Denn die, so irrigen Geist haben, werden Verstand annehmen, und die Schwätzer werden sich lehren lassen.
Jes 29,24
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Unsere Kinder sehen
Lesen Sie den Vers zweimal und atmen Sie tief ein und wieder aus: Die, so irrigen Geist haben, werden Verstand annehmen und die Schwätzer werden sich lehren lassen!
Das Buch Jesaja speist sich aus mindestens drei verschiedenen Quellen und unterlag einem Redaktionsprozess, der sich über viele Jahrhunderte hinzog. Aber in allen seinen Teilen ist es gekennzeichnet durch einen Wechsel von Gericht, Untergang und Errettung — ein Wechsel, der manchmal so schnell geschnitten ist, dass eine Art Gleichzeitigkeit entsteht: die drei werden eins. Unser Abschnitt entstammt den ältesten und ursprünglichsten Teilen. Er richtet sich an Jerusalem, von Jesaja hier „Ariel“ genannt. Ariel bedeutet „Löwe Gottes“, ist also eigentlich ein Kampfname. Aber schnell zeigt sich, dass Jesaja üblen Spott im Sinn hat: Der Held ist hohl und leer und bar aller Kraft und wird am Ende wahrhaftig zu „Ariel“ — das Wort kann nämlich auch Opferschale bedeuten (V.2).
Aber auch hier: wenn die Ränke und Ausflüchte versagt haben, wenn die Lage militärisch unhaltbar geworden ist und gleichzeitig alle inneren Strukturen zerbrechen, wenn die trübe Wahrheit offenkundig ist — dann wird Gott retten. Und die Rettung gipfelt in unserem Bibelvers.
Spannend und ein wenig geheimnisvoll ist der unmittelbar vorangehende Vers: Geschehen wird dies alles, wenn wir — gemeinsam, als Volk Gottes — unsere Kinder betrachten, die Gott geschaffen hat als Werk seiner Hände, und wenn wir daraufhin seinen Namen heiligen und ihn fürchten.
Ich habe manchmal Angst, was aus unseren Kindern wird, welche Chancen sie haben, und wie wichtig Menschen überhaupt noch sind in einer Welt, die verzahnt ist durch KI und nicht mehr durch Beziehungen lebender Menschen. Die uralte Vision Jesajas ist überraschend und zutiefst hoffnungsvoll: Wir betrachten unsere Kinder, sehen sie, erkennen sie als großartige Schöpfung Gottes, wir loben Gott und die Welt wird neu, klar und hell, durch uns, aber mit seiner Kraft. Und das Geschwätz verstummt!
Es ist eine Frage der Perspektive. Was wir sehen hängt davon ab, wie wir sehen. Gern will ich meine beiden Kinder so betrachten, in der kommenden Woche und immer. Gottes Segen sei mit uns allen,
Ulf von Kalckreuth