Bibelvers der Woche 10/2024

Die Wege des HErrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.
Ps 25,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine Zusammenfassung der Bibel…

Wenn ich eine Zusammenfassung der Bibel in einem einzigen Satz geben müsste — es wäre vielleicht dieser Vers. Wenn wir ihn lesen und nochmals lesen, steht dort folgendes: 

  1. Der Herr und die Seinen haben einen Bund
  2. Gott hält den Bund.
  3. Wer den Bund seinerseits hält, dem ist Gott treu. Er erfährt Güte und Wahrheit — für Wahrheit (‚emet) kann hier auch ‚Treue‘ übersetzt werden. 
  4. Den Bund halten bedeutet Gottes Wort achten. 

Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen. Ja, darauf kann man ein Leben bauen. Was indes geschieht mit jenen, die Gottes Wort nicht achten? Verlieren sie (nur) Gottes Schutz oder werden sie aktiv bestraft? Ist beides ein und dasselbe?

Da ist noch etwas. Die einfache und tröstende Zusicherung, dass Gott denen treu ist, die ihm treu sind, kann man auch umdrehen: wem es schlecht geht, der hat sich ausserhalb Gottes Bund gestellt. Man nennt dies den Zusammenhang von Tun und Ergehen. 

Es ist lieblos, fast grausam, in dieser Weise auf das Leid anderer Menschen zu blicken. Das ganze Buch Hiob setzt sich damit auseinander. Aber selbst das Erlösungswerk Jesu nimmt diese Spannung nicht aus der Welt, denn auch den „neuen Bund“ müssen wir halten, wenn wir darin geborgen sein wollen. 

Was bedeutet Leid? Ich weiß die Antwort nicht. Persönlich bin ich überzeugt, dass die Wege Gottes auch durch Leid führen. Sie führen hindurch, das ist es vielleicht. Was mich selbst betrifft, so sehe ich immer wieder, dass Gott mit mir ist, auf wunderbare Weise manchmal, auch und manchmal sogar gerade wenn meine eigene Treue recht eingeschränkt ist. Das Leid anderer kann ich mit dieser Brille nicht lesen. Es steht mir nicht zu. Meine Aufgabe ist, in Liebe zu tun, was ich tue.

Lesen Sie den Vers noch einmal. Gott ist mit uns, wenn wir uns in ihm bergen.

Der Herr segne und behüte uns
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 49/2020

…und Abidan, der Sohn des Gideoni, über das Heer des Stammes der Kinder Benjamin.
Num 10,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Auf dem Weg

Wir bewegen uns weiterhin in der Torah — in den letzten drei Wochen hatten wir nacheinander Verse aus den Büchern Genesis, Exodus und Leviticus. Nun also Numeri, und immer noch die Wüste.  Aus Numeri 10 hatten wir schon einmal gezogen; erinnern Sie sich an die schöne Stelle mit den zwei Trompeten in Woche 17/2019? Nun erleben wir die Trompeten in Aktion — es wird der Aufbruch vom Sinai beschrieben, der Beginn der langen, kreisförmigen Wanderung. 

Die Wolke, die für die Gegenwart Gottes steht, erhebt sich von der Stiftshütte — vor zwei Wochen erst hatten wir ihrem Bau beigewohnt. Die Hütte wird zerlegt und getragen. Für die Stiftshütte selbst sind andere Gruppen verantwortlich als für die schweren heiligen Geräte. Die Heerscharen der einzelnen Stämme brechen nacheinander auf, nach Stämmen und Heeresgruppen getrennt. Die jeweiligen Führer der Großverbände werden genannt — unser Vers bezeichnet den Aufbruch des Stammes Benjamin unter der Leitung von Abidan. Die Wolke indiziert einen neuen Ort, die Stiftshütte wird dort aufgebaut und die heiligen Geräte folgen. Die Wanderung des ganzen Volks wird angeführt von der Bundeslade.

Dies ist ähnlich wie beim Zug aus Ägypten hin zum Sinai, und doch ganz anders. Auf dem Weg aus Ägypten durch das Schilfmeer in die Wüste hatte die Wolke tags geführt und eine Feuersäule nachts. Immer noch sind die Israeliten in der Wüste und wandern. Aber als Ergebnis der Offenbarung gibt es nunmehr die Lade mit ihren Gesetzestafeln und die Stiftshütte mit dem Allerheiligsten und den Kultgegenständen, mit genauen Anweisungen für ihren Gebrauch. Eine neu gestiftete, geoffenbarte Religion — sie ist gleichzeitig Staats- und Zivilordnung — verbindet die Stämme. Als entlaufende Bausklaven waren sie zum Sinai gekommen, nun sind sie Nation, die sich auf eine Landnahme vorbereitet. Verband nach Verband bricht auf, in fester Ordnung, verlässt das Lager, zieht gemeinsam, lässt sich wieder nieder. 

Und so wird es bleiben während der nächsten vierzig Jahre. Die Wanderung, zunächst Übergang von einem Ort zum anderen, wird selbst Heimat. Fast alle, die wir hier aufbrechen sehen, werden auf der Wanderung ihr Leben beenden,. Erst die Kinder und Kindeskinder erreichen das versprochene Land. 

Das kann ein Bild für das Leben sein. Sie sind auf dem Weg. Die Orte, an denen sie sich aufhalten, sind vorläufig und letztlich unwichtig. Ihre eigentliche Realität tragen sie mit sich: Gott, das Gesetz und die Beziehungen untereinander. An „Social Distancing“ ist nicht zu denken — das Lagerleben ist eng, und in der Wüste ist die Sippe lebensnotwendig. 

Ein faszinierendes, sehr altes Bild. Und es ist so gar nicht das, was wir zu leben versuchen. Ist das gut für uns oder schlecht? Was soll unser Leben sein, Zustand oder Weg? Ein Zustand, als „So-sein“, ist seinem Wesen nach vergänglich. Wege können viel dauerhafter sein: die Römerstraßen und die antiken Handelswege werden oft heute noch genutzt. Der Begriff ‚Ewigkeit‘ ist für mich Chiffre eher für einen Weg als für einen Zustand.

Auf unserer Reise wünsche ich uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 46/2020

…dass er viel Gut hatte an kleinem und großem Vieh und ein großes Gesinde. Darum beneideten ihn die Philister.
Gen 26,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Vom Zuschütten und vom Wiederausgraben 

Hier zunächst die Ergänzung des Fragments: Und er [Isaak] wurde ein reicher Mann und wurde immer reicher, bis er sehr reich war, sodass er viel Gut hatte an kleinem und großem Vieh und ein großes Gesinde. Darum beneideten ihn die Philister.

Isaak, einer der Stammväter Israels, macht sich in Kanaan heimisch, das Land, in das sein Vater Abraham eingewandert war. Man sollte sich Abraham, Isaak und Jakob in diesen Erzählungen nicht (nur) als Einzelperson vorstellen: in den Vätergeschichten stehen viele Akteure für größere Gruppen, manchmal ganze Völker. Abraham, Isaak und Jakob sind Protagonisten einer Einwanderung, die zumeist friedlich verläuft, in einer manchmal kritischen, manchmal kooperativen Koexistenz mit dem Völkergemisch Kanaans. Das ist eine Alternative zur Erzählung von der Landnahme mit Feuer und Schwert, siehe den Vers der Woche 33/2019

Die Geschichte, die der Vers einleitet, führt uns mitten hinein. Der steil ansteigende Reichtum Isaaks führt bei der einheimischen Bevölkerung zu Widerstand und Neid. Ein embryonales Pogrom ist die Folge: die Philister schütten Isaaks Brunnen zu, die er braucht, um sein Vieh zu tränken, und König Abimelech zieht seine schützende Hand von ihm ab. Isaak und seine vielen Knechte müssen fortgehen, nach Gerar. Dort gräbt er die Brunnen seines Vaters Abraham wieder aus, die nach dessen Tod gleichfalls zugeschüttet worden waren. Und um die neuen, alten Brunnen gibt es sofort wieder Streit…!

Liest man diese Geschichte von Einwanderung, zunehmendem Reichtum, gewaltsamer Reaktion und erzwungenem Ausweichen im Deutschland der Gegenwart, dann stellen sich unweigerlich Assoziationen ein. Da ist ein uralter Mechanismus, der in vielen Konstellationen und in allen Zeiten funktioniert. Aber nicht immer auf dieselbe Weise: Isaaks Leben unter den Philistern bleibt auf prekäre Weise stabil. Philisterkönig Abimelech schützt ihn wieder, es kommt gar zu einem feierlich beeideten Bund, und Esau, sein erster Sohn, heiratet zwei Töchter aus hetitischen Familien. Das hat seinen Preis: Die Bibel berichtet, dass diese Ehen Anlass für bitteren Gram bei den Eltern Isaak und Rebekka sind. 

Die Vätergeschichten erzählen, wie Einwanderer auf sehr vielfältige Weise auf den Druck der Umwelt reagieren, mal angstvoll oder ausweichend, mal mit Integration, mal auch selbstbewusst und konfrontativ. Gott lässt sie nicht in großen Schlachten siegen, lässt keine Mauern einstürzen. Er hilft beim Überleben in den Gemeinheiten des Alltags und den Rückschlägen einer Existenz am Rand der Mehrheitsgesellschaft. Das Narrativ der Vätergeschichten hat sich in der Bibel nicht durchgesetzt. Der Rest der Thora berichtet von der Zeit mit Gott in der Wüste, einfach und rein, erhaben fast, und ohne Berührung mit den Einwohnern Kanaans. Die Väter und die komplizierte erste Zeit im Heiligen Land voller Kompromisse sind vergessen. Die Landnahme wird schließlich zu einem reinen Gewaltakt. 

In welcher der Großerzählungen können wir Gott klarer sehen? Wenn Menschen meine Brunnen verschütten, möge mich Gott an andere Brunnen erinnern und mir dann die Kraft geben, sie wieder auszugraben!

Gottes Segen sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2020

Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und bis hierher verkündige ich deine Wunder.
Ps 71,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Kinder, Kindeskinder und ehemalige Kinder

Psalm 71 betet ein Mensch, der alt geworden ist und sich des Bodens versichern will, auf dem er steht, vielleicht neu versichern muss. Der Betende sei für viele wie ein Zeichen, lesen wir. Er ist Tempelmusiker, und diese waren in der ältesten Zeit den Priestern gleichgestellt. Nun ist da die Angst zu fallen, in der zunehmenden Schwäche den Widersachern ein Opfer zu werden. Er will bauen, worauf er immer gebaut hat: auf Gott den Herrn, starker Held. 

Der Vers steht in inniger Beziehung zum folgenden, daher hier beide gemeinsam:

Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt,
und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.
Auch verlass mich nicht, Gott,
im Alter, wenn ich grau werde,
bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern
und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.

Der Psalmist gelobt Treue — er will nicht aufhören, Gottes Wunder zu verkündigen — und er bittet seinerseits um die Treue Gottes, damit er dies Werk noch bei den Kindeskindern fortsetzen kann. Das ist der Bundesgedanke, einfacher kann man ihn nicht ausdrücken. 

Da ist ein Lebenszyklus: Der Betende hat in seiner Jugend empfangen, Gott hat ihn gelehrt, und was er gelernt hat, gibt er nun weiter und will dies auch in Zukunft tun. Scheinbar besteht eine Asymmetrie. Er selbst wurde in seiner Jugend von Gott gelehrt, irgendwie, seine Kinder und Kindeskinder aber erhalten ihr Wissen vermittelt durch ihn, den Psalmisten. Das „irgendwie“ ist entscheidend: man kann sich vorstellen, dass auch das Wissen des Psalmisten durch Menschen vermittelt wurde. Aber von Gott mag es dennoch stammen — ist es denn zufällig, wem wir begegnen und wer Einfluß auf uns hat?

Die zehn Gebote stehen in einer gewissen Ordnung. Die ersten drei beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, die anderen sieben auf das Verhältnis von Menschen untereinander. Das vierte Gebot — Du sollst Vater und Mutter ehren! — ist eine Art Bindeglied. Ein jüdischer Freund erklärte mir, warum. Wir beziehen unser Wissen über Gott und seine Gebote von den Eltern, und sie stehen daher zwischen uns und dem Schöpfer. Ausserdem, so würde ich ergänzen, sind die Eltern sehr unmittelbar Werkzeug der Schöpfung: Der Mensch ist zunächst einmal nach dem Bild der Eltern geschaffen. Biologisch, sprachlich, mental, sozial, materiell, spirituell. Dieser Umstand erlegt den Eltern große Verantwortung auf und Ökonomen wissen, dass er Quelle großer Ungleichheit, vielleicht auch Ungerechtigkeit sein kann.

Wenn das so ist, mag man sich fragen, warum es kein Gebot für die Eltern gibt, sich um ihre Kinder zu kümmern und ihnen Wissen von Gott und der Welt zu vermitteln. Eine solche Weisung könnte im vierten Gebot selbst angelegt sein: Wenn Gott von den Kindern fordert, die Eltern zu ehren, fordert er gleichzeitig von den Eltern, ihren Kindern festen Grund zu geben. Oder setzt Gott voraus, dass sie das tun, weil es in biblischer Zeit Selbstaufgabe bedeutet hätte, sich nicht um seine Kinder zu kümmern? Oder ehren wir Eltern und Gott gerade dadurch, dass wir den manchmal steinigen Weg mit den Kindern bereitwillig gehen? Der Dienst am Kind als Dienst an Gott? Dann gar als Ausprägung des ersten Gebots? In den beiden Versen oben kann ich das deutlich lesen.  

Der Psalmist sieht sich als Empfangender und Gebender zugleich. Und wenn wir richtig zuhören, können wir auch selbst von unseren Kindern lernen. Kennen Sie das Lied Teach your children well? Ich wünsche uns, unseren Eltern und unseren Kindern eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 41/2020

Wer bei einem Vieh liegt, der soll des Todes sterben.
Ex 22,18

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Der Weg des Gesetzes

Der Vers ist eine typische Mitzwa, eine Bestimmung der Tora. Im Judentum bestimmen die fünf Bücher Mose, die Regeln für ein gottgefälliges Leben — Gott hat seinem Volk gesagt, welchen Weg es gehen sollen. Diese Regeln sind eine Gnadengabe Gottes am Sinai, in ihrer Gesamtheit beschreiben sie einen Heilsweg. Rabbinische Gelehrte zählen in den fünf Büchern Mose insgesamt 613 Bestimmungen: 248 Gebote und 365 Verbote. Die Mitzwot haben oft keinen im engeren Sinne religiösen Charakter, sondern regeln Fragen des Lebens, die in modernen Gesellschaften unter das Zivilgesetz, das Strafgesetz, das Familienrecht oder die Sozialgesetzgebung fallen könnten. Unter diesem Link finden Sie die Auflistung der Mitzwot nach Maimonides, dem großen jüdischen Religionsgelehrten des Mittelalters.

Die rabbinische Tradition hat Prinzipen entwickelt, die Gebote auszulegen und auch das zu regeln, für das es keine ausdrücklichen Bestimmungen gibt. Die 613 Mitzwot spannen so einen normativen Raum auf, der das Gottgefällige vom Sündigen unterscheidet. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ (3. Mose 19,2). Die Befolgung der Mitzwot ist eine lebenspraktische, tägliche Übung, die uns näher zu Gott bringen und an seiner Seite halten sollen. 

Daraus ergibt sich unmittelbar, wie unser Vers als Mitzwa zu lesen ist: Du bist ein Mensch, sollst heilig sein und dich nicht selbst zum Tier machen.

Die Haltung der christlichen Kirchen zur Tora und den Mitzwot ist nicht einfach zu verstehen. Die Tora wurde nicht in Gänze übernommen und verbindlich gemacht — Paulus legt dar, dass der Versuch, sich durch Befolgung aller Gebote das Heil zu sichern, in die Irre führen muss. Die jüdischen Speisegebote etwa haben im Christentum keine Geltung, die Gebote zu den Feiertagen nur ansatzweise. Aber auch ein Leben mit und aus Christus braucht am Ende Wegweiser und Jesus selbst verweist oft auf die Tora. Die zehn Gebote und das Doppelgebot der Liebe sind Kern christlicher Ethik. Und mit ihnen wurden viele Wertungen des Judentums übernommen, anderes wurde ergänzt. Der Weg der Gesetzes wird auch im Christentum gegangen, bei den Katholiken mehr als bei den Protestanten, und das richtige Maß ist bis heute ein Stein des Anstoßes. 

Die Wertungen der Tora zur Sexualethik wurden im Christentum vollständig übernommen. Paulus verweist auf sie als Ganzes, vgl. den BdW 2018/42. Viele davon sind auch heute vertraut und natürlich — die Bestimmungen zum Verkehr unter Verwandten etwa oder das Verbot, die eigene Tochter zu Hurerei anzuhalten — aber es sind darunter auch Bestimmungen wie die folgende (Lev 20,15):

Wenn jemand bei einem Mann schläft wie bei einer Frau, so haben sie beide getan, was ein Gräuel  ist, und sollen des Todes sterben; ihre Blutschuld komme über sie. 

Die Strafbarkeit von Sodomie wurde in der alten Bundesrepublik 1969 aufgehoben, wegen Bedeutungslosigkeit. Im Jahr 2012 wurde sie wieder verboten — als Ordnungswidrigkeit im Rahmen der Tierschutzgesetzgebung nämlich. Eine Verfassungsbeschwerde zweier Sodomisten wegen Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung scheiterte im Jahr 2016. Der Schutz des Tiers habe seinerseits Verfassungsrang. 

Noch einmal zurück zum Weg des Gesetzes. Ich bin tief gespalten. Sodomie mag in unserem Leben keine Rolle spielen. Der Vers und sein Umfeld illustrieren aber, dass der Weg des Gesetzes keine Autobahn ist, einfach zu fahren und schnelle Verbindung zum Ziel. Wir steinigen keine Ehebrecher (Lev 20,10) und wir töten keine Zauberinnen (Ex 22,19). Ich habe nicht gelernt, ein Leben im einundzwanzigsten Jahrhundert nach Regeln aus der Eisenzeit zu führen. Um das tun zu können, mit einem akzeptablen Ergebnis, braucht man eine lange und ganzheitliche religiöse Erziehung. Dazu muss gehören, die Bestimmungen als Richtschnur für das eigene Leben anzunehmen, nicht aber als Basis für das Urteil über andere. Auch verstehe ich die Warnung Paulus‘ vor den Fallstricken der Gesetzlichkeit gut.

Aber die Tora kann Gottes Willen erhellen wie ein Schlaglicht! Nur zwei Beispiele: den Vers der Woche 41/2018 — aus demselben Abschnitt wie der Vers dieser Woche vor genau zwei Jahren — und den Vers der Woche 48/2019. Wie will man darauf verzichten?

Wenn nun Gott sich uns Menschen zweimal in Gnade zugewandt hat: mit seinem Gesetz und mit dem Erlöser, seinem Sohn, und wenn dieser Erlöser immer und immer wieder auf das Gesetz verweist — wie schön wäre es dann, genauer zu wissen, was denn Gottes Wille in meinem Leben ist! Nicht alles ist ja so leicht zu entscheiden wie die Frage, ob Sodomie einen Platz darin hat… 

Heute ist Tag der Deutschen Einheit und Sukkot, das Laubhüttenfest. Der Herr möge mit uns sein!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2020

…auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.
Röm 8,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Treffpunkt Tod

Harter Stoff. Aber bleiben Sie bei mir, vielleicht lohnt es sich! Der Vers ist ein Fragment — hier ist der vollständige Satz im Wortlaut der Übersetzung von 2017:

Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist

Der Vers und sein Kontext gehören zum Kern christlichen Glaubens. Ich will, was da steht, zunächst mit meinen Worten wiedergeben. Das Angebot Gottes, die Menschen mit seinem Gesetz zu sich zu führen, läuft auf unserer Seite ins Leere. Ein Leben nach der Thora ist mit der Natur des Menschen unvereinbar — es gelingt ihm auch dann nicht, wenn der Geist willig ist. Der Mensch braucht eine neue Natur — er muß sein „fleischliches“  Wesen, wie Paulus es nennt, gegen ein „geistiges“ Wesen tauschen, gegen ein Leben aus dem Geist Gottes. Die frohe Botschaft ist, dass Gott seinen Geist denen schickt, die er liebt. Dafür sandte er seinen Sohn — in der Gestalt des Fleischs, selbst aber Träger des Geistes.

Für diejenigen, die aus dem Geist leben, wird das Gesetz irrelevant, als Weg zu Gott ist es nicht nötig. Dennoch muß es — Gesetz Gottes — erfüllt sein. Die Lücke füllt der Tod Jesu am Kreuz. Mit diesem Tod werden Fleisch und Sünde verurteilt und hingerichtet. Wir können unser Leben vom Geist leiten lassen. Der Weg ist frei. Pfingsten! Ein Bild, so groß, dass einem der Kopf zerreissen will. 

Der Vers selbst lässt offen, wie das Gesetz durch den Tod Jesu ultimativ erfüllt wird. Der Wortlaut bezeichnet eine Art stellvertretende Sühne. Paulus unterscheidet den fleischlichen vom geistigen Aspekt der menschlichen Wirklichkeit. Jesus — ganz Geist — wird Fleisch und empfängt in dieser Gestalt das Urteil für alles Fleisch, obwohl er selbst frei von Sünde ist. Andernorts, bei Paulus selbst und bei Johannes, wird der Tod Jesu spezifisch als Opfer interpretiert. Der Tod Jesu Christi, des Gottessohns, war das ultimative Opfer: ein Opfer dargebracht von einem Menschen und zugleich von Gott selbst. 

Das ist ganz harter Stoff. Für die Menschen damals: Johannes 6,48ff berichtet von der entsetzten Reaktion der Zuhörer, als Jesus das Opfer in der Synagoge von Kapernaum ankündigte. Und auch für die Menschen heute: Wie etwa vermittelt man den Opfertod im Kindergottesdienst? In ihrer Kritik an der „Opfertheologie“ ziehen progressiv denkende evangelische Theologen das ganze Bild in Zweifel — Gott in seiner Größe und unerschöpflichen Liebe könne ein Menschenopfer gar nicht „wollen“, und in seiner Allmacht die Entsühnung auch ohne Opfer bewirken. Heilsnotwendig könne dies Opfer nicht gewesen sein. 

Ich bin nicht Theologe und die Auseinandersetzung mit dem Diskurs fällt mir wirklich schwer. Ich erkenne aber, dass dies das Narrativ ist, das Christen zu allen Zeiten angenommen haben. In der Wirklichkeit der Menschen so vieler Generationen hatte der Tod Jesu diese ungeheure Bedeutung. Auch für Jesus selbst, nach dem Zeugnis der Evangelien. Das Narrativ ist geglaubte Wahrheit — wie will man es nun verschieben? Man mag sich dann fragen, wie alles so falsch laufen konnte, wenn der Tod Jesu keine Erlösungstat war — was würde uns das über Gott sagen? Wie kämen wir denn damit zurecht, dass der Tod Jesu sinnlos gewesen wäre? Warum musste der Messias gehen, kaum dass er gekommen war? 

Vielleicht sollten wir an die eigentliche Bedeutung des Opfers im Judentum denken. Es geht dabei nur in sehr speziellen Fällen um Schuld und Sühne. Im Vordergrund steht immer Kommunikation und Gemeinschaft mit Gott. Siehe die Betrachtung zum Bibelvers der Woche 43/2018. Ganz so, wie auch das Gesetz seinem Wesen nach zu Gemeinschaft mit Gott führen soll. Gesetz und Opfer liegen tatsächlich nahe beieinander. 

Jesus stellt für uns die Gemeinschaft mit Gott her. So verstehe ich Paulus und Johannes. Für uns und mit uns findet er das Licht dort, wo es nicht dunkler mehr werden kann, im abgründigen Nichts. Treffpunkt Tod. Gott hat dieses Opfer nicht verhindert, wie er die Opferung Isaaks durch Abraham verhindert hat. Statt dessen hebt er die Folgen auf, in einer Weise, die den Naturgesetzen spottet. 

Morgen ist Jom Kippur. Mögen wir alle im Buch des Lebens eingeschrieben sein!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 06/2019

Darum hüte dich vor seinem Angesicht und gehorche seiner Stimme und erbittere ihn nicht; denn er wird euer Übertreten nicht vergeben, und mein Name ist in ihm.
Ex 23,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Übersetzung von 2017.

Der Weg

Das Volk Israel hat sich auf den Weg ins Gelobte Land gemacht und lagert am Sinai. Dort werden die zehn Gebote verkündet und Mahnungen und Verheißungen ausgesprochen. Der Bundesschluss steht bevor. Hier der unmittelbare Kontext:

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bereitet habe. Darum hüte dich vor seinem Angesicht und gehorche seiner Stimme und erbittere ihn nicht; denn er wird euer Übertreten nicht vergeben, und mein Name ist in ihm. Wirst du aber seiner Stimme hören und tun alles, was ich dir sagen werde, so will ich deiner Feinde Feind und deiner Widersacher Widersacher sein.

Über mehrere Jahre besuchten wir regelmäßig einen Kindergottesdienst, wo die größeren Kinder von den kleinen und ganz kleinen mit einem Lied verabschiedet wurden. „Siehe, ich sende einen Engel vor Dir her…“ Ich habe das ab und zu auf der Gitarre begleitet. Das Bild vom Engel als Begleiter unseres Wegs fühlte sich vertraut an und verlieh den Kindern Sicherheit.

Wie man sich denken kann, kam der darauf folgende Vers im Lied nicht vor. In der Bibel haben Engel so gar nichts Kuscheliges an sich: sie sind Diener Gottes, so das hebräische Wort, Werkzeuge seines Willens, seine Stellvertreter, oft genug als furchterregende Kämpfer. Auch hier: das Volk macht sich auf einen Weg, an dessen Ende eine Eroberung stehen soll. Der Engel unseres Verses ist wie Gott selbst. Wie die Israeliten Gott nicht schauen können ohne zu sterben, so sollen sie sich vor dem Antlitz dieses Engels hüten. Er wird sie bewahren und auf dem Weg führen, und sie sollen ihn nicht erbittern, denn er wird Übertretung nicht vergeben —der Name Gottes ist in ihm.

Schutz und Strafe, Fluch und Segen als Seiten derselben Medaille, dieses Motiv zieht sich durch die ganze Bibel. Wird unser Tun von Gott und den höheren Mächten argwöhnisch betrachtet und sanktioniert? Ist es gut, in ständiger Furcht vor Strafe zu leben? Sollen wir das?

Der Vers bietet eine Perspektive. Es geht ganz ausdrücklich um einen Weg, den Gott uns bestimmt hat, mit einem Ziel, das er bereitet hat. Wenn der Weg gut ist, dann ist Abweichen schlecht. In der Wüste ist das evident. Wer vom Weg abweicht, kann umkommen. Im besten Fall wird er das Ziel auf einem anderen, schwierigeren und gefährlicheren Weg erreichen. Das Abweichen vom Weg trägt die Strafe in sich. 

Das schafft die Drohung nicht aus der Welt. Aber ich habe keine Mühe, damit zu leben. Nie und nirgends ist es eine gute Idee, etwas Notwendiges nicht zu tun. 

Ich wünsche uns eine Woche mit dem Engel auf dem Weg,
Ulf Von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 30/2018

Diese gingen voran und harrten unser zu Troas.
Apg 20,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Ungeplant und machtvoll

Wir sind wieder auf einer Missionsreise des Paulus durch die griechisch geprägten Landschaften Europas und Kleinasiens. Es ist die dritte Reise. Sie führt zunächst von Antiochien nach Ephesos. Dort gab es einen großen Tumult, und der Apostel wich nach Korinth aus. Vermutlich wurde dort der Römerbrief geschrieben, aus dessen Schlusskapitel vor zwei Wochen der BdW 28/2018 gezogen wurde. Von seinem Plan, von Korinth aus nach Syrien überzusetzen — vermutlich um die Gabe für Jerusalem zu überbringen, von der die Rede war — musste er wegen konkreter Drohungen Abstand nehmen. Stattdessen begab er sich auf einem langgezogenen Seeweg in Küstennähe zurück nach Kleinasien, unter anderem über Troas, um von dort nach Jerusalem zu gelangen. Er hatte es sehr eilig, weil er rechtzeitig zum Pfingstfest Jerusalem erreichen wollte. Dort wurde er einige Zeit später gefangen genommen.  

Hier, in Troas, der Landschaft rund um das antike Troja, stößt Lukas hinzu, der Ich-Erzähler der Apostelgeschichte. Paulus hat es eilig und will weiterkommen. Er will aber auch die Gelegenheit nicht versäumen, den Glauben derer zu stärken, die er bei zwei früheren Aufenthalten für Jesus gewonnen hatte. Er hält eine Predigt bis tief in die Nacht hinein. Eutychus, ein junger Mann, sitzt in einem Fenster und schläft ein. Er fällt und wirkt wie tot. Paulus eilt zu ihm und verkündet, es sei noch Leben in ihm. Er setzt den Besuch fort bis der Tag anbricht und verlässt den Ort. Eutychus aber kommt tatsächlich wieder zu sich. 

Was können wir dem gezogenen Vers entnehmen, der so unmittelbar an den vor zwei Wochen gezogenen anschließt? Paulus war unterwegs auf einem chaotisch anmutenden Weg durch den Ostteil des riesigen römischen Reiches. Diesen Pfad entlang blieb fast jede Einzelheit dem Zufall überlassen, anders war es nicht möglich. An mehreren Stellen läuft es völlig anders als geplant. Sein großes Ziel, Jerusalem und das Wiedersehen mit den „Heiligen“ der dortigen Gemeinde, verliert Paulus nicht aus den Augen und schließlich erreicht er es. Man kann sich denken, dass er seine Gabe dort überbringen und helfen kann, Einheit zu stiften. Seine Verhaftung dort und die erzwungene Reise nach Rom sind wiederum ungeplant, aber selbst dieses große Missgeschick kann er in seine Mission integrieren und für sich arbeiten lassen.

Wie frei wären wir, wie machtvoll unsere Arbeit, wenn wir so leben könnten!

Ich wünsche uns eine Woche in Freiheit, im Segen des Herrn,
Ulf von Kalckreuth