Bibelvers der Woche 34/2022

Der Herr schafft Gerechtigkeit und Gericht allen, die Unrecht leiden.
Ps 103,6

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Markenkern

Eigentlich muß ich da nicht viel kommentieren, nicht wahr? Der Vers ist wie ein Echo auf die Betrachtung der letzten Woche. Es ist ein Echo aus sehr alter Zeit. Die Idee der sozialen Gerechtigkeit hat ihre Wurzel beim Gott Israels. Auf Neudeutsch: sie gehört zu Seinem Markenkern. Wir finden diesen Nachdruck auf den Rechten der Schwachen schon bei Amos, dem ersten Propheten, dessen Worte aufgezeichnet und überliefert wurden. Amos richtet bittere Vorwürfe an die Mächtigen des Landes, weil sie Gottes Gebote zum Schutz der Schwachen ignorieren: 

So spricht der HERR: Um drei, ja um vier Frevel willen derer von Israel will ich sie nicht schonen, weil sie die Unschuldigen für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkaufen. Amos 2,6

Amos und der gezogene Bibelvers klingen sehr vertraut, irgendwie selbstverständlich. Aber hier spricht die Eisenzeit, nicht die Sozialistische Internationale. Zu welcher anderen Religion des alten Orient könnten solche Sätze gehören? Der aus Psalm 103 gezogene Vers sagt, dass Gott selbst für Gericht und Gerechtigkeit sorgen wird. Wie bei Amos kann das tödliche Strafe für diejenigen bedeuten, die das Recht beugen. Der Psalm lässt das offen: der Vers steht in einem Kontext von Vergebung. Hier ist der Wortlaut des zweiten Abschnitts von Psalm 103 nach der Lutherübersetzung von 1984: 

Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht
allen, die Unrecht leiden.
Er hat seine Wege Mose wissen lassen,
die Kinder Israel sein Tun.
Barmherzig und gnädig ist der HERR,
geduldig und von großer Güte.
Er wird nicht für immer hadern
noch ewig zornig bleiben.
Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden
und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.
Denn so hoch der Himmel über der Erde ist,
lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.
So fern der Morgen ist vom Abend,
lässt er unsre Übertretungen von uns sein.
Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt,
so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

Uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche, in der Unrecht zu Recht wird!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 33/2022

…der ward entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann.
2. Kor 12,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Himmel über dem Feldberg, 14. März 2020, Ulf von Kalckreuth

In den Schwachen mächtig

Vor anderthalb Jahren stand ich auf freiem Feld und weinte. Durch einen Bandscheibenvorfall war der Ischiasnerv dauerhaft eingeklemmt — Schmerzen und Lähmungen waren die Folge. Ich versuchte, jeden Tag eine Stunde zu gehen, aber es wurde schlimmer, nicht besser, und an diesem Tag waren die Schmerzen so stark, dass ich nicht mehr wusste, wie ich nach Hause zurückkommen sollte. Als ich dann vor drei Monaten erstmals wieder einen Volkslauf über 10 km machte, vorsichtig und eigentlich ohne Lauftraining, empfand ich das tief als Geschenk Gottes. Früher, als ich gut trainiert viel bessere Zeiten lief, war mir das nicht eingefallen…

Am Ende des zweiten Briefs an die Korinther ist der Ton gereizt. Paulus muß sich gegen Angriffe fremder „Überapostel“ verteidigen, die in der Gemeinde starken Einfluß gewonnen haben und ihn, seinen Beitrag und seine Begabungen schmälern. 

In Abschnitt 11 und 12 geht es ums Prahlen. Paulus Gegner tun das nachdrücklich. Er selbst lässt sich zum Schein darauf ein, und überlegt, womit denn er prahlen könne. Er hatte, und davon handelt der Vers, mehrere eindrückliche und unmittelbare Gotteserfahrungen. Eine davon führte ihn in den „dritten Himmel“, eine andere — unser Vers — ins Paradies, wo er unaussprechliche Dinge hörte. 

Aber gerade damit will er sich nicht großtun. Paulus will sich seiner Schwachheit rühmen. Denn „meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, sagt Paulus von Gott. Das ist so sonderbar, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken.

Es gibt eine Tendenz in der Bibel, das Unterste zuoberst zu kehren. Gott erweist seine Macht mit der Fallhöhe. Erringt ein General mit gut ausgebildeten, zahlreichen und hervorragend bewaffneten Truppen einen Sieg, so ist das nicht wirklich wunderbar — ganz anders der Sieg Davids gegen Goliath! Die Schwachen, Witwen, Waisen, Rechtlosen stehen unter Gottes besonderem Schutz. Jesus, der Heiler, kommt zu den Schwachen, nicht zu den Starken, sagt er. Man muß verloren sein, um gefunden zu werden.

Und so stellt Paulus sich vor die Gemeinde und brüstet sich mit seinen Krankheiten, weil sie zeigen, wie sehr Gottes Segen auf ihm ruht! Darin liegt eine Provokation. Der Geist der Zeit nämlich verlangt das gerade Gegenteil. Gottes Wohlwollen entspricht der Menschen Treue zu Seinem Gesetz, so glaubte man. Wem es also schlecht geht, der hat vermutlich den Grund dafür selbst gelegt. Zum Tun-Ergehens-Zusammenhang siehe ausführlich den BdW 50/2021. Niemandem außer Paulus würde es einfallen, sich seiner Schwachheit zu rühmen. 

Er tut das nicht ungeschützt. Das zeigt unser Vers oben. Von seinen beiden großen Gesichten spricht er in der dritten Person, so, als ob es gar nicht um ihn selbst ginge. Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er auch ganz anders könnte, dass er sich auch seiner Stärke rühmen könnte, wenn er wollte, und zwar mit besserem Recht als seine Gegner.

Beides ist faszinierend und lässt einen nicht schnell los. Die Vorstellung, dass Gottes Kraft gerade in den Schwachen mächtig wird, oder auch in Zeiten besonderer Schwäche. Aber auch die Idee, es möge jemanden zu Lebzeiten vergönnt sein, Gottes Worte im Paradies zu hören. Wie Henoch. Um dann aber zurückzukehren an seinen alten Wirkungskreis. 

Wie sich das wohl anfühlt? Wieder am Rechner zu sitzen, die Augen zu öffnen und statt Gottes Herrlichkeit einen Windows-Bildschirm vor sich zu sehen? Wie kann man das annehmen? Wer es kann, der muss etwas wirklich Wichtiges zu sagen haben!

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 32/2022

…welche denn hörten sie und richteten eine Verbitterung an? Waren’s nicht alle, die von Ägypten ausgingen durch Mose?
Heb 3,16

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Einheitsübersetzung. 

Das Wort sie sollen lassen stahn!

Der Text um unseren Vers herum fordert dazu auf, die Gnade Gottes nicht zu verwirken, sondern dankbar anzunehmen und das seine dazuzutun. Dabei entsteht eine kleine Matrjoschka. Das sind diese russischen Holzpuppen, die mehrfach ineinandergesteckt sind: öffnet man eine, kommt die nächste zum Vorschein. Heb 3 zitiert Ps 95, und dieser verweist auf die Thora, Num 13 und 14. Das Volk Israel konnte sich mit Gottes Hilfe aus der ägyptischen Knechtschaft befreien. In der Wüste aber wird das Volk ängstlich, wankelmütig und unzufrieden. Es verliert den Weg ins Heilige Land, zu Gottes Ruhe, und muß lange noch in der Wüste bleiben. Siehe dazu den BdW 01/2022 von Anfang dieses Jahres.

Mir gefällt die Wendung „Eine Verbitterung anrichten“. Du, lass Dich nicht verbittern, singt Wolf Biermann, in dieser bittren Zeit… Wir sind Kinder Gottes, auf dem Weg zu Gottes Ruhe, wenn wir trotz äußerer Bitternis in uns selbst fröhlich bleiben und voll Zuversicht. Ich glaube wirklich, das ist der eigentliche Erweis unseres Glaubens.

Aber Grund zur Beschwerde habe ich heute doch. Oben habe ich auf die (katholische) Einheitsübersetzung verlinkt, statt wie sonst auf die Lutherbibel 2017. Dort nämlich geschieht Merkwürdiges. In den Versen 16-18 werden in rhetorisch strenger Form Fragen gestellt und dann mit verneinten Fragen beantwortet, der Art: „Ist dieses Kind nicht hübsch?“ Noch die Lutherübersetzung 1984 hat die Struktur getreulich wiedergegeben. Hervorgehoben ist der gezogen Vers:  

15Wenn es heißt: »Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht, wie es bei der Verbitterung geschah« – 16wer hat sie denn gehört und sich verbittert? Waren’s nicht alle, die von Ägypten auszogen mit Mose? 17Und über wen war Gott zornig vierzig Jahre lang? War’s nicht über die, die sündigten und deren Leiber in der Wüste zerfielen? 18Wem aber schwor er, dass sie nicht zu seiner Ruhe kommen sollten, wenn nicht den Ungehorsamen? 19Und wir sehen, dass sie nicht dahin kommen konnten wegen des Unglaubens.

So steht es in allen großen Übersetzungen, die ich konsultiert habe, so steht es auch im Original, wie mir meine griechischkundige Ehefrau bestätigen konnte. Hier eine Interlinearübersetzung. Aber in der Lutherübersetzung 2017 liest man: 

15solange es heißt (Ps 95,7-8): »Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht, wie es bei der Verbitterung geschah.« 16Denn als sie das hörten, wurden einige verbittert, aber nicht alle, die von Ägypten auszogen unter Mose.17Und wem zürnte Gott vierzig Jahre lang? Waren’s nicht die, die sündigten und deren Leiber in der Wüste zerfielen? 18Wem aber schwor er, dass sie nicht in seine Ruhe eingehen sollten, wenn nicht den Ungehorsamen?19Und wir sehen, dass sie nicht hineinkommen konnten wegen des Unglaubens.

Der formale Fragecharakter von Vers 16 wird ignoriert und — abrakadabra — verwandelt sich das „Waren es nicht alle“? in sein logisches Gegenteil: „Es waren nicht alle!“ Dieses Kind ist nicht hübsch… 

Dabei hat das Übersetzerkollektiv durchaus mit sich gerungen. Bei genauem Hinschauen entdeckt man, dass in einer Fußnote der wahre Wortlaut wiedergegeben ist, als „andere Übersetzung“. Und der Eingriff ist sicher gut gemeint. Das griechische Original nämlich ist in zweierlei Hinsicht nicht korrekt: sachlich nicht und auch nicht politisch. Nach der Schrift gab es durchaus Israeliten, die vom Fluch ausgenommen blieben und das Heilige Land sehen durften: Kaleb und Josua, die beiden Späher, die dem Versprechen des Herrn glaubten, siehe Num 14,30 und Jos 14,6. Und die im Vers enthaltene Wertung, dass der jüdische Weg nicht zum Heil führt, ist heute schwer erträglich.

Das Dumme daran ist, dass diese Wertung nahe an der Kernbotschaft des Textes liegt. Der Hebräerbrief versucht Menschen, die sich dem Christentum erst vor kurzer Zeit angeschlossen haben, von einem Rückfall in die jüdische Gesetzlichkeit abzuhalten. Man mag das Anliegen und die Wertungen des Briefs nicht teilen wollen, man mag dafürhalten, dass es zwei gleichwertige Wege zu Gott gibt, einen aus dem alten Bund und einen aus dem neuen. Ich selbst bin dieser Überzeugung. Aber mit welchem Recht kann ein Übersetzer sich selbst und sein gutgemeintes Dafürhalten so zwischen den Text und seine Leser schieben? Wenn der Leser geschützt werden muss, sollte man ihm eine Kinderbibel geben.

„Das Wort sie sollen lassen stahn, und kein Dank dazu haben.“ Das sagt Martin Luther. Der Satz steht in der abschließenden Strophe von „Ein feste Burg ist unser Gott“. An wen er dabei wohl dachte? 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche, voll Zuversicht, auf dem Weg zu Gottes Ruhe!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 31/2022

…sondern die Jünglinge mit Bogen erschießen und sich der Frucht des Leibes nicht erbarmen noch der Kinder schonen.
Jes 13,18

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Wer spricht hier?

Oh, das klingt nicht gut! Stellen sich vor, Sie gehen an einer halboffenen Tür vorbei, in einem Hotel zum Beispiel, und hören diesen Satzfetzen in moderner Sprache: „…sondern erst die Jungs mit dem MG erledigen und sich dann mit dem Bajonett um die Bäuche der Schwangeren kümmern — und auch die Kinder kommen nicht davon.“ Wo ist die Polizei?

Hier ist zunächst der Kontext des Fragments (Lutherübersetzung 2017, die Verse 17-19), für einen ersten Aufschluß: 

Siehe, ich will die Meder gegen sie erwecken, die nicht Silber suchen oder nach Gold fragen, sondern die jungen Männer mit Bogen erschießen und sich der Frucht des Leibes nicht erbarmen und die Kinder nicht schonen. So soll Babel, das schönste unter den Königreichen, die herrliche Pracht der Chaldäer, zerstört werden von Gott, wie Sodom und Gomorra…

Die völlige Zerstörung Babylons durch die Meder wird beschworen. Das anschließende Kapitel 14 spricht von der Macht des babylonischen Reichs mit Worten, die viele Leser der Bibel an Luzifer denken lassen, den aufständischen Engelfürsten. 

Wer spricht hier? Formal ist es der Prophet Jesaja, er gibt Worte Gottes wieder. Die Beschreibung von unbeschränkter Höhe und absolutem Fall Babylons aber will nicht recht zum historischen Jesaja (740-701 v.Chr.) passen. Zu seiner Lebenszeit ist Babylon unwichtig, ein verbrauchtes, ein altes Reich, das den Übergriffen der aggressiven assyrischen Supermacht immer wieder erliegt und in deren Machtgefüge es eingegliedert ist. Erst rund hundert Jahre später, im Jahr 625, befreit Nabopolassar spektakulär das Land vom Würgegriff der Assyrer, mit Hilfe der Meder übrigens. Sein Sohn Nebukadnezar richtet daraufhin das gewaltige neubabylonische Reich auf. In diese Zeit fällt die Zerstörung Jerusalems und die Verschleppung seiner Einwohner ins Exil. Noch einmal hundert Jahre später, im Jahr 539, erobert der Perser Kyros das babylonische Reich, mit Unterstützung der unterworfenen Meder. Die Stadt Babylon selbst fällt kampflos. Die exilierten Einwohnern Jerusalems erhalten die Erlaubnis zur Heimkehr. 

Mit der Gewaltphantasie gegen die Kinder der Unterdrücker erinnert der Vers mich sehr an Psalm 137, im babylonischen Exil geschrieben und sein Ende herbeisehnend. Dies Gebet beginnt mit den Worten „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten“ und schließt: „Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns getan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“

Viele Exegeten gehen davon aus, dass das Buch Jesaja nicht nur einen Verfasser hat, sondern die Worte mindestens dreier, durch Jahrhunderte getrennter Propheten wiedergibt. Ausserdem wurde es umfänglich redigiert. In meinen Augen ist nicht viel Erkenntnis darin, die vielen Elemente jeweils auf einen bestimmten Verfasser, eine bestimmte Redaktionsschicht zurückzuführen. Das Buch hat eine lange Entstehungsgeschichte. Viele Menschen waren daran beteiligt, und auf geheimnisvolle Weise hat das Buch eine Identität jenseits all dieser Menschen gewonnen. 

Das Buch selbst spricht zu uns, kein bestimmter Verfasser. Dieses Buch der Bibel ist wie das Gedächtnis eines alt gewordenen Menschen, in dessen Seele sich Schicht über Schicht abgelegt haben: Erinnerung, Hoffnung, Verzweiflung, Abscheu, Sehnsucht. Unentwirrbar gehen Prophetie, Gegenwart und Gewesenes ineinander, befruchten sich gegenseitig und schaffen so eine Art Traumbild der Geschichte Israels und seiner Zukunft, seines Weges mit Gott und gegen Gott, seiner Vernichtung und seiner Errettung, des Gottesknechts und des Messias, bis hin zur Erlösung des Volks Israel und der Menschheit. 

Auch alptraumhafte Gewaltphantasien haben in diesem Traumbild einen prominenten Part, wie in einem Schlachtengemälde. Wen wundert’s? Bis wirklich die Wölfe bei den Lämmern lagern (Jes 11,6 und 65,25) geschieht viel, in der Traumzeit des Buchs wie auch in unserer Realität. 

Und bis dies geschieht, wolle der Herr unsere Kinder schützen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 30/2022

…hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht:…
Hiob 31,39

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Gott ist größer!

Zum Verständnis hier zunächst der Kontext des Satzfragments, die Verse 38-40:

Wird mein Land wider mich schreien und werden miteinander seine Furchen weinen, hab ich seine Früchte unbezahlt gegessen und das Leben der Ackerleute sauer gemacht; so mögen mir Disteln wachsen für Weizen und Dornen für Gerste. Die Worte Hiobs haben ein Ende.

In seinem früheren Leben, bevor Gott und Satan es zerstörten, war Hiob reich. Sein großes Land konnte er nicht selbst bearbeiten. Er brauchte die Hilfe von Abhängigen: Tagelöhner, Pächter vielleicht. Sie zu bezahlen hatte er sich verpflichtet, und hier hält er fest, dass er diese Verpflichtungen stets gehalten, seine Stellung als Grundherr nie unrechtmäßig ausgenutzt hat.

Warum ist ihm das wichtig? Die aus dem Buch Hiob gezogene Stelle steht vor dem Höhepunkt des Buchs. Hiob erklärt sich für gerecht. Insbesondere — und darum geht es im Vers — hat er denjenigen, die schwach waren und in seiner Macht standen, stets ihr Recht gegeben und mehr als das. Hiob spart nicht Atem noch Rhetorik für den Nachweis, um dann zu fragen: Gott, sieh her, ich bin gerecht — was bist Du? Im BdW 19/2018 ist eine Hinführung, und über den gezogenen Abschnitt hatten wir eine Betrachtung im BdW 50/2021 — „Einmal Nihilismus und zurück“.

Ich will mich nicht wiederholen, nur eine Beobachtung weitergeben. Zwei ungeheuer große Aussagen über Gott stehen hier im Raum: Gott ist mächtig und Gott gibt Gesetz. Wenn Gott Gesetz gibt, so muß es einen Unterschied machen, ob jemand sich daran hält oder nicht. Dies einfache Prinzip zieht sich durch die ganze Bibel. Wenn also ein Mensch sich an Gottes Gesetz hält, so muß es ihm besser gehen als einem anderen, der das nicht tut. Oder? 

Nun kann man sich vorstellen, dass Gottes Handlungsmöglichkeiten sehr gering werden, wenn die Schicksale der einzelnen exakt die Schattierungen ihrer jeweiligen Gesetzestreue wiedergeben müssen. Gott ist dann eben nicht mehr mächtig, er muß alles der Belohnung und Bestrafung der vielen Individuen unterordnen. Im Grunde ist er ein mit großen Befugnissen versehener Verwaltungsbeamter, der ausführend den Handlungen der Menschen unterworfen ist. Im Extremfall, und der wird im Buch Hiob sauber herauspräpariert, unterläge er gar der menschlichen Gerichtsbarkeit. Wer wollte einen solchen Gott? 

Nun, ich glaube, ich kenne einige. Hiob jedenfalls gehört dazu, ebenso wie seine drei Freunde. „Du gebietest mir, die Schwachen zu schützen, und ich tat es. Warum schützt du mich nicht, wenn ich schwach bin?“ Aber Hiob scheitert an der Macht Gottes. Gott ist groß! Was immer du sagst über ihn: Gott ist größer! Hiob und der Leser müssen die ganz reale Ungerechtigkeit des allmächtigen Gottes ertragen. Seine Gerechtigkeit ist nicht die unsere.

Eine Lektion für Fortgeschrittene, fürwahr. Kann ich damit umgehen? Ich weiss nicht recht. Es friert mich dabei. Hiob vermag es schließlich, am Ende eines langen Lernvorgangs. Das macht seine Größe aus und es ermöglicht den versöhnlichen Schluß des Buchs. Glauben und Vertrauen sind es, die uns retten, nicht Gerechtigkeit.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, im Schoß eines mächtigen Gottes, der auch ganz anders kann — und es hoffentlich nicht tut!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 29/2022

Und der König fand sie in allen Sachen, die er sie fragte, zehnmal klüger und verständiger denn alle Sternseher und Weisen in seinem ganzen Reich.
Dan 1,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Assimilation und Integration

Schabbat schalom! Diese Betrachtung ist meinem Freund Dani gewidmet. Er hat mir die einfache Methode erklärt, mit der er in der Fremde die jüdischen Speisevorschriften einigermaßen halten kann und dabei aktionsfähig bleibt. Von Georgien kam er als Student in die USA. Dort gab er seine jüdische Identität nicht auf, sondern nutzte im Gegenteil die neuen Chancen, sie zu entwickeln. Heute lebt er in Israel. Und zufällig heißt er wie der Held unseres Verses.

Worum geht es? Vier Jugendliche, darunter der Prophet Daniel, werden verschleppt, von ihrer Heimat im königlichen Palast in Jerusalem in die mehrere tausend Kilometer entfernte Hauptstadt des Imperiums. Nebukadnezar, Herrscher von Babylon, will sein riesiges Reich zusammenzuhalten. Er kann es nicht zentral regieren, dafür ist die Hauptstadt zu weit entfernt von der Peripherie. Er braucht funktionsfähige Vasallenstaaten, mit einer Führungsschicht, die ihm treu ergeben ist. 

Und so „importiert“ er Knaben aus der Führungschicht des eroberten Landes, um sie zu Babyloniern zu erziehen. Sie sollen alles lernen, was adelige babylonische Kinder lernen und ihre Lebensart annehmen.

Vom Rand der Welt in ihr Zentrum. Einen fortschrittlicheren Ort als Babylon gibt es zu dieser Zeit nicht — Macht, Wissenschaft, Kultur sind dort zuhaus. Eine gewaltige Verlockung. Es ist so, als seien die vier nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von Tiflis nach Boston gelangt. Eine Einladung zur Assimilation. Mehr als das, es ist sanfter Zwang. Die vier sollen auch die Speisen der Babylonier essen, von der Tafel des Königs. Die jüdischen Speisevorschriften verbieten das jedoch. Und so bittet Daniel ihren Mentor, den Kämmerer Aschpenas, sie mit Gemüse zu verköstigen. Fleisch und Milchprodukte nach jüdischen Regeln richtig zuzubereiten ist schwierig und kompliziert, und im Einzelfall hätten die vier die Regeln nicht einmal genau gekannt. Aber mit Gemüse kann man nicht viel falsch machen. Mein Freund Dani macht es genauso.

Aschpenas hat Angst. Er hat strikte Anweisung, dass die Kinder nur das beste Essen erhalten, und er sorgt sich, dass die frugale Kost seine Schützlinge blass und mager aussehen lassen könnte. Und so gibt es ein Experiment: Daniel schlägt Aschpenas vor, er möge es zehn Tage lang probieren und dann nach dem Ergebnis entscheiden. Aschpenas lässt sich darauf ein. Die nunmehr vegan (und koscher!) ernährten Knaben blühen regelrecht auf. Und es fällt ihnen viel leichter, schwierige Texte aufzunehmen. Als der König sie schließlich examiniert, ist das Ergebnis verblüffend —  „zehnmal klüger und verständiger denn alle Sternseher und Weisen in seinem ganzen Reich“!

Gott ist mit denen, die mit ihm sind. Vegane Ernährung sichert das Abitur…! Und sonst?

Nebukadnezar verlangt Assimilation. Die vier leisten statt dessen Integration: sie fügen sich erfolgreich in die Wirtsgesellschaft ein, behalten aber ihre kulturelle Identität. Daniel steht vor einer brillianten Karriere. Sie wird ihn zum Großwesir machen, zum Verweser des riesigen Reichs. Alles, was er dabei braucht, lernt er in Babylon, und doch macht er diese Karriere als Jude. Am Ende steht ein scheinbar unauflösbarer Konflikt, ein Konflikt, der ihn und seine Freunde in den Feuerofen führt — und wieder hinaus. Aber das ist eine andere Geschichte, siehe den BdW 31/2018.

Uns allen, besonders aber Dani, wünsche ich eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2022

…und sprach weiter: Gelobt sei der HErr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!
Gen 9,26

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ex unum, pluribus!

Ein schwieriger Vers, Sie werden gleich sehen, warum. Nur vier Männer gab es noch auf der Welt: Noah, und seine Söhne Sem, Ham und Japhet. Von diesen drei Söhnen und ihren Frauen stammen wir alle ab, sagt die Bibel. Ham vergeht sich gegen seinen Vater Noah und wird in seinem Segen nicht berücksichtigt. Hams Sohn Kanaan, Stammvater der nichtisraelitischen Ureinwohner des gelobten Landes, wird verflucht und zum Sklaven Sems erklärt, dem Stammvater Abrahams und der Israeliten! Dabei wird Gott der Herr explizit als „Gott Sems“ bezeichnet. Aber auch der Sklave Japhets soll Kanaan sein.

In der Bibel wird die Identität von Völkern und ihre Verwandtschaften untereinander konsequent auf die Identität von Gründervätern und ihre Verwandtschaften zurückgeführt. Völker werden mit den Namen ihrer Stammväter belegt, z.B. Israel, Edom, Ammon, ganz so, als handele es sich um Personen. Gelegentlich wird der Unterschied von Person und Volk durch die Beifügung des Worts „Kinder“ bezeichnet — Kinder Israel, Kinder Edom, Kinder Ammon. Konsequent werden in Gen 9 und 10 Völker und Völkergruppen als Nachkommen dieser drei Söhne Noahs identifiziert. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als „Völkertafel“, hier ist ein Link zum Wikipedia-Artikel.

Bis heute hat dieser Wurf als Anregung zur Bildung großer Kategorien gebildet. Im Mittelalter gruppierte man so die Bewohner der drei klassischen Kontinente: die Asiaten als Nachkommen Sems, die Europäer als Nachkommen Japhets und die Afrikaner als Nachkommen Hams. So habe ich es selbst von meiner Großmutter gelernt, und auch im Religionsunterricht der katholischen Konfessionsschule, die ich als Kind besuchte. Mit der Völkertafel in der Bibel stimmt diese Charakterisierung der Kontinente im einzelnen nicht überein, ebensowenig wie die Bezeichnungen großer Sprachfamilien (semitische, hamitische Sprachen), die man im neunzehnten Jahrhundert fand, als man begann, die Bildungsgesetze hinter den Sprachen zu verstehen.

Auch Rassisten nutzten die Kategorien, die die Bibel hier anbot. In Nordamerika half die Geschichte rund um den gezogenen Vers, die Sklaverei zu begründen: sie schafft eine Unterordnung Hams (der Afrikaner) unter die hellhäutigen Nachkommen Sems und Japhets. Und nationalsozialistische Rassenideologen und ihre Vorgänger sprachen dann von „Semiten“ als einer real existierenden biologischen Einheit, der sie spezifische Attribute beilegten. 

Diese Rezeptionsgeschichte ist durchaus häßlich. Und man muß wohl feststellen, dass eine solche Nutzung im biblischen Text angelegt ist. Er begründet zwar keine biologische Überlegenheit — diese Vorstellung ist der Bibel fremd — aber ein göttliches Recht hinter der Landnahme der Israeliten. Die Verheissung an Abraham, Isaak und Jakob (Israel) konkretisiert dies Recht. Es erlaubt den Kindern Israel, die Kinder Kanaan im Gelobten Land zu vernichten und zu unterdrücken. 

Was ich dagegen liebe und bewundere, ist die Art und Weise, wie Genesis die Entfaltung der Welt erzählt. Genesis schreitet von der Einheit in die Vielheit vor, und erklärt die Vielheit konsequent mit Brüchen in der ursprünglichen Einheit. Es erinnert mich daran, wie die moderne Kosmologie die „heisse Anfangsphase“ unseres Universums beschreibt. Aus einer unteilbaren und strukturlosen Singularität in Raum und Zeit entstehen zunächst Kernteilchen: Quarks, Protonen und Neutronen, dann leichte Atomkerne. Erst 300.000 Jahre später entkoppeln sich Strahlung und Materie. Hundert Millionen Jahre darauf bilden sich die Kerne erster Galaxien.  Ausdifferenzierung als Prinzip der Schöpfung. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
OUlf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 27/2022

Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Siehst du wohl allen diesen großen Bau? Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.
Mk 13,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Apokalypse — how?

Der Tempel war das Herz des religiösen und gesellschaftlichen Lebens im jüdischen Palästina. Die Ruinen der Fundamente, die man heute noch sehen kann, sind beeindruckend genug. Auf die Zeitgenossen hatte er eine ungeheure Wirkung. Als Jesus daher unvermittelt sein baldiges Ende voraussagte, hat es die Jünger „kalt erwischt“: 

Und als er aus dem Tempel ging, sprach zu ihm einer seiner Jünger: Meister, siehe, was für Steine und was für Bauten! Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Hier wird nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Im Markusevangelium steht diese Ankündigung im Zusammenhang mit Worten über das Ende der Welt, wie wir sie kennen und — nur angedeutet — der Heraufkunft einer neuen. Was Jesus sagt, erinnert in vielem an die Prophezeihungen am Ende des Buchs Daniel, vor allem Kapitel 12-14. Dort werden viele Angaben gemacht, die zu einer Datierung des Untergangs einladen. So steht etwa geschrieben: „Und von der Zeit an, da das tägliche Opfer abgeschafft und das Gräuelbild der Verwüstung aufgestellt wird, sind 1290 Tage“ (Dan 12,11). Von diesem Gräuelbild spricht auch Jesus (Mk 13,14). 

Jesus selbst war vom nahen Ende überzeugt — „… dies Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht“ (Mk 13,39). Der Tempel ging wirklich unter. Im Jahr 70 zerstörten ihn die Römern im Zuge der blutigen und gewaltsamen Unterdrückung einer Revolte, und die Stadt wurde entvölkert. Die Apokalypse, das Ende der Welt, wie wir sie kennen, das Gericht, die Heraufkunft des Messias und des Reichs Gottes, lassen hingegen auf sich warten. Oftmals in den zweitausend Jahren seither haben sich Menschen versammelt in der Erwartung, dass es nun so weit sei. 

Aber macht es einen Unterschied? Rom wirklich ist untergegangen, nur einige Sprachen, imposante Ruinen und die Reste des römischen Zivilrechts erinnern noch an das große Imperium. Ganz andere Menschen leben heute in Germanien, Italien, Palästina. Geschichte ist ein Mahlstrom, der in der langen Frist alles zerreibt. Und auch die große Katastrophe, der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, steht jedem von uns bevor: als individueller Tod. Er ist dem einen nahe, dem anderen noch näher. Ich bin in dieser Woche 59 Jahre alt geworden, das schärft den Blick.

Nichts bleibt. Das ist die Perspektive der Apokalypse, und sie ist realistisch, sehr im Unterschied zu unseren vielfältigen und komischen Versuchen, uns doch irgendwie unsterblich zu machen. 

Und daneben, dahinter und davor steht die Aussage Jesu, die Aussage Gottes: Ja, alles vergeht, was du siehst, aber auf das, was du siehst, kommt es nicht wirklich an. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Es ist beständig und vergeht nicht: die Kraft Gottes, sein ewiges Reich und unsere Zugehörigkeit, unsere Heimstatt in dieser anderen Welt. Diese Welt gibt es schon, wir leben in ihr und sehen es nicht. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 26/2022

Und ihrer waren bei viertausend, die da gegessen hatten; und er ließ sie von sich.
Mk 8,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Freiheit von Angst

Das Brotwunder: an die viertausend Menschen standen, saßen und lagen bei Jesus in der wüstenähnlichen Umgebung des Sees Genezareth. Manche waren von weither gekommen. Sie hatten keine Vorräte und niemanden, an den sie sich wenden konnten. Hatten sie sich in eine Falle begeben, als sie ihrem inneren Ruf folgten und den großen Prediger hören wollten, von dem so viel die Rede war? Jesus löst das Problem — er lässt sieben Stück Brot und ein paar Fische verteilen, die viertausend essen und werden satt, und es bleiben sieben Körbe übrig. 

Worum geht es bei dieser Geschichte? 

Gestern fuhr ich wie jeden Tag mit meinem Fahrrad in die Bank. Seit einiger Zeit habe ich Schmerzen in der Schulter, ich versuche daher, die gebeugte Haltung zu vermeiden und berühre den Lenker nur mit den Spitzen der rechten Hand. Und oft, wo es geht, fahre ich ganz freihändig, das kann ich kilometerweit. Ich fahre viel Fahrrad, das Fahrrad ist mir so vertraut wie der Gang auf meinen Beinen, vielleicht vertrauter noch. 

Ich dachte über den Vers nach. Dabei war ich deprimiert und müde, viel läuft falsch zur Zeit. Und beinahe ohne es zu merken schloß ich die Augen — während ich freihändig Fahrrad fuhr. Ich war nicht etwa eingeschlafen, das ist unmöglich auf dem Fahrrad, es war so, wie wenn man redet und dabei für einige Sekunden die Augen schließt, um sich zu sammeln. Ich war ungeheuer überrascht, dass das ging. Ich musste es gleich danach noch ein paarmal probieren…

Machen Sie es bitte nicht nach. Eine pädagogisch wertvolle Erfahrung ist es nicht, es ist eben das, was ich gestern mit dem Vers erlebt habe. Technisch ist es kein Wunder. Auf dem Fahrrad verhindert man das Umfallen nicht, indem man immer wieder nachschaut, ob der Horizont noch waagerecht ist. Es sind die Signale von Innenohr und Po, die uns das Gleichgewicht halten lassen. Solange es kein Hindernis gibt, macht „eigentlich“ keinen Unterschied, ob man freihändig nun mit offenen oder geschlossenen Augen fährt. Wir können ja auch gehen mit geschlossenen Augen 

Aber hätte ich vorher darüber nachgedacht — ich hätte fest erwartet, dass Angst das unmöglich macht, dass ich sofort in den Lenker greifen muß, das ich das Gleichgwicht verliere, wie ein Schlafwandler, der auf dem Dachfirst balanciert und plötzlich aufwacht. .

Fliegen für Anfänger. Angstfreiheit. Jesus erklärt es im selben Abschnitt etwas später. Die Jünger haben selbst kein Brot, und machen sich Sorgen, und äußern Unverständnis, als Jesus in Gleichnissen mit ihnen spricht. 

Und er merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr ein erstarrtes Herz in euch? Habt ihr Augen und seht nicht und habt Ohren und hört nicht? Und denkt ihr nicht daran: Als ich die fünf Brote brach für die fünftausend, wie viele Körbe voll Brocken habt ihr da aufgesammelt? Sie sagten: Zwölf. Und als ich die sieben brach für die viertausend, wie viele Körbe voll Brocken habt ihr da aufgesammelt? Und sie sagten: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Begreift ihr denn noch nicht? (Mk 8,17-21)

Glauben. Vertrauen und Freiheit von Furcht ermöglichen Dinge, zu denen wir ohne Glauben nicht fähig sind. Das gilt individuell, auf dem Fahrrad, und sehr viel mehr noch im Kollektiv.

Ich wünsche uns allen eine gesegnete zweite Jahreshälfte!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 25/2022

Sie sitzen gern obenan über Tisch und in den Schulen.
Mat 23,6 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Was tun? Und warum? 

Jesus ist im Tempel, kurz vor seinem Tod. Er spricht provozierend und ohne jegliche Rücksicht auf Verluste. Wie einer, der weiss, dass er nur noch wenige Tage zu leben hat. Vielleicht ist die Kausalität auch anders herum. 

Im Vers spricht er Personengruppen an — Pharisäer und Schriftgelehrte — und eine Haltung. Wie Jesus glauben die Pharisäer an Auferstehung und das ewige Leben und auch sie halten nichts von der etablierten Tempelbürokratie. Im Zentrum steht für sie das Verhalten des Einzelnen vor den Gottes Gesetz — „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen“. Jesus weiß, dass sich diese Frage nicht durch feinsinnige und detaillierte Auslegung des Gesetzes beantworten läßt, dass eine unmittelbare, persönliche Beziehung zu Gott und den Mitmenschen nötig ist — Glaube, Liebe und der Heilige Geist. 

Ich bin nicht überzeugt, dass der Matthäusvers den Pharisäern als Gruppe insgesamt gerecht wird. Sie galten als unbestechlich und mit ihrem Leben Gott zugewandt, unter hohen persönlichen Kosten. Das machte ihren Erfolg aus. Sie sind die Vorläufer der Rabbinen, die nach dem Untergang des Tempels und des offiziellen Mainstreams die Grundlagen für das orthodoxe Judentum legten, wie wir es heute kennen. Sie meinten es ernst, ihr ‚Drive‘ kam nicht nur vom Wunsch, in den Lehrhäusern obenan zu sitzen.

Die Haltung aber, die Jesus charakterisiert, ist weit verbreitet, auch unter Christen. Wieviel religiöse Aktivität gäbe es, wenn sie in den Gemeinden nicht Ansehen verschaffte? Wieviele Blogs mit biblischen Themen gäbe es, wieviel Lobpreismusik und Chorgesang? Wieviel Theologiestudium, wieviel Spenden und gute Werke?

Es ist natürlich, wenn wir Ansehen bei den Menschen suchen, die uns wichtig sind. Wir sind soziale Wesen. Aber vielleicht werden wir am Ende genau das bekommen, was wir wollen, und nichts sonst? „Wahrlich, ich sage Euch, sie haben ihren Lohn schon gehabt“, sagt Jesus dazu in Mat 6,2.

Wir sollen verstehen, warum wir tun, was wir tun, sagt Jesus!

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth