Bibelvers der Woche 14/2024

Der Mund des Gerechten redet die Weisheit, und seine Zunge lehrt das Recht.
Ps 37,30

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zaddik — vom „rechten Sprechen“

Psalm 37 will den Betenden zur Ruhe bringen, zur Ruhe trotz der schreienden Ungerechtigkeit, die er sieht. Immer wieder, wie ein Mantra, wiederholt der Psalm drei Aussagen:

(1) Bleibe ruhig und vertraue dem Herrn, er wird es richten,
(2) Das Leben des Gerechten wird heil sein am Ende, ihm fällt alles Gute zu, und
(3) Die Frevler, die sich nehmen was sie wollen, erleiden einen schlimmen Tod. 

Oft, sehr oft wird dieses Mantra wiederholt, allein elfmal der schändliche Tod der Frevler beschworen. Der therapeutische Zweck wird deutlich: der Betende ist zutiefst verletzt und versucht mit aller Kraft, an sich zu halten und im Frieden Gottes seine Fassung und sein Vertrauen zu bewahren. Ich verstehe das. Mir ist es selbst schon ähnlich gegangen. 

Der gezogene Vers fällt heraus, er ist ein Solitär. Der Psalm als Ganzes besteht aus Doppelversen, die jeweils mit aufeinanderfolgenden Buchstaben des hebräischen Alphabets beginnen. Im Vers sind wir bei „P“ angelangt, und das hebräische Wort für „Mund“ wird genau so ausgesprochen wie der Buchstabe. Und weil an dieser Stelle vom Gerechten die Rede ist, nutzt der Autor die Gelegenheit, etwas zu sagen, das ihm sehr wichtig ist. Der gesamte Doppelvers lautet: 

Der Mund des Gerechten redet Weisheit, 
und seine Zunge lehrt das Recht. 
Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen
seine Tritte gleiten nicht.

Man erkennt den Gerechten daran, dass er ‚recht spricht‘. Das ist heute nicht intuitiv und mit ‚gerechter Sprache‘ hat es nichts zu tun. Wir würden heute einen guten Menschen weniger an seiner Rede als an seinem Handeln erkennen wollen — rechtschaffen soll er sein. Aber in der hebräischen Bibel ist das Wort die Tat und Worte sind Tatsachen.

Wort hat Macht im alten Israel, siehe hierzu den BdW 16/2019. Mit seinem Wort schafft Gott die physische Welt. Sein Wort, die Torah, schafft auch den geistigen Kosmos. Auch der Mensch handelt in erster Linie durch Worte. Es ist stimmig, dass der Psalm den Gerechten, den Zaddik, als einen Menschen beschreibt, der ‚recht spricht‘. Er hat das Gesetz Gottes in seinem Herzen, und bezieht daraus Sicherheit, für sein Reden wie für sein Handeln, auch in schwerer Anfechtung, wie im Psalm. Seine Tritte gleiten nicht: Diese Trittsicherheit in Wort und Tat wünsche ich mir! Den modernen Zweifel, ob Gerechtigkeit überhaupt menschenmöglich sei, kennt der Psalm nicht.

Vielleicht machen wir es uns mit diesem Zweifel auch ein wenig einfach.

Ich schreibe dies in der Nacht von Karfreitag. Jesus ist tot, die Welt steht still. Von meinem Turm in der Weißfrauenkirche herab blicke ich auf die Gutleutstraße, sie ist naß und kalt. Rote Ampeln, Rücklichter. Die Obdachlosen sind verschwunden, sie sind jetzt in der Nähe ihrer Schlafplätze.

Ihnen und uns allen wünsche ich ein frohes Osterfest! 

Der Herr ist auferstanden! Und er wird wiederkommen!
Ulf von Kalckreuth

Überblendung: Die Nacht von Karfreitag, Blick von der Turmklause der Weissfrauenkirche in Frankfurt

Bibelvers der Woche 01/2024

Ihr Narren, meinet ihr, dass es inwendig rein sei, wenn’s auswendig rein ist?
Luk 11,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Sehen, worauf es ankommt

Für manche Menschen hat die Entwicklung ihrer Potentiale allergrößte Bedeutung — self development auf neudeutsch. Unsere Möglichkeiten haben wir mitbekommen, als Grundausstattung, sie gehören uns, unveräußerlich. Was wir daraus machen, ist im wesentlichen unsere Sache, und vielleicht ist es wirklich Sünde, die eigenen Möglichkeiten brachliegen und verkommen zu lassen. Die Hoch-zeit für „Self-Developer“ ist Neujahr und die Tage davor — Zeit, Bilanz zu ziehen und Orientierung für die Zukunft zu suchen.

Dabei gilt es zu sehen, worauf es im Kern ankommt, in der jeweiligen Zeit, der jeweiligen Situation. Unsere Ressourcen an Zeit, Kraft und Geistesgaben sind beschränkt und Erfolg können wir nur haben, wenn wir sie effektiv einsetzen. Womit wir bei Jesus sind. Von ihm stammt das Gleichnis mit den Talenten, und im gezogenen Vers mahnt er uns, auf den springenden Punkt zu schauen. 

Weil der Vers in der Fassung von 1912 ungenau übersetzt ist, gebe ich ihn hier aus der Lutherbibel von 1984 wieder, mitsamt dem Kontext. Die anderen großen Übersetzungen bieten ähnliche Fassungen: 

Als er noch redete, bat ihn ein Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein und setzte sich zu Tisch. Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte. Der Herr aber sprach zu ihm: Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere geschaffen hat, auch das Innere geschaffen? Doch gebt als Almosen von dem, was da ist; siehe, dann ist euch alles rein.

Jesus wirft dem Pharisäer vor, die Form streng zu achten und den Inhalt zu vernachlässigen. Dabei ist er ausgesprochen unhöflich; mit seinen harten Worten schmäht er den Gastgeber. Der Inhalt ist, worauf es in Wahrheit ankommt — von außen ist er nicht sichtbar. Sein statt Schein. Jesus deutet an, worum es geht: im zitierten Text spricht er von tätiger Nächstenliebe, weiter unten dann vom Recht und der Liebe Gottes. Das sind Umrisse, ausfüllen müssen wir sie selbst, mit unserem Leben. 

Wir alle sind Self-Developer, ob wir es wollen oder nicht. Ich wünsche uns allen ein frohes und gesegnetes Neues Jahr 2024, in dem wir zur Sonne hin wachsen können und nicht aus dem Blick verlieren, worauf es ankommt.

Ulf von Kalckreuth

🥂🍾

Bibelvers der Woche 31/2023

Er sah aber auf und schaute die Reichen, wie sie ihre Opfer einlegten in den Gotteskasten.
Luk 21,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Äquivalenz

Und so geht es weiter: Er (Jesus, d.V.) sah aber auch eine arme Witwe, die legte dort zwei Scherflein ein. Und er sprach: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr als sie alle eingelegt. Denn diese alle haben etwas von ihrem Überfluss zu den Opfern eingelegt; sie aber hat von ihrer Armut alles eingelegt, was sie zum Leben hatte. (Luk 21,2-4)

Jesus sieht, was die Reichen geben, er sieht auch, was die Witwe gibt. Jesus kommentiert das Verhältnis, in dem die Gaben stehen. Was er sagt, bedeutet zunächst einfach, dass mehr geben sollte, der mehr hat. So sagt es auch die Torah, in den Vorschriften zum Sühneopfer: wer arm ist, muß statt eines Schafs oder einer Ziege nur zwei Tauben zum Opfer bringen (Lev 5,7), siehe auch Lev 14,10ff zum Reinigungsopfer für Aussätzige.

In den finanzwissenschaftlichen Literatur zur Besteuerung nennt man dies das Äquivalanzprinzip. Aber Jesus hat keinen fiskalischen Blick, der die Leistungsfähigkeit der Opfernden einschätzt. Er nimmt die Perspektive der mittellosen Witwe ein und spricht von der ungeheuren Bedeutung dieses Opfers für sie — und diese Bedeutung ist es, die den Wert des Opfers ausmacht. Darin liegt die eigentliche Äquivalenz. 

Uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 49/2022

Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.
Mat 7,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

An den Früchten erkennen

Worauf kommt es an? 

Es gibt im protestantischen Christentum eine alte und starke Strömung, die sich gegen die sogenannte „Werkgerechtigkeit“ wendet. Damit ist der Versuch gemeint, sich des Heils durch sichtbare, gottgefällige Taten zu versichern. Es komme nämlich im Grunde nur auf den Glauben an, er verbinde den Menschen mit Gott, verwandele ihn  und führe ihn zum Heil. Taten seien dann Ausfluss einer gelungenen Gottesbeziehung, Symptom sozusagen, aber ohne eigene Bedeutung. Nur der Glaube, nur die Gnade, nur die Schrift, sagt Luther…! 

Wie ist das gemeint? Jesus jedenfalls sagt in diesem Textabschnitt, dass es nicht getan ist mit Bekenntnissen, inneren Einstellungen und religiösen Gefühlen, selbst solchen intensivster Art, die zu Wundern befähigen. Wenn sie nicht mit sichtbaren Früchten einhergehen, sind sie am Ende irrelevant. Dies ist das Bild, das Jesus hier gebraucht: einen Baum erkennt man an seinen Früchten. 

Welcher Art Früchte es sind, sagt Jesus nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es dabei durchaus auch um die innere Welt geht, um das Maß, in dem jemand mit sich, mit Gott und den Mitmenschen in Frieden lebt. Aber auch darum, ob jemand die eigenen Gaben auszuschöpfen vermag, zur Ehre Gottes und dem Wohl seiner Mitmenschen. Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist ein anderes wichtiges Bild von Jesus. 

Im Vers spricht Jesus sehr kondensiert und konzentriert davon, dass es im Ergebnis darauf ankommt, den Willen Gottes zu tun. Vielleicht nicht als ersten Schritt zum Heil, aber wohl als wichtigsten Begleiter auf dem Weg dorthin.

Aber was will Gott von mir? Ich weiss es nicht. Wow! Wie wäre mein Leben, wenn ich es wüsste? Um das herauszufinden, sind sie in der Tat unabdingbar: Glaube, Gnade und die Schrift…!  

Ich wünsche uns allen Gottes besonderen Segen in der zweiten Adventswoche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 30/2022

…hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht:…
Hiob 31,39

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Gott ist größer!

Zum Verständnis hier zunächst der Kontext des Satzfragments, die Verse 38-40:

Wird mein Land wider mich schreien und werden miteinander seine Furchen weinen, hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht; so mögen mir Disteln wachsen für Weizen und Dornen für Gerste. Die Worte Hiobs haben ein Ende.

In seinem früheren Leben, bevor Gott und Satan es zerstörten, war Hiob reich. Sein großes Land konnte er nicht selbst bearbeiten. Er brauchte die Hilfe von Abhängigen: Tagelöhner, Pächter vielleicht. Sie zu bezahlen hatte er sich verpflichtet, und hier hält er fest, dass er diese Verpflichtungen stets gehalten, seine Stellung als Grundherr nie unrechtmäßig ausgenutzt hat.

Warum ist ihm das wichtig? Die aus dem Buch Hiob gezogene Stelle steht vor dem Höhepunkt des Buchs. Hiob erklärt sich für gerecht. Insbesondere — und darum geht es im Vers — hat er denjenigen, die schwach waren und in seiner Macht standen, stets ihr Recht gegeben und mehr als das. Hiob spart nicht Atem noch Rhetorik für den Nachweis, um dann zu fragen: Gott, sieh her, ich bin gerecht — was bist Du? Im BdW 19/2018 ist eine Hinführung, und über den gezogenen Abschnitt hatten wir eine Betrachtung im BdW 50/2021 — „Einmal Nihilismus und zurück“.

Ich will mich nicht wiederholen, nur eine Beobachtung weitergeben. Zwei ungeheuer große Aussagen über Gott stehen hier im Raum: Gott ist mächtig und Gott gibt Gesetz. Wenn Gott Gesetz gibt, so muß es einen Unterschied machen, ob jemand sich daran hält oder nicht. Dies einfache Prinzip zieht sich durch die ganze Bibel. Wenn also ein Mensch sich an Gottes Gesetz hält, so muß es ihm besser gehen als einem anderen, der das nicht tut. Oder? 

Nun kann man sich vorstellen, dass Gottes Handlungsmöglichkeiten sehr gering werden, wenn die Schicksale der einzelnen exakt die Schattierungen ihrer jeweiligen Gesetzestreue wiedergeben müssen. Gott ist dann eben nicht mehr mächtig, er muß alles der Belohnung und Bestrafung der vielen Individuen unterordnen. Im Grunde ist er ein mit großen Befugnissen versehener Verwaltungsbeamter, der ausführend den Handlungen der Menschen unterworfen ist. Im Extremfall, und der wird im Buch Hiob sauber herauspräpariert, unterläge er gar der menschlichen Gerichtsbarkeit. Wer wollte einen solchen Gott? 

Nun, ich glaube, ich kenne einige. Hiob jedenfalls gehört dazu, ebenso wie seine drei Freunde. „Du gebietest mir, die Schwachen zu schützen, und ich tat es. Warum schützt du mich nicht, wenn ich schwach bin?“ Aber Hiob scheitert an der Macht Gottes. Gott ist groß! Was immer du sagst über ihn: Gott ist größer! Hiob und der Leser müssen die ganz reale Ungerechtigkeit des allmächtigen Gottes ertragen. Seine Gerechtigkeit ist nicht die unsere.

Eine Lektion für Fortgeschrittene, fürwahr. Kann ich damit umgehen? Ich weiss nicht recht. Es friert mich dabei. Hiob vermag es schließlich, am Ende eines langen Lernvorgangs. Das macht seine Größe aus und es ermöglicht den versöhnlichen Schluß des Buchs. Glauben und Vertrauen sind es, die uns retten, nicht Gerechtigkeit.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, im Schoß eines mächtigen Gottes, der auch ganz anders kann — und es hoffentlich nicht tut!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2022

Sie sitzen gern obenan über Tisch und in den Schulen.
Mat 23,6 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Was tun? Und warum? 

Jesus ist im Tempel, kurz vor seinem Tod. Er spricht provozierend und ohne jegliche Rücksicht auf Verluste. Wie einer, der weiss, dass er nur noch wenige Tage zu leben hat. Vielleicht ist die Kausalität auch anders herum. 

Im Vers spricht er Personengruppen an — Pharisäer und Schriftgelehrte — und eine Haltung. Wie Jesus glauben die Pharisäer an Auferstehung und das ewige Leben und auch sie halten nichts von der etablierten Tempelbürokratie. Im Zentrum steht für sie das Verhalten des Einzelnen vor den Gottes Gesetz — „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen“. Jesus weiß, dass sich diese Frage nicht durch feinsinnige und detaillierte Auslegung des Gesetzes beantworten läßt, dass eine unmittelbare, persönliche Beziehung zu Gott und den Mitmenschen nötig ist — Glaube, Liebe und der Heilige Geist. 

Ich bin nicht überzeugt, dass der Matthäusvers den Pharisäern als Gruppe insgesamt gerecht wird. Sie galten als unbestechlich und mit ihrem Leben Gott zugewandt, unter hohen persönlichen Kosten. Das machte ihren Erfolg aus. Sie sind die Vorläufer der Rabbinen, die nach dem Untergang des Tempels und des offiziellen Mainstreams die Grundlagen für das orthodoxe Judentum legten, wie wir es heute kennen. Sie meinten es ernst, ihr ‚Drive‘ kam nicht nur vom Wunsch, in den Lehrhäusern obenan zu sitzen.

Die Haltung aber, die Jesus charakterisiert, ist weit verbreitet, auch unter Christen. Wieviel religiöse Aktivität gäbe es, wenn sie in den Gemeinden nicht Ansehen verschaffte? Wieviele Blogs mit biblischen Themen gäbe es, wieviel Lobpreismusik und Chorgesang? Wieviel Theologiestudium, wieviel Spenden und gute Werke?

Es ist natürlich, wenn wir Ansehen bei den Menschen suchen, die uns wichtig sind. Wir sind soziale Wesen. Aber vielleicht werden wir am Ende genau das bekommen, was wir wollen, und nichts sonst? „Wahrlich, ich sage Euch, sie haben ihren Lohn schon gehabt“, sagt Jesus dazu in Mat 6,2.

Wir sollen verstehen, warum wir tun, was wir tun, sagt Jesus!

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 50/2021

Was gäbe mir Gott sonst als Teil von oben und was für ein Erbe der Allmächtige in der Höhe?
Hiob 31,2 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Einmal Nihilismus und zurück

Warum interessiert es Sie, warum interessierte es überhaupt jemanden, was der Wille Gottes ist?

Die grundlegende Antwort des Alten Testaments gibt Deut 28-30. Mose legt dem Volk und jedem Einzelnen Segen und Fluch vor: durch seinen Umgang mit dem Gesetz Gottes entscheidet jeder selbst, was davon ihm zuteil wird. Auf zwei Wegen kann dies geschehen. Während in der Torah Gottes Handeln Lohn und Strafe schafft, ist dies im Buch der Sprüche und vielen Psalmen der Charakter des Gesetzes selbst. Das Gesetz ist gut und dient dem Leben, und Verstöße bestragen sich selbst, sie schaffen ein Umfeld, in dem der zugrundegeht, der das Gesetz mißachtet, siehe BdW 50/2020.

Man nennt dies den „Tun-Ergehen-Zusammenhang„. Theologen benennen so den roten Faden, der sich durchs Alte Testament in allen seinen Teilen zieht und der auch für das Neue Testament große Bedeutung hat. Unser Umgang mit dem Gesetz bedingt unser Schicksal.  Wie man sich bettet, so liegt man.

Im Alten Testament bezieht sich die Entsprechung von Tun und Ergehen konkret auf das irdische Leben. An ein Jenseits war nicht gedacht. Wie dann aber umgehen damit, dass es auf der Welt oft so ganz und gar anders aussieht? Haben Sie sich das auch schon gefragt? 

In der Bibel ist die Diskussion darüber bemerkenswert offen. Das Buch Prediger leugnet schlicht die Entsprechung von Tun und Ergehen, aus ebenjener Empirie heraus. Im Buch Hiob steht der Zusammenhang im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, die in den Nihilismus führt und darüber hinaus. Hiob ist gerecht, er hat die Gesetze Gottes treu befolgt. Daran gibt es keinen Zweifel, wir wissen es a priori aus den Aussagen Gottes und Satans im Prolog. Gott aber nimmt ihm alles: Güter, Familie und Gesundheit — Hiob liegt schließlich als übel zugerichtetes Wrack da und muß sich gegen die Vorstellungen seiner Freunde verteidigen. Wenn es ihm so schlecht gehe, müsse es einen Grund dafür geben, sagen sie. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang lässt sich nämlich umdrehen: wem es schlecht geht, muß sich versündigt haben, er selbst oder vielleicht seine Vorfahren; sonst ginge es ihm besser.

Wir wissen, dass es nicht so ist, und Hiob weiss es auch. Unser Vers ist Teil eines Kapitels, in dem Hiob darlegt, wie umfassend er Gottes Gesetz befolgt hat — er gelangt dabei weit über den Buchstaben des Gesetzes hinaus zu einer Ethik der Barmherzigkeit. Und dabei bejaht und bestätigt er den Tun-Ergehens-Zusammenhang: er habe dies alles getan, ja gar nicht anders gekonnt, weil sonst sein Untergang sicher gewesen wäre, weil er sonst nichts von Gott hätte erwarten können. Seinen Augen hat er die lüsternen Blicke nach jungen Frauen verboten, „was gäbe mir Gott sonst als Teil von oben und was für ein Erbe der Allmächtige in der Höhe?“

Im Vers also ruft Hiob das Schlüsselargument der Freunde als Grundlage des eigenen Handelns auf! 

Die Perspektive der Freunde teilt er also. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang gilt — oder besser: er sollte gelten. Der Zusammenhang von Tun und Ergehen wird ihm zu einem Fundament für eine Anklage Gottes. Hiobs Gewissen ist rein. Wie ein Fürst wolle er sich dem Verkläger nahen. Dabei bleibt er Gott treu, denn Gott ist für ihn nicht nur Richter, sondern auch Anwalt und Erlöser. Hiob ruft Gott den Erlöser an, ihm bei Gott dem Richter Recht zu schaffen. Und sein Vertrauen in den Erlöser ist unerschöpflich: Aber ich weiss, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über den Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn schauen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder (Hiob 19, 25-27).

Das klingt christlich, Hiob sucht bei seinem Erlöser aber nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit. Die Vorstellung ist ihm fremd, dass der Mensch das Gesetz vielleicht gar nicht erfüllen könnte, anders als den Freunden übrigens. 

Die Anklage Hiobs und seine Rechtfertigung schockieren die Freunde, und sie brechen das Gespräch ab. Nach der Intervention Elihus (siehe BdW 12/2020) antwortet Gott selbst. Er redet aus dem Sturm und eine neue Perspektive entsteht. Gottes Handeln als Schöpfer und seine Sicht der Dinge sind so groß, die Zusammenhänge, aus denen er agiert, so unerforschlich, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang kein einklagbares Recht sein kann — der Mensch versteht schlicht nicht, was er da fordert. Was uns bleibt, ist Gott zu loben und zu preisen, seine Gesetze zu achten, und unser Schicksal aus seiner Hand zu nehmen, auch wenn wir sein Handeln nicht verstehen, und dies alles im Wissen, dass Gott selbst über seiner Gerechtigkeit steht. 

Gott verwirft Hiobs Anklage, aber er lobt seine Treue, und gibt ihm darin recht. Nicht in Hiobs Gerechtigkeit liegt der Schlüssel, sondern in seiner Bereitschaft, schließlich von ihr abzusehen. Am Ende wird Hiob in jeder Beziehung in den früheren Stand eingesetzt. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ — scheinbar gilt der Zusammenhang von Tun und Ergehen nun doch, der Leser aber ahnt, das dieses Ende willkürlich ist und die Geschichte einen anderen Ausgang hätte nehmen können. Was bleibt, ist der Imperativ, sich der Größe Gottes zu beugen und sie zu preisen, alles zu hoffen, aber nichts zu erwarten. Wir dürfen Gott nicht in die Kategorien des Rechts pressen, unseres eigenen nicht und auch nicht des göttlichen. Beide sind für uns gemacht, nicht für Ihn. 

Und die eingangs gestellte Frage? Wenn Gott tut, was er will — was ist dann der Unterschied zu einer Welt, in der es Gott gar nicht gibt? Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, wollen auch Sie das wissen.

Ich glaube, er liegt darin, dass Gott uns zugewandt ist. Wir haben einen persönlichen Gott, und wir können ihn erreichen — im Gebet, im Zuhören, im Reden auch mit anderen Menschen. Wie Hiob, ohne alles Recht. Was uns helfen kann, ist Gottes Liebe, und darin wieder hilft uns unsere eigene Liebe. Dies ist der Zusammenhang von Tun und Ergehen, den Jesus vertritt.

Einmal Nihilismus und zurück. Der Herr segne uns, in dieser Woche und immer,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 22/2020

So hätte ich nun Trost, und wollte bitten in meiner Krankheit, dass er nur nicht schonte, habe ich doch nicht verleugnet die Reden des Heiligen.
Hiob 6,10

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Behind the blind

Leid und Gottes Schutz 

Vor einigen Wochen gab es zwei Verse aus Hiob hintereinander. Hiob begegnet uns recht häufig — wir hatten Hiob-Verse in den Wochen 12/2020, 11/2020, 15/2019, 45/2018 und 19/2018. Trügt die Hoffnung oder trägt sie: durch zufälliges Ziehen langsam und mit der Zeit, lernend, ein authentisches Bild der Bibel jenseits der ausgetretenen Pfade zu gewinnen? Jedesmal finde ich in diesem Buch eine neue wichtige Facette.

Der gezogene Vers gehört in den ersten Teil des Buchs, wo die Dimensionen der Frage und die Konfliktlinien sichtbar werden. Um seine Gottesfurcht zu erproben, wird Hiob mit Zustimmung Gottes von Satan mit unsäglichem Leiden gequält. Drei Freunde besuchen ihn. Hiob hat nach langem Schweigen ausgiebig den Tag verflucht, an dem er geboren wurde, mit großer Lust am verbalen Detail. Er fragt nach Gottes Gerechtigkeit und danach, warum Gott Wesen in die Welt setzt, nur um sie zu peinigen.

Elifas, einer seiner Freunde, antwortet. Aus der Rede des Elifas gab es früher schon den BdW 2018/45. Im Kern sagt er, dass niemand ohne Sünde ist, das sei Illusion. Individuelles Leid ist Zurechtweisung Gottes und damit Gnade, denn verstockte Sünder gehen unweigerlich unter. Es ist dem Leben dienlich, die Zurechtweisung zu hören und sein Verhalten anzupassen: „Selig ist der Mensch, den Gott zurechtweist; darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht. Denn er verletzt und verbindet, er zerschlägt und seine Hand heilt.“ (Hiob 5, 17f). Dann preist Elifas mit großer poetischer Kraft Heil und Schutz, den Gott den Seinen gibt und schließt: „Siehe, das haben wir erforscht, so ist es; darauf höre und merke du dir’s.“

Wenn man selbst im Dreck liegt, ist es unerträglich, so etwas von jemandem zu hören, dem es selbst gut geht. Hiob reagiert scharf — in der Fahrrinne seiner ersten Rede wünscht er sich nun, der Herr möge endlich ein Ende machen mit ihm und zwar schnell, dann könne er vor Freude hüpfen (so im Original), weil er trotz allem den Worten des Heiligen treu geblieben sei bis zum Schluss. Der gezogene Vers ist das sprachliche Kunstwerk eines Menschen, der am Rand seiner Kräfte steht. Die angekündigte Freude über den raschen Tod, den er hüpfend begrüßen würde (wie mag man sich das vorstellen?) — das ist blanke Ironie. Hiob besteht auf seiner Gerechtigkeit, sagt aber implizit, dass er die Worte des Heiligen unter diesen Umständen vielleicht nicht mehr lang werde achten können. 

Der Gott der Juden und der Christen ist Einer: nichts geschieht ohne seinen Willen. Im ersten Jahrtausend vor Christus war man nicht so schnell bereit wie heute, ganze Wirklichkeitsbereiche aus Gottes Zuständigkeit zu nehmen, etwa unter Verweis auf „die Naturgesetze“, oder „die Folgen des willensfreien menschlichen Handelns“. Gott ist allmächtig, allwissend und damit allverantwortlich: auch für Leid und Qual. Das Buch Hiob ist die Auseinandersetzung damit: Hiobs Anklage gehört ebenso dazu wie der Lobpreis in Elifas erster Rede. Das Buch Hiob beleuchtet seinen Gegenstand, diesen unerträgliche Widerspruch, nach allen Seiten. Eine klare Antwort, die man nach Hause tragen könnte, gibt es am Ende nicht. 

Am Himmelfahrtstag hatte ich Gelegenheit, auf der Trauerfeier für eine in Treue und Zuneigung sehr alt gewordenes Schwester unserer Gemeinde Psalm 91 vorzutragen und ein Lied dazu zu singen. Es war der erste Gottesdienst seit vielen Wochen. Wie ich hier nun schreibe, muß ich an diesen Psalm ständig denken. Hier ist der Text des Lieds, aus den Versen 4b-7 und 11-12 von Ps 91:

Er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich hüten auf all deinen Wegen,
dass sie dich auf Händen tragen,
dass dein Fuß keinen Stein anstosse.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 
dass du nicht erschrecken mußt, nicht erschrecken mußt:

vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die fliegen am hellichten Tag,
vor der Seuche im Finstern,
vor der Pest, die am Mittag Verderben bringt.
Auch wenn Tausende fallen,
so wird’s dich nicht treffen, dich nicht treffen!

Denn er…

Elifas Lobpreis klingt im Psalm genauso an wie Hiobs Qual. Er stellt die beiden Seiten göttlichen Wirkens nebeneinander. Das Verderben in der Welt und Gottes Güte und Schutz sind gleichermaßen wirklich, auch in unserem Leben. Und beides bedingt sich gegenseitig — wie Karfreitag und Ostern ist eines alleine sinnlos. Unser Gott ist Einer, aus seiner Hand empfangen wir beides. Darin ist Trost. Es ist das Geheimnis von Leben, Tod und Auferstehung.  

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 19/2018

Da hörten die drei Männer auf, Hiob zu antworten, weil er sich für gerecht hielt.
Hiob 32,1 

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Die Bäume und der Wald

Das Buch Hiob handelt vom menschlichen Leid und der Gerechtigkeit vor Gott. In einem Prolog wird eine Laborsituation hergestellt: Hiob ist ein gottesfürchtiger und gerechter Mann, auf dem das Wohlwollen des Herrn ruht. Der Teufel, hier als Angehöriger Gottes Entourage, äußert die Überzeugung, mit Hiobs Gottesfürchtigkeit wäre es nicht weit her, wenn der Herr ihn nicht in allem beschützen und bewahren würde. Der Herr lässt sich auf eine Wette ein: der Teufel darf alles an und um Hiob vernichten, nur sein Leben muss er ihm lassen. So geschieht es — Gott lässt ihn damit in eine unerträgliche und entwürdigende Situation fallen, in Krankheit und Schmach. Er behält nur das nackte Leben. 

Drei Freunde suchen ihn auf, ihn seelisch zu stützen. Zum ihrem großen Verdruss beharrt Hiob darauf, gerecht zu sein. Im Verhältnis zu Gott fordert er seinerseits Gerechtigkeit ein, andererseits und gleichzeitig äußert er aber auch die feste Überzeugung, dass Gott ihm diese Hilfe am Ende geben wird („Ich weiß, dass mein Erlöser lebt…“). Hiob behält seinen Glauben, auch noch in der tiefsten Verwundung. 

Hier ist ein theologisches Problem. Im damaligen Judentum war die Sache klar: wer die Bundeszusage hatte und sich an die Gebote hielt, konnte der Unterstützung des Herrn sicher sein. Wem es schlecht ging, der hatte dies entweder durch Übertretungen selbst verschuldet, oder aber war das Opfer von Übertretungen seiner unmittelbaren Vorfahren (siehe hierzu BdW, KW 7). Insofern können die Freunde nicht anders, sie müssen Hiobs Anspruch zurückweisen. Er solle sich erforschen, er werde Übertretungen finden.

Schließlich, nach langen Diskussionen, ist Hiobs Antwort harsch. In einem kurzen Abschnitt stellt er fest, dass er sein ganzes Leben lang in Gottes Gebot gelebt hat. Er nennt die Gebote und die wichtigsten Regeln einzeln und kann auch darlegen, dass er Gottes Gebote nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach befolgt hat: immer war er für den Nächsten, den Schwachen da. Er ist sogar zur Feindesliebe gelangt, damals beileibe noch keine explizite Forderung.

Und dann kommt ein Satz, der den Freunden Blasphemie sein muss: 

35 O hätte ich einen, der mich anhört – hier meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir! –, oder die Schrift, die mein Verkläger geschrieben! 36 Wahrlich, dann wollte ich sie auf meine Schulter nehmen und wie eine Krone tragen. 37 Ich wollte alle meine Schritte ihm ansagen und wie ein Fürst ihm nahen.

Hiobs Vertrauen in die eigene Gerechtigkeit ist dergestalt, dass er Gott und seiner Anklage wie ein Fürst gegenübertreten zu können glaubt!

An diese Stelle gehört der gezogene Vers: die drei Männer schweigen, weil Hiob sich für gerecht hält! Auf dieses Schweigen nun folgen die Rede eines vierten Freundes (der bis dahin nicht erwähnt wurde), und dann die Antwort Gottes selbst aus dem Sturm. Durch die Laborsituation weiß der Leser, dass Hiob tatsächlich gerecht ist: in der Rahmenerzählung stellt Gott selbst das unzweideutig fest. Auch seinen Glauben und die Gottesfurcht behält er. Hiobs Beharren auf die eigene Gerechtigkeit aber lässt alle anderen verstummen und es zieht die sehr nachdrückliche Zurechtweisung Gottes nach sich. 

Das Bestehen auf der eigenen Gerechtigkeit wird im Buch Hiob verurteilt. Es isoliert uns von den anderen Menschen — das zeigt der Vers –, es entfremdet uns aber auch von Gott. Seine Gerechtigkeit, das sagt seine Rede aus dem Sturm, ist nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen. Wir können uns mit einem Wesen, das so hoch über uns steht, nicht mit Kategorien auseinandersetzen, die für das Verhalten von Menschen gemacht sind. Vor lauter Totholz sehen wir dann den Wald nicht mehr: Gottes Macht und Größe. 

Es ist gut, den Versuch zu machen, Gottes Geboten zu folgen. Soweit der Versuch (mit Gottes Hilfe) gelingt, ist dies noch besser. Und man soll keinen Gedanken an die Position verschwenden, die man sich dadurch möglicherweise erwirbt — der Gedanke selbst führt in die Irre. 

Was aber die anderen Menschen betrifft:  Mit dem Beharren auf die eigene Gerechtigkeit verwandelt man jede fruchtbare Auseinandersetzung in ein Schweigen.

Ich wünsche uns eine gute Woche,
Ulf von Kalckreuth