…hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht:…
Hiob 31,39
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Gott ist größer!
Zum Verständnis hier zunächst der Kontext des Satzfragments, die Verse 38-40:
Wird mein Land wider mich schreien und werden miteinander seine Furchen weinen, hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht; so mögen mir Disteln wachsen für Weizen und Dornen für Gerste. Die Worte Hiobs haben ein Ende.
In seinem früheren Leben, bevor Gott und Satan es zerstörten, war Hiob reich. Sein großes Land konnte er nicht selbst bearbeiten. Er brauchte die Hilfe von Abhängigen: Tagelöhner, Pächter vielleicht. Sie zu bezahlen hatte er sich verpflichtet, und hier hält er fest, dass er diese Verpflichtungen stets gehalten, seine Stellung als Grundherr nie unrechtmäßig ausgenutzt hat.
Warum ist ihm das wichtig? Die aus dem Buch Hiob gezogene Stelle steht vor dem Höhepunkt des Buchs. Hiob erklärt sich für gerecht. Insbesondere — und darum geht es im Vers — hat er denjenigen, die schwach waren und in seiner Macht standen, stets ihr Recht gegeben und mehr als das. Hiob spart nicht Atem noch Rhetorik für den Nachweis, um dann zu fragen: Gott, sieh her, ich bin gerecht — was bist Du? Im BdW 19/2018 ist eine Hinführung, und über den gezogenen Abschnitt hatten wir eine Betrachtung im BdW 50/2021 — „Einmal Nihilismus und zurück“.
Ich will mich nicht wiederholen, nur eine Beobachtung weitergeben. Zwei ungeheuer große Aussagen über Gott stehen hier im Raum: Gott ist mächtig und Gott gibt Gesetz. Wenn Gott Gesetz gibt, so muß es einen Unterschied machen, ob jemand sich daran hält oder nicht. Dies einfache Prinzip zieht sich durch die ganze Bibel. Wenn also ein Mensch sich an Gottes Gesetz hält, so muß es ihm besser gehen als einem anderen, der das nicht tut. Oder?
Nun kann man sich vorstellen, dass Gottes Handlungsmöglichkeiten sehr gering werden, wenn die Schicksale der einzelnen exakt die Schattierungen ihrer jeweiligen Gesetzestreue wiedergeben müssen. Gott ist dann eben nicht mehr mächtig, er muß alles der Belohnung und Bestrafung der vielen Individuen unterordnen. Im Grunde ist er ein mit großen Befugnissen versehener Verwaltungsbeamter, der ausführend den Handlungen der Menschen unterworfen ist. Im Extremfall, und der wird im Buch Hiob sauber herauspräpariert, unterläge er gar der menschlichen Gerichtsbarkeit. Wer wollte einen solchen Gott?
Nun, ich glaube, ich kenne einige. Hiob jedenfalls gehört dazu, ebenso wie seine drei Freunde. „Du gebietest mir, die Schwachen zu schützen, und ich tat es. Warum schützt du mich nicht, wenn ich schwach bin?“ Aber Hiob scheitert an der Macht Gottes. Gott ist groß! Was immer du sagst über ihn: Gott ist größer! Hiob und der Leser müssen die ganz reale Ungerechtigkeit des allmächtigen Gottes ertragen. Seine Gerechtigkeit ist nicht die unsere.
Eine Lektion für Fortgeschrittene, fürwahr. Kann ich damit umgehen? Ich weiss nicht recht. Es friert mich dabei. Hiob vermag es schließlich, am Ende eines langen Lernvorgangs. Das macht seine Größe aus und es ermöglicht den versöhnlichen Schluß des Buchs. Glauben und Vertrauen sind es, die uns retten, nicht Gerechtigkeit.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, im Schoß eines mächtigen Gottes, der auch ganz anders kann — und es hoffentlich nicht tut!
Ulf von Kalckreuth