Bibelvers der Woche 39/2021

Und so ihr liebet, die euch lieben, was für Dank habt ihr davon? Denn die Sünder lieben auch ihre Liebhaber
Luk 6,32

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Die Feinde lieben!

Manchmal, wenn es ihm besonders wichtig ist, spricht Jesus wie ein Zen-Lehrer: er stellt Sätze in den Raum, die widersinnig oder gar erschreckend erscheinen und überlässt es seinen Zuhörern, das Gehörte für sich auszufüllen. Was immer sie dann finden, es wird ihre Wahrheit sein. 

Unser Vers steht im Anschluß an eine der bekanntesten Maximen Jesu und des Christentums: wir sollen unsere Feinde lieben. Vielleicht haben Sie den Satz zu oft gehört, um sofort zu spüren, wie widersinnig er ist. Hatten Sie einmal eng mit Menschen zu tun, die Ihre Feinde waren? Es gibt da zwei Aspekte, ich könnte fragen „denen Sie feind waren“ oder „die Ihnen feind waren“. Wie fühlt sich das an? Versuchen Sie, sich zu erinnern, auch wenn es vielleicht weh tut.

Liebe hat da jedenfalls keinen Platz. Was hoch kommt, sind Angst, Ärger, Hass, Mißtrauen, vielleicht auch Enttäuschung. Die Konzepte „Feind“ und „Liebe“ schließen sich aus, mit anderen Worten: es geht nicht. In der letzten Woche haben wir aus einem Psalm gezogen, wo es um den inneren Umgang mit Feinden geht. Der Psalmist gelangt dahin, die Feinde aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt ganz auszublenden, indem er sich Gott zuwendet. Das befreit ihn. Eine großartige innere Verwandlung — aber weit, sehr weit entfernt bleibt er davon, die Feinde zu lieben. 

Feindesliebe steigert und übersteigert das Gebot der Nächstenliebe. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ sagt Leviticus 19,18, bezogen auf die Volksgenossen. Jesus verlangt mehr: Nächster ist uns jeder, der uns in einer konkreten Lebenssituation begegnet, dessen Schicksal mit dem unseren verbunden ist. Im Gleichnis macht Jesus das hilflose Opfer eines Raubüberfalls zum Nächsten des vorbeiziehenden Samaritaners, des Angehörigen einer Volksgruppe, der die Juden Verachtung entgegenbringen. Hier in der Feldrede sagt er: Nicht nur den „eigenen Leute“ sollen wir mit Liebe begegnen: Verwandte, Freunde, Gönner, alle, die uns lieben. Sie zu lieben, vermag jeder, auch die Sünder — so unser Vers oben. Es ist dies eine Art verallgemeinerter Egoismus. Altruismus beginnt dort, wo wir uns den „anderen“ zuwenden, sagt Jesus. Und seien es die Feinde. Lasst uns die Feinde lieben!

Man kann die Antinomie dieser Forderung auflösen. Wenn ich den Menschen betrachte, der mein Feind ist und den ich nach Jesu Weisung nun lieben soll, kann ich mich fragen, ob er eigentlich mein Feind sein muss. Wenn nicht, kann ich selbst das Gebot der Feindesliebe in das der Nächstenliebe verwandeln. Immer noch schwer genug, aber nicht paradox. Mein Mathematiklehrer hat das als „Mantelpaviantrick“ bezeichnet, zur Lösung besonders vertrackter Probleme: Wie fängt man einen Mantelpavian? Man zieht ihm den Mantel aus und fängt ihn wie einen normalen Pavian. 

Wenn wir Feindesliebe ernst nehmen, müssen wir aufhören, andere als Feinde zu betrachten. Einseitig, wenn es sein muss. Anders geht es nicht. Uns selbst werden wir dabei verändern, und vielleicht auch den Feind. Und ein kleines bisschen die Welt.

Der Herr schenke uns Mut in dieser Woche, 
Ulf von Kalckreuth

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