Bibelvers der Woche 38/2022

Er redete aber von dem Judas, Simons Sohn, Ischariot; der verriet ihn hernach, und war der Zwölfe einer.
Joh 6,71

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Fast allein

Jesus war streitbar — die Evangelien berichten, wie seine harten Formulierungen harte Gegenwehr erzeugen konnten, bis hin zu Gewalttätigkeit, und oft tat er nichts, dies zu vermeiden. 

Der Streit in Kapernaum, von dem hier die Rede ist, ist der erste, von dem Johannes berichtet. Und er kostete den Wanderprediger den größten Teil seiner Anhängerschaft, die durch das Wunder der Brotvermehrung gewaltig zugenommen hatte. 

Was war geschehen? Jesus sagt den Zuhörern, dass sie eins werden müssen mit ihm, dass sie nur so zum Vater kommen können. Ob dies gelingt, ob jemand diesen Weg findet, entscheidet der Vater. Jesus gebraucht für das Einssein mit Jesus ein krasses Bild, und es bleibt ausgesprochen unklar, ob es nur ein Bild ist oder mehr: Die Menschen, so sagt er, müssen sein — Jesu — Fleisch essen und sein Blut trinken, um zum ewigen Leben zu kommen. 

Da schießen explosiv Empfindlichkeiten hoch. Für Juden ist es eine grauenvolle Vorstellung. Menschenopfer sind abscheulich. Das Trinken von Blut ist absolut verboten, Fleischgenuß ist nur möglich, wenn dem Fleisch durch Schächten alles Blut entnommen wurde. Denn im Blut ist das Leben des Tieres, sagt Mose. Gemeint ist im Evangelium zunächst der Opfertod Jesu — das Opfer ist heilsnotwendig. Aber man kann Jesu Worte darüber hinaus auf das Heilige Abendmahl, die Eucharistie beziehen, und dann geht es um physisches Fleisch und physisches Blut. Auch unter Christen werden die Diskussionen hierzu sehr scharf, wenn sie nicht vermieden werden

Jesus vermeidet gar nichts und beharrt auf der Formulierung. Die Menschen wenden sich angeekelt ab. Nur die zwölf Schüler, die er sich selbst erwählt hatte, blieben. Er fragt, ob sie nicht auch gehen wollen, und Petrus antwortet für alle mit den Worten: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt,: Du bist der Heilige Gottes.

Ein anrührendes Bekenntnis. Jedem anderen hätte es an dieser Stelle die Stimme verschlagen. Aber Jesus antwortet: Habe ich nicht euch zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel.

Der gezogene Vers nun ist die Erklärung des Evangelisten: Jesus meint Judas Ischariot, der ihn später verraten würde. Johannes liefert diese Erklärung, weil die Antwort sehr schroff ist und ihr Sinn nicht offensichtlich — beweisen die Zwölf nicht gerade ihre Treue? Das ist doch wahrlich nicht dasselbe: herausgehobener Anhänger eines Stars zu sein, des angehenden Königs und Heilsbringers, oder zu den letzten Getreuen eines gemiedenen Aussenseiters zu zählen. Die zwölf bleiben bei ihrer Entscheidung für den Messias, den sie gefunden haben. 

Vielleicht meint Jesus wirklich Judas. Vielleicht aber bricht sich in ihm auch Enttäuschung Bahn. Die Zukunft, die vor ihm liegt, wird eben kein Siegeszug sein, keine erfolgreiche Bekehrung großer Massen, sondern ein leidensvoller und oft recht einsamer Weg. Das wird jetzt sehr deutlich.

Wie hätte ich mich entschieden? Wie die zwölf oder wie die vielen anderen? In Mat 7,14 spricht Jesus, dass der Weg zum Leben schmal sei und nur wenige ihn finden. Hat er das vor oder nach Kapernaum gesagt? Es ist die Gnade des Vaters, die zum Vater führt, so sagt er hier, in Joh. 6. 

Der Herr sei uns gnädig auch in der kommenden Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2021

…daß golden werde, was golden, silbern, was silbern sein soll, und zu allerlei Werk durch die Hand der Werkmeister. Und wer ist nun willig, seine Hand heute dem HErrn zu füllen?
1.Ch 29,5 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Gerne geben!

David wollte seinem Herrn einen Tempel bauen, ein Haus, wie er es nennt. Dieser Wunsch blieb ihm versagt — der Herr sagt David, dass er kein Haus brauche von ihm, dass vielmehr er, der Herr ihm, David, ein Haus bauen wolle (1. Chr. 17). Den Tempel Gottes solle Salomo bauen, sein Sohn. 

David aber bleibt seinem Projekt eng verhaftet. Man bekommt beinahe das Gefühl, dass für seinen Sohn nicht viel zu tun bleibt. In Kap 18 der Chronik wird berichtet, dass David die Beute seiner Kriegszüge dem Tempelbau widmet, hierzu siehe auch BdW 27/2021. Gott lässt ihn den Tempelplatz finden (Kap 22) — eine merkwürdige Geschichte, in der Gott David und das Volk straft wegen einer Volkszählung, um dann der Plage Einhalt zu gebieten. Dann (Kap 23) sucht David Bauleute und Steinmetze, und er verpflichtet die im Lande wohnhaften Ausländer zu Zwangsarbeit. Ausserdem lässt er Baumaterial heranschaffen. In den Kapiteln 24, 25 und 26 wird bestimmt, welche Familien welche Ämter im Tempel haben sollen, als Priester und Sänger, Torhüter, Schatzmeister, Amtleute und Richter. Feierlich überreicht David dann seinem Sohn die fertigen Pläne.

Noch etwas sehr wichtiges tut er: er sammelt das nötige Geld. Er selbst widmet dem Bau über den Ertrag der Kriegszüge hinaus eine große Summe — 3000 Zentner Gold und 7000 Zentner Silber. Aktuell kostet ein Kilo Feingold 50.000 Euro und ein Kilo Silber 670 Euro. David spendet also einen Gegenwert von heute 80 Millionen Euro. Und damit wirbt er — sehr modern — um die Unterstützung des Volks. Die Sippen sollen das fehlende Geld aufbringen, das ist unser Vers. Und sie tun es, gerne, freiwillig und großzügig, so wird berichtet: fünftausend Zentner Gold, zehntausend Gulden und zehntausend Zentner Silber, ausserdem viel Bronze, viel Eisen. 

Von einer ähnlichen Begebenheit berichtet Ex 35. Während der Wüstenwanderung sollte die prächtige Ausstattung der Stiftshütte finanziert werden, ein transportabler Tempel. Die Israeliten gaben so viel, dass Mose die Annahme weiterer Spenden ablehnen musste. Auch in Exodus wird berichtet, dass die Gabe freiwillig und freudig erfolgte. 

Es gibt noch einen weiteren Bezug zurück auf Exodus: David fragt, „wer ist bereit, heute seine Hand für den Herrn zu füllen?“ Dieser Ausdruck steht sonst für eine Handlung im Rahmen der Weihe eines Priesters: dem Novizen werden die Hände gefüllt, damit er vor dem Herrn ein Schwingopfer verrichten kann, siehe Ex 29. Ich verstehe, dass David mit seinen Worten der Spende eine besondere Heiligkeit zuspricht, die vielleicht auf den Geber zurückstrahlt.

Gerne sollen wir geben, und freudig, und die Gabe wird auf uns zurückstrahlen. Und noch etwas sagt uns der Vers, die Gabe macht, dass „golden werde, was golden, und silbern, was silbern sein soll“ — mit anderen Worten, sie kann dazu beitragen, dass die Welt heil wird, dass sie so wird, wie sie sein soll. Bei diesen Worten denke ich an meine Frau, sie würde es vielleicht ähnlich sagen…

Ich wünsche uns eine freudige Woche, und der Herr segne unsere Gaben,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 29/2021

…welchen er uns bereitet hat zum neuen und lebendigen Wege durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch,…
Heb 10,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Durch den Vorhang

Ein Vers voll konzentrierter Theologie, Teil eines gedrängten Satzes, der seinerseits die voranstehende Abhandlung zusammenfasst. Hier ist der ganze Satz, Heb 10, 19-22 in der Lutherbibel 2017:

Weil wir denn nun, Brüder und Schwestern, durch das Blut Jesu den Freimut haben zum Eingang in das Heiligtum, den er uns eröffnet hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch sein Fleisch, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in der Fülle des Glaubens, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.

Ich kann versuchen, das mit meinen Worten wiederzugeben. Es geht um den Zugang zu Gottes Gegenwart. Verse dazu hatten wir in den vergangenen Wochen 24, 25 und 26 bereits. Das Allerheiligste war die „Wohnung Gottes“ im Stiftszelt auf der Wüstenwanderung und später im Tempel. Niemand erträgt die volle Gegenwart Gottes, ohne zu sterben, siehe BdW 24/2021. Gott wohnt daher in der Dunkelheit. Zum Allerheiligsten hatte nur der Hohepriester Zutritt, einmal im Jahr. Allen anderen war der Raum verwehrt. 

Christus hat der Beziehung zwischen Mensch und Gott auf eine neue Grundlage gestellt. Deshalb sprechen Christen vom „neuen“ Testament. Christus steht für den Zugang zu Gott, er ist dieser Zugang, sagt der Verfasser des Hebräerbriefs. Christus ist Hohepriester ganz eigener Art. Sein Opfer und sein Tod sind die Verbindung zwischen unserer Welt und Gottes Gegenwart, wie ein Weg durch den Vorhang, der im Tempel das Allerheiligste und die Welt zugleich verband und trennte. Mt 27 und Mk 15 beschreiben, wie dieser Vorhang bei Jesu Tod zerriss. 

Der Hebräerbrief sucht die Wahrheit Christi in Bilder und Formeln des traditionellen Judentums zu fassen. Die Adressaten waren jüdische Christen. Der Brief ist eine Art Übersetzung. Eigentlich ist das Eulen nach Athen tragen: Jesus war Jude und hat sein Leben unter frommen Juden verbracht. Seine Sprache war einfach, er selbst hätte sicherlich nicht so formulieren wollen. Aber die Antworten auf die Fragen — wer ist denn der Christus? König, Priester, Prophet, Messias, Mensch, Gott, beides? — begannen früh schon so komplexe Gestalt anzunehmen, dass sie übersetzt werden mussten.

Der Brief wurde später in den biblischen Kanon aufgenommen, in den Kernbestand der Zeugnisse christlichen Glaubens. Ob er sein erstes Ziel erreicht hat? Wie wurde er wohl aufgenommen? 

Bei mir bleibt dies Bild: Christus, der bei Gott lebt und den Menschen zugleich, ist unser Weg zur Gegenwart Gottes. Sein Tod macht den Weg durch den Vorhang frei, der die Welten trennt.

Gehen müssen wir den Weg selber. Unvorstellbar eigentlich. Schwindelerregend. Wer wagt es? 

Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 22/2021

…was zu meiner Haustür heraus mir entgegengeht, wenn ich mit Frieden wiederkomme von den Kindern Ammon, das soll des HErrn sein, und ich will’s zum Brandopfer opfern.
Ri 11,31

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Abgründe und Trauer

Unser Vers ist der zweite Teil eines Gelübdes, er sagt, was geschehen soll, wenn die im ersten Teil genannte Bedingung eintritt. Jeftah (oder Jiftach) ist regionaler Führer und will den Widerstand gegen einen Einfall der Ammoniter in die Landschaft Gilead in Gad organisieren. Er ist Sohn des Fürsten von Gilead, gezeugt allerdings mit einer Hure und daher von der Familie verstoßen. In der Verbannung lebt er als Freibeuter, ähnlich wie David nach seiner Flucht vor Saul.

In der Not nun rufen ihn die Ältesten von Gilead und bieten ihm Herrschaft an: militärische Herrschaft jetzt und politische Herrschaft später. Jeftah hat wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Vor den Schlachten wendet er sich an den Herrn, hier ist das ganze Gelübde im Zusammenhang (in der Übersetzung von 2017): 

Und Jeftah gelobte dem Herrn ein Gelübde und sprach: Gibst du die Ammoniter in meine Hand, so soll, was mir aus meiner Haustür entgegengeht, wenn ich von den Ammonitern heil zurückkomme, dem Herrn gehören, und ich will’s als Brandopfer darbringen. (Ri 11, 30+31)

Er gewinnt die Schlachten und demütigt die Ammoniter, er kehrt siegreich heim. Und es kommt ihm seine Tochter entgegen, sein einziges Kind, eine junge Frau in heiratsfähigem Alter, tanzend, mit der Handpauke, dem Musikinstrument der jungen Mädchen!

Jeftah muß mit einem solchen Ausgang gerechnet haben — der hebräische Text wäre besser mit „wer mir entgegenkommt“ übersetzt. Sonderbar genug aber macht er seiner Tochter Vorwürfe. Sie weist seine Klage zurück und erinnert ihn, dass er es war, der das Gelübde getan hatte. Sie akzeptiert ihr Schicksal, bittet aber, zwei Monate lang in die Berge gehen zu können, um mit ihren Freundinnen zu trauern. Danach könne das Opfer gebracht werden. Und so geschah es.  Wenn ich richtig lese, starb sie von des Vaters eigener Hand.

Der Vers und die Geschichte treffen auf eine Tiefenschicht unseres kollektiven Unterbewusstseins. Ganz ähnliche Begebenheiten werden aus sehr unterschiedlichen Quellen berichtet. Das singende springende Löweneckerchen ist ein Märchen der Gebrüder Grimm, und Idomeneus eine griechische Sagengestalt. 

Ein Führer im vorstaatlichen Israel, ein Richter, opfert dem Herrn sein Kind. Es gibt in der Bibel einige Parallelen. In 2. Kö 3 ist es ein moabitischer König, der in höchster Not seinem Gott Kemosch den ersten Sohn opfert, um die Israeliten zurückzuschlagen — gleichfalls mit Erfolg. Ahas und Manasse, Könige von Juda, opfern ihre Söhne fremden Göttern. Auf Gottes Geheiß soll Abraham seinen Sohn opfern und er ist bereit dazu, nur Gottes Eingreifen rettet Isaak. In Sam 21 liefert David sieben Söhne Sauls den Gibeonitern aus, einem nichtisraelitischen Sassenvolk, damit diese ihre Feinde Gott zum Opfer bringen können. Und die Schilderung des furchtbaren Feldzugs der Israeliten gegen die Midianiter in Num 31 ist an einer wichtigen Stelle ambivalent, siehe den BdW 19/2019.

Menschenopfer sind in der hebräischen Bibel streng untersagt, und sie werden als Greueltaten dargestellt. Es ist jedoch möglich, dass dies nicht immer so gesehen wurde. Im kulturellen Umfeld Israels waren Menschenopfer etwas Natürliches: Opfer ist Kommunikation mit der Gottheit und die höchste Opfergabe war ein Mensch. Wie Baal erhebt der Gott der Israeliten an vielen Stellen des Tanach Anspruch auf den erstgeborenen Sohn, anders als für Baal muss dieser Anspruch allerdings durch ein Tieropfer ausgelöst werden. 

Es fällt mir nicht leicht, darüber zu schreiben, und ich kann für mich nicht klären, ob und mit welcher Regelmäßigkeit in frühester Zeit auch Menschen für Gott geopfert wurden — ganz sicher aber spielten menschliche Opfer eine Rolle in den vielfältigen Vorstellungen, aus denen sich erst die jüdische und dann die christliche Religion herausbildete. Ohne diese uralten Muster im spirituellen Genom könnten Christen nicht in einem Opfer die höchste Erlösungstat erkennen, dem Tod eines eingeborenen Sohns.

Wenn man nun die Geschichte von Jeftah und seiner Tochter noch einmal liest, mag man diese vielgestalte Vorstellungswelt erfühlen, und dann verschwimmen plötzlich die Grenzen zwischen „unserem“ Gott, dem Gott der Israeliten, und den anderen Göttern dieser Zeit. Und da ist sie, die schöne Tochter Jeftahs, wir kennen ihren Namen nicht, wie sie ihrem Vater lachend mit der Handpauke entgegentanzt und sich damit um ihr junges Leben bringt. Ich kann sehen, wie sie mit ihren Freundinnen in die kargen Berge Gileads zieht, um Abschied zu nehmen vom Leben — unendlich kostbar, mit dunklen Augen und schmalem Gesicht unter der Sonne Palästinas, auf einem Esel, angetan mit dem Goldschmuck ihres Vaters und begleitet von seinen bewaffneten Knechten, sie zu schützen und zu bewachen.

Am Ende des biblischen Berichts ist die Rede von alljährlichen Trauertagen für die namenlose Tochter Jeftahs, ausgerichtet von den jungen Mädchen Israels. Ja, manchmal ist es gut zu trauern. Gerade auch über das, was auf dem Weg liegt, der dorthin führt, wo wir stehen. Jetzt und hier.  

Der Herr behüte diesen Weg,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2020

…auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.
Röm 8,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Treffpunkt Tod

Harter Stoff. Aber bleiben Sie bei mir, vielleicht lohnt es sich! Der Vers ist ein Fragment — hier ist der vollständige Satz im Wortlaut der Übersetzung von 2017:

Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist

Der Vers und sein Kontext gehören zum Kern christlichen Glaubens. Ich will, was da steht, zunächst mit meinen Worten wiedergeben. Das Angebot Gottes, die Menschen mit seinem Gesetz zu sich zu führen, läuft auf unserer Seite ins Leere. Ein Leben nach der Thora ist mit der Natur des Menschen unvereinbar. Es gelingt ihm auch dann nicht, wenn der Geist willig ist. Der Mensch braucht eine neue Natur — er muss sein „fleischliches“  Wesen, wie Paulus es nennt, gegen ein „geistiges“ Wesen tauschen, gegen ein Leben aus dem Geist Gottes. Die frohe Botschaft ist, dass Gott seinen Geist denen schickt, die er liebt. Dafür sandte er seinen Sohn: in der Gestalt des Fleischs, selbst aber Träger des Geistes.

Für diejenigen, die aus dem Geist leben, wird das Gesetz irrelevant, als Weg zu Gott ist es nicht nötig. Dennoch muss es — Gesetz Gottes — erfüllt sein. Die Lücke füllt der Tod Jesu am Kreuz. Mit diesem Tod werden Fleisch und Sünde verurteilt und hingerichtet. Wir können unser Leben vom Geist leiten lassen. Der Weg ist frei. Pfingsten! Ein Bild, so groß, dass einem der Kopf zerreißen will. 

Der Vers selbst lässt offen, wie das Gesetz durch den Tod Jesu ultimativ erfüllt wird. Der Wortlaut bezeichnet eine Art stellvertretende Sühne. Paulus unterscheidet den fleischlichen vom geistigen Aspekt der menschlichen Wirklichkeit. Jesus — ganz Geist — wird Fleisch und empfängt in dieser Gestalt das Urteil für alles Fleisch, obwohl er selbst frei von Sünde ist. Andernorts, bei Paulus selbst und bei Johannes, wird der Tod Jesu spezifisch als Opfer interpretiert. Der Tod Jesu Christi, des Gottessohns, war das ultimative Opfer: ein Opfer dargebracht von einem Menschen und zugleich von Gott selbst. 

Das ist ganz harter Stoff. Für die Menschen damals: Johannes 6,48ff berichtet von der entsetzten Reaktion der Zuhörer, als Jesus das Opfer in der Synagoge von Kapernaum ankündigte. Und auch für die Menschen heute: Wie etwa vermittelt man den Opfertod im Kindergottesdienst? In ihrer Kritik an der „Opfertheologie“ ziehen progressiv denkende evangelische Theologen das ganze Bild in Zweifel — Gott in seiner Größe und unerschöpflichen Liebe könne ein Menschenopfer gar nicht „wollen“, und in seiner Allmacht die Entsühnung auch ohne Opfer bewirken. Heilsnotwendig könne dies Opfer nicht gewesen sein. 

Ich bin nicht Theologe und die Auseinandersetzung mit dem Diskurs fällt mir wirklich schwer. Ich erkenne aber, dass dies das Narrativ ist, das Christen zu allen Zeiten angenommen haben. In der Wirklichkeit der Menschen so vieler Generationen hatte der Tod Jesu diese ungeheure Bedeutung. Auch für Jesus selbst, nach dem Zeugnis der Evangelien. Das Narrativ ist geglaubte Wahrheit — wie will man es nun verschieben? Man mag sich dann fragen, wie alles so falsch laufen konnte, wenn der Tod Jesu keine Erlösungstat war — was würde uns das über Gott sagen? Wie kämen wir denn damit zurecht, dass der Tod Jesu sinnlos gewesen wäre? Warum musste der Messias gehen, kaum dass er gekommen war? 

Vielleicht sollten wir an die eigentliche Bedeutung des Opfers im Judentum denken. Es geht dabei nur in sehr speziellen Fällen um Schuld und Sühne. Im Vordergrund steht immer Kommunikation und Gemeinschaft mit Gott. Siehe die Betrachtung zum Bibelvers der Woche 43/2018. Ganz so, wie auch das Gesetz seinem Wesen nach zu Gemeinschaft mit Gott führen soll. Gesetz und Opfer liegen tatsächlich nahe beieinander. 

Jesus stellt für uns die Gemeinschaft mit Gott her. So verstehe ich Paulus und Johannes. Für uns und mit uns findet er das Licht dort, wo es nicht dunkler mehr werden kann, im abgründigen Nichts. Treffpunkt Tod. Gott hat dieses Opfer nicht verhindert, wie er die Opferung Isaaks durch Abraham verhindert hat. Statt dessen hebt er die Folgen auf, in einer Weise, die den Naturgesetzen spottet. 

Morgen ist Jom Kippur. Mögen wir alle im Buch des Lebens eingeschrieben sein!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 21/2020

Jerusalem, 3. Januar 2019, Stadtmauer Jerusalem

Da sie das hörten, wurden sie froh und verhießen, ihm Geld zu geben. Und er suchte, wie er ihn füglich verriete.
Mk 14,11

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Sammler von Schuld

Wenig wissen wir über Judas, obwohl er eine zentrale Rolle spielt im Schlussakt des Dramas um Schuld und Entsühnung im Neuen Testament. Judas gehörte zu den Zwölfen, zur engsten Schar um Jesus. Einige Zeit vorher war er mit den anderen von Jesus ausgesandt und mit Wunderkräften versehen worden, um zu missionieren und zu heilen. Er verwaltete die Kasse der Gruppe und hat Jesus nach Jerusalem begleitet auf dem Weg, der zum letzten Abendmahl und zu seinem Tod führen sollte. Und noch bevor alles begann, hatte er beschlossen, Jesus seinen Todfeinden ans Messer zu liefern. 

Warum nur? 

Das Neue Testament ist mit Antworten karg. Im gezogenen Vers wird als Motiv Geldgier angedeutet. Doch wer seine Tage und Nächte mit einer religiösen Gruppe verbringt, die sich der Besitzlosigkeit verschrieben hat, kann hier eigentlich nicht sehr anfällig sein. Johannes spricht davon, dass der Teufel in Judas gefahren sei. Das ist eher das Gegenteil einer Erklärung. Eine gängige Begründung lautet, Judas sei Zelot gewesen, Mitglied einer Gruppe, die den gewaltsamen Umsturz beförderte und plante, und der Verrat sei aus Enttäuschung über den gewaltfreien Kurs Jesu geschehen. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Judas seinem Meister vorher nie zugehört haben sollte. Die schmale Stütze dieser Vorstellung ist der Beiname „Iskariot“. Das könnte auf einen „Sikarier“ verweisen, die ständig Messer mit sich trugen, bereit zum Attentat in Gottes Auftrag — aber genausogut kann eine Herkunft aus dem Dorf Kariot in Juda dahinterstehen. Joh 13,26 macht es in meinen Augen klar, der Vers nennt ihn „Judas, Sohn des Simon Iskariot“. 

Irenäus von Lyon erwähnt (und verwirft) das Judasevangelium einer gnostischen Sekte. Darin wird Judas als herausgehobener Jünger beschrieben, der als einziger die Notwendigkeit des Opfertods Jesu versteht und den Weg dorthin ebnet, im Auftrag Jesu. Der Text war verschollen, tauchte aber 2006 in einer koptischen Fassung aus dem vierten Jahrhundert wieder auf. Literarisch spielte dieses „Evangelium“ aber bereits zuvor in der gewaltigen Jesuserzählung des jüdischen Autors Schalom Asch aus den dreissiger Jahren eine Rolle. Asch stellt Judas als einen Jünger zwischen abgründigem Zweifel und fanatischem Glauben vor, den der Stillstand fast um den Verstand bringt, bis er schließlich wie unter Zwang die Starre lösen, die Heilstat in Gang bringen will, die zum Reich Gottes führen soll.

Ist da ein Körnchen Wahrheit versteckt? In den Tagen vor seiner Verhaftung lebten Jesus und seine Jünger verdeckt, streng konspirativ — sie zeigten sich tags im Tempel, weil sie in der zugewandten Menge vor Verhaftung sicher waren und verschwanden abends wieder im Umland, in Betanien. Mk 14,12-16 schildert die Wege und Umwege, damit das Pessachmahl in Jerusalem gefeiert werden konnte. Sollte es also zur Kreuzigung kommen, mußten Jesus und seine Verfolger zusammengeführt werden. Judas‘ Tat war im Sinne des Neuen Testaments notwendig. Alle vier Evangelisten berichten, dass Jesus von Judas Verrat wusste, und dass Judas dies seinerseits bekannt war. Zwischen beiden herrschte eine Art Einverständnis. Bei Johannes sogar explizit: „Was du tust, das tue bald“, sagt Jesus zu seinem Jünger. 

Jesus löst von Schuld. Judas sammelt Schuld. Alle versagen: die Priester, die Schriftgelehrten, das einfache Volk, die Römer und auch die Jünger. Das Versagen macht den Opfertod nötig und führt ihn gleichzeitig herbei. Hierfür steht Judas, der Jünger aus dem engsten Kreis, als Allegorie der Schuld. Auf seine Art trägt auch er die Sünde der Welt. Mit dem Verrat und dem späteren Selbstmord wird er zum dunklen Bruder, zum Gegenbild, von Petrus oder sogar von Jesus selbst. In dem Moment, als Jesus und Judas beim Abendmahl gemeinsam den Bissen in den Becher tauchen, bedingen sie sich gegenseitig, beider Schicksal hängt am jeweils anderen.

Sonderbar: Jesus lässt Judas sehenden Auges an der Abendmahlsfeier teilnehmen, auf der er symbolisch den Leib für die anderen hingibt. Und Judas: er bleibt und geht erst dann hinaus in die Nacht. Ist Jesus eigentlich auch für Judas gestorben? Und Judas, schließlich, am Ende, für Jesus? 

Ich wünsche uns eine friedliche Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2019

…und soll es auf dem Altar opfern samt dem Speisopfer und ihn versöhnen, so ist er rein.
Lev 14,20

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017

Reinheit II

Der Bibelvers der vergangenen Woche handelte von Reinheit als zentralem Konzept im Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Im Vers dieser Woche geht es um Reinheit in einem sehr kreatürlichen Kontext. Aussatz ist eine spezifische und besonders krasse Form von Unreinheit. Der Aussätzige musste außerhalb der Gemeinschaft leben und war recht weitgehend seinem Schicksal überlassen. Eine Katastrophe für ihn. Es geschah aber auch, dass jemand gesundete. Dies musste zunächst vom Priester verifiziert werden. Anschließend wurde er rituell in den Zustand der Reinheit zurückgeführt — über die physische Heilung hinaus war ein Akt erforderlich, die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen wieder herzustellen. 

Das Ritual ist kompliziert. Es zog sich über acht Tage hin und erforderte mehrere Opfer. Im Anschluss an die Begutachtung wurde zunächst ein sehr spezielles Opfer gebracht, bei dem ein Vogel mit dem Blut des anderen Vogels besprengt freigelassen wurde. Ich sehe darin ein Bild für die Heilung selbst, die den Kranken gewissermaßen durch den Tod hindurchführt. Nach sieben bzw. acht Tagen war ein weiteres, komplexes Opfer nötig, das nicht weniger als drei der in den ersten Kapiteln von Leviticus beschriebenen Grundtypen umfasste: ein Schuldopfer, ein Speisopfer und ein Brandopfer

Ich kann und will hier nicht in die Einzelheiten gehen, ich verstehe sie zu wenig. Wichtig ist folgendes: Das Schuldopfer kommt von einem Menschen, den seine Verfehlungen von Gott und den Menschen getrennt haben. Weil er unrein ist, kann er die Tötung des Opfertiers nicht selbst vornehmen. Der Priester muss es für ihn tun, ein Anteil des Opfers geht an ihn. Das Brandopfer sind „zum lieblichen Geruch“, sie gelten Gott ganz allein, die Opfergemeinschaft nahm nicht daran teil. Brandopfer kommen von kultisch reinen Menschen, die einen Grund haben, Freude mit Gott zu teilen. Sie führen das Opfer normalerweise selbst aus. Nicht aber in diesem Fall: Die Reinigung ist erst das Ziel, der Priester muss also auch das Brandopfer schlachten, stellvertretend für den zu Reinigenden. 

Opfer ist immer Kommunikation mit Gott. Der komplizierte Ritus spiegelt die Aspekte wieder, die das Wiedererlangen der Reinheit hat. Der erste Akt wirkt magisch und steht für die Heilung selbst. Das zweite Opfer überwindet das „Defizit“ der Unreinheit so, wie ein Mensch sich vom Makel der Sünde befreit. Sünde und Unreinheit ist eins. Der dritte Teil schließlich ist eine innige Zuwendung des Gereinigten, des zurück ans Ufer Gelangten, zu Gott selbst — ich hätte diese Zuwendung gern als Dank bezeichnet, aber Dankopfers sind in der Nomenklatur von Levitikus eine eigene Kategorie (Kapitel 3).

Um dieses Brandopfer, den letzten Teil des Ritus, geht es im gezogenen Vers. Die Reinheit ist eigentlich bereits da, und doch bedarf sie, um wirklich zu werden, eines Aktes, der selbst Reinheit bereits voraussetzt. „Mind-boggling“ würde der Brite sagen. Bezeichnenderweise findet sich der Nachsatz „so ist er rein“ ein erstes Mal bereits im Anschluss an die siebentägige Wartefrist nach dem Vogelopfer.

Zufällig habe ich am Sonntag der vergangenen Woche eine Predigt zur Heilung der zehn Aussätzigen gehört, Luk 17,11-19. Der beschriebene Ritus ist integraler Teil der Erzählung von Lukas. Jesus heilt zehn Aussätzige, die an ihn und seine Heilkraft glauben. Er schickt sie zum Priester, damit dieser die Heilung feststellt. Aber nur einer kehrt zurück, um Jesus zu danken und Gott zu loben — und dies ausgerechnet ein Samariter, von denen die Juden geistlich nicht viel erwarteten. Jesus bringt seine Enttäuschung über die anderen zum Ausdruck und sagt dem Samariter: Steh auf, geh hin, dein Glaube hat Dir geholfen! 

Ich denke, Jesus und der Samariter tun hier etwas, das dem letzten Teil des Ritus entspricht: die Reinheit ist technisch bereits hergestellt, sie muss aber im Miteinander von Mensch und Gott vollzogen werden. Jesu Rolle ist ambivalent – ist er Priester? Vertritt er Gott? 

Reinheit, die nicht mit Gott gelebt wird, ist unwirklich, theoretisch, vielleicht gar wertlos. Ich habe mir Reinheit stets als Zustand gedacht, der auf Erden nicht zu erreichen ist, der metaphysischer Fluchtpunkt eines immer physisch bleibenden Lebens ist. Die beiden Bibelstellen erwecken nun eher den Eindruck, als ob Reinheit vor Gott nicht nur durchaus erreicht werden kann, sondern sogar Voraussetzung ist für die aktive Gemeinschaft mit Gott. 

Ich wünsche uns eine Woche, in der unsere Reinheit nicht folgenlos bleibt — was immer das dann bedeutet. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2019

Er sprach: Ja, ich bin gekommen, dem HErrn zu opfern; heiligt euch und kommt zu mir zum Opfer. Und er heiligte Isai und seine Söhne und lud sie zum Opfer.
1.Sa 16,5

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, in der Lutherbibel 2017.

Ein König für das Volk Gottes

Die Hebräer brauchen einen König, um Macht konzentrieren und projizieren zu können und die Unsicherheit der Richterzeit hinter sich zu lassen. Aber ein „König für Israel“ ist in gewisser Weise ein Widerspruch in sich — Gott selbst ist ja König. Soll es dennoch einen menschlichen König geben, muss er in besonderer Weise von Gott beauftragt sein. Dies Motiv spielte sehr viel später noch einmal eine große Rolle bei den christlichen Kaisern.

Die erste Wahl des Herrn fällt auf Saul. Doch Saul — so erzählt es das Buch Samuel — wurde ungehorsam, und er verlor den Segen des Herrn. Ein anderer König wurde gesucht, wie beim ersten Mal wird Samuel beauftragt. Dieser erfährt nicht, wer der gesuchte König sei, Gott teilt ihm nur mit, er solle Isai zum Opfer laden. Dort solle der neue König gefunden werden.

Merkwürdig? Nein. Das Opfer steht bei den Hebräern überall in der Bibel für die von den Menschen gesuchte Gemeinschaft mit Gott. In der Opferhandlung und im darauf folgenden Mahl der Feiernden ist Gott selbst präsent, ganz wie in der christlichen Abendmahlsfeier. Dies Mahl ist das perfekte Setting für die Wahl des neuen Königs und seine Salbung.

Der Ort ist Bethlehem, schon damals — dort kam David zur Welt, bei seinem Vater Isai. Samuel geht nach Bethlehem und die Bewohner sind verunsichert. Was bedeutet das Kommen des Propheten, den offenbar jeder dort kennt? Frieden? Und hier steht unser Vers. Ja, sagt Samuel, Frieden. Er lädt Isai und seine Söhne zum Opfer und sagt ihnen, sie mögen sich heiligen, also reinigen und rituell vorbereiten. Und er selbst hilft ihnen dabei.

Zunächst bleibt die Suche erfolglos: Keiner der älteren Söhne ist es. Es geht weiter wie bei Aschenputtel: Samuel fragt, ob es nicht einen weiteren Sohn gebe. Der Vater antwortet, da sei noch der jüngste, dieser hüte aber gerade die Schafe. Samuel lässt David rufen, und Gott sagt dem Propheten, dass dieser der Erwählte sei. Samuel salbt ihn auf der Stelle. 

Es ist richtig, auf wichtigen Wegscheiden die Gemeinschaft mit Gott zu suchen. Und dabei sollte es nicht allzu formlos zugehen — wir brauchen Formen, um Geist und Seele zu konditionieren, aufnahmefähig zu machen. Wenn sich das Heilige, die Gemeinschaft mit Gott, nicht unterscheidet vom täglichen Leben, dann bleiben wir dem Tagesgeschäft verhaftet. Das Heilige und der Sand machen die Welt aus, sagen die Juden. Beides ist wichtig, das Heilige wie der Sand, und ebenso wichtig ist es, sie zu unterscheiden. 

Gemeinschaft mit Gott wünsche ich uns für diese Woche, und vielleicht lernen wir daraus etwas über unsere Bestimmung. 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 47/2018

Es sei ein Ochs oder Schaf, so soll man’s nicht mit seinem Jungen auf einen Tag schlachten.
Lev 22,28

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017.

Nachhaltigkeit

Der Vers dieser Woche steht etwas verloren in einer Reihe von Bestimmungen darüber, welche Bedingungen ein Opfer erfüllen muss, um dem Herrn wohlgefällig zu sein bzw. ihm den Opfernden wohlgefällig zu machen. Das Buch Leviticus enthält viele Vorschriften, die sich in erster Linie an die Priesterschaft wenden, und es ist daher in mancher Hinsicht schwer zu lesen.

Der heute gezogenen Verses erinnert auch im Wortlaut stark an die Bestimmung in Ex 23,19, dass man das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen solle — woraus sich bei den Juden das zentrale Verbot ableitet, Milch gemeinsam mit Fleisch zu sich zu nehmen. In beiden Fällen geht es um die Achtung der Kontinuität über Generationen. Die Mutter und das Kalb gleichzeitig zu schlachten würde in vielen Fällen eine Generationenfolge zum Abbruch bringen. In der Welt des Alten Testaments ist dies eine unangenehme, ja schreckliche Vorstellung, selbst bei Tieren.

Eine andere Entsprechung gibt es beim Erstlingsopfer. Im Prinzip gehört jedes männliche Wesen, welches als erstes den Mutterschoß durchbricht, dem Herrn — Mensch oder Tier: „Deinen ersten Sohn sollst du mir geben. So sollst du auch tun mit deinem Stier und deinem Kleinvieh. Sieben Tage lass es bei seiner Mutter sein, am achten Tage sollst du es mir geben.“ (Ex 22,28b+29, siehe auch die Bestimmung in Ex 13,2). Und dabei ist für einen männlichen Säugling am achten Tag eigentlich die Beschneidung fällig…

In Exodus 34,19f wird diese unbedingte Anweisung aufgefangen: die Erstgeburt des Esels und der eigene erste Sohn müssen „ausgelöst“ werden, d.h. durch ein anderes Opfer ersetzt werden. Die Auslösung durch den Vater ist so wichtig, dass sie in Gen 22 eindrucksvoll narrativ kodifiziert wird: Abraham erhält den Befehl, seinen Sohn Isaak zu opfern. Er will diesen Befehl ausführen, ohne Widerrede, wird aber in letzter Sekunde von einem Engel daran gehindert, der ihm buchstäblich in den Arm fällt  — an Stelle seines Sohnes soll Abraham einen Widder opfern. Der Überlieferung nach hat sich dies an der Stelle zugetragen, wo später das Allerheiligste des Tempels stand und heute der Felsendom. 

Der Erstgeborene sichert die genealogische Linie. Das macht seinen besonderen Wert aus— er steht in der Hierarchie über den anderen Geschwistern direkt hinter dem Vater. Dieser besondere Wert macht ihn nun zwar einerseits zum „geborenen“ Opfer — er gehört Gott — andererseits stellt es ihn auch unter Gottes besonderen Schutz, wie ganz am Anfang schon den Kain, und später auch den Ismael. Das biblische Gesetz enthält hier Sicherheitsgurte vor der eigenen Konsequenz und schreckt dabei nicht vor offenen Widersprüchen zurück.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, mit einem liebenden Blick über die Generationen hinweg,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2018

Das Feuer auf dem Altar soll brennen und nimmer verlöschen; der Priester soll alle Morgen Holz darauf anzünden und obendarauf das Brandopfer zurichten und das Fett der Dankopfer darauf anzünden.
Lev 6,5

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017. 

Feuer

Für Woche 5/2018 gab es einen Vers, der die Einrichtung des Brandopferaltars zum Thema hat — hier ist eine Bestimmung zu seinem Gebrauch. In die Zeit des Umherirrens in der Wüste passt der Vers nicht wirklich: Ein Brandopferaltar, groß genug zur Opferung ganzer Rinder, mit der Bestimmung, dass sein Feuer nie ausgehe und täglich geopfert werde? Wo sollte in der Wüste das Holz dafür herkommen, wo die Rinder, Schafe, Ziegen? Man muss hier eher an eine Regel aus der Zeit des Jerusalemer Tempels und seines Opferbetriebs denken.

Opfer ist Kommunikation mit der Gottheit — archaische Kommunikation über die Grenzen von Tod und Leben hinweg. Juden und Christen haben aufgehört zu opfern, aus unterschiedlichen Gründen. Bei den Juden erinnern die Morgen-, Mittags- und Abendgebete und ihre exakten Zeiten an die täglichen Opfer im Jerusalemer Tempel. Beim Morgengebet, dem Schacharit, werden u.a. Vorschriften über das Morgenopfer rezitiert, hier ist ein Link zu Wikipedia.

Die Christen entwickelten aus dieser jüdischen Tradition die Stundengebete. „Betet ohne Unterlass“, heißt es in 1. Thess 5,17, fast wie im ersten Satz unseres Verses:

            Das Feuer auf dem Altar soll brennen und nimmer verlöschen…

Der Tempel ist nicht mehr, aber der Vers und sein Beginn berühren augenblicklich. Das ewige Licht tritt vor Augen, aber auch die Erinnerung, dass Feuer in frühen Zeiten beinahe wie ein Schatz bewahrt wurde. Wenn es erlosch, musste man vielleicht weit gehen, um beim Nachbarn oder einer anderen menschlichen Siedlung wieder Glut zu bekommen.

Hinwendung zu Gott bedarf der Regelhaftigkeit. Vielleicht mit einem kurzen Dankgebet nach dem Aufwachen, noch vor dem Aufstehen — das jedenfalls fiel mir bei dem Vers ein. 

Opfer und Feuer, beides gehört zusammen. Was immer es auch ist, das heute und in unserem Leben den Platz des Opfers einnimmt: der Vers erinnert daran, dass das Feuer, die Energie dahinter, nie erlöschen soll. Leuchtend, verzehrend, aber auch ansteckend. Stetige Hingabe und Dauerhaftigkeit. Wärme. Eine Flamme im Herzen. Immer, nicht nur gelegentlich.

Eine solche Woche wünsche ich uns,
Ulf von Kalckreuth