…(denn das Gesetz konnte nichts vollkommen machen); und wird eingeführt eine bessere Hoffnung, durch welche wir zu Gott nahen;…
Heb 7,19
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Worauf es ankommt…!
Der Hebräerbrief wendet sich an eine nicht namentlich bekannte Gemeinde von Judenchristen, die „in die Gesetzlichkeit“ zurückzufallen droht, so hätte man früher gesagt. Sie sucht ihr Heil nicht so sehr in Jesus Christus als vielmehr in der Torah. Der gleichfalls namentlich nicht bekannte Autor des Briefs will die Natur von Gottes Gnade durch Jesus Christus in der Terminologie und in den Kategorien jüdischen Glaubens darlegen, siehe z.B. den Bibelvers der Woche 29/2021.
Hier ist zum Verständnis der vollständige Satz (Vers 18+19) nach der Lutherbibel 1984:
Denn damit wird das frühere Gebot aufgehoben – weil es zu schwach und nutzlos war; denn das Gesetz konnte nichts zur Vollendung bringen –, und eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir uns zu Gott nahen.
Der Vers steht in einem Abschnitt, der begründet, dass Jesus ein Hohepriester neuen Typs ist — ein Priester von der Ordnung Melchisedeks. Er steht neben, oder besser: über dem aaronitischen Priestertum. Melchisedek ist eine geheimnisvolle Gestalt: Priester des Herrn lang bevor es hebräische Priester gab, empfängt er von Abraham (!) den Zehnten, siehe hierzu den Bibelvers der Woche 08/2019.
Unser Vers blickt darauf, was aus der Einsetzung eines übergeordneten Priestertums folgt. Der Autor sagt, es bedeute, dass auch das Gesetz nicht mehr gelte. Das Gesetz ist Weg zu Gott, und in dieser Funktion ist es aufgehoben durch die „gesetzlose“ Hoffnung, die uns Jesus Christus gibt.
Juristisch steht das auf schwachem Boden, finde ich — warum sollte das Gesetz nicht mehr gelten, wenn es einen neuen Richter gibt? Aber der Vers wirft ein Schlaglicht darauf, worum es dem Verfasser des Briefs recht eigentlich geht. Kämpft Euch nicht ab, sagt er, verliert euch nicht, geht nicht zugrunde im Gestrüpp unzähliger und detaillierter Auslegungen des mosaischen Gebots. Richtet Euren Blick darauf, worauf es ankommt: Der Vater hat uns in Jesus Christus die Hand gereicht — durch den Vorhang hindurch, der unsere Welt und das Reich Gottes trennt, Vergängliches und Ewiges, das Heilige und den Sand. Wenn wir diese Hand verlieren, verlieren wir alles.
Die Frage nach dem Gesetz hat das Christentum und die Theologen durch die Geschichte begleitet. Das Gesetz ist da, was tun wir damit? Jesus sagt, er wolle kein Jota daran ändern. Wir aber haben von Teilen dieses Gesetzes Abstand genommen, von anderen nicht. Die Katholiken haben einen ernsthaften Versuch untergenommen, hier Ordnung zu schaffen und eine neue Dogmatik errichtet. Das ist wertvoll, aber es hat sie dem Vorwurf ausgesetzt, in die Gesetzlichkeit zurückzufallen — und tut es noch.
Die Torah steht für bedingungslose Klarheit. Sie besteht geradezu auf Eindeutigkeit — vor dem Blick des Herrn teilen sich die Dinge und offenbaren ihr Wesen. Binär, sozusagen. Unsere Welt aber kann beharrlich mehrdeutig und multivalent sein. Leser dieses Blogs erinnern sich vielleicht an meine etwas hilflose Auseinandersetzung mit einem Freund über das Gebot, Götzendiener zu steinigen, siehe den Kommentarteil zum Bibelvers der Woche 03/2024. Ein anderer Freund unterzieht sich einer Geschlechtsumwandlung. Dies ist sein Weg. Hilft das Gesetz? Wem? Wann?
Die Erinnerung des Hebräerbriefs an dasjenige, worauf es in Wahrheit ankommt, kann Antwort sein und Leitschnur. Gerade weil es juristisch so schwach ist. Es steht nämlich über dem Gesetz.
Der Herr behüte uns in dieser Woche und er leite unser Handeln. So oder auch anders.
Ulf von Kalckreuth