Bibelvers der Woche 11/2024

Das Wort gefiel Abraham sehr übel um seines Sohnes willen.
Gen 21,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Explosion in Zeitlupe

Hier bahnt sich eine Scheidung an, die beinahe einen tödlichen Verlauf nimmt: Sarah verlangt von Abraham, dass er Hagar und Ismael, seinen Sohn, verstößt und in die Wüste schickt. Die Geschichte wurde beim BdW 20/2020 ausführlich angesprochen. Hier will ich Ihnen von einem Gespräch erzählen, das einen überraschenden Verlauf nimmt.  

Ich wollte für den Blog ein Bild von dieser Szene mit Dall-E erstellen. Man muß dazu ChatGPT erklären, was man haben möchte. Ich habe folgendes probiert: 

ChatGPT, ich benötige wieder eine Illustration für einen Bibelvers. Ich werde dir zuerst die Geschichte erzählen. Abraham hatte zwei Söhne, Ismael und Isaak. Lange Zeit konnte Sarah, seine Frau, selbst keine Kinder bekommen. Sie bat daher Abraham, Kinder mit ihrer Sklavin Hagar zu zeugen, an ihrer Stelle. Abraham folgte ihrem Vorschlag und zeugte seinen ersten Sohn, Ismael, mit Hagar, Sarahs Sklavin. Viele Jahre später bekommt Sarah selbst ein Kind — Isaak. Sie wird eifersüchtig und wütend auf Hagar und fordert von Abraham, Hagar mit ihrem Sohn Ismael zu vertreiben, sie auszustoßen. Der Bibelvers, den ich illustrieren möchte, lautet wie folgt: „Das betrübte Abraham sehr, denn Ismael war sein Sohn.“, Genesis 21,11. Verstehst du die Situation?

ChatGPT verstand gut, gab eine korrekte Zusammenfassung und machte einen Vorschlag für eine visuelle Umsetzung. Ich hatte aber etwas Bestimmtes im Kopf:

Ich dachte eher an Folgendes: Sarah spricht sehr eindringlich zu Abraham, packt seine Kleidung und zeigt auf Hagar und Ismael, die im Hintergrund zu sehen sind. Abraham versucht, sie abzuwehren, und zeigt dabei Abscheu. Bitte lass uns das zuerst versuchen.

ChatGPT machte zwei Entwürfe, die zeichnerisch gelungen, inhaltlich aber falsch waren. Nach weiteren Konkretisierungen weigerte sich die KI und verwies auf Richtlinien:  

Ich kann die spezifische Illustration, die du angefragt hast, aufgrund unserer Richtlinien für Inhalte nicht erstellen. Die Darstellung von emotionalem Leid und Konflikten, insbesondere im Zusammenhang mit familiären Dynamiken, wie beschrieben, ist nicht in Einklang mit diesen Richtlinien zu bringen.

Eine zeitaufwendige Reihe weiterer Versuche schloß sich an, unter anderem mit kubistischen Formen. Unten sehen Sie eines der Bilder. Ästhetisch beachtlich, aber der Konflikt ist nur angedeutet, und von der Explosion in Zeitlupe, die sich hier vollzieht, ist nichts zu sehen. Ich beendete die Sitzung: „Wenn du keine Konflikte darstellen kannst, dann kannst du die Welt nicht darstellen.“ Die KI pflichtete bei: das sei in der Tat ein grundsätzliches Problem. Sie verwies aber ein weiteres Mal auf die Richtlinien. 

Trotz aller dummen politischen Korrektheit — in der Weigerung der KI ist Wahrheit. Die Richtlinien sollen verhindern, dass Bilder entstehen, die als anstößig empfunden werden können. Und ist das nicht anstößig? Eine Patchwork-Familie löst sich auf, zerfleischt sich geradezu. Hagar hat ein Kind von Abraham empfangen, an der Stelle ihrer Herrin, als Leihmutter eigentlich, und sie wird von dieser mit ihrem Kind vertrieben, in die Wüste geschickt, in den Tod. Und Abraham, dem es leid tut — um den Sohn! — willigt ein, als Gott ihm sagt, er solle seiner Frau gehorchen, auch aus Ismael werde ein großes Volk.  

Vielleicht können Sie ein Bild davon in Ihrem Kopf entstehen lassen, so anstößig wie Sie es wollen und ertragen. Am Ende rettet der Herr selbst Hagar und ihren Sohn Ismael,. Eine andere Rettung gibt es nicht mehr. 

Hagar. Stammutter der Araber. Sarah. Stammutter der Juden. Da fällt mir Gaza ein. Was für ein Gleichnis!

Der Herr rette die Menschen dort,
Ulf von Kalckreuth

Abraham, Sarah und Hagar
Abraham, Sarah und Hagar. Ulf von Kalckreuth mit Dall-E und ChatGPT, 4. März 2024

Bibelvers der Woche 48/2023

Und da sie ihm zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will deinen Kamelen auch schöpfen, bis sie alle getrunken haben.
Gen 24,19

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Verborgene Botschaften

Oben sehen Sie das Wappen meiner Familie. Im Schild sind zwei gekreuzte Werkzeuge, Kalkreuten genannt. Vielleicht sind es Kalkofengabeln, genau weiss man es nicht. Zu Wappen und Namen gibt es eine Sage, an die der Vers mich erinnert. Weiter unten will ich sie erzählen.

Zuerst aber der Vers. Abraham war schon hochbetagt, als seine gleichfalls alte Frau Sarah den gemeinsamen Sohn Isaak zur Welt brachte. Nun sollte Isaak verheiratet werden. Ehen wurden in dieser Zeit von den Vätern oder den Clanchefs der Brautleute gestiftet. Abraham war in Kanaan reich und mächtig geworden, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Schwiegertochter auf keinen Fall aus Kanaan kommen dürfe, sie solle vielmehr aus dem aramäischen Heimatland stammen. Harran, die Stadt, in die Abrahams Vater gezogen war und wo noch sein Neffe Betuel lebte, lag fast 1000 km nördlich von Machpela in Kanaan — er selbst konnte nicht dort hin. Was also tun? 

Abraham schickt einen Diener in die weit entfernte Stadt mit dem Auftrag, eine Frau für seinen Sohn zu finden. Keinesfalls dürfe der Diener Isaak mitnehmen. Der Diener schwört es und macht sich auf den Weg. Schließlich erreicht er Harran. Nun müsste er eigentlich mit der Verwandtschaft Abrahams Kontakt aufnehmen, um in den Großfamilien nach einer Braut zu suchen oder nach Informationen, bei welchen anderen Clans die Werbung sinnvoll wäre. Aber er hat große Angst, nicht fündig zu werden oder auf eine Braut zu stoßen, die ihm nicht nach Kanaan folgen will.  

Er bittet Gott um Hilfe, und mit großem Gottvertrauen und erstaunlichem Selbstbewusstsein zugleich nennt er Gott ein Zeichen. Die „rechte“ Braut solle mit einem Krug auf ihn zukommen, und wenn er sie um Wasser bitte, so solle sie antworten: Trinke, und deine Kamele will ich auch tränken. Der zweite Teil der Antwort ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Tat ein Zeichen ist: Wer würde für einen Fremden solche Mengen Wassers aus der Quelle schöpfen und nach oben tragen? Kamele sind berühmt für ihren ungeheuren Durst! 

Und das Wunder geschieht: kaum hat der Diener sein Gebet gesprochen, sieht er ein zartes und unberührtes junges Mädchen, mit einem gefüllten Krug auf ihrer Schulter, und als er sie um Wasser bittet, gibt sie nicht nur ihm zu trinken, sondern will auch seine Kamele tränken. Sie spricht also die magischen Worte, das ist der gezogene Vers. Der Diener hat Rebekka gefunden, Isaaks künftige Frau, Mutter Jakobs, Stammmutter damit  aller Israeliten und Juden! Der Himmel öffnet sich ein Stück. Die Sippe — nahe Verwandte Abrahams übrigens — nimmt des Dieners Werbung und die Brautgeschenke gern an. Und Rebekka ist ohne weiteres bereit, ins weit entfernte Kanaan zu gehen, um dort einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt. Schließlich aber sind die beiden Brautleute, als sie sich schließlich sehen, einander herzlich zugetan. 

Der Diener bittet, dass Gott ihm die Braut zeige, und er legt fest, wie die Gesuchte sich als rechte Braut ausweisen soll. Wie Soldaten, die sich anhand einer Parole zu erkennen geben: der eine sagt ein Wort, der andere ein anderes. Aber die Verabredung über die Parole besteht mit Gott. Rebekka, als sie spricht, kennt ihre eigentliche Bedeutung ihrer Worte nicht. 

Der Diener Abrahams trifft auf Rebekka.
Ulf von Kalckreuth mit Dell-E, November 2023

In der Einleitung hatte ich Ihnen eine Sage versprochen. Es ist eine richtige Rittersage, ich gebe sie gekürzt wieder. Ein junger Mann zieht fort von seiner Heimat und kommt an den Hof eines fremden Königs. Er bewährt sich und macht sich beliebt, aber nicht bei allen. Es gibt Neider, und einer von ihnen beschließt, für des jungen Mannes vorzeitigen Tod zu sorgen. Er redet dem König ein, dass dessen Frau dem jungen Mann sehr — zu sehr — gewogen sei. Der König glaubt ihm und fragt, was zu tun sei. Der Verleumder sagt, der König solle nicht lang fackeln, sondern den jungen Liebhaber in einem Kalkofen verbrennen lassen. Dazu möge er den Jüngling zu einem Kalkofen schicken und dort fragen lassen, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Wer immer sich mit diesen Worten an die Arbeiter wende, den sollten die Arbeiter packen und in den Ofen werfen. 

So geschieht es. Der Jüngling macht sich auf den Weg zum Kalkofen. Dabei wird er jedoch für einige Zeit aufgehalten. Dann macht auch der Verleumder sich auf den Weg, um zu sehen, ob alles gelungen sei. Er wendet sich an die Arbeiter und fragt, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Diese packen ihn und wollten keine Ausflüchte und Begründungen hören, dass dies so doch gar nicht gemeint sei — sie werfen ihn in den Kalkofen und dort stirbt er, an des jungen Mannes Stelle. 

Als der Jüngling verspätet beim Kalkofen erscheint, und seinerseits fragt, ob der Befehl ausgerichtet sei, kommt alles ans Licht, und der König ist sehr zufrieden, dass es der Verleumder in die selbst gegrabene Grube gefallen ist und nicht sein unschuldiges Opfer. Den jungen Mann aber macht er zu seinem Gefolgsmann und Ritter. 

Wie bei der Brautschau im Vers haben die Worte, die der Jüngling an die Arbeiter richten soll, eine ganz eigene schwerwiegende Bedeutung, die der Überbringer selbst nicht kennt. Und in meiner Familie erzählt man sich, der junge Mann habe von den Kalkofengabeln das Wappen und seinen ritterlichen Namen bezogen, und niemand anders sei er als der Stammvater aller Kalckreuths…!

Verborgene Botschaften. Ja, wir überbringen Botschaften, und nicht immer kennen wir ihre Bedeutung für uns und für andere. Gebe der Herr, dass es Botschaften zum Heil sind, wie bei Rebekka, und nicht zum Unheil, wie in der Legende…!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 45/2023

Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre.
Gen 6,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Außerirdisch…!

Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein: 

Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)

Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!

Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird. 

Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt. 

Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.

Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth

Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von  Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!

Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!

Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 33/2023

Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
Gen 32,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Abgrund

Eine dunkle Geschichte. Man könnte ein Buch dazu schreiben… Jakob kämpft mit Gott. Und behält die Oberhand. Wie kann das sein, wie kann er es überleben, wenn schon der Anblick Gottes tötet?

Für Jakob soll sich alles entscheiden. Sein ganzes Leben hat er gekämpft. — mit Esau um die Anerkennung des Vaters, mit Laban, seinem Onkel und Schwiegervater, um Herden, um Kinder, um Anerkennung. Was er gewonnen hat, will er nach Hause bringen, die Herden, die beiden Frauen und ihre Mägde, Mütter seiner Kinder, und die Söhne, aus denen ein Volk werden soll. Und nun steht ihm die Begegnung mit dem Bruder bevor. Der ist mächtig und kann gewalttätig sein, und Grund dazu hätte er allemal.

Jakob hat Angst. Er bleibt nachts allein am Fluß, dem Jabbok. Dort greift jemand ihn an, stumm und bestimmt. Wer? 

Die beiden Gegner sind verräterisch gleichwertig. Sie kämpfen viele Stunden, die ganze Nacht, ohne Entscheidung. Schließlich fügt Jakobs Gegner diesem eine schwere Verletzung zu, und gleichzeitig — gleichzeitig! — gewinnt Jakob die Oberhand. 

Der Angreifer trägt dämonische Züge. Er will fort, weil die Sonne aufgeht. Aber Jakob lässt ihn nicht gehen. Er verlangt zwei Dinge: den Namen seines Gegners und dessen Segen. Das Wissen um den Namen eines anderen verleiht Macht, und der Unbekannte lehnt ab. Die Forderung  nach dem Segen hingegen ist absurd, nach einem viele Stunden lang auf Leben und Tod geführten Kampf. Doch ja: der Fremde segnet Jakob. Und er gibt ihm einen neuen Namen: Israel — „der mit Gott kämpft“, so jedenfalls kann man diesen Namen lesen. Es wird der Name eines Volks.

Hier wird die Bibel deutlich: Der geheimnisvolle Gegner ist Gott oder ein Werkzeug Gottes. Mir will scheinen, dass Jakob ebenso auch mit sich selbst kämpft. Ein Widerspruch ist das nicht — wo wollen wir den mächtigen und unbekannten Gott finden, wenn nicht im Dunkel der Nacht in uns? 

Mich erinnert die Geschichte an den Kampf Ahabs mit dem weissen Wal in Melvilles ‚Moby Dick‘, dem „großen weissen Gott“, wie es an einer Stelle heißt. Ahab kämpft ebenso mit dem Abgrund in sich selbst wie mit der abgründigen Gottheit. Aber statt der gegenseitigen Vernichtung steht bei Jakobs Kampf am Jabbok am Ende ein Segen.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 27/2023

Da sprach er zu Abram: Das sollst du wissen, dass dein Same wird fremd sein in einem Lande, das nicht sein ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen vierhundert Jahr.
Gen 15,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die ganz lange Frist…!

Der Vers dieser Woche ist in gewisser Weise das Gegenstück zu dem der vergangenen Woche. Dort wurde das große Versprechen zurückgenommen — endgültig, wie es schien. Hier hingegen wird das Versprechen gegeben: Abraham soll Stammvater eines großen Volks sein, mit dem Heiligen Land als Heimstatt. Gott und Abraham schließen einen Bund, eine Art Schutz- und Lehensverhältnis. Besiegelt wird der Bund mit einem Opfer, das eindrucksvoll beschrieben wird. 

Es gibt jedoch ein großes „Aber“. Während des Opfers fällt Abraham in einen tiefen Schlaf und wird von Angstgesichten gepeinigt. Die Heimstatt gibt es für seine Nachkommen nicht gleich, so hört er, auch nicht in absehbarer Zeit, sondern erst nach vierhundert Jahren Frondienst in Ägypten, wo sie als heimatlose Fremdlinge leben werden. 

Vielleicht war diese Einschränkung in der ersten Fassung des Texts nicht enthalten, denn sie bricht die Geschlossenheit der Bundes- und Opferszene. Aber sie zeigt etwas Wichtiges. Abraham glaubt der Verheissung und richtet sein Leben danach aus — und er stört sich nicht daran, dass sie erst nach mehr als vierhundert Jahren eintrifft! Da ist mehr als Glaube im Spiel. Abraham hat ein anderes Zeitempfinden als wir.

Vierhundert Jahre Sklaverei, was für eine Verheissung ist das denn? Für uns wäre an dieser Stelle wohl Schluß gewesen. Wenn es die Welt, wie wir sie kennen, in vierhundert Jahren noch geben soll, müssten wir jetzt auf Urlaubsflüge, Benzinmotoren und Gasheizungen zu verzichten. Die Industrie müsste Vergleichbares tun, und die Waren, die wir kaufen vom Lohn unserer Arbeit, wären deutlich teurer. Eigentlich ist das unstrittig, aber dennoch: damit etwas geschieht, brauchen wir Tornados, Hitzewellen und Dürre JETZT. Sonst geht es leider nicht. Vierhundert Jahre sind ausserhalb unseres „scope“, wie es heute heisst. Selbst wenn es um die ganze Welt geht. 

Nicht für Abraham. Mit vollem Recht ist er daher Stammvater der Juden und der Araber und — im geistlichen Sinne — der Christen.

Und uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2023

Sie aber sprachen: Geh hinweg! und sprachen auch: Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren? Wohlan, wir wollen dich übler plagen denn jene. Und sie drangen hart auf den Mann Lot. Und da sie hinzuliefen und wollten die Tür aufbrechen,…
Gen 19,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gut und Böse — und jenseits davon

… griffen die Männer hinaus und zogen Lot hinein zu sich ins Haus und schlossen die Tür zu. Und die Männer vor der Tür am Hause wurden mit Blindheit geschlagen, klein und groß, bis sie müde wurden und die Tür nicht finden konnten.

So geht der angefangene Satz zu Ende. Die Lage ist hochdramatisch. Zwei Engel Gottes kommen nach Sodom, um zu schauen, ob es nicht doch Gerechte gibt in der Stadt, die der Herr zu vernichten gedenkt. Lot, der Neffe Abrahams, lädt die Engel in sein Haus — ohne zu wissen, wen er da beherbergt –, und ALLE Einwohner Sodoms, ohne Ausnahme, kommen, und umringen das Haus. Sie verlangen von Lot die Herausgabe der beiden Gäste, um sie sexuell mißbrauchen zu können. Das verstößt gleichzeitig gegen das Gastrecht und gegen sexuellen Normen zu Homosexualität und Vergewaltigung und verletzt obendrein die Heiligkeit der Boten Gottes. Die Wahrheit, die abgrundtief böse Haltung der Bewohner, liegt glasklar offen. Die Engel brauchen nicht weiter nach Gerechten zu suchen. Sie können zur Tat schreiten: die Rettung Lots und seiner Familie und die Vernichtung der Stadt. 

Ich habe zu den Versen dieses Abschnittes bei früherer Gelegenheit schon geschrieben, siehe den BdW 05/2021. Die Betrachtung zum strafenden Gott brauche ich nicht zu wiederholen. Mir fällt indes auf, das zwar der Angriff der Sodomiten auf die Engel und Lot die Frage nach der Gerechtigkeit der Stadtbewohner eindeutig und letztgültig klärt, was aber Lot betrifft, gilt das nicht. Die Gäste stehen unter Lots Schutz. Die Forderung der Sodomiten ist ihm vollkommen unerträglich, und er bietet den Anwohnern seine beiden Töchter statt der Gäste zur Massenvergewaltigung an. Hier der Text, der unserem Bibelvers unmittelbar vorangeht:

Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben unter euch und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen. (Gen 19,6-8)

Mit diesem erstaunlichen Angebot verletzt er seinerseits Schutzpflichten, die noch höher stehen als das Gastrecht. Warum tut er das? Will er recht behalten? 

Lot und seine Töchter werden gerettet. Die Töchter aber haben das Angebot des Vaters nicht vergessen. Sie setzen ihn unter Alkohol und in aufeinanderfolgenden Nächten schänden die beiden Frauen ihren Vater abwechselnd, systematisch und planvoll. Daraus entstehen Lot und seinen Töchtern gar männliche Nachkommen, die Stammväter der verhassten Moabiter und Ammoniter. 

Sie sind nicht glasklar „gut“, Lot und seine Familie, alles andere als das. Sie sind ambivalent, wie wirkliche Menschen, und am Ende sind sie moralisch erledigt. Beim Lesen ist man froh, die Szene verlassen zu dürfen. Und doch werden sie gerettet. Hierin liegt vielleicht, im Schmutze hell glänzend, ein Stück Frohe Botschaft?

Es ist kaum zu fassen. Gestern suchte ich in einem alten Notizbuch nach einer Adresse, und fand dabei die Skizze für ein Gedicht über Lot, das ich völlig vergessen hatte. Ich habe nur noch ein wenig daran gefeilt, hier also ist die Erstveröffentlichung:

Lot

Ganz unten:
Verloren sind Herden und Reichtum, 
Verloren sind Heimat und Frau.
Volltrunken im Erbrochnen, auf der Höhle Boden,
von den Töchtern furchtbar mißbraucht!

Doch auch: 
Vater von Völkern,
Vater von Israels König,
Vater des Königs der Welt -- 
Doch auch!

Ulf von Kalckreuth, 16. Juni 2023

Wieder diese Ambivalenz, auch bei der Rettung. So wie Lot möchte man nicht allzu oft gerettet werden. Aber aus dem Schmutz geht er in den Heilsplan ein. Wieviel von ihm steckt in jedem von uns?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2022

…und sprach weiter: Gelobt sei der HErr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!
Gen 9,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ex unum, pluribus!

Ein schwieriger Vers, Sie werden gleich sehen, warum. Nur vier Männer gab es noch auf der Welt: Noah, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet. Von diesen drei Söhnen und ihren Frauen stammen wir alle ab, sagt die Bibel. Ham vergeht sich gegen seinen Vater Noah und wird in seinem Segen nicht berücksichtigt. Hams Sohn Kanaan, Stammvater der nichtisraelitischen Ureinwohner des gelobten Landes, wird verflucht und zum Sklaven Sems erklärt, dem Stammvater Abrahams und der Israeliten! Dabei wird Gott der Herr explizit als „Gott Sems“ bezeichnet. Aber auch der Sklave Japhets soll Kanaan sein.

In der Bibel wird die Identität von Völkern und ihre Verwandtschaften untereinander konsequent auf die Identität von Gründervätern und ihre Verwandtschaften zurückgeführt. Völker werden mit den Namen ihrer Stammväter belegt, z.B. Israel, Edom, Ammon, ganz so, als handele es sich um Personen. Gelegentlich wird der Unterschied von Person und Volk durch die Beifügung des Worts „Kinder“ bezeichnet — Kinder Israel, Kinder Edom, Kinder Ammon. Konsequent werden in Gen 9 und 10 Völker und Völkergruppen als Nachkommen dieser drei Söhne Noahs identifiziert. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als „Völkertafel“, hier ist ein Link zum Wikipedia-Artikel.

Bis heute hat dieser Wurf als Anregung zur Bildung großer Kategorien gebildet. Im Mittelalter gruppierte man so die Bewohner der drei klassischen Kontinente: die Asiaten als Nachkommen Sems, die Europäer als Nachkommen Japhets und die Afrikaner als Nachkommen Hams. So habe ich es selbst von meiner Großmutter gelernt, und auch im Religionsunterricht der katholischen Konfessionsschule, die ich als Kind besuchte. Mit der Völkertafel in der Bibel stimmt diese Charakterisierung der Kontinente im einzelnen nicht überein, ebensowenig wie die Bezeichnungen großer Sprachfamilien (semitische, hamitische Sprachen), die man im neunzehnten Jahrhundert fand, als man begann, die Bildungsgesetze hinter den Sprachen zu verstehen.

Auch Rassisten nutzten die Kategorien, die die Bibel hier anbot. In Nordamerika half die Geschichte rund um den gezogenen Vers, die Sklaverei zu begründen: sie schafft eine Unterordnung Hams (der Afrikaner) unter die hellhäutigen Nachkommen Sems und Japhets. Und nationalsozialistische Rassenideologen und ihre Vorgänger sprachen dann von „Semiten“ als einer real existierenden biologischen Einheit, der sie spezifische Attribute beilegten. 

Diese Rezeptionsgeschichte ist durchaus häßlich. Und man muß wohl feststellen, dass eine solche Nutzung im biblischen Text angelegt ist. Er begründet zwar keine biologische Überlegenheit — diese Vorstellung ist der Bibel fremd — aber ein göttliches Recht hinter der Landnahme der Israeliten. Die Verheissung an Abraham, Isaak und Jakob (Israel) konkretisiert dies Recht. Es erlaubt den Kindern Israel, die Kinder Kanaan im Gelobten Land zu vernichten und zu unterdrücken. 

Was ich dagegen liebe und bewundere, ist die Art und Weise, wie Genesis die Entfaltung der Welt erzählt. Genesis schreitet von der Einheit in die Vielheit vor, und erklärt die Vielheit konsequent mit Brüchen in der ursprünglichen Einheit. Es erinnert mich daran, wie die moderne Kosmologie die „heisse Anfangsphase“ unseres Universums beschreibt. Aus einer unteilbaren und strukturlosen Singularität in Raum und Zeit entstehen zunächst Kernteilchen: Quarks, Protonen und Neutronen, dann leichte Atomkerne. Erst 300.000 Jahre später entkoppeln sich Strahlung und Materie. Hundert Millionen Jahre darauf bilden sich die Kerne erster Galaxien.  Ausdifferenzierung als Prinzip der Schöpfung. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
OUlf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 21/2022

Und dieweil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.
Gen 5,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ein Leben ohne Tod

In der nun kommenden Woche feiern wir Christi Himmelfahrt. Aber in diesem Vers geht es um Henoch, auch Enoch genannt: einem der allerersten Menschen, der siebte Mann, dessen Namen uns in der Bibel überliefert wird, Vater des Methusalem. Methusalem war der Mensch, dessen Leben mit 969 Jahren so lange währte wie das keines anderen Menschen, aber Henoch übertraf ihn noch, denn er starb gar nicht.

Nachdem er 365 Jahre auf Erden gelebt hatte, nahm Gott ihn unmittelbar zu sich auf — auf theologisch: Henoch wurde entrückt. Im Alten Testament wird dies sonst nur von Elia berichtet, im Neuen Testament gibt es als Gegenstück die Himmelfahrt Jesu — nach Tod und Auferstehung allerdings. 

Und nur eine einzige Zeile widmet der Chronist in Genesis diesem unglaublichen Vorgang. Aus der Bibel wissen wir fast nichts über Henoch, sein Name wird nur einige Male noch erwähnt, als Muster eines Lebens mit Gott. In der frühjüdischen Literatur allerdings ist Henoch wichtig. Mehrere apopkryphe Bücher zu Henoch sind überliefert. Eines davon, das erste Henochbuch, ist in der äthiopischen christlichen Kirche kanonisiert, also echter Teil der Bibel. Nur dort allerdings. Das uralte Buch berichtet vom Sündenfall der Engel: sie paaren sich mit Menschenfrauen und zeugen Riesen, die die Welt zerstören, siehe auch Genesis 6. Gottes Gericht soll über sie kommen. Henoch reist durch Himmel und Hölle und berichtet von der apokalyptischen Schau des Schicksals der Welt, die ihm dort zuteil wird. Teilweise ist das Buch in der Ich-Form geschrieben.

Ich habe es mir als E-Buch gekauft, für €0,49 bei Amazon. Wie man sich eben heute Bücher besorgt, die vielen heilig sind und für deren Übersetzung einmal Menschen ihr Berufsleben eingesetzt haben. Aber das Medium ist durchaus von Bedeutung — wer etwas für einen halben Euro auf den Bildschirm seines winzigen iPads bekommt, kann sich damit nicht wirklich auseinandersetzen. So habe ich leider nicht viel mitgenommen aus der Bekanntschaft mit dem ersten Henochbuch. 

Aber der Vers oben, den ich gezogen habe, schwingt in mir. Wörtlich übersetzt heisst es: „Und Henoch ging mit Gott, und dann war er nicht (mehr), denn Gott hatte ihn (zu sich) genommen.“ Umstandslos, einfach so. Ohne Alter, ohne Kampf, ohne Tod, ohne Leichnam, ohne Beerdigung — ins Licht. Ist das nicht schön? Aus dem Mahlstrom menschlicher Existenz genommen, der uns alle anderen zerreibt und schließlich verschlingt. Wer wollte Macht und Reichtum, wenn er dies bekommen könnte? Hätte ich einen Sohn, vielleicht würde ich ihn Enoch nennen. Enoch von Kalckreuth…

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 18/2022

So schwöre mir nun bei Gott, dass du mir und meinen Kindern und meinen Enkeln keine Untreue erzeigen wollest, sondern die Barmherzigkeit, die ich an dir getan habe, an mir auch tust und an dem Lande, darin du ein Fremdling bist.
Gen 21,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

So wahr mir Gott helfe…

Im Bibelvers dieser Woche werden wir Zeugen, wie Abraham, der Stammvater des jüdischen Volks, einen Treueeid leistet, und zwar — man muss es zweimal lesen — einem Philisterkönig: Abimelech, dem König von Gerar. Die Bibel lässt uns dies tatsächlich zweimal lesen. Die Geschichte wird nämlich auch von Isaak erzählt, in Gen 26,26ff: derselbe Ort, derselbe König, derselbe Streit um Wasserquellen. 

In Gen 26 wird mehr über die Hintergründe erzählt. Abimeleches Knechte machen den halbnomadisch wirtschaftenden Einwanderern das Wasser streitig, das diese für ihr Vieh brauchen. Beerscheba, wo sich Abraham und Isaak niederlassen, liegt in der Wüste Negev, und Wasser ist die kostbarste Ressource dort. Der Widerstand der Eingesessenen gegen die Konkurrenz von aussen ist daher nicht erstaunlich. 

Abraham und Isaak gehen anders damit um, als es das Muster der Landnahmeerzählungen nahelegt. Sie fügen sich in die bestehenden Kräfteverhältnisse und bekunden dem lokalen Herrscher ihre Loyalität, gegen ein Schutzversprechen. Sie werden Gefolgsleute von Abimelech und erhalten Beerscheba und sein Wasser als Lehen. Beerscheba heisst daher „Schwurbrunnen“.

Unser Vers enthält den Wortlaut des Treueeids. Er ist bemerkenswert, lesen Sie ihn noch einmal. Es geht um Loyalität, aber nicht nur dem König und seinen Nachfahren gegenüber, sondern auch dem Land. Und es geht um Gegenseitigkeit. Es wird nicht bedingungslose Gefolgschaft gefordert, sondern „chesed“: Barmherzigkeit, oder besser: Wohlwollen, Zugewandtheit. 

In diesem Schwur liegt ein Skandal. In den Geschichtserzählungen der Bücher Samuel und Könige sind die Philister in ihren an der Küste gelegenen Städten schlicht die Erzfeinde. Ihr Land war den Israeliten als Erbe versprochen, doch konnten sie es nicht einnehmen. Im Gegenteil: die Philister brachten die Juda immer wieder in existenzielle Bedrängnis — zur Erinnerung: Goliath war Philister. Die Geschichte passt jedoch zu anderen Erzvätergeschichten, die von einer Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung berichten: Abrahams Bündnis mit den bedrängten Fürsten in Gen 14, BdW 22/2019, die Ehrung des Priesters von Salem, BdW 8/2019, und der Erwerb des Erbbegräbnisses von den Hethitern in Gen 23. 

Mir fällt dazu auch Jeremias Appell an die gewaltsam nach Babylon verschleppte jüdische Gemeinde ein : „Suchet der Stadt Bestes!“ Eigentlich ist das fast absurd, und Jeremia weiss es. Wo immer aber wir sind, kann man hier lesen, sollen wir uns nicht ausschließen, sondern einbringen. 

Beerscheba ist heute eine mittelgroße Stadt, gelegen zwischen dem Gaza-Streifen und dem Toten Meer. Die Stadt war im vergangenen Monat Schauplatz eines Anschlags mit fünf Todesopfern, den Attentäter eingeschlossen. Was uns aus solchen Spiralen retten kann, ist letztlich die Bereitschaft beider Seiten, sich mit bestehenden Verhältnissen in positiver Weise auseinanderzusetzen. Manche Palästinenser fühlen sich als direkte Nachfahren der Philister. Der Vers beschwört die gegenseitige Zugewandtheit in fortbestehender Verschiedenheit. So könnte die Zukunft aussehen, nicht wahr? 

Gottes Segen sei mit dem jüdischen Volk und den Palästinensern — und mit uns allen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 49/2021

Die machten beide Isaak und Rebekka eitel Herzeleid.
Gen 26,35 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Haussegen

Es geht um die Schwiegertöchter. Der Vers ist so etwas wie ein Stoßseufzer. Esau war der erste Sohn Isaaks und Zwillingsbruder Jakobs. Die beiden unterschieden sich in so gut wie jeder Hinsicht, die sich denken lässt, so auch im Heiratsverhalten. 

Esau heiratete schon in jungen Jahren ohne Umstände zwei „Hetiterinnen“ aus der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Ehen waren problematisch: Isaak und Rebekka jedenfalls sind schwer gekränkt (unser Vers), und am Ende des folgenden Kapitels (Gen 27,46) sagt Rebekka zu ihrem Mann: „Mich verdrießt zu leben wegen der Hetiterinnen. Wenn Jakob eine Frau nimmt von den Hetiterinnen wie diese, eine von den Töchtern des Landes, was soll mir das Leben?“ Das lässt sich eigentlich kaum noch steigern. 

Und es ist durchaus aus dem Leben gegriffen. Jeder, der diesen Text liest, kennt aus eigener Anschauung Familien, in denen Zwist und Hader mit den Schwiegersöhnen oder -töchter herrscht. Vielleicht ist das eine biologische Konstante. Evolutionsbiologen sagen, dass wir geschlechtliche Wesen sind, damit die genetische Variabilität in der Bevölkerung erhalten bleibe. Sie ist Schutz gegen Epidemien und essentielle Grundlage für genetische Anpassungsfähigkeit. Diese Variabilität sorgt auch für Spannungen.  

In dem Vers geht es aber nicht nur um Lebenswirklichkeit, sondern auch um biblische Geschichte. Das Alte Testament weist, anders als die Evolutionsbiologen, in allen seinen Teilen eine gewisse Obsession mit der Reinheit des Bluts auf. Die Nachkommen Jakobs, die „Kinder Israels“, sollten sich nicht mit der einheimischen Bevölkerung vermischen, ihre Sprache, Gebräuche und Götter annehmen. Nach der Rückkehr aus Babylonien mussten die Judäer gar die fremdstämmigen Frauen aufgeben, die sie im Exil geheiratet hatten, siehe den BdW 2/2018

Das ist in den Vätergeschichten bereits angelegt. Schon Isaak sollte keine der Töchter des Landes heiraten, sein Vater Abraham schickte eigens einen Knecht in die aramäische Heimat, um eine Frau für ihn zu freien. Er kam zurück mit Rebekka, einer Kusine Isaaks. Und auch Jakob, Isaaks Sohn, sollte seine Frauen in der alten Heimat Abrahams finden. Rebekka nämlich will Jakob vor dem Zorn ihres Bruders Esau retten und rät ihm zur Flucht. Ihrem Mann sagt sie, dass sie mit weiteren Schwiegertöchtern aus Kanaan nicht leben könne, woraufhin dieser seinen Sohn nach Aram schickt, damit auch er dort eine Braut finde. Das ist der Beginn einer langen Geschichte. Als junger Mann geht Jakob fort, erst nach insgesamt 14 Jahren Brautwerbung bei seinem Onkel Laban darf er Lea und Rahel endlich nach Hause nehmen. Seine Kinder werden die Väter der Stämme Israels. 

Was geschieht mit Esau? Er nimmt den Zorn seiner Eltern wahr und heiratet eine dritte Frau — die Tochter seines Onkels Ismael. Der aber hatte sich seinerseits schon mit den Töchtern des Landes eingelassen. Später zieht Esau mit seinen Herden in das Gebirge Seïr, tief im wüstenhaften Süden. Er wird so zum Stammvater der Edomiter, einem mit den Israeliten eng verwandten Volk, mit dem Juda über einen langen Zeitraum schwere Auseinandersetzungen führte, siehe den BdW 13/2018. Über die Edomiter spricht die Bibel oft schlecht. Ihren Geburtssegen haben sie an Israel verloren. Aber sie bleiben die „älteren Brüder“.

Die Angehörigen der Heilslinie, Isaak und Jakob, heiraten blutsverwandte Frauen aus Aram. Ihre Brüder hingegen, Ismael und Esau, heiraten einheimische Frauen und entfernen sich damit vom Volk Gottes. Ich schätze beide sehr, Esau wie auch Ismael. Es sind Wüstenmenschen, die mit ihrem Schicksal souverän umgehen können. Esau ist emotional, er kann gewalttätig sein, aber auch großzügig. Viel großzügiger, als sein Bruder es sich träumen lässt, siehe Gen 32+33. Beim Lesen habe ich die Stammtafel Edoms entdeckt, Gen 36. Dort wird mit verhaltener, aber großer Ehrerbietung von Esau und Edom berichtet. Der Abschnitt schließt nach einer langen Aufzählung von Fürsten fast ebenso, wie er beginnt: „Das ist Esau, der Stammvater der Edomiter.“ Mit den Frauen eben, die er heiratete und mit denen er seine Kinder hatte. 

Vielleicht kann man das mitnehmen von der langen Rede: Was am Ende bleibt, ist nicht der Streit in Ehe und Familie, nicht Schwiegermütter und Schwiegertöchter, sondern — die Kinder. 

Der Herr segne sie.
Ulf von Kalckreuth