Bibelvers der Woche 23/2023

So habe ich nun dies Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name daselbst sein soll ewiglich und meine Augen und mein Herz soll da sein allewege.
2 Chr 7,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wo wohnt Gott? 

Der Tempelberg inJerusalem ist drei Religionen heilig, Juden, Christen, und Muslimen, und jedes Jahr zieht er Millionen von Besuchern an. Den zwischen die Steine der Klagemauer geschobenen Gebetszetteln wird besondere Kraft nachgesagt. Die Mauer ist der Ort, wo man der vermuteten Ort des Allerheiligsten so nahe wie möglich kommen kann, ohne die Plattform selbst zu betreten. Dem Ort, an dem Gott zu wohnen versprach!

Nach seinem Bau war der Tempel der einzige Ort, an dem Gott Opfer gebracht werden durften — alternative Opferstätten, die es nach wie vor gab, wurden diskreditiert und kriminalisiert. Opfer war Gottesdienst. Opfer war die wichtigste Form der Kommunikation zwischen Gott und Mensch, und wenn der Tempel in Jerusalem die einzig legitime Opferstätte war, dann war dieser Tempel unglaublich wichtig. Und Gott hatte zugesagt, im Tempel zu WOHNEN. Anders als andere Gottheiten der Zeit war der Gott Israels vorher ortlos — er war dort, wo er angebetet wurde, wo er den Seinen erschien, er zog mit den Israeliten durch die Wüste. Mit David und Salomo hatte sich ein Königtum etabliert, mit einer festen Hauptstadt, und Gott bekam einen Ort zugewiesen, siehe den BdW 29/2019. Gott war nun festgelegt: er hatte ein Volk, dessen König er schützte, und einen Wohnort in dessen Hauptstadt. Ich hatte nie ein gutes Gefühl bei dieser Vorstellung. 

Das Versprechen Gottes, an seinem Wohnort zu bleiben, war aber von vornherein bedingt, siehe Vers 20, es galt nur solange das Volk seinen Teil des Bundesvertrags erfüllt. Der Tempel wurde mehrfach zerstört, zuletzt von den Römern, welche die Bevölkerung Jerusalems zerstreute und einen Wiederaufbau des Tempels verhinderten. 

So ist es heute noch. Keine israelische Regierung hat den Wiederaufbau gewagt. Der Tempel kann nur dort stehen, wo schon der alte war — der Bibelvers, den wir gezogen haben, sagt es: Gott hat sich einen konkreten Ort erwählt. Genau deshalb aber stehen auf dem Gelände des Tempels heute zwei wichtige  muslimische Heiligtümer. Es gibt noch ein anderes Problem: mit der Einweihung des Tempels würden sofort eine Unzahl Opfervorschriften der Torah wieder gelten. Ein gewaltiger Opferbetrieb müsste aufgenommen werden und das würde viele Juden in Israel und dem Ausland ihrer Religion entfremden, das Judentum vielleicht gar spalten. 

Lieber nicht.

Wo aber WOHNT Gott, wenn das alte Versprechen ausgesetzt ist und bleibt? Ist er ortlos wie ursprünglich, zieht er umher? Ist diese Frage überhaupt sinnvoll? Wenn Gott überall ist, ist es dann nicht so, als wäre er nirgends? 

Ich kenne nur die christlichen Vorstellungen näher. Aus dem Pfingstereignis heraus sagen Christen, dass Gott in der Gemeinde der Glaubenden wohnt. Auch Jesus selbst weist auf die Betenden: Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. (Mat 18,19f). Mystiker aller Religionen verorten Gott im Menschen selbst: Gott ist im Menschen, soweit der Mensch lernt, ihn in sich wahrzunehmen. 

Von George Berkeley, Bischof und Philosoph des 18. Jahrhunderts, stammt eine recht radikale philosophische Position: Den Dingen kommt Existenz nur insofern zu, wie sie wahrgenommen werden. Etwas, das nicht wahrgenommen wird oder nicht wahrgenommen werden kann, gibt es im eigentlichen Sinne nicht. Ein Stein auf der Rückseite des Mondes, der sich schwebend vom Boden entfernt und wieder niedersinkt, ist ebensogut wie einer, der sich nie bewegt hat. Man nennt diese Haltung subjektiven Idealismus, ebensogut könnte man sie radikalen Empirismus nennen. 

Wenn man Berkeley folgt, ist die Antwort auf die Frage recht einfach: Gott wohnt dort, wo wir ihm begegnen: im Gebet, im Studium der Schrift, in der Gemeinschaft der Glaubenden, in der Verzückung, der Meditation, aber auch auf dem Sterbebett, der Geburtsstation, in der Todesangst, vielleicht auch im religiösen Wahn, im Delirium — die Berichte von Gotteserfahrungen der Propheten im Alten Testament sind mit „normalen“ Welterfahrungen nicht vereinbar. 

Für die Begegnung aber müssen wir selbst uns bewegen. Gott lässt sich von denen finden, die ihn suchen, sagt die Schrift, und mein Pastor meinte kürzlich, dass wir Gotteserfahrungen selten auf der Couch machen…

So habe ich nun dies Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name daselbst sein soll ewiglich und meine Augen und mein Herz soll da sein allewege. 

Und wenn wir selbst dies Haus sein könnten? Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

P.S. Bischof Berkeley gehört nun zu denen, deren Name möglichst nicht genannt werden soll. Er stammt aus Irland, aber er besaß ein Gut in Rhode Island. Dort arbeiteten auch Sklaven. Das Trinity College in Dublin nimmt dies nun zum Anlass, seine Bibliothek nicht weiter nach Bischof Berkeley zu benennen. Wir werden sehen, wie die Stadt Berkeley und ihre weltberühmte Universität damit umgehen wollen. 

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