Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre.
Gen 6,3
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Außerirdisch…!
Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein:
Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)
Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!
Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird.
Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt.
Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.
Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth
Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!
Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!
Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen.
Ulf von Kalckreuth