Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
Lk 15,10
Der Vers ist uneingeschränkt zufällig gezogen aus der Lutherbibel 1912. Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.
Lost and found
Jeder, der regelmäßig zur Bibel schreibt, wird irgendwann über etwas schreiben wollen, zu dem er eine frühere Ausarbeitung bereits besitzt. In der Wahrscheinlichkeitstheorie gibt es sogar einen Satz dazu. Bei mir ist es heute soweit. Die Vorlage ist allerdings kein „Bibelvers der Woche“, sondern eine Lesung für den Gottesdienst vom November 2018, also vor etwas mehr als einem Jahr. Ich habe mich damals sehr intensiv mit dem Abschnitt auseinandergesetzt, und sie hat meinen Blick auf Gott und mein Leben verändert. Ich kann heute nichts Substanzielles hinzufügen. Ich will den Text aber auch nicht anpassen, glätten oder als Steinbruch verwenden. Daher gebe ich ihn hier ungekürzt wieder. Dem Anlass entsprechend ist er etwas länger und die Sprache bekenntnishafter als gewohnt. Wenn Sie möchten, können Sie ihn als Dokumentation betrachten.
Schriftlesung 11. November 2018, Kirche des Nazareners, Frankfurt Hügelstr.
Wir alle gehören zu Gott. Das ist unser Geburtsrecht. Aber was geschieht, wenn wir verloren gehen? Was geschieht mit uns, was geschieht bei Gott?
Ich habe eine sehr alte Erinnerung. Ich war jünger als Mathilde jetzt, noch vor der Scheidung meiner Eltern, in der alten Wohnung, als mein Vater mir eines Abends erklärte, dass Eltern und Kinder immer Eltern und Kinder bleiben, und dass er stets für mich da sein werde, auch wenn ich jemanden umgebracht hätte. Ein sonderbares Bild für einen Sieben- oder Achtjährigen, vor fünfzig Jahren zumal, aber ich habe es nie vergessen!
Jesus hat dazu drei Gleichnisse, sie stehen in Lukas 15. Die ersten beiden will ich hier lesen, das dritte steht nachher im Mittelpunkt von Lars’ Predigt. Ich lese Lukas 15, 1-10:
Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
Vom verlorenen Schaf
Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Vom verlorenen Groschen
Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
Jesus spricht hier über die besondere Zuwendung, die er für die Verlorenen hat, die Zöllner und Prostituierten, die Gottesfernen. Er setzt voraus, dass jeder normal denkende Mensch die 99 Schafe verlässt, um nach dem einen verlorenen Schaf zu suchen. Nur dann funktioniert das Gleichnis. Es ist sein Bild, um plausibel zu machen, dass Gott es genauso hält. Also: Da ist auf der anderen Seite jemand, der sucht! Dem nichts wichtiger ist als diese Suche! Das ist die erste frohe Botschaft der Gleichnisse.
Aber da gibt es noch, etwas versteckt, eine zweite Botschaft. Das verlorene Schaf ist wichtiger als die Herde, der gefundene Groschen Grund für ein Fest, Grund zur Freude im Himmel und auf Erden. Wie kann das sein? Was ist mit den anderen Schafen? Warum diese besondere Freude?
Geschieht vielleicht in Scheitern und Umkehr etwas Besonderes und Unersetzliches, das mehr ist als eine bloße Wiederherstellung?
Ja, ich glaube, genauso ist es. Wer scheitert und versteht, dass er aus eigener Kraft nichts mehr vermag, der hat die Chance sich zu öffnen für die grenzenlose Kraft Gottes, in seinem Leben und durch sein Leben Veränderungen zu bewirken. Der Heilige Geist, Gottes heilige Kraft zu Veränderung, ist dort, wo jemand verloren geht und zurückfindet.
Der Psalmist hat dafür ein sehr starkes, beinahe krasses Bild. David hat sich mit Batseba und dem Mord an Urja schwer versündigt und wird von Nathan zur Rede gestellt. David ist moralisch am Ende. Psalm 51 gibt sein Bußgebet wieder. Im zweiten Teil heißt es:
12 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
16 Errette mich von Blutschuld, / Gott, der du mein Gott und Heiland bist,
dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme.
18 Denn Schlachtopfer willst du nicht, / ich wollte sie dir sonst geben,
und Brandopfer gefallen dir nicht.
19 Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist,
ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.
David spricht hier von geistlicher Wiedergeburt. Wiedergeburt geschieht nicht dadurch, dass man eine Pille schluckt und plötzlich alles rosa ist. Wiedergeboren werden kann mit Gottes Hilfe jemand, der verloren gegangen ist und dies auch weiß:
Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist,
ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten…
Geängsteter Geist, zerschlagenes Herz — vielleicht wissen Sie, was das bedeutet? Das ist überhaupt nicht attraktiv, nicht hip, auch nicht nach den Maßstäben des Alten Testaments. Ist denn das frohe Botschaft?
Ja! Das ist frohe Botschaft, gerade das! Am Tor zum Reich Gottes stehen die, die wissen, dass sie vor Gott nichts vorweisen können und daher alles von ihm erwarten. Vielleicht vor allem sie! Und so kann am Ende gar die Sünde selbst, die Gottesferne, in Gott einen Sinn erhalten. Hier ist Gottes Gnade, das ist ihr Kern!
Für mich hat das sogar eine ganz bestimmte Melodie. Ich kenne diese Melodie seit meiner frühesten Kindheit, die Botschaft verstehe ich erst heute. John Newton hat vor seiner geistlichen Wiedergeburt ein Sklavenschiff als Kapitän befehligt. Er geriet in einen Sturm, und die Lage war aussichtslos. Er betete und das Schiff wurde gerettet. Das hat sein Leben völlig verändert, vom Sklavenhändler wurde er zum Kämpfer gegen die Sklaverei. Hier ist sein Lied, Sie kennen es:
Amazing grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I am found,
Was blind, but now I see.
‚Twas grace that taught my heart to fear,
And grace my fears relieved;
How precious did that grace appear,
The hour I first believed!
Hallelujah! Amen!
Ende Ansprache 11. November 2018
Wie damals könnte ich das heute nicht schreiben… Mich erinnert der BdW an eine wichtige Erfahrung. Ich wünsche uns eine Woche, in der wir nicht nur suchen, sondern wissen, dass wir selbst Gesuchte sind!
Ulf von Kalckreuth