Unsre Gebeine sind zerstreut bis zur Hölle, wie wenn einer das Land pflügt und zerwühlt.
Ps 141,7
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Bitte um Bewahrung
Das klingt nicht so gut: unsere Gebeine sind zerstreut bis zur Hölle… Liest man den Kontext, so versteht man nicht recht. Der Betende steht im Kampf mit seinen Feinden (siehe hierzu den BdW 2019 KW 26). Er wünscht, ihre Führer (hebräisch: Richter) mögen an einem Felsen zerschmettert werden, dann würde seine Stimme wieder lieblich klingen. Dann kommt unser Vers, gefolgt von einem Bekenntnis des Vertrauens und einer Bitte an Gott.
Wer ist mit „unsere“ gemeint? Der Rest des Psalms steht in der ich-Form. Und warum steht das Bild völliger Verheerung erst im Anschluss an die Vision von den zerschmetterten Bedrängern? Der Satz vorher ist auch nicht einfach. In der Einheitsübersetzung betet der Psalmist nicht gegen seine Bedränger, sondern für sie. Die Übersetzungen sind sich auch nicht einig, ob nun die Führer der Feinde auf die Felsen stürzen oder die Feinde in die harte Hand ihrer Richter. Zwei Übersetzungen (darunter die Einheitsübersetzung von 1980) habe ich gefunden, die den gezogenen Vers als direkte Rede der Feinde interpretieren, nachdem sie besiegt sind — dann liegen die Feinde verheert am Boden, nicht der Betende. Das ist mutig, aber immerhin stellt es einen klaren Bezug zu den übrigen Teilen her, nebenbei ist die 1. Person Plural erklärt. Der hebräische Urtext ließe das alles zu, soweit ich es beurteilen kann.
Ich muss mich entscheiden. Die neue Einheitsübersetzung von 2016 gibt uns:
Ja, immer noch bete ich für sie trotz ihrer Bosheit. Sind ihre Richter auf Felsen hinabgestürzt,/ dann werden die Frevler meine Worte hören, denn diese waren freundlich. Wie beim Aufhacken und Pflügen der Erde, so sind unsere Knochen hingestreut an den Rand der Totenwelt. Doch auf dich, GOTT und Herr, richten sich meine Augen, bei dir habe ich mich geborgen, gieße nicht aus mein Leben! (Ps 141, 5b-8)
Das scheint plausibel: die Szene mit den zerschmetterten Anführern der Feinde spielt in der Phantasie. Dann kehrt der Psalmist zur Wirklichkeit zurück. Da nun liegt er am Boden, nicht die Feinde. Desintegration, Auflösung erkennt der Psalmist an sich und seiner Persönlichkeit. Dafür hat er ein starkes Bild: die Teile seines Körpers sind nicht mehr sinnvoll aufeinander bezogen, sondern liegen verstreut, „wie wenn einer das Land pflügt und zerwühlt.“ Tod, eigentlich: das altjüdische sche‘ul, ist ein grauer Un-Ort, der für die Nicht-Existenz nach dem Leben steht — mit der flammenden, strafenden, von Teufeln regierten christlichen Hölle hat sie nichts zu tun
Mit Blick auf Gott aber wird Integration und Fokussierung wieder möglich: „Doch auf dich, GOTT und Herr, richten sich meine Augen“. Es blitzt dabei auf, dass das Gebet selbst Teil der Heilung ist. Das ist ein schöner Gedanke, der uns in dieser Woche begleiten kann!
Gott sei mit uns in dieser Woche und bewahre uns,
Ulf von Kalckreuth