Bibelvers der Woche 30/2023

Ich will die Früchte auf den Bäumen und das Gewächs auf dem Felde mehren, dass euch die Heiden nicht mehr verspotten mit der Teuerung.
Hes 36,30

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Not hat ein Ende…!

In dieser Woche stoßen wir gewissermaßen in eine Lücke: Den vorangehenden Vers, Hes 36,29, gab es vor etwa zwei Jahren als BdW 23/2019. Und den unmittelbar folgenden Vers, Hes 36,31, hatten wir ebenfalls schon, siehe BdW 42/2020. Zu beiden Versen früher gezogenen Versen gibt es Betrachtungen, die ich Ihnen gern empfehle 🙂

Das Wort „Teuerung“ steht für existenzielle Not. Mit der Kraft der Erde macht der Herr der Not ein Ende. Es tut gut, diesen Vers zu lesen. Tun Sie es doch einfach, drei oder vier Mal.

Gatineau, Ile de Hull, Quebec, Kanada, 19. Juli 2023

Uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 29/2023

Dies ist die Last über Arabien: ihr werdet im Walde in Arabien herbergen, ihr Reisezüge der Dedaniter
Jes 21,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine volle Runde

Es ist etwas geschehen, auf das ich längere Zeit schon warte. Ich habe einen Vers gezogen, den wir schon einmal hatten: es war der BdW 49/2019!

Die Bibel mit all ihren Büchern ist ein sehr großer Text, und so scheint das fast unmöglich, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es alles andere als das. In den letzten sechs Jahren, seit Beginn der Reise, habe ich 323 Verse gezogen. Der gesamte Korpus, die Lutherübersetzung (ohne Apokryphe), hat 31173 Verse. Während bei der zweiten Ziehung die Wahrscheinlichkeit, einen bereits gezogenen Vers noch einmal zu ziehen, bei verschwindenden 0,0032% lag, beträgt sie nun bereits mehr als 1 Prozent, und das Woche für Woche, und ständig weiter wachsend. Das Jahr hat 52 Wochen, irgendwann muß es also passieren. 

Das wusste ich vorher schon — schließlich bin ich Statistiker –, und ich hatte mir vorgenommen, den zweimal gezogenen Vers genau zu betrachten und nach Aspekten zu suchen, die ich übersehen hatte. Nun, was ich 2019 geschrieben hatte,, war schön und voll und fast poetisch. Ich kann dem nichts hinzufügen. Hier ist der Link:

BdW 49/2019

Eigentlich stand ich vor dem gleichen Problem schon in der letzten Woche. Da hatte ich zwar nicht exakt denselben Vers schon einmal gezogen, aber einen anderen, unmittelbar benachbarten, der dem gezogenen zum Verwechseln ähnlich sah.

Das Wort Gottes veraltet nicht und nutzt sich nicht ab. Pfarrer und Priester sprechen ihr ganzes Leben lang über dieselben Texte und gewinnen immer Neues daraus. Ich habe nun aber eine Sozialisation als Wissenschaftler durchlaufen, das schafft innere Vorbehalte gegenüber Wiederholungen. Und mein Horizont ist nicht weit genug, in denselben Versen immer mehr, immer neues zu sehen.

Nach sechs Jahren der Datenerhebung könnte nun aber die Zeit gekommen sein, die große Stichprobe auszuwerten. Ich möchte die Betrachtungen zu den 323 Versen gern kondensieren, zusammenstellen und den Rhythmus darunter suchen, die Melodie darin finden, vielleicht in Form eines kleinen Buchs. Das habe ich mir schon länger vorgenommen, aber die Energie zum letzten Schritt fehlte immer.

Ich werde also in den nächsten Monaten keine neuen Betrachtungen schreiben, ausser wenn es sehr wichtig scheint. Ich werde aber den Bibelvers der Woche weiter ziehen und die Website pflegen. Mit der gewonnenen Zeit will ich die Wegskizze finden, die meine Stichprobe vielleicht enthält.

Ich halte Sie auf dem Laufenden und wünsche uns allen eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2023

…und Eljasaph, der Sohn Deguels, über das Heer des Stammes der Kinder Gad.
Num 10,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gott in der Bewegung

Wieder und immer noch ist das Thema die große Verheissung, das Gelobte Land. In der vergangenen Woche waren wir Zeuge, wie diese Verheissung an Abraham ging, verbunden mit einem geradezu unglaublichen Zeithorizont für die Erfüllung. Und in der Woche davor konnten wir erleben, wie diese Verheissung scheinbar endgültig zerschellte. 

Wir hatten früher schon Num 10,24 als BdW 49/2020, er sieht dem Vers dieser Woche zum Verwechseln ähnlich: : …und Abidan, der Sohn des Gideoni, über das Heer des Stammes der Kinder Benjamin. Der Kontext ist derselbe: Das Volk Israel hat am Sinai die Offenbarung empfangen und bricht nun auf — mit der Stiftshütte und unter Gottes Leitung –, das Gelobte Land einzunehmen, Stamm für Stamm, und ihre Führer werden einzeln aufgerufen. Was ich seinerzeit geschrieben habe, kann ich heute nicht besser sagen, bitte werfen Sie einen Blick auf diese Betrachtung: 

Der Herr ist Gott in der Bewegung…!

Der große Aufbruch führt zunächst ins Nichts: Viele Jahrzehnte lang ziehen die Israeliten in der Negev umher und reifen in dieser Zeit zum Volk. Erst die Nachkommen gelangen ins verheissene Land. Dann aber sind es in der Tat die Gaditer, die als erste ihr Land einnehmen, einen fruchtbaren Streifen östlich des Jordan. Das Land liegt an der Grenze des israelitischen Siedlungsgebiet, und die Gaditer gelten als kriegerisch. 

Chagall hat den Stämmen Israels zwölf Fenster gewidmet, deren jedes einen der Stämme ins Bild setzt, sie sind zu sehen im Hadassah Medical Center in Ein Kerem, near Jerusalem. Hier ist das Fenster für Gad:

https://www.hadassah.org.il/en/gad/r

Es spricht vom Tod und dem Leben, das den Tod überdauert. 

Der Herr ist Gott in der Bewegung…!

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 27/2023

Da sprach er zu Abram: Das sollst du wissen, dass dein Same wird fremd sein in einem Lande, das nicht sein ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen vierhundert Jahr.
Gen 15,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die ganz lange Frist…!

Der Vers dieser Woche ist in gewisser Weise das Gegenstück zu dem der vergangenen Woche. Dort wurde das große Versprechen zurückgenommen — endgültig, wie es schien. Hier hingegen wird das Versprechen gegeben: Abraham soll Stammvater eines großen Volks sein, mit dem Heiligen Land als Heimstatt. Gott und Abraham schließen einen Bund, eine Art Schutz- und Lehensverhältnis. Besiegelt wird der Bund mit einem Opfer, das eindrucksvoll beschrieben wird. 

Es gibt jedoch ein großes „Aber“. Während des Opfers fällt Abraham in einen tiefen Schlaf und wird von Angstgesichten gepeinigt. Die Heimstatt gibt es für seine Nachkommen nicht gleich, so hört er, auch nicht in absehbarer Zeit, sondern erst nach vierhundert Jahren Frondienst in Ägypten, wo sie als heimatlose Fremdlinge leben werden. 

Vielleicht war diese Einschränkung in der ersten Fassung des Texts nicht enthalten, denn sie bricht die Geschlossenheit der Bundes- und Opferszene. Aber sie zeigt etwas Wichtiges. Abraham glaubt der Verheissung und richtet sein Leben danach aus — und er stört sich nicht daran, dass sie erst nach mehr als vierhundert Jahren eintrifft! Da ist mehr als Glaube im Spiel. Abraham hat ein anderes Zeitempfinden als wir.

Vierhundert Jahre Sklaverei, was für eine Verheissung ist das denn? Für uns wäre an dieser Stelle wohl Schluß gewesen. Wenn es die Welt, wie wir sie kennen, in vierhundert Jahren noch geben soll, müssten wir jetzt auf Urlaubsflüge, Benzinmotoren und Gasheizungen zu verzichten. Die Industrie müsste Vergleichbares tun, und die Waren, die wir kaufen vom Lohn unserer Arbeit, wären deutlich teurer. Eigentlich ist das unstrittig, aber dennoch: damit etwas geschieht, brauchen wir Tornados, Hitzewellen und Dürre JETZT. Sonst geht es leider nicht. Vierhundert Jahre sind ausserhalb unseres „scope“, wie es heute heisst. Selbst wenn es um die ganze Welt geht. 

Nicht für Abraham. Mit vollem Recht ist er daher Stammvater der Juden und der Araber und — im geistlichen Sinne — der Christen.

Und uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 26/2023

Es lagen in den Gassen auf der Erde Knaben und Alte; meine Jungfrauen und Jünglinge sind durchs Schwert gefallen. Du hast erwürgt am Tage deines Zorns; du hast ohne Barmherzigkeit geschlachtet.
Klgl 2,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Unbedingte Trauer

In dieser Woche beginnt die zweite Hälfte des Jahres, die Sommersonnenwende liegt hinter uns. Ich feiere meinen sechzigsten Geburtstag. Da wäre ein Vers schön, der hilft, mit einem guten Gefühl nach vorn zu blicken. 

Diesen Wunsch kann und will unser Bibelvers, das zweite Klagelied und das Buch der Klagelieder insgesamt nicht erfüllen. Reflexartig suchen wir in der Bibel nach der Frohen Botschaft — hier ist sie nicht. Das Buch besteht aus fünf psalmartige Gedichte, bei denen absolute Trauer im Vordergrund steht, im wesentlichen hoffnungslose Trauer.

Die fünf Lieder handeln von der Vernichtung Jerusalems durch die Babylonier. Das erste ist aus der Sicht eines repräsentativen Einwohners geschrieben. Im zweiten Lied erhebt die Stadt Jerusalem selbst ihre Stimme zu Klage und Anklage, wie ein Mensch. Die Bilder sind grausam — Mütter essen ihre eigenen Kinder, um nicht zu verhungern. Gott ist in diesem Lied zum Mörder und Feind seines Volks geworden und wird ausdrücklich so bezeichnet. Ganz wie das Hohelied singen die Klagelieder von Gott und seinem Volk — statt vom Vollzug einer mystischen Einheit aber geht es um ihr Ende, um finale Zerrüttung. Beachtlich, dass dieser Text im Kanon der Bibel seinen Platz gefunden und behalten hat. 

Alles hat seine Zeit — auch die Trauer hat ihre Zeit und der Trost. Das heisst auch, dass man beides nicht immer vermischen soll. Erst das fünfte Lied vollzieht den Perspektivwechsel. Es ist geschrieben aus der Sicht des Exils und kulminiert in einer Bitte, die im Judentum große Bedeutung hat:

Bringe uns, HErr, zu dir zurück, dass wir wieder heimkommen; erneuere unsere Tage wie von alters. (Klgl 5,21) 

Wer bittet, hat eine lebendige Beziehung und ist nicht hoffnungslos. Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche und eine zweite Jahreshälfte in Gottes Gnade,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2023

Sie aber sprachen: Geh hinweg! und sprachen auch: Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren? Wohlan, wir wollen dich übler plagen denn jene. Und sie drangen hart auf den Mann Lot. Und da sie hinzuliefen und wollten die Tür aufbrechen,…
Gen 19,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gut und Böse — und jenseits davon

… griffen die Männer hinaus und zogen Lot hinein zu sich ins Haus und schlossen die Tür zu. Und die Männer vor der Tür am Hause wurden mit Blindheit geschlagen, klein und groß, bis sie müde wurden und die Tür nicht finden konnten.

So geht der angefangene Satz zu Ende. Die Lage ist hochdramatisch. Zwei Engel Gottes kommen nach Sodom, um zu schauen, ob es nicht doch Gerechte gibt in der Stadt, die der Herr zu vernichten gedenkt. Lot, der Neffe Abrahams, lädt die Engel in sein Haus — ohne zu wissen, wen er da beherbergt –, und ALLE Einwohner Sodoms, ohne Ausnahme, kommen, und umringen das Haus. Sie verlangen von Lot die Herausgabe der beiden Gäste, um sie sexuell mißbrauchen zu können. Das verstößt gleichzeitig gegen das Gastrecht und gegen sexuellen Normen zu Homosexualität und Vergewaltigung und verletzt obendrein die Heiligkeit der Boten Gottes. Die Wahrheit, die abgrundtief böse Haltung der Bewohner, liegt glasklar offen. Die Engel brauchen nicht weiter nach Gerechten zu suchen. Sie können zur Tat schreiten: die Rettung Lots und seiner Familie und die Vernichtung der Stadt. 

Ich habe zu den Versen dieses Abschnittes bei früherer Gelegenheit schon geschrieben, siehe den BdW 05/2021. Die Betrachtung zum strafenden Gott brauche ich nicht zu wiederholen. Mir fällt indes auf, das zwar der Angriff der Sodomiten auf die Engel und Lot die Frage nach der Gerechtigkeit der Stadtbewohner eindeutig und letztgültig klärt, was aber Lot betrifft, gilt das nicht. Die Gäste stehen unter Lots Schutz. Die Forderung der Sodomiten ist ihm vollkommen unerträglich, und er bietet den Anwohnern seine beiden Töchter statt der Gäste zur Massenvergewaltigung an. Hier der Text, der unserem Bibelvers unmittelbar vorangeht:

Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben unter euch und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen. (Gen 19,6-8)

Mit diesem erstaunlichen Angebot verletzt er seinerseits Schutzpflichten, die noch höher stehen als das Gastrecht. Warum tut er das? Will er recht behalten? 

Lot und seine Töchter werden gerettet. Die Töchter aber haben das Angebot des Vaters nicht vergessen. Sie setzen ihn unter Alkohol und in aufeinanderfolgenden Nächten schänden die beiden Frauen ihren Vater abwechselnd, systematisch und planvoll. Daraus entstehen Lot und seinen Töchtern gar männliche Nachkommen, die Stammväter der verhassten Moabiter und Ammoniter. 

Sie sind nicht glasklar „gut“, Lot und seine Familie, alles andere als das. Sie sind ambivalent, wie wirkliche Menschen, und am Ende sind sie moralisch erledigt. Beim Lesen ist man froh, die Szene verlassen zu dürfen. Und doch werden sie gerettet. Hierin liegt vielleicht, im Schmutze hell glänzend, ein Stück Frohe Botschaft?

Es ist kaum zu fassen. Gestern suchte ich in einem alten Notizbuch nach einer Adresse, und fand dabei die Skizze für ein Gedicht über Lot, das ich völlig vergessen hatte. Ich habe nur noch ein wenig daran gefeilt, hier also ist die Erstveröffentlichung:

Lot

Ganz unten:
Verloren sind Herden und Reichtum, 
Verloren sind Heimat und Frau.
Volltrunken im Erbrochnen, auf der Höhle Boden,
von den Töchtern furchtbar mißbraucht!

Doch auch: 
Vater von Völkern,
Vater von Israels König,
Vater des Königs der Welt -- 
Doch auch!

Ulf von Kalckreuth, 16. Juni 2023

Wieder diese Ambivalenz, auch bei der Rettung. So wie Lot möchte man nicht allzu oft gerettet werden. Aber aus dem Schmutz geht er in den Heilsplan ein. Wieviel von ihm steckt in jedem von uns?

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 24/2023

Wenn dann die Fußsohlen der Priester, die des HErrn Lade, des Herrschers über alle Welt, tragen, in des Jordans Wasser sich lassen, so wird das Wasser, das von oben herabfließt im Jordan, abreißen, dass es auf einem Haufen stehen bleibt.
Jos 3,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zeichen und Wunder

Vor einiger Zeit hatten wir mit BdW 06/2018 einen Vers in der unmittelbaren Nachbarschaft, dessen Betrachtung ich jetzt ein wenig fortspinnen kann.

Josua ist neuer Führer der Israeliten und bekommt von Gott Autorität geschenkt — beim Einzug der Kinder Israel ins Heilige Land wiederholt sich für ihn im Kleinen das Wunder, das unter Mose im Großen den Auszug, die Flucht aus Ägypten, ermöglicht hat. Wie damals im Schilfmeer teilen sich nun die Wasser des Jordan: oberhalb staut sich das Wasser auf wie durch eine unsichtbare Mauer, so dass Priester und Kämpfer den Fluß trockenen Fußes durchschreiten können. 

Die Kinder Israel durchschreiten trockenen Fußes den Jordan.
Ulf von Kalckreuth mit Dall-E, 6. Juni 2023

Es ist dies „nur“ eine Erinnerung, ein Zeichen — die Durchquerung des Jordan wäre auch ohne dies möglich gewesen. Später aber schenkt Gott dem Josua ein eigenes Wunder: auf sein Gebet hin bleiben Sonne und Mond fast einen Tag lang stehen und ermöglichen den Israeliten die Fortführung einer günstig verlaufenden Schlacht, siehe Jos 10,13-15. Auch dieses Wunder erhält ein fernes Echo. Auf Hiskias flehendes Gebet hin gibt Gott dem Todkranken fünfzehn weitere Jahre Lebenszeit, und um die Heilung zu bestätigen, lässt er die Sonnenuhr rückwärts gehen, siehe 2 Kö 20,8ff und BdW 09/2019. Auch hier hat die Wiederholung Zeichencharakter: die Heilung Hiskias selbst hat mit dem Wunder nichts zu tun. 

Da ist eine Art Handschrift, eine Semantik. Die Wunder setzen den klassisch physikalischen Gang der Dinge einfach aus. Eine Wassersäule steht, und statt mit der Schwerkraft zu fallen und im Fallen sich auszubreiten, bleibt sie einfach weiter stehen. Und Himmelskörper — scheinbar der Mond und die Sonne, in Wahrheit aber die Erde selbst — halten in ihrer Rotation inne. Eine äußere Kraft, die das Drehmoment der Erde in kurzer Zeit überwindet, und anschließend wieder herstellt, müsste die Erdoberfläche zerstören und alles Leben unmöglich machen. 

Es wird gesagt, dass Gott durch die Naturgesetze spricht — hier spricht er durch ihre Aufhebung, in denkbar machtvoller Weise. 

Aber noch ein Zeichen gibt Gott am Jordan, vielleicht an derselben Stelle, aber über tausend Jahre später. Es kommt ohne Eingriff in die Naturgesetze aus. Gott spricht selbst, in direkter Rede. In allen Evangelien wird berichtet, wie Jesus sich von Johannes taufen lässt: 

Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald heraus aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe (Mt 3,13f). 

Gott bestätigt Jesus in der Öffentlichkeit, wie er Josua bestätigt hat, ebenso eindrucksvoll, aber es geschieht mit einer ganz anderen Semantik. Warum? Ich weiss es nicht. 

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

P.S. Gestern konnte ich für ein paar Stunden den Kirchentag in Nürnberg besuchen — und als ich die Kirchentags-App öffnete, um sehen, was ich mit dieser Zeit anfangen kann, fand sich auf meinem Bildschirm meines Handys plötzlich eine jüdisch-christliche Diskussion zu 2. Kö 20, der Geschichte von Hiskias Heilung und der Sonnenuhr, die rückwärts läuft. Darüber hatte ich doch gerade erst geschrieben! Natürlich ging ich hin. Ein klitzekleines Zeichen vielleicht für mich…

Bibelvers der Woche 23/2023

So habe ich nun dies Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name daselbst sein soll ewiglich und meine Augen und mein Herz soll da sein allewege.
2 Chr 7,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wo wohnt Gott? 

Der Tempelberg inJerusalem ist drei Religionen heilig, Juden, Christen, und Muslimen, und jedes Jahr zieht er Millionen von Besuchern an. Den zwischen die Steine der Klagemauer geschobenen Gebetszetteln wird besondere Kraft nachgesagt. Die Mauer ist der Ort, wo man der vermuteten Ort des Allerheiligsten so nahe wie möglich kommen kann, ohne die Plattform selbst zu betreten. Dem Ort, an dem Gott zu wohnen versprach!

Nach seinem Bau war der Tempel der einzige Ort, an dem Gott Opfer gebracht werden durften — alternative Opferstätten, die es nach wie vor gab, wurden diskreditiert und kriminalisiert. Opfer war Gottesdienst. Opfer war die wichtigste Form der Kommunikation zwischen Gott und Mensch, und wenn der Tempel in Jerusalem die einzig legitime Opferstätte war, dann war dieser Tempel unglaublich wichtig. Und Gott hatte zugesagt, im Tempel zu WOHNEN. Anders als andere Gottheiten der Zeit war der Gott Israels vorher ortlos — er war dort, wo er angebetet wurde, wo er den Seinen erschien, er zog mit den Israeliten durch die Wüste. Mit David und Salomo hatte sich ein Königtum etabliert, mit einer festen Hauptstadt, und Gott bekam einen Ort zugewiesen, siehe den BdW 29/2019. Gott war nun festgelegt: er hatte ein Volk, dessen König er schützte, und einen Wohnort in dessen Hauptstadt. Ich hatte nie ein gutes Gefühl bei dieser Vorstellung. 

Das Versprechen Gottes, an seinem Wohnort zu bleiben, war aber von vornherein bedingt, siehe Vers 20, es galt nur solange das Volk seinen Teil des Bundesvertrags erfüllt. Der Tempel wurde mehrfach zerstört, zuletzt von den Römern, welche die Bevölkerung Jerusalems zerstreute und einen Wiederaufbau des Tempels verhinderten. 

So ist es heute noch. Keine israelische Regierung hat den Wiederaufbau gewagt. Der Tempel kann nur dort stehen, wo schon der alte war — der Bibelvers, den wir gezogen haben, sagt es: Gott hat sich einen konkreten Ort erwählt. Genau deshalb aber stehen auf dem Gelände des Tempels heute zwei wichtige  muslimische Heiligtümer. Es gibt noch ein anderes Problem: mit der Einweihung des Tempels würden sofort eine Unzahl Opfervorschriften der Torah wieder gelten. Ein gewaltiger Opferbetrieb müsste aufgenommen werden und das würde viele Juden in Israel und dem Ausland ihrer Religion entfremden, das Judentum vielleicht gar spalten. 

Lieber nicht.

Wo aber WOHNT Gott, wenn das alte Versprechen ausgesetzt ist und bleibt? Ist er ortlos wie ursprünglich, zieht er umher? Ist diese Frage überhaupt sinnvoll? Wenn Gott überall ist, ist es dann nicht so, als wäre er nirgends? 

Ich kenne nur die christlichen Vorstellungen näher. Aus dem Pfingstereignis heraus sagen Christen, dass Gott in der Gemeinde der Glaubenden wohnt. Auch Jesus selbst weist auf die Betenden: Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. (Mat 18,19f). Mystiker aller Religionen verorten Gott im Menschen selbst: Gott ist im Menschen, soweit der Mensch lernt, ihn in sich wahrzunehmen. 

Von George Berkeley, Bischof und Philosoph des 18. Jahrhunderts, stammt eine recht radikale philosophische Position: Den Dingen kommt Existenz nur insofern zu, wie sie wahrgenommen werden. Etwas, das nicht wahrgenommen wird oder nicht wahrgenommen werden kann, gibt es im eigentlichen Sinne nicht. Ein Stein auf der Rückseite des Mondes, der sich schwebend vom Boden entfernt und wieder niedersinkt, ist ebensogut wie einer, der sich nie bewegt hat. Man nennt diese Haltung subjektiven Idealismus, ebensogut könnte man sie radikalen Empirismus nennen. 

Wenn man Berkeley folgt, ist die Antwort auf die Frage recht einfach: Gott wohnt dort, wo wir ihm begegnen: im Gebet, im Studium der Schrift, in der Gemeinschaft der Glaubenden, in der Verzückung, der Meditation, aber auch auf dem Sterbebett, der Geburtsstation, in der Todesangst, vielleicht auch im religiösen Wahn, im Delirium — die Berichte von Gotteserfahrungen der Propheten im Alten Testament sind mit „normalen“ Welterfahrungen nicht vereinbar. 

Für die Begegnung aber müssen wir selbst uns bewegen. Gott lässt sich von denen finden, die ihn suchen, sagt die Schrift, und mein Pastor meinte kürzlich, dass wir Gotteserfahrungen selten auf der Couch machen…

So habe ich nun dies Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name daselbst sein soll ewiglich und meine Augen und mein Herz soll da sein allewege. 

Und wenn wir selbst dies Haus sein könnten? Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

P.S. Bischof Berkeley gehört nun zu denen, deren Name möglichst nicht genannt werden soll. Er stammt aus Irland, aber er besaß ein Gut in Rhode Island. Dort arbeiteten auch Sklaven. Das Trinity College in Dublin nimmt dies nun zum Anlass, seine Bibliothek nicht weiter nach Bischof Berkeley zu benennen. Wir werden sehen, wie die Stadt Berkeley und ihre weltberühmte Universität damit umgehen wollen. 

Bibelvers der Woche 22/2023

Und wenn ihr dem HErrn wollt ein Dankopfer tun, so sollt ihr es opfern, dass es ihm gefallen könne.
Lev 19,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Herzensanliegen

Der Abschnitt ist in meiner Bibel mit „Heiligung des Alltags“ überschreiben. Vor wenigen Monaten habe ich mit BdW 10/2023 eine Betrachtung dazu geschrieben, die einem Liebesbrief ähnelt. Es geht hier darum, wie man Gebote befolgen soll: einfach,geradlinig, ohne Hintergedanken, und der Text gipfelt unversehens in der Forderung, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. 

Der Vers spricht übers Opfer. Wir sollen so opfern, dass es uns „wohlgefällig“ macht. Eine erste Bedeutungsebene wird im anschließenden Vers angegeben. Nur zwei Tage lang soll vom Opferfleisch gegessen werden, was am dritten Tage übrig bleibt, soll man mit Feuer verbrennen. Isst man es doch, so macht es nicht wohlgefällig; wer davon isst, muß seine Schuld tragen. Ohne Kühlung hält Fleisch Im Nahen Osten eben nicht länger, auch die jüdischen Begräbnissitten spiegeln das. 

Wie macht uns ein Opfer wohlgefällig? Jesus hat es in Matth 6, 1-4 auf einen sehr einfachen Nenner gebracht: der Zweck des Opfers — Gott zu gefallen — soll im Vordergrund stehen, nicht das eigene Ansehen: 

Habt aber acht, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, auf dass dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.

Wenn es uns selbst dient, dann ist es kein Opfer., eigentlich klar. Vielleicht gilt das noch allgemeiner, über das Opfer hinaus: Was immer wir tun — einem Menschen helfen, ein Lied oder ein Gedicht schreiben — wenn es uns ein Herzensanliegen ist, sollen wir es um des ihm innewohnenden Sinns willen tun, nicht um uns damit größer zu machen. Sonst ist es kein Herzensanliegen, nicht wahr? Ein Mensch mit einem großen Herzen tut vieles um der Sache selbst willen.

„Befiel dem Herrn deine Werke, und sie werden gelingen“ (Spr 16,3) lautet mein Konfirmationsspruch. Wie schön kann ein Lied, ein Gedicht sein, wenn es nicht eigentlich nur seinen Verfasser preisen soll… Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, die uns wohlgefällig macht!
Ulf von Kalckreuth

Nachtrag, 28.05.2023:
In der Pfingstpredigt, die ich heute hörte, ging es darum, was Gott von uns will, wie unser Opfer aussehen soll. Was für ein Zufall! Paulus hat die Frage zu Ende gedacht. In Röm 12,1 sagt er, wir sollen unser ganzes Leben Gott als wohlgefälliges Opfer widmen:

Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Unser ganzes Leben sei lebendig, heilig und Gott wohlgefällig…! Als ‚vernünftiger Gottesdienst‘, im Gegensatz zu Tieropfern. Aber das können wir alleine nicht, dazu brauchen wir den Heiligen Geist.

Was für ein Vers. Vielleicht ziehe ich ihn mal. Und vielleicht habe ich das ja gerade getan…

Bibelvers der Woche 21/2023

Und Amasa hatte nicht acht auf das Schwert in der Hand Joabs; und er stach ihn damit in den Bauch, dass sein Eingeweide sich auf die Erde schüttete, und gab ihm keinen Stich mehr und er starb. Joab aber und sein Bruder Abisai jagten nach Seba, dem Sohn Bichris.
2 Sa 20,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ein heimtückischer Mord

Ein Bild. Amasa und Joab — Waffenbrüder eigentlich, und Vettern, und beide im Generalstab König Davids — begegnen sich auf der Jagd nach dem Aufrührer Seba. Joab nähert sich Amasa, um ihn freudig zu umarmen, fasst ihn dabei am Bart, wie es Sitte zu sein scheint, und sticht ihn dann heimtückisch in den Bauch, gänzlich unversehens sowohl für das Opfer wie auch für den Leser. 

Er gab ihm keinen Stich mehr — hinter diesen harmlos klingenden Worten steht, dass Joab dem mit herausquellenden Eingeweiden am Boden liegenden Amasa den Gnadenstoß verweigert und ihn langsam sterben lässt, über Stunden vielleicht.

Was ist hier geschehen? Amasa hatte sich in der Vergangenheit Absalom angeschlossen, in dessen Revolte gegen seinen Vater David, siehe dazu den BdW 05/2020. Damals führte Joab den Krieg für König David. Joab gewann schließlich die entscheidende Schlacht und tötete Absalom eigenhändig und höchst grausam mit drei Holzstäben, die er dem wehrlos an einem Baum hängenden Königssohn in den Leib rammte — gegen den ausdrücklichen Befehl des Königs. David entzieht daraufhin Joab das Kommando und überträgt es Amasa, dem General seines toten Sohns, um das Land zu befrieden.

Mit dem heimtückischen Mord an Amasa nutzt der degradierte Joab die erste sich bietende Gelegenheit, den Konkurrenten und Widersacher zu beseitigen. Einen ganz ähnlichen Mord hatte Joab schon viel früher begangen, an einem Feldhauptmann Sauls, der zu David übergelaufen war (2Sa 3,27). Nun ist Joab unbeschränkter Herr der Streitmacht des vereinten Israels. Dem alternden David graut es — er unternimmt nichts mehr gegen Joab, aber auf dem Sterbebett trägt er seinem Sohn Salomon auf, die Tat zu rächen (1Kö 2,5f). Der junge neue König vertut keine Zeit. Umstandslos lässt er Joab vor dem Altar des Herrn erstechen, zu dem jener flieht (1Kö 2,30ff). 

Zurück zum Bild. Amasa windet sich sterbend auf dem Boden. Was tun damit? Als ich begann, einen „Bibelvers der Woche“ zufällig zu ziehen, wusste ich, das ich dabei auf Dinge stoßen würde, über die man sonst nicht spricht. Wer würde solche Geschichten seinen Kindern vor dem Einschlafen vorlesen? Erbauung sucht man hier vergebens, dazu sind diese Berichte nicht geschrieben. Sie sind zu grausam, um nicht wahr zu sein — niemand würde die Entourage Davids in dieser Weise erfinden. 

Und Gott schweigt beharrlich. Vielleicht ist das ein Schlüssel? Vielleicht sollen wir hier sehen, was ist, aber nicht sein soll? Wahrheit ohne Gott?

Wenn es so ist, dann darf ich uns eine gesegnete Woche wünschen, in Frieden und mit Freude im Herzen, mit Ehrfurcht vor dem Leben, der Schöpfung des Höchsten, und vor Gott selbst.
Ulf von Kalckreuth