Bibelvers der Woche 33/2023

Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
Gen 32,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Abgrund

Eine dunkle Geschichte. Man könnte ein Buch dazu schreiben… Jakob kämpft mit Gott. Und behält die Oberhand. Wie kann das sein, wie kann er es überleben, wenn schon der Anblick Gottes tötet?

Für Jakob soll sich alles entscheiden. Sein ganzes Leben hat er gekämpft. — mit Esau um die Anerkennung des Vaters, mit Laban, seinem Onkel und Schwiegervater, um Herden, um Kinder, um Anerkennung. Was er gewonnen hat, will er nach Hause bringen, die Herden, die beiden Frauen und ihre Mägde, Mütter seiner Kinder, und die Söhne, aus denen ein Volk werden soll. Und nun steht ihm die Begegnung mit dem Bruder bevor. Der ist mächtig und kann gewalttätig sein, und Grund dazu hätte er allemal.

Jakob hat Angst. Er bleibt nachts allein am Fluß, dem Jabbok. Dort greift jemand ihn an, stumm und bestimmt. Wer? 

Die beiden Gegner sind verräterisch gleichwertig. Sie kämpfen viele Stunden, die ganze Nacht, ohne Entscheidung. Schließlich fügt Jakobs Gegner diesem eine schwere Verletzung zu, und gleichzeitig — gleichzeitig! — gewinnt Jakob die Oberhand. 

Der Angreifer trägt dämonische Züge. Er will fort, weil die Sonne aufgeht. Aber Jakob lässt ihn nicht gehen. Er verlangt zwei Dinge: den Namen seines Gegners und dessen Segen. Das Wissen um den Namen eines anderen verleiht Macht, und der Unbekannte lehnt ab. Die Forderung  nach dem Segen hingegen ist absurd, nach einem viele Stunden lang auf Leben und Tod geführten Kampf. Doch ja: der Fremde segnet Jakob. Und er gibt ihm einen neuen Namen: Israel — „der mit Gott kämpft“, so jedenfalls kann man diesen Namen lesen. Es wird der Name eines Volks.

Hier wird die Bibel deutlich: Der geheimnisvolle Gegner ist Gott oder ein Werkzeug Gottes. Mir will scheinen, dass Jakob ebenso auch mit sich selbst kämpft. Ein Widerspruch ist das nicht — wo wollen wir den mächtigen und unbekannten Gott finden, wenn nicht im Dunkel der Nacht in uns? 

Mich erinnert die Geschichte an den Kampf Ahabs mit dem weissen Wal in Melvilles ‚Moby Dick‘, dem „großen weissen Gott“, wie es an einer Stelle heißt. Ahab kämpft ebenso mit dem Abgrund in sich selbst wie mit der abgründigen Gottheit. Aber statt der gegenseitigen Vernichtung steht bei Jakobs Kampf am Jabbok am Ende ein Segen.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 13/2023

Und der HErr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Die Stimme seiner Worte hörtet ihr; aber keine Gestalt saht ihr außer der Stimme.
Dtn 4,12

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Welt als Kippbild

Gott nimmt sich in dieser Welt auf eigenartige Weise zurück. Er tritt nicht als König auf, als Weltenherrscher, als ‚Big Brother‘. ChatGPT, obschon dem Wesen nach körperlos, ist greifbarer als der Schöpfer dieser Welt. Das Alte Testament kennt zwei Erklärungen. Die erste gibt es in Ex 33, als Mose bittet, Gott sehen zu dürfen. Gottes Präsenz ist zu groß, zu mächtig, um erträglich zu sein, ein Mensch kann Gott nicht sehen und leben, heisst es. Die zweite gibt es hier, im Text von Deut 4: Wenn Gott sich kenntlich machte, würden Menschen sich Bilder von ihm fertigen und diese anbeten: die Fasslichkeit würde die Beziehung von Gott und Mensch zerstören. Man kann beide Gedanken noch etwas verfolgen: Wenn Gott für jedermann sichtbar würde, es wäre dies das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ein Leben in eigener Verantwortung wäre nicht möglich.  

Unser Gott ist ein unsichtbarer Gott. Ob wir ihn annehmen oder nicht, ihn in unser Leben nehmen oder nicht, hat tatsächlich etwas mit freier Entscheidung zu tun. Die Welt ist wie eines dieser Vexierbilder, auf denen man alternativ eine junge oder eine alte Frau sehen kann, in denen sich eine Vase in zwei Gesichter verwandeln lässt, mit einem puren Willensakt. Dieselben Elemente des Bildes können auf mehrere Weisen zueinander in Beziehung gesetzt werden, die Interpretationen allerdings schließen einander aus. 

Eine Welt mit Gott ist fundamental verschieden von einer Welt ohne Gott, aber die Welt und Gott zwingen uns keine der beiden Interpretationen auf. Wir können wählen. Und wir wählen dabei auch und vor allem zwischen unterschiedlichen Lebenszusammenhängen für uns selbst.  Lassen Sie das Bild oben in Ihrem Kopf hin- und herkippen. So ändert sich unsere Welt, je nachdem, ob wir sie als Gottes Werk sehen oder nicht.

Rubins Vase, das bekannteste Kippbild
Face or vase, by Nevit Dilmen, 16.08.1011,
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Face_or_vase_7741.svg?uselang=de#filelinks

So ist das, was von Ihm in unsere Welt hineinspricht, nur sein Wort — ein Wort aus dem Feuer, ein körperloses Wort, eine Existenzform eigener Art. „Keine Gestalt saht ihr ausser der Stimme.“ Gottes Wort ist so heilig wie sein Name, wie er selbst. 

„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar…!“

Der Herr, unser unsichtbarer Gott, sei mit uns!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 24/2022

Ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe denn du von der Mutter geboren wurdest, und stellte dich zum Propheten unter die Völker.
Jer 1,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ein Auftrag

Wie manche andere Berichte zu Propheten des Alten Testaments beginnt das Buch Jeremia mit einer Berufung: Aussonderung zum Dienst Gottes. Es ist eine Art Urteil. Jeremia wird nie eine Frau und Kinder haben und immer eine prekäre Existenz leben, unter Beobachtung stehen, von denen bedroht sein, deren Position er gefährdet. Das ahnt er, und er versucht, der Berufung zu entgehen. Er sei zu jung, diese Bürde zu tragen, sagt er. 

Unser Vers baut allen Ausflüchten vor: Gott hat Jeremia auf diese Berufung hin geschaffen. Mit anderen Worten: Jeremia kann gar nicht ablehnen. Und der Herr gibt seinem Propheten eine Vision an die Hand, die ihm zeigt, dass es nie zu viel werde, dass Gott ihn immer vor dem Äußersten schützen werde.   

Jeremia führte ein hartes Leben, und nicht viele würden mit ihm tauschen wollen. Aber er kannte seine Berufung. Er verzweifelte manches Mal an seinem Auftrag, aber er musste sich nie fragen, ob er wohl eine Aufgabe in der Welt habe. Es gibt im Judentum die Vorstellung, dass alle Menschen einen Auftrag von Gott haben, und dass niemand stirbt, bevor er diesen seinen besonderen Auftrag erfüllt hat. Niemand kommt umhin, seine Aufgabe im Rahmen des Schöpfungsganzen zu verrichten. 

Das ist eine faszinierende Idee. Was wohl wäre dann mein Auftrag? Ich bin fast 59 Jahre alt und weiss es nicht genau…!

Der Unterschied zwischen Jeremia und allen anderen Menschen bestünde nur darin, dass Jeremia seinen Auftrag kannte. Er sollte als Sprachrohr Gottes wirken, das kann nicht unbewusst geschehen. Ich weiss nicht, wie verbreitet diese Vorstellung im Judentum ist. Ich habe sie bei meiner Hebräischlehrerin kennengelernt. Sie ist stimmig und konsequent — die Idee betont Gottes Allmacht und lässt auch alle Verantwortung bei ihm. Sie läuft damit quer zu unserer Vorstellung einer fast schrankenlosen Selbstbestimmung des Menschen, vor der Gott sich kleiner und kleiner machen muss. 

Ich wünsche uns für diese Woche, dass wir unseren Auftrag besser kennenlernen mögen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 17/2022

Ein Gebirge Gottes ist das Gebirge Basans; ein großes Gebirge ist das Gebirge Basans.
Ps 68,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ein Lied vom Sieg Gottes

Psalmen tragen ihre Wahrheit in sich, deshalb freue ich mich, wenn ich einen Psalmvers ziehe. Unten ist Psalm 68 in voller Länge wiedergegeben, aus der Lutherübersetzung 2017.

Baschan ist eine Bergregion im Nordosten des israelitischen Siedlungsgebiets. Bei der Landnahme wurde das Gebiet den Stämmen Ruben, Gad und Manasse zugeordnet. Noch unter Mose selbst besiegten die Stämme König Og, den sagenhaften Herrscher des Baschan, der als letzter der Riesen bezeichnet wird. Siehe hierzu den BdW 35/2021. Doch ging das Land den Israeliten wohl bald wieder verloren. 

Ein Berg Gottes ist der Baschan // har elohim har baschan

Das ist machtvoll, auf hebräisch fast mehr noch als auf deutsch. Der Baschan erscheint als von ehrfurchterregender Größe und dabei gänzlich Gott unterworfen. In Vers 23 wird er nochmals erwähnt. Er steht dort für die höchste Höhe, welcher der Meeresgrund als tiefste Tiefe gegenübergestellt wird. Aus beiden wird der Herr die Seinen erretten: „Aus Baschan will ich sie wieder holen, aus der Tiefe des Meeres will ich sie holen“.

Aber der Vers enthält ein Rätsel. Nirgendwo sonst wird der Baschan als Gottesberg erwähnt. Und im Folgevers werden alle hohen Berge etwas abschätzig („sehen scheel“) dem ‚Sitz‘ Gottes untergeordnet. Wenn dies der Zionsberg ist — warum wird der Baschan dann zuvor so eindrucksvoll als Berg Gottes eingeführt? Enthält der Vers die Erinnerung an ein altes Heiligtum?

Auch wenn ich den Vers selbst nicht ganz verstehe — der Psalm als Ganzer ist mir neu und schön. Er berichtet vom Sieg Gottes. Zunächst geschieht das mit Worten, die auch den Sieg eines großen orientalischen Herrschers feiern könnten. Dann weitet sich der Horizont immer mehr. Man kann sich vorstellen, dass der Psalm als Hymne Höhepunkt eines der großen Opferfeste war. Lassen Sie Sprache und Bilder auf sich wirken. Stellen Sie sich vor, wie er feierlich und mit zunehmender Intensität im gleissenden Licht der Sonne in den Höfen des Tempels gesungen wird, auf dem Zion oder auch dem Garizim, mit vielen Tausenden erhitzter Menschen, triumphierend. When the Saints go marching in! Der Psalm blickt zurück auf das, was Gott für sein Volk getan hat, und entwickelt daraus eine Vision für die Zukunft, des Volks und der ganzen Menschheit. 

Und einen besonderen Segen enthält der Psalm:

Gelobt sei der Herr täglich. 
       Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Sela. 
Wir haben einen Gott, der da hilft, 
       und den HERRN, einen Herrn, der vom Tode errettet.

So sei es für uns in dieser Woche!
Ulf von Kalckreuth

Psalm 68: Ein Psalmlied Davids, vorzusingen. 

Gott steht auf; so werden seine Feinde zerstreut, 
       und die ihn hassen, fliehen vor ihm. 
Wie Rauch verweht, so verwehen sie; 
       wie Wachs zerschmilzt vor dem Feuer, so kommen die Frevler um vor Gott. 
Die Gerechten aber freuen sich und sind fröhlich vor Gott 
       und freuen sich von Herzen. 
Singet Gott, lobsinget seinem Namen! Macht Bahn dem, der auf den Wolken einherfährt; 
       er heißt HERR. Freuet euch vor ihm! 
Ein Vater der Waisen und ein Helfer der Witwen 
       ist Gott in seiner heiligen Wohnung, 
ein Gott, der die Einsamen nach Hause bringt, der die Gefangenen herausführt, dass es ihnen wohlgehe; 
       aber die Abtrünnigen bleiben in dürrem Lande. 

Gott, als du vor deinem Volk herzogst, 
       als du einhergingst in der Wüste, – Sela – 
da bebte die Erde, und die Himmel troffen vor Gott – am Sinai –, 
       vor Gott, dem Gott Israels. 
Du gabst, Gott, Regen in Fülle, 
       und dein Erbe, das dürre war, erquicktest du, 
dass deine Tiere darin wohnen konnten. 
       Gott, du labst die Elenden in deiner Güte. 
Der Herr gibt ein Wort – 
       der Freudenbotinnen ist eine große Schar –: 
Die Könige der Heerscharen fliehen, sie fliehen, 
       und die Frauen teilen die Beute aus. 
Wollt ihr zwischen den Hürden lagern? Die Flügel der Tauben sind überzogen mit Silber, 
       und ihre Schwingen schimmern von Gold.  
Als der Allmächtige dort Könige zerstreute, 
       fiel Schnee auf dem Zalmon. 
Ein Berg Gottes ist Baschans Gebirge, 
       ein Gebirge, reich an Gipfeln, ist Baschans Gebirge. 
Was seht ihr scheel, ihr Berge, ihr Gipfel, auf den Berg, wo es Gott gefällt zu thronen? 
       Ja, dort bleibt der HERR immerdar. 
Gottes Wagen sind vieltausendmal tausend; 
       der Herr ist unter ihnen, der vom Sinai ist im Heiligtum. 
Du bist aufgefahren zur Höhe 
       und führtest Gefangne gefangen, 
du hast Gaben empfangen von Menschen – auch von Abtrünnigen –, 
       auf dass Gott der HERR daselbst wohne. 

Gelobt sei der Herr täglich. 
       Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Sela. 
Wir haben einen Gott, der da hilft, 
       und den HERRN, einen Herrn, der vom Tode errettet. 
Ja, Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern, 
       den Schädel derer, die da fortfahren in ihrer Sünde. 
Der Herr hat gesagt: Aus Baschan will ich sie wieder holen, 
       aus der Tiefe des Meeres will ich sie holen,
dass du deinen Fuß im Blut der Feinde badest 
       und deine Hunde es lecken. 

Man sieht, Gott, wie du einherziehst, 
       wie du, mein Gott und König, einherziehst im Heiligtum. 
Die Sänger gehen voran, danach die Spielleute 
       inmitten der Mädchen, die da Pauken schlagen. 
»Lobet Gott in den Versammlungen, 
       den HERRN, ihr vom Brunnen Israels.« 
Benjamin, der Jüngste, geht ihnen voran, dann die Fürsten Judas mit ihren Scharen, 
       die Fürsten Sebulons, die Fürsten Naftalis. 
Biete auf, Gott, deine Macht, 
       die Macht, Gott, die du an uns bewiesen hast 
von deinem Tempel her; um Jerusalems willen 
       werden dir Könige Geschenke bringen. 
Bedrohe das Tier im Schilf, 
       die Rotte der Stiere unter den Kälbern, den Völkern, 
die da zertreten um des Silbers willen. 
       Zerstreue die Völker, die gerne Krieg führen. 
Aus Ägypten werden Gesandte kommen; 
       Kusch wird seine Hände ausstrecken zu Gott. 

Ihr Königreiche auf Erden, singet Gott, 
       lobsinget dem Herrn! Sela. 
Er fährt einher durch die Himmel, 
       die von Anbeginn sind. 
Siehe, er lässt seine Stimme erschallen, 
       eine gewaltige Stimme. 
Gebt Gott die Macht! Seine Herrlichkeit ist über Israel 
       und seine Macht in den Wolken. 
Zu fürchten bist du, Gott, in deinem Heiligtum. Er ist Israels Gott. 
       Er wird dem Volk Macht und Kraft geben. Gelobt sei Gott!

Bibelvers der Woche 50/2021

Was gäbe mir Gott sonst als Teil von oben und was für ein Erbe der Allmächtige in der Höhe?
Hiob 31,2 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Einmal Nihilismus und zurück

Warum interessiert es Sie, warum interessierte es überhaupt jemanden, was der Wille Gottes ist?

Die grundlegende Antwort des Alten Testaments gibt Deut 28-30. Mose legt dem Volk und jedem Einzelnen Segen und Fluch vor: durch seinen Umgang mit dem Gesetz Gottes entscheidet jeder selbst, was davon ihm zuteil wird. Auf zwei Wegen kann dies geschehen. Während in der Torah Gottes Handeln Lohn und Strafe schafft, ist dies im Buch der Sprüche und vielen Psalmen der Charakter des Gesetzes selbst. Das Gesetz ist gut und dient dem Leben, und Verstöße bestragen sich selbst, sie schaffen ein Umfeld, in dem der zugrundegeht, der das Gesetz mißachtet, siehe BdW 50/2020.

Man nennt dies den „Tun-Ergehen-Zusammenhang„. Theologen benennen so den roten Faden, der sich durchs Alte Testament in allen seinen Teilen zieht und der auch für das Neue Testament große Bedeutung hat. Unser Umgang mit dem Gesetz bedingt unser Schicksal.  Wie man sich bettet, so liegt man.

Im Alten Testament bezieht sich die Entsprechung von Tun und Ergehen konkret auf das irdische Leben. An ein Jenseits war nicht gedacht. Wie dann aber umgehen damit, dass es auf der Welt oft so ganz und gar anders aussieht? Haben Sie sich das auch schon gefragt? 

In der Bibel ist die Diskussion darüber bemerkenswert offen. Das Buch Prediger leugnet schlicht die Entsprechung von Tun und Ergehen, aus ebenjener Empirie heraus. Im Buch Hiob steht der Zusammenhang im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, die in den Nihilismus führt und darüber hinaus. Hiob ist gerecht, er hat die Gesetze Gottes treu befolgt. Daran gibt es keinen Zweifel, wir wissen es a priori aus den Aussagen Gottes und Satans im Prolog. Gott aber nimmt ihm alles: Güter, Familie und Gesundheit — Hiob liegt schließlich als übel zugerichtetes Wrack da und muß sich gegen die Vorstellungen seiner Freunde verteidigen. Wenn es ihm so schlecht gehe, müsse es einen Grund dafür geben, sagen sie. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang lässt sich nämlich umdrehen: wem es schlecht geht, muß sich versündigt haben, er selbst oder vielleicht seine Vorfahren; sonst ginge es ihm besser.

Wir wissen, dass es nicht so ist, und Hiob weiss es auch. Unser Vers ist Teil eines Kapitels, in dem Hiob darlegt, wie umfassend er Gottes Gesetz befolgt hat — er gelangt dabei weit über den Buchstaben des Gesetzes hinaus zu einer Ethik der Barmherzigkeit. Und dabei bejaht und bestätigt er den Tun-Ergehens-Zusammenhang: er habe dies alles getan, ja gar nicht anders gekonnt, weil sonst sein Untergang sicher gewesen wäre, weil er sonst nichts von Gott hätte erwarten können. Seinen Augen hat er die lüsternen Blicke nach jungen Frauen verboten, „was gäbe mir Gott sonst als Teil von oben und was für ein Erbe der Allmächtige in der Höhe?“

Im Vers also ruft Hiob das Schlüsselargument der Freunde als Grundlage des eigenen Handelns auf! 

Die Perspektive der Freunde teilt er also. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang gilt — oder besser: er sollte gelten. Der Zusammenhang von Tun und Ergehen wird ihm zu einem Fundament für eine Anklage Gottes. Hiobs Gewissen ist rein. Wie ein Fürst wolle er sich dem Verkläger nahen. Dabei bleibt er Gott treu, denn Gott ist für ihn nicht nur Richter, sondern auch Anwalt und Erlöser. Hiob ruft Gott den Erlöser an, ihm bei Gott dem Richter Recht zu schaffen. Und sein Vertrauen in den Erlöser ist unerschöpflich: Aber ich weiss, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über den Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn schauen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder (Hiob 19, 25-27).

Das klingt christlich, Hiob sucht bei seinem Erlöser aber nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit. Die Vorstellung ist ihm fremd, dass der Mensch das Gesetz vielleicht gar nicht erfüllen könnte, anders als den Freunden übrigens. 

Die Anklage Hiobs und seine Rechtfertigung schockieren die Freunde, und sie brechen das Gespräch ab. Nach der Intervention Elihus (siehe BdW 12/2020) antwortet Gott selbst. Er redet aus dem Sturm und eine neue Perspektive entsteht. Gottes Handeln als Schöpfer und seine Sicht der Dinge sind so groß, die Zusammenhänge, aus denen er agiert, so unerforschlich, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang kein einklagbares Recht sein kann — der Mensch versteht schlicht nicht, was er da fordert. Was uns bleibt, ist Gott zu loben und zu preisen, seine Gesetze zu achten, und unser Schicksal aus seiner Hand zu nehmen, auch wenn wir sein Handeln nicht verstehen, und dies alles im Wissen, dass Gott selbst über seiner Gerechtigkeit steht. 

Gott verwirft Hiobs Anklage, aber er lobt seine Treue, und gibt ihm darin recht. Nicht in Hiobs Gerechtigkeit liegt der Schlüssel, sondern in seiner Bereitschaft, schließlich von ihr abzusehen. Am Ende wird Hiob in jeder Beziehung in den früheren Stand eingesetzt. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ — scheinbar gilt der Zusammenhang von Tun und Ergehen nun doch, der Leser aber ahnt, das dieses Ende willkürlich ist und die Geschichte einen anderen Ausgang hätte nehmen können. Was bleibt, ist der Imperativ, sich der Größe Gottes zu beugen und sie zu preisen, alles zu hoffen, aber nichts zu erwarten. Wir dürfen Gott nicht in die Kategorien des Rechts pressen, unseres eigenen nicht und auch nicht des göttlichen. Beide sind für uns gemacht, nicht für Ihn. 

Und die eingangs gestellte Frage? Wenn Gott tut, was er will — was ist dann der Unterschied zu einer Welt, in der es Gott gar nicht gibt? Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, wollen auch Sie das wissen.

Ich glaube, er liegt darin, dass Gott uns zugewandt ist. Wir haben einen persönlichen Gott, und wir können ihn erreichen — im Gebet, im Zuhören, im Reden auch mit anderen Menschen. Wie Hiob, ohne alles Recht. Was uns helfen kann, ist Gottes Liebe, und darin wieder hilft uns unsere eigene Liebe. Dies ist der Zusammenhang von Tun und Ergehen, den Jesus vertritt.

Einmal Nihilismus und zurück. Der Herr segne uns, in dieser Woche und immer,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2021

Wie teuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
Ps 36,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Unter dem Schatten der Flügel Gottes

Wie ein Geschenk ist dieser Vers. Aus Psalm 36 werden gern Sprüche für Konfirmation und Taufe gewählt: die Worte wirken aus sich selbst heraus. Da nehme ich mich gern zurück. Lesen Sie einfach (Ps 36,6-10): 

HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, 
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. 
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes 
und dein Recht wie die große Tiefe. 
HERR, du hilfst Menschen und Tieren. 
Wie köstlich ist deine Güte, Gott, 
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! 
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, 
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. 
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, 
und in deinem Lichte sehen wir das Licht. 

Vor vielen Jahren stand der Vers über der Trauerfeier für meine Großmutter.

Der Herr schenke uns den Schatten seiner Flügel,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2021

Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Ehre.
Ps 97,6 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Gottes Gegenwart — öffentlich!

Ein König bündelt die Kräfte seines Volkes und schafft dadurch Macht. Unkoordiniert ist auch ein großes Volk machtlos. Es gehört zu den Grundaufgaben eines Königs, seine Macht — die Macht seines Volks — zu zeigen. Auch ein persönlich bescheidener Monarch ohne Profilneurose wird dies tun. Die Botschaft richtet sich nach aussen und nach innen: andere Machthaber sollen sehen, dass ein Übergriff nicht folgenlos bliebe, dem eigenen Volk und seinen Teilen wird gezeigt, dass es ‚drinnen‘ sicherer als ‚draussen‘, dass der Schritt nach ‚draussen‘ keine gute Idee wäre. 

Die Israeliten hatten einen König, bevor sie anfingen, sich einen König suchten — Gott den Herrn. Er galt ihnen als Heerführer und Quelle von Kraft und Macht. Der Gott, der es liebt, im Dunklen zu leben, wie es Salomo sagt, der unsichtbare Gott, dem man kein Bild machen darf, zeigt sich nicht direkt. Der Psalm, aus dem wir gezogen haben, stellt daher die Präsenz, die Demonstration der Macht, im Gebet her. Die Verse 1-6 lauten in der Übersetzung von 2017: 

Der HErr ist König, des freue sich das Erdreich, 
und seien fröhlich die Inseln, so viele ihrer sind. 
Wolken und Dunkel sind um ihn her,
Gerechtigkeit und Recht sind seines Thrones Stütze.
Feuer geht vor ihm her und verzehrt ringsum seine Feinde.
Seine Blitze erleuchten den Erdkreis. Das Erdreich sieht es und erschrickt. 
Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem Herrn, vor dem Herrscher der ganzen Erde. 
Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Herrlichkeit.

Je öfter ich die Zeilen lese, um so eigenartiger und aufschlußreicher werden sie mir. Der Psalm ist sehr alt, er kommt aus einer Zeit, in der die Existenz anderer Götter keineswegs geleugnet wurde (siehe die Verse 7b und 9), nur ihre Anbetung war verboten. Die Demonstration der Macht in den Versen erleben wir als archaisch. So ähnlich lässt Putin seine Atomraketen durch Moskau fahren. Wir haben heute ein anderes, differenziertes Gottesbild, nicht wahr? Gottes Gegenwart ist für uns eine höchst private Angelegenheit, keine öffentliche. Unser Gott mischt sich nicht ein, oder höchstens, wenn wir es wollen, auf unser Bitten hin, ansonsten lässt er uns in Ruhe, überlässt uns seine Schöpfung zum Gebrauch… Wir zahlen für unsere Kirche wie für eine Versicherung, im Schadensfall haben wir einen direkten Draht, aber wir erwarten nicht, dass der Versicherer uns anruft mitten in der Nacht. 

Hier ist Gott! Berge zerschmelzen wie Wachs. Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit und alle Völker sehen seine Ehre. Sichtbar für jedermann, auch für Menschen fern von Gott, entfaltet sich seine Macht als massive Tatsache, unumstößlich ist sie mit feurigen Buchstaben in den Himmel geschrieben. 

Würden Sie Gott gern so sehen? Am Ende der kommenden Woche zum Beispiel? Was mich betrifft, ich bin mir nicht sicher. Was würde aus der Arbeit, der Ehe, dem Haus, den Kindern, wenn Gottes Gegenwart sich plötzlich so zwischen uns und die Welt schöbe? Das Gleichnis vom reichen Jüngling fällt mir ein. Sind es am Ende wir selbst, die es lieben, Gott im Dunklen zu wissen? Aber wäre es nicht ungeheuer wohltuend, die Wahrheit zu sehen, licht wie der Tag? Es hängt vom eigenen Standpunkt ab, für den Psalmisten ist die Antwort klar. Der Vers erinnert an die Offenbarung am Sinai, aber gleichzeitig ist er Wunsch und Erwartung.

Der „Bibelvers der Woche“ ist am 16. Juni vier Jahre alt geworden. Der erste Vers, für die Woche 24/2017, war  von Jeremia. Wir können sehen, wie sehr der Prophet in Zeiten großer Not darunter leidet, dass Gott nicht sichtbar eingreift:  

Warum stellst du dich wie ein Held, der verzagt ist, und wie ein Riese, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, HErr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!
Jer 14,9

Jeremia bleibt dem Herrn treu und baut auf seine Hilfe, obwohl sie nicht sichtbar wird. Das ist ungeheuer erwachsen und liegt gleichzeitig hart am Rand der Realitätsverweigerung. Das trägt bis heute, als Modell für Glauben. Zweifellos aber wäre Jeremia überfroh gewesen, den Herrn aus seinem Dunkel hervortreten zu sehen, obwohl er selbst sehr gut wusste, dass dies eine schreckliche Erfahrung sein kann. Die Ambivalenz dieser Erfahrung war uns in der vergangenen Woche bereits begegnet. Vielleicht bekommen wir am Ende das, was wir wollen. Noch einmal: wie fühlt sich das für Sie an?

Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit, und alle Völker sehen seine Ehre.

Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth