Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Ehre.
Ps 97,6
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Gottes Gegenwart — öffentlich!
Ein König bündelt die Kräfte seines Volkes und schafft dadurch Macht. Unkoordiniert ist auch ein großes Volk machtlos. Es gehört zu den Grundaufgaben eines Königs, seine Macht — die Macht seines Volks — zu zeigen. Auch ein persönlich bescheidener Monarch ohne Profilneurose wird dies tun. Die Botschaft richtet sich nach aussen und nach innen: andere Machthaber sollen sehen, dass ein Übergriff nicht folgenlos bliebe, dem eigenen Volk und seinen Teilen wird gezeigt, dass es ‚drinnen‘ sicherer als ‚draussen‘, dass der Schritt nach ‚draussen‘ keine gute Idee wäre.
Die Israeliten hatten einen König, bevor sie anfingen, sich einen König zu suchen — Gott den Herrn. Er galt ihnen als Heerführer und Quelle von Kraft und Macht. Der Gott, der es liebt, im Dunklen zu leben, wie es Salomo sagt, der unsichtbare Gott, dem man kein Bild machen darf, zeigt sich nicht direkt. Der Psalm, aus dem wir gezogen haben, stellt daher die Präsenz, die Demonstration der Macht, im Gebet her. Die Verse 1-6 lauten in der Übersetzung von 1984:
Der HErr ist König, des freue sich das Erdreich,
und seien fröhlich die Inseln, so viele ihrer sind.
Wolken und Dunkel sind um ihn her,
Gerechtigkeit und Recht sind seines Thrones Stütze.
Feuer geht vor ihm her
und verzehrt ringsum seine Feinde.
Seine Blitze erleuchten den Erdkreis.
Das Erdreich sieht es und erschrickt.
Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem Herrn,
vor dem Herrscher der ganzen Erde.
Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit,
und seine Herrlichkeit sehen alle Völker.
Je öfter ich die Zeilen lese, um so eigenartiger und aufschlußreicher werden sie mir. Der Psalm ist sehr alt, er kommt aus einer Zeit, in der die Existenz anderer Götter keineswegs geleugnet wurde (siehe die Verse 7b und 9), nur ihre Anbetung war verboten. Die Demonstration der Macht in den Versen erleben wir als archaisch. So ähnlich lässt Putin seine Atomraketen durch Moskau fahren. Wir haben heute ein anderes, differenziertes Gottesbild, nicht wahr? Gottes Gegenwart ist für uns eine höchst private Angelegenheit, keine öffentliche. Unser Gott mischt sich nicht ein, oder höchstens, wenn wir es wollen, auf unser Bitten hin, ansonsten lässt er uns in Ruhe, überlässt uns seine Schöpfung zum Gebrauch… Wir zahlen für unsere Kirche wie für eine Versicherung, im Schadensfall haben wir einen direkten Draht, aber wir erwarten nicht, dass der Versicherer uns anruft mitten in der Nacht.
Hier ist Gott! Berge zerschmelzen wie Wachs. Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit und alle Völker sehen seine Ehre. Sichtbar für jedermann, auch für Menschen fern von Gott, entfaltet sich seine Macht als massive Tatsache, unumstößlich ist sie mit feurigen Buchstaben in den Himmel geschrieben.
Würden Sie Gott gern so sehen? Am Ende der kommenden Woche zum Beispiel? Was mich betrifft, ich bin mir nicht sicher. Was würde aus der Arbeit, der Ehe, dem Haus, den Kindern, wenn Gottes Gegenwart sich plötzlich so zwischen uns und die Welt schöbe? Das Gleichnis vom reichen Jüngling fällt mir ein. Sind es am Ende wir selbst, die es lieben, Gott im Dunklen zu wissen? Aber wäre es nicht ungeheuer wohltuend, die Wahrheit zu sehen, licht wie der Tag? Es hängt vom eigenen Standpunkt ab. Für den Psalmisten ist die Antwort klar. Der Vers erinnert an die Offenbarung am Sinai, aber gleichzeitig ist er Wunsch und Erwartung.
Der „Bibelvers der Woche“ ist am 16. Juni vier Jahre alt geworden. Der erste Vers, für die Woche 24/2017, war von Jeremia. Wir können sehen, wie sehr der Prophet in Zeiten großer Not darunter leidet, dass Gott nicht sichtbar eingreift:
Warum stellst du dich wie ein Held, der verzagt ist, und wie ein Riese, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, HErr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!
Jer 14,9
Jeremia bleibt dem Herrn treu und baut auf seine Hilfe, obwohl sie nicht sichtbar wird. Das ist ungeheuer erwachsen und liegt gleichzeitig hart am Rand der Realitätsverweigerung. Das trägt bis heute, als Modell für Glauben. Zweifellos aber wäre Jeremia überfroh gewesen, den Herrn aus seinem Dunkel hervortreten zu sehen, obwohl er selbst sehr gut wusste, dass dies eine schreckliche Erfahrung sein kann. Die Ambivalenz dieser Erfahrung war uns in der vergangenen Woche bereits begegnet. Vielleicht bekommen wir am Ende das, was wir wollen. Noch einmal: wie fühlt sich das für Sie an?
Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Ehre.
Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth