Wo nicht der Gott meines Vaters, der Gott Abrahams und die Furcht Isaaks, auf meiner Seite gewesen wäre, du hättest mich leer lassen ziehen. Aber Gott hat mein Elend und meine Mühe angesehen und hat dich gestern gestraft.
Gen 31,42
Hier ist ein Link für den Kontext, zur Lutherbibel 2017
Schalom
Vom Ende der Bibel zurück an ihren Anfang. Vor nicht allzu langer Zeit, in Woche 11/2018, wurde ein Vers aus der gleichen Geschichte gezogen, und weil ich die Geschichte von Laban und Jakob liebe, bin ich seinerzeit im Kommentar weit nach vorn geeilt, bis hin zu der Stelle, aus der wir nun gezogen haben.
Jakob hatte vor seinem Onkel und Schwiegervater Laban fliehen müssen, mit seinen beiden Frauen, Rahel und Lea, den Töchtern Labans, seinen Knechten sowie einer riesigen Herde, die er sich in der Zeit seiner jahrelangen „Partnerschaft“ mit seinem Schwiegervater erworben hatte. Labans Kinder hatten nicht ohne Grund Betrug gewittert. Vor der Flucht hatte zudem Rahel den Hausgott ihres Vaters gestohlen. Laban hatte mit einer Schar Bewaffneter die Verfolgung aufgenommen und Jakob schließlich gestellt, sein Zelt nach dem Hausgott durchsucht und nichts gefunden. Und nun verhöhnt Jakob seinen Schwiegervater vor allen anderen: was jenem von seiner Hand geschehen ist, sei in Wirklichkeit nichts anderes als die gerechte Strafe Gottes!
Formal fügt sich der Vers vollständig in ein gut bekanntes Muster der jüdischen Bibel: die Feinde sind übermächtig und moralisch minderwertig, und nur der Schutz des Herrn macht das Überleben möglich, indem er die Feinde vernichtet. Viele Psalmen sprechen so. Aber hier geht es um etwas anderes. Was ist, wenn wir für unser Überleben auf den Feind angewiesen sind?
Der Vers steht unmittelbar vor der Stelle, an der die Handlung „kippt“. Filmisch könnte man die Stelle so inszenieren: Die beiden Patriarchen stehen einander in dem großen Zelt gegenüber, mit blitzenden Augen, beide im Burnus, der Ältere mit der Schar seiner Kämpfer im Rücken, der Jüngere vor seinen beiden Frauen, mit der rechten Hand in der Nähe des Dolchs auf seiner linken Seite, die Reaktion seines Gegenübers auf die gerade ausgesprochene Beleidigung erwartend. Auch die Knechte Jakobs sind anwesend. Alles geschieht öffentlich. Zeitlupe. Laban ist am Zug, er muss handeln. Eigentlich ist völlig klar, was nun folgt.
Und dann verkündet Laban den Frieden:
Laban antwortete und sprach zu Jakob: Die Töchter sind meine Töchter und die Kinder sind meine Kinder und die Herden sind meine Herden und alles, was du siehst, ist mein. Was kann ich heute für meine Töchter oder ihre Kinder tun, die sie geboren haben? So komm nun und lass uns einen Bund schließen, ich und du, der ein Zeuge sei zwischen mir und dir.
Im ersten Satz gewinnt er seine Souveränität zurück. Er stellt einfach den Kontext der Handlung um, geht weg vom dyadischen Antagonismus und macht sich zum Diener seiner Nachkommen, die auch zu Jakob gehören. Dann bietet er Jakob einen Bund an. Und im Unterschied zu den anderen Verträgen zwischen den beiden in der Vergangenheit, die alle durch böswillige Auslegung zerstört wurden, gibt es diesmal keine Hintergedanken. Der Bund ist eine Trennung. Die beiden Männer lösen ihre Umklammerung. Nicht gewaltsam, sondern der Zukunft und den Nachkommen zugewandt.
Dieser Moment macht Laban zu einem Heiligen, in meinen Augen. In der jüdischen Tradition hat Laban eine ausgesprochen „schlechte Presse“, wie ich von meiner Hebräischlehrerin weiß. In der Tat ist er ein Schlitzohr, mit allen Wassern gewaschen. Aber nun dieser Mut, mit dem er das feste Geleis der Handlung aufbricht und ihr ein neues gibt! Wieviel Enttäuschung und jahrelange Frustration, wieviel verinnerlichte und selbst geglaubte Rechtfertigung muss er in diesem einen Moment hinter sich lassen — einem Moment extremer Anspannung, in dem Gruppendruck und Adrenalin ihn blind machen sollte? Hierin mag man das göttliche Wunder erkennen, nicht in der „Strafe“, wie Jakob glaubt. Jakob wäre zu einer solchen Handlung nicht in der Lage gewesen. Er wird in diesem Augenblick ohne eigenes Verdienst gerettet, von seinem Schwiegervater und Feind.
Einmal Laban sein! Damit das Leben weitergeht.
Ich wünsche uns eine Woche voll Frieden.
Ulf von Kalckreuth
2 Antworten auf „Bibelvers der Woche 26/2018“