…dass er viel Gut hatte an kleinem und großem Vieh und ein großes Gesinde. Darum beneideten ihn die Philister.
Gen 26,14
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Vom Zuschütten und vom Wiederausgraben
Hier zunächst die Ergänzung des Fragments: Und er [Isaak] wurde ein reicher Mann und nahm immer mehr zu, bis er sehr reich wurde, sodass er viel Gut hatte an kleinem und großem Vieh und ein großes Gesinde. Darum beneideten ihn die Philister.
Isaak, einer der Stammväter Israels, macht sich in Kanaan heimisch, das Land, in das sein Vater Abraham eingewandert war. Man sollte sich Abraham, Isaak und Jakob in diesen Erzählungen nicht (nur) als Einzelperson vorstellen: in den Vätergeschichten stehen viele Akteure für größere Gruppen, manchmal ganze Völker. Abraham, Isaak und Jakob sind Protagonisten einer Einwanderung, die zumeist friedlich verläuft, in einer manchmal kritischen, manchmal kooperativen Koexistenz mit dem Völkergemisch Kanaans. Das ist eine Alternative zur Erzählung von der Landnahme mit Feuer und Schwert, siehe den Vers der Woche 33/2019.
Die Geschichte, die der Vers einleitet, führt uns mitten hinein. Der steil ansteigende Reichtum Isaaks führt bei der einheimischen Bevölkerung zu Widerstand und Neid. Ein embryonales Pogrom ist die Folge: die Philister schütten Isaaks Brunnen zu, die er braucht, um sein Vieh zu tränken, und König Abimelech zieht seine schützende Hand von ihm ab. Isaak und seine vielen Knechte müssen fortgehen, nach Gerar. Dort gräbt er die Brunnen seines Vaters Abraham wieder aus, die nach dessen Tod gleichfalls zugeschüttet worden waren. Und um die neuen, alten Brunnen gibt es sofort wieder Streit…!
Liest man diese Geschichte von Einwanderung, zunehmendem Reichtum, gewaltsamer Reaktion und erzwungenem Ausweichen im Deutschland der Gegenwart, dann stellen sich unweigerlich Assoziationen ein. Da ist ein uralter Mechanismus, der in vielen Konstellationen und in allen Zeiten funktioniert. Aber nicht immer auf dieselbe Weise: Isaaks Leben unter den Philistern bleibt auf prekäre Weise stabil. Philisterkönig Abimelech schützt ihn wieder, es kommt gar zu einem feierlich beeideten Bund, und Esau, sein erster Sohn, heiratet zwei Töchter aus hetitischen Familien. Das hat seinen Preis: Die Bibel berichtet, dass diese Ehen Anlass für bitteren Gram bei den Eltern Isaak und Rebekka sind.
Die Vätergeschichten erzählen, wie Einwanderer auf sehr vielfältige Weise auf den Druck der Umwelt reagieren, mal angstvoll oder ausweichend, mal mit Integration, mal auch selbstbewusst und konfrontativ. Gott lässt sie nicht in großen Schlachten siegen, lässt keine Mauern einstürzen. Er hilft beim Überleben in den Gemeinheiten des Alltags und den Rückschlägen einer Existenz am Rand der Mehrheitsgesellschaft. Das Narrativ der Vätergeschichten hat sich in der Bibel nicht durchgesetzt. Der Rest der Thora berichtet von der Zeit mit Gott in der Wüste, einfach und rein, erhaben fast, und ohne Berührung mit den Einwohnern Kanaans. Die Väter und die komplizierte erste Zeit im Heiligen Land voller Kompromisse sind vergessen. Die Landnahme wird schließlich zu einem reinen Gewaltakt.
In welcher der Großerzählungen können wir Gott klarer sehen? Wenn Menschen meine Brunnen verschütten, möge mich Gott an andere Brunnen erinnern und mir dann die Kraft geben, sie wieder auszugraben!
Gottes Segen sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth