunkt für das eigene Leben. Kohelet schreibt als Mann für Männer; wo er „Frau“ sagt, mögen Frauen „Mann“ setzen. Der Vers enthält die ernst gemeinte Warnung davor, den anderen zu überhöhen und zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Existenz zu machen. Das hält davon ab, sich den Lebensaufgaben zu stellen. Die Geliebte wird das Leben nicht richten, und sie kann schnell gar zur Ausrede dafür werden, dass nichts gelingt. In „Hard headed woman“ singt Cat Stevens von dieser Überhöhung, und das Lied weiß auch um die Vergeblichkeit.

Mit seiner Warnung bewegt sich Kohelet durchaus im Kontext der Weisheitsliteratur, siehe Sprüche 2,16; 5,3; 6,24; 7,5. Erinnern Sie sich an den schönen BdW 2018/18? Aber Kohelet ist ja nicht nur auf der Suche nach Weisheit, er prüft die Weisheit selbst. Das Ergebnis des Buchs ist, dass das Streben nach Weisheit wie alles andere auch letztlich ein Haschen nach Wind ist, und dass wir uns einem einfachen Leben in Achtsamkeit widmen sollen. Und hier begegnen wir wieder der Frau, aber ganz anders als in 7,26: 

Genieße das Leben mit der Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat; denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, mit der du dich mühst unter der Sonne. Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu; denn im Totenreich, in das du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit. (Pred 9,9+10)

Ich behaupte nun: Kohelet ist (auch) ironisch! Er hebt an in Vers 25, um die Summe dessen zu benennen, was er auf seiner Suche nach Weisheit gefunden hat: es ist die Warnung vor der Frau. Ist denn das wirklich alles? Er bestätigt: ja, auf seiner Suche nach Weisheit habe er unter Tausenden nur einen Mann gefunden, den er ernst nehmen konnte, aber nicht eine einzige Frau. Sonst gar nichts? Er hebt nochmals an, und jetzt kommt eine echte Überraschung:

Nur dies fand ich, sieh: Gott hat den Menschen recht gemacht, sie aber suchten große Erkenntnisse (Pred. 7,29)

Im Hebräischen steht für „Erkenntnis“ ein ungewöhnliches Wort: cheschbon bedeutet eigentlich „Zusammenrechnen“ oder „Resultat“. Im modernen Hebräisch steht es für Rechnung oder Konto. Aber es ist exakt dasselbe Wort, das Kohelet im ganzen Abschnitt für seine eigenen Bemühungen verwendet, Weisheit zu erlangen und viele einzelne Beobachtungen zu einer Gesamtsicht zu vereinigen! Unter den großen Übersetzungen hat nur die Züricher Bibel die wörtliche Entsprechung übernommen. Sie führt direkt ins Zentrum der Schrift: Am Ende von Kohelets Streben nach Erkenntnis steht die Einsicht, dass dies Streben nichtig sei. Und auf dem schwankenden Weg dorthin steht als Zwischenergebnis eine Erkenntnis über die Gefahren, die im Weibe wohnen… Das lässt die ganze Luft wieder heraus, die Vers 25 hineingepustet hat. 

Aber Kohelet ist ein messerscharf denkender Philosoph, und das Zwischenergebnis ist mitnichten beliebig. Das Ende des Abschnitts verweist nämlich auf den Anfang der Bibel, die Geschichte vom Sündenfall. Der Mensch (Adam, so auch im hebräischen Text von 7,29) ist gut geschaffen, aber mit dem Griff nach der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse verfällt er der Sünde und der Gottesferne. In der Schöpfungsgeschichte ist die Frucht durch die Frau vermittelt. Dies ist die dritte, die symbolische Ebene: Kohelet bindet seine Aussage an den Quellgrund der Bibel an. Auf dieser Ebene geht es nicht mehr um reale Frauen mit menschlichem Körper, sondern um Urbilder, um dasjenige, was uns blind macht und von Gott trennt. Gelungenes Leben ist unmittelbar und angstfrei: „Seht die Lilien auf dem Feld…“ wird Jesus mehrere hundert Jahre später sagen. Dahin ist Kohelet gelangt, das Ergebnis eines Denkerlebens. Wer bietet mehr?

Hinsichtlich der Anklage wegen Misogynie beantrage ich Freispruch wegen erwiesener Unschuld. Ich selbst hatte in der vergangenen Woche meine Silberhochzeit und wünsche uns allen Gottes reichen Segen.
Ulf von Kalckreuth

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