Darum ging ihm auch das Volk entgegen, da sie hörten, er hätte solches Zeichen getan.
Joh 12,18
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Wieder ein Vers zum Einzug Jesu in Jerusalem: dem Höhepunkt seiner Wirkung im jüdischen Land — im Sinne von Erfolg und Popularität –, ein paar Tage vor seiner Hinrichtung. Wie ein König zieht er ein: die Menschen begrüßen ihn und schreien ihm Worte aus dem messianischen Psalm 118 entgegen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel.“ Der gezogene Vers nennt uns den Grund für Jesu gewaltige Popularität, die den Mächtigen Angst machte: seine Kraft als Wunderheiler, kurz zuvor erst spektakulär bezeugt bei der Auferweckung des Lazarus von den Toten.
Ich sehe den Vers und seine Szene vor dem Hintergrund des ersten Abschnitts des Johannesbuchs, Joh 1,11f:
(Das Licht) war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht. Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Als Jesus in Jerusalem einzog, und in den Tagen danach, sollte sich das Schicksal seiner Mission entscheiden, was sein eigenes Volk betraf, jedenfalls. Er lebte in einer Umgebung, die an sich durchaus bereit war, die Transzendenz im Diesseits zu erblicken und die sehnlich die Transformation ihrer Welt in ein Reich Gottes erwartete. Viel mehr als heute vorstellbar. Als wen oder was hätten die Menschen Jesus erkennen können? Für Christen, nach 2000 Jahren Kirchengeschichte, wäre die kurze Antwort: als Verkörperung des Höchsten und als Messias. Aber seine Zeitgenossen hätten nur den zweiten Teil dieser Antwort überhaupt verstanden, und zoomt man heran, sieht man, dass ihnen das Erkennen auch hier nicht leichtfallen konnte.
Der Messias war eine Herrschergestalt, Überhöhung und Wiederkunft König Davids. So aber ist Jesus nicht aufgetreten. Und es gab weitere Identifikationsangebote: den Gottesknecht, der für Gott und sein Volk leiden würde (Jesaja), den großen Propheten, der wie Moses Mittler zu Gott sein würde (5. Moses) und Elia, dessen Wiederkunft den Messias ankündigen würde (Malachia). Heute sehen Christen Elia in Johannes und setzen im übrigen Messias, Gottesknecht und den großen, von Mose versprochenen Mittler in eins. Im Jahr 33 nach Christi Geburt waren dies verschiedene Personae.
Haben sie denn nichts erkannt? Der Einzug nach Jerusalem wird von allen vier Evangelisten sehr ähnlich beschrieben. Aber nur bei Johannes, im gezogenen Vers, findet sich ein Hinweis darauf, was dabei die Wahrnehmung der Zeitgenossen dominierte: Jesu Kräfte als Heiler. So sahen ihn die Menschen vor allem anderen: als von Gott begabter und begnadeter Lehrer und Wunderheiler.
Uns fällt das nicht als erstes ein. Und auch nicht als zweites oder drittes. So aber ist der lebende Jesus tatsächlich aufgetreten, als Heiler, alle vier Evangelien atmen das. Und wir sollten ihn darin ernst nehmen. Auch wenn das nach Johannes für ein Erkennen nicht reicht: Wir brauchen einen Heiler! Vielleicht mehr als alles andere.
Gott schütze uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth