Bibelvers der Woche 43/ 2024

Und der HErr redete mit Mose und sprach:…
Num 3,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Was will Gott von mir?

Diesen Vers hatten wir schon einmal, als BdW 51/2018. Naja, nicht wirklich, wenn man darüber nachdenkt, wir hatten Num 5,1, und dort standen dieselben Worte in einem anderen Kontext, will sagen: der HErr spricht anschließend etwas anderes. Ich habe mir damals Gedanken über den Wortlaut des Verses gemacht, losgelöst vom Kontext, und über die drei sprachlichen Perspektiven, die in diesem Satz zusammenlaufen. Gucken Sie gern einmal darauf. Auch eine Variante gab es: BdW 48/2021 zum Aussatz von Häusern: „Und der HErr redete mit Mose und Aaron und sprach…“ 

Ich darf also hier über den Inhalt dessen nachdenken, was Gott zu Mose sagt. Es geht um den Dienst der Leviten. Die Nachkommen Levis, des dritten der Söhne Jakobs, waren dem Tempeldienst geweiht, siehe Dtn 18,1ff.  Sie besaßen kein Land, statt dessen hatten sie Rechte auf die Opfer, die die Israeliten brachten. 

Dieser Dienst wird hier begründet, und zwar auf spezielle Weise. Gott erhebt grundsätzlich Anspruch auf alle männliche Erstgeburt, siehe Ex 13,2ff und Num 3,3ff. Bei Tieren geschieht dies durch ein Opfer. Wertvolle Tiere können ausgelöst werden. Die Erstgeburt wird dann durch ein geringerwertiges Tier ersetzt. Beim Menschen muß die Erstgeburt immer ausgelöst werden. In älterer Zeit geschah dies durch Zahlung von 5 Schekel Silber. Zur Zeit Jesu war die Opferung zweier Tauben üblich — siehe den Bericht in Lk 2,22ff zur Darstellung Jesu im Tempel. Mit dem auf unseren Vers folgenden Satz begründet Gott den Dienst der Leviten, indem er sie als Ersatz für die eigentlich geschuldete Erstgeburt in Anspruch nimmt: „Siehe, ich habe die Leviten genommen aus den Israeliten statt aller Erstgeburt, die den Mutterschoß durchbricht in Israel, sodass die Leviten mir gehören sollen“. In den Versen 40ff. wird die Auslösung detailliert nachvollzogen. 

Bei den Leviten besteht mithin eine besondere Dienstpflicht qua Geburt, die für ein älteres Eigentum steht, das Gott an allen männlichen Erstgeborenen hat. Ich erinnere mich noch, wie ich in der Bibel davon las, dass Erstgeborene im Grundsatz dem Herrn als Opfer zustehen. Ich war fünfzehn und bin erster Sohn. Von der Pflicht, die Erstgeburt auszulösen, las ich auch. Aber was bedeutet der originäre, uralte Anspruch? Und war ich wirklich ausgelöst? Die Erzählung von der Opferung Isaaks war mir gegenwärtig. 

Ich habe nie darüber gesprochen — erst hier und jetzt mit Ihnen. Mein Vater hat die 5 Schekel Silber gewiss bezahlt, auf seine eigene Weise. Und Christen dürfen getrost sein , mit dem Opfertod Jesu ausgelöst zu sein. Jesus war übrigens erstgeborener Sohn und Paulus nennt ihn den „Erstgeborenen der Schöpfung“, Kol 1,15. Hier geht es um eine Schuld, die nichts zu tun hat mit Verstrickung in Sünde. Sie besteht gewissermaßen a priori — bei den Leviten wie bei den Erstgeborenen, vielleicht bei allen Menschen. Verschwindet solche Schuld durch Auslösung oder wandelt sie sich nur? 

Was will Gott von mir? Ich hoffe, Sie halten mich nicht für verrückt. 

Der Herr sei mit uns in der Woche, die vor uns liegt.
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 32/2024

…es sagt der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet:…
Num 24,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Segen und Fluch

Hier zunächst einmal der ummittelbare Kontext, damit wir einen vollständigen Satz vor uns haben. Der Satz hat es in sich (Num 24, 2b-6): 

Und der Geist Gottes kam auf ihn und er hob an mit seinem Spruch und sprach: Es sagt Bileam, der Sohn Beors, es sagt der Mann, dem die Augen geöffnet sind; es sagt der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet: 

Wie fein sind deine Zelte, Jakob, und deine Wohnungen, Israel! 
Wie die Täler, die sich ausbreiten, 
wie die Gärten an den Wassern, 
wie die Aloebäume, die der HERR pflanzt, 
wie die Zedern an den Wassern.

Kein Israelit ist es, der da spricht und segnet. Bileam ist Moabiter, Angehöriger eines mit Israel verfeindeten Volks. Dennoch ist er mächtiger Prophet des Herrn. Unser Vers charakterisiert ihn: der Mann, dem die Augen geöffnet sind; der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet. 

Ich will eine recht lange Geschichte kurz erzählen. Balak, König der Moabiter, sieht sich einer tödlichen Bedrohung gegenüber. Die zwölf Stämme Israels sind in sein Land eingefallen, zahlenmäßig und militärisch weit überlegen. Er ruft Bileam, den moabitischen Propheten des Herrn. Bileam soll die Israeliten verfluchen und damit entscheidend schwächen, wünscht sich Balak. Vielleicht kann er sie dann schlagen. Wen Bileam segnet, der ist gesegnet, wem er flucht, der ist verflucht, so sagt es der König. 

Gott lässt das nicht zu. Der Prophet will den Willen des Herrn zu tun, und dieser will Segen für Israel. Am Ende dreier Versuche Balaks, den Fluch doch noch zu realisieren, verbunden jeweils mit groß angelegten Opfergaben, segnet Bileam das Volk Israel feierlich. Balak steht ohnmächtig daneben.

Mir springt in dieser Geschichte Bileam ins Auge. Obwohl von einem Menschen gesprochen, haben sein Segen und Fluch eigenständige Kraft, so wie der Segen, der Isaak irrtümlich dem Jakob zuspricht. Der Wille des Herrn ist dem Bileam unmittelbar zugänglich. So sagt es unser Vers. Wie mag Bileam sich gefühlt haben, als er mit diesen Worten von sich selbst sprach? Gott macht die Kraft, die er Bileam gab, nicht wirkungslos. Er bringt er seinen Propheten dazu, sie zum Segen Israels einzusetzen. 

Die Geschichte enthält vielleicht die Erinnerung an eine Zeit, als Gott der Herr nicht selbstverständlich Gott Israels war. Balak, der Moabiterkönig, sucht mit einem Opfer die Hilfe des  Herrn gegen die Isrealiten. Allein das schon ist auffällig. Und Bileam kann den erbetenen Fluch nicht aussprechen, weil er den Willen Gottes tun will. Zuvor hatte Mose Gott den Herrn bei den Midianitern kennengelernt, am Berg Horeb, wo sein Schwiegervater Priester war. 

Bileam ist Moabiter, aber dennoch erinnert mich seine Beziehung zu Gott einige Momente lang an die von Moses. Gott tut was er will und sucht sich dazu, wen er will. Bileams Ende ist tragisch. Er, der zu jedem Zeitpunkt den Willen des Herrn tun wollte, wird beim Genozid an den Midianitern getötet (Num 31,8), Zum Genozid siehe BdW 18/2024 und die Verweise dort).

Bileams Segensworte haben im Judentum große Bedeutung. Mit ihrem Beginn setzt das Ma tovu, ein, eines der großen Gebete im Judentum. Das Ma tovu ist Lobpreis und drückt Ehrfurcht aus vor den Stätten der Anbetung. Hier ist die Vertonung durch Paul Wilbur mit einer bekannten Melodie. 

Am 4. August ist Israelsonntag. In diesem Blog steht am Ende jeder Betrachtung eine Bitte um Segen. Dieses Mal gilt sie dem jüdischen Volk, etwas anderes kann ich gar nicht aufschreiben… Der Herr sei mit seinem Volk und geleite es sicher durch eine dunkle Zeit! 
Ulf von Kalckreuth 

Bibelvers der Woche 18/2024

Und sie nahmen aus den Tausenden Israels je tausend eines Stammes, zwölftausend gerüstet zum Heer.
Num 31,5

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Genozid

Der Vers ist aus der schrecklichen Erzählung zum Feldzug gegen die Midianiter, unmittelbar vor dem Einfall der Israeliten in Kana’an. Bevor er stirbt, erhält Mose von Gott einen letzten Auftrag: das Volk der Midianiter soll vernichtet werden. Ganz. Die Midianiter sind ein nomadisch lebendes Wüstenvolk, Ismaeliten, den Arabern verwandt. Die Israeliten töten erst alle Männer, auf Mose Geheiß dann auch die Knaben und sowie alle Frauen, „die schon einen Mann erkannt und bei ihm gelegen hatten“. Nur die Jungfrauen bleiben am Leben. Es sind 32.000. 

Der Genozid ist thematisiert in den BdW 19/2019 und 04/2023. Ich möchte Sie gern auf diese intensiven Betrachtungen verweisen. Es fällt mir sehr schwer, dem etwas hinzuzufügen. 

Eines vielleicht. Was wird erzählt und wie wird es erzählt? Die genannten früheren Verse behandelten Regeln für die Verteilung der Beute. Im Vers dieser Woche geht es um die militärischen Ressourcen. Der Einsatz erfolgt gleichmäßig über die Stämme: Jeder Stamm stellt tausend Krieger bereit. Die Vernichtung wird als organisatorische Aufgabe behandelt. 

Meine Frau und ich haben in der vergangenen Woche „The Zone of Interest“ gesehen. Der Film handelt von der Familie des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß. Er zeigt, wie man psychisch mit dem Grauen umgehen muss, um den Alltag zu überleben, aktionsfähig zu bleiben. Man muss dieses Grauen, wo immer möglich, ausblenden, abtrennen, partialisieren, partikularisieren. Den Massenmord in die eigenen Welt nur einlassen, wo er unabweisbare Forderungen stellt, und auch dann nur mit größtmöglichem inneren Abstand. Höß erträgt so seine Arbeit, die Planung, die Verwaltung, die Sitzungen. Der Ehefrau des Lagerkommandanten gelingt es perfekt. Sie identifiziert sich so sehr mit dem Traumhaus an der Mauer des Vernichtungslagers, mit dem Garten, den sie angelegt hat, dass sie die Versetzung ihres Mannes verhindern will und — als dies nicht gelingt — mit der Familie in Auschwitz wohnen bleibt.

Vielleicht macht die Bibel hier dasselbe. Manchmal spricht sie ja wie eine Person, mit einer eigenen Identität, die sich erhebt über die Identität ihrer vielen widerstreitenden menschlichen Redakteure. Die Vorbereitung und die Durchführung der Vernichtung sowie die anschließende Verteilung der Beute wird distanziert und analytisch beschrieben, alles zahlenmäßig genau belegt, als ginge es um Logistik, als sei jemand anderes am Werk. Jemand wie Höß.

Im Film kann nur die Ehefrau das Grauen gänzlich ausblenden. Allen anderen, Höß selbst eingeschlossen, ist es stets latent gegenwärtig: in Tönen, Bildern, zufälligen Funden, fernen Schreien und Schüssen, Alpträumen, den sonderbaren Spielen der Kinder, im Rauch und Teer der Krematorien. Immer wieder bricht das Grauen ein. Der Film enthält keine einzige Gewaltszene, er ist FSK 12. Aber wenn man das Kino verläßt, fühlt man sich elend und krank.

Die Bibel scheint die Angelegenheit mit dem 31. Kapitel abzutun, der Feldzug gegen die Midianiter kommt nachher nicht mehr zur Sprache. Aber irgendwie bleiben die Bilder. Sie wiederholen sich bei der Landnahme der Israeliten durch Josua und sie kehren sich gegen das eigene Volk, als das Land erst von den Assyrern und Babyloniern und später noch einmal von den Römern vernichtet wird. Ein Alptraum, der nicht enden will. 

Da ist noch etwas. In den beiden vergangenen Wochen gab es endzeitlich geprägte Verse. Jesaja sagt uns, dass am Tag des Herrn das Land selbst die verscharrten Ermordeten und ihr vergossenes Blut herausgibt und zeigt. Auch der Vers Zefanias verweist auf den Tag des Herrn und sein Gericht im Heiligen Land. Ich betrachte jeden gezogenen Vers für sich. Aber manchmal läßt sich über die Wochen eine Melodie oder Harmonie wahrnehmen. Hier ist es ein düsterer Dreiklang, mit Quinte und None vielleicht. 

Das Schicksal von Rafah im Gazah-Streifen ist noch offen und viele der Geiseln sind noch unter der Erde gefangen. Ich will beten, dass diese Verse keine weiteren Bezüge zur Gegenwart bekommen. Bibelverse zu ziehen und mit Blick auf unser Leben zu lesen kann weh tun.

Der Himmel helfe uns allen.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 36/2023

Nach der Zahl der vierzig Tage, darin ihr das Land erkundet habt; je ein Tag soll ein Jahr gelten, dass ihr vierzig Jahre eure Missetaten tragt; auf dass ihr innewerdet, was es sei, wenn ich die Hand abziehe.
Num 14,34

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zurückweisung

Oh, das klingt nicht gut…! Was ist passiert? Nach einem Durchzug durch die Wüste kommt das Volk Israel an die Grenze Kanaans des Gelobten Landes. Späher werden ausgesandt, und sie berichten Schreckliches über Kraft und Stärke seiner Einwohner. Eine militärische Eroberung scheint aussichtslos, selbstmörderisch. Die Israeliten wollen den Sprung nicht wagen und murren — gegen Gott und gegen die Führung Moses. 

Dies Mißtrauen ist für Gott die Zurückweisung seines großen Versprechens. Mose hält ihn ab von einem Gewaltakt gegen sein Volk. Aber keiner der jetzt lebenden Erwachsenen soll das Gelobte Land sehen — mit Ausnahme zweier Späher, die sich dem Mainstream der anderen entgegengestellt haben. Erst den Kindern der Wüstenwanderer soll der Ausbruch gelingen. Dazu gibt es Betrachtungen bei BdW 40/2018 und BdW 01/2022. Es ist ein Fluch, der milderen Art immerhin. Die Isrealiten sollen in der Wüste bleiben, aber stehen dort weiter unter Gottes Schutz. 

Der unversöhnliche Ton des Verses irritiert. Gott ist persönlich gekränkt und stellt die Rechnung — ein Jahr Wüste für jeden Tag, den die verfehlte Erkundung dauerte. Woher diese Kränkung? Von Eltern verlangt man heute, dass sie von ihren Kindern viel Schlimmeres entgegennehmen und dabei gleichmütig, offen und zugänglich bleiben. Die andere Wange hinhalten, positiv, ein Fels in der Brandung…

Und auch heute gelingt Eltern das nicht immer. 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2023

…und Eljasaph, der Sohn Deguels, über das Heer des Stammes der Kinder Gad.
Num 10,20

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gott in der Bewegung

Wieder und immer noch ist das Thema die große Verheissung, das Gelobte Land. In der vergangenen Woche waren wir Zeuge, wie diese Verheissung an Abraham ging, verbunden mit einem geradezu unglaublichen Zeithorizont für die Erfüllung. Und in der Woche davor konnten wir erleben, wie diese Verheissung scheinbar endgültig zerschellte. 

Wir hatten früher schon Num 10,24 als BdW 49/2020, er sieht dem Vers dieser Woche zum Verwechseln ähnlich: : …und Abidan, der Sohn des Gideoni, über das Heer des Stammes der Kinder Benjamin. Der Kontext ist derselbe: Das Volk Israel hat am Sinai die Offenbarung empfangen und bricht nun auf — mit der Stiftshütte und unter Gottes Leitung –, das Gelobte Land einzunehmen, Stamm für Stamm, und ihre Führer werden einzeln aufgerufen. Was ich seinerzeit geschrieben habe, kann ich heute nicht besser sagen, bitte werfen Sie einen Blick auf diese Betrachtung: 

Der Herr ist Gott in der Bewegung…!

Der große Aufbruch führt zunächst ins Nichts: Viele Jahrzehnte lang ziehen die Israeliten in der Negev umher und reifen in dieser Zeit zum Volk. Erst die Nachkommen gelangen ins verheissene Land. Dann aber sind es in der Tat die Gaditer, die als erste ihr Land einnehmen, einen fruchtbaren Streifen östlich des Jordan. Das Land liegt an der Grenze des israelitischen Siedlungsgebiet, und die Gaditer gelten als kriegerisch. 

Chagall hat den Stämmen Israels zwölf Fenster gewidmet, deren jedes einen der Stämme ins Bild setzt, sie sind zu sehen im Hadassah Medical Center in Ein Kerem, near Jerusalem. Hier ist das Fenster für Gad:

https://www.hadassah.org.il/en/gad/r

Es spricht vom Tod und dem Leben, das den Tod überdauert. 

Der Herr ist Gott in der Bewegung…!

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 04/2023

Und alles Goldes Hebe, das sie dem HErrn hoben, war sechzehntausend und siebenhundertfünfzig Lot von den Hauptleuten über tausend und hundert.
Num 31,52

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Finsternis möge mich decken…

Der gezogene Vers stammt aus einem der schrecklichsten und unerträglichsten Abschnitte der Bibel. In keiner Spruchsammlung gibt es Verse daraus, und im Religionsunterricht kommt die Geschichte nicht vor. In Woche 19/2019 hatten wir bereits einen Bibelvers zu der Geschichte, und ich lade Sie ein, einen Blick auf den dazugehörigen Kommentar zu werfen. Hier ist der Link. 

Kurz vor dem Ende der Wüstenwanderung der Israeliten befiehlt Gott einen Vernichtungsfeldzug gegen die Midianiter. Anlass waren Ausschweifungen sexueller Art von Angehörigen der beiden Völker sowie die Rolle Bileams, eines midianitischen Propheten, beim Versuch der Moabiter, den Vormarsch der Israeliten aufzuhalten. Die Midianiter sind Nomaden und leben in der Halbwüste. Der Feldzug bezweckt und erreicht die fast vollständigen Vernichtung dieses Volks. Die Israeliten töten zunächst nur die Männer. Auf Befehl Moses töten sie dann auch die erwachsenen Frauen sowie alle Knaben. Nur die jungfräuliche Mädchen werden verschont, ihre Zahl wird mit 32.000 angegeben. Die Größe des Volks, das überfallen und vernichtet wird, kann man daraus mit 250.000 bis 300.000 abschätzen. 

Hinsichtlich des Viehs und der gefangenen Mädchen gibt Moses auf Gottes Geheiß eine Verteilungsregel. Von allem soll die Hälfte an die Kämpfer, die andere Hälfte aber an das gesamte Volk gehen. Vom Anteil, der den Kämpfern zusteht, bekommt Gott selbst zwei Promille, also ein Promille der gesamten Beute, namentlich auch 32 Mädchen (Vers 40). Die Regel trifft keine Aussage über das geraubte Gold. Jeder der Kämpfer hat für sich selbst geraubt (Vers 53), aber ein Teil der Beute sammelt sich auch bei den Obersten der Hundertschaften und Tausendschaften. Nach der Schlacht stellen diese fest, dass es auf eigenenr Seite nicht einen einzigen Gefallenen gegeben hat, und sie geben den ihnen zufallenden Teil der Beute aus freien Stücken dem Herrn in Gänze als Opfer. Das ist der Inhalt des Verses oben. Es ist nicht wenig: die 16.750 Schekel (Lot) Gold wiegen etwa 190 Kilo. Ein Kilo Gold kostet heute etwa 58.000 Euro. 

Ein veritabler Genozid wird hier beschreiben, auf Anordnung Gottes, der selbst an der Beute beteiligt ist. Zu dem, was ich bereits in der Betrachtung zu BdW 19/2019 geschrieben habe, möchte hier einige Gedanken hinzufügen.

Gott ist nicht nur der Vater des Lichts, sondern Vater auch der Finsternis. Beides hat er geschaffen, beides verantwortet er. Das Leid in der Welt ist teilweise von Menschen gemacht, teilweise aber auch fest verdrahtet in Grammatik und Syntax unserer Welt, in Physik, Chemie und Biologie. Anfang der letzten Woche ist eine Nichte meiner Frau nach langem Kampf an multiplem Krebs gestorben. Sie hinterläßt zwei Kinder, eines davon geistig und körperlich schwer behindert und einen Ehemann, der für die Pflege und das Auskommen der Familie nun allein sorgen muß. Sie hinterläßt auch verzweifelte Eltern. Vor einiger Zeit, im Jahr 2017, wurde meine eigene Kusine bei einem Terroranschlag in Spanien getötet. Auch sie hinterließ zwei Kinder. Mir selbst und meinen beiden Kindern geht es gesundheitlich gut. Meine Frau hat im vergangenen Jahr eine Krebserkrankung überstanden. Grund genug für große Dankbarkeit, das weiss ich! Aber ich kann keine Regel oder Gerechtigkeit hinter diesem Bild erkennen.  

In Jesus wendet uns Gott seine liebende und erbarmende Seite zu. Jesus geht den Weg ins Herz der Finsternis Gottes und hindurch zur anderen Seite. Liebe und Erbarmen sind in der Welt, ja, sie gehören also zu dem Gott, der sie schuf. Aber von der dunklen Seite Gottes wird in der Bibel auch berichtet — die des strafenden und rächenden Gottes. Und die Welt, sie zeugt von dieser Seite. Die Bibel ist viel realistischer als unsere religiöse Praxis. Die Propheten erzählen von der strafenden und der heilenden Präsenz Gottes, manchmal unentwirrbar durcheinander. Den ungnädigen Gott haben wir vergessen, wir wollen ihn nicht sehen. Aber passt unser Gott dann noch zur Welt, die wir sehen? 

Wir können Gott nicht entfliehen, er ist immer da, auch in den Schützengräben und im Bombenterror der Ukraine. Aber welches Gesicht zeigt er uns? Die dunkle oder die lichte? Und an welches seiner Gesichter wenden wir uns? Mit Gott zu rechten ist nicht verboten, aber es ist sinnlos — Gott hat die Macht und mit der Macht auch das Recht. So sagt es uns das Buch Hiob.

Unsere Hoffnung kann nicht sein, dass es das alles nicht geben, dass Gott das alles nicht zulassen möge. Jeder neue Tag zeigt, dass diese Hoffnung trügt. Glaube kann etwas anderes tun. Er kann hoffen, dass die tödliche Seite dieser Welt in Gott irgendwie (!) aufgehoben ist. Mutiger und reiner Glaube muß das sein, denn Evidenz dafür gibt es nicht. Jemand sagte mir, dass Gott vielleicht manche Menschen bei sich haben möchte. Ja, vielleicht war es bei meinen beiden Kusinen so — vielleicht…! 

Wir sehen Gott, sein Licht und seine Finsternis. Psalm 139 singt dies so: 

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, 
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? 
Führe ich gen Himmel, so bist du da; 
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. 

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, 
so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. 
Spräche ich: Finsternis möge mich decken 
und Nacht statt Licht um mich sein –, 
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, 
und die Nacht leuchtete wie der Tag. 

Finsternis ist wie das Licht.

Im Anschluß an die ersten vier Zeilen könnte es ganz andere Lieder geben. Ich kann sie durchaus hören, diese Lieder. Ich werde sie nicht singen. Das ist meine Entscheidung — frei, nicht erzwungen.

Amen.

Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 35/2021

Und der HErr sprach zu Mose: Fürchte dich nicht vor ihm; denn ich habe ihn in deine Hand gegeben mit Land und Leuten, und du sollst mit ihm tun, wie du mit Sihon, dem König der Amoriter, getan hast, der zu Hesbon wohnte.
Num 21,34

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Fürchte dich nicht!

Die Wüstenwanderung ist zu Ende. Fast vierzig Jahre lang ist das erwählte Volk durch den Negev gezogen, in einer großen Kreisbewegung um das Seïr-Gebirge. Nun macht es, noch unter Mose, einen Ausbruch nach Osten, um dann auf der transjordanischen Seite nach Norden zu ziehen.  

Die Landnahme beginnt. Die Israeliten wollen das Land von Sihon durchqueren, dem König eines Amoriterreichs. Sie versprechen, nur durchzuziehen und auf der Königsstraße zu bleiben und für das Wasser zu zahlen, dass sie nutzen. Einige Zeit vorher waren sie mit demselben Anliegen bei den Edomitern gescheitert, diese hatten den Durchzug verweigert. Auch Sihon weigert sich und zieht den Israeliten entgegen. Mose greift an und Sihon wird furchtbar geschlagen. Die Israeliten nehmen sein Land ein und ziehen weiter Richtung Norden nach Baschan, einem anderen Amoriterreich östlich des Jordan. Auch dessen König, Og genannt, stellt sich ihnen entgegen. 

Die Heere stehen sich gegenüber. Das der zwölf Stämme und das Heer König Ogs, letzteres kleiner wohl, aber vielleicht besser geordnet und bewaffnet. An dieser Stelle steht der Bibelvers: Mose wird den Kampf gewinnen, sagt der Herr, und er soll das Land Baschan einnehmen, gerade so, wie er es mit dem Land König Sihons in Heschbon getan hat. Und so geschieht es. Aus dem Land der beiden Amoriterreiche erhalten die Stämme Ruben und Gad sowie der halbe Stamm Manasse ihr Erbteil — noch vor der Überquerung des Jordan bei Jericho.

Auch das Deuteronomium berichtet von den Geschehnissen. Dtn 2 und 3 sind zugespitzter als Num 21. Man erfährt, dass König Og einer der letzten der vorzeitlichen Riesen war, und man liest auch, dass die Israeliten an allen Bewohnern beider Königreiche den Gottesbann vollstreckten: Männern, Frauen und Kindern.

Die Länder Sihons und Ogs waren organisierte Reiche mit festen Städten, hier ist ein Link. Eine Eroberung „im Vorbeigehen“, unter Auslöschung der gesamten Bevölkerung gar, ist schwer vorstellbar. Ich möchte aber auf etwas anderes aufmerksam machen: den erstaunliche Kontrast zum Beginn der Wüstenwanderung. Die Ägypter hatten ein Volk von Bausklaven in die Wüste getrieben und mit ihrer Armee verfolgt, gerade so wie es die Deutschen mit den Hereros taten. Nur ein Wunder konnte das wehr- und hilflose Volk retten. In existenzieller Gefahr rief Mose den Israeliten zu: 

Fürchtet Euch nicht. Steht fest und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wieder sehen. Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein (Gen 14,13f).

Fürchtet Euch nicht! Fast ebenso beginnt im gezogenen Bibelvers Gottes Wort an Moses, aber was für ein Unterschied im Kontext! Den Amoritern hilft kein Wunder. Etwas Großes, etwas Grundsätzliches ist geschehen während des jahrzehntelangen Zugs durch die Wüste. Unter der Führung eines Mannes und seines Gottes ist aus einem Volk von Sklaven ein Heer kampferprobter Eroberer geworden. Die Landnahme hat begonnen. Das Buch Josua berichtet, mit welch furchtbarer Effizienz sie sich weiter vollzieht. Vieles kann man darin sehen. Auch den Segen und die Treue des Herrn und die Erfüllung eines Versprechens. Keine Frage, der Text verlangt diese Lesart. Mir fällt sie schwer.

Ich wünsche uns allen den Frieden Gottes, in dieser Woche und immer,
Ulf von Kalckreuth

Nachtrag, 28. August:
Vielleicht muß ich nicht immer auf den ganz großen Zusammenhang schauen. Ich bin ja kein Theologe. Man kann den Vers auch einfach als Ermutigung in einer bevorstehenden Auseinandersetzung lesen, nicht wahr? Wie es sich wohl anfühlt, im Auftrag Gottes unterwegs zu sein?

Bibelvers der Woche 30/2021

…und der Eifergeist entzündet ihn, dass er um sein Weib eifert, sie sei unrein oder nicht unrein,…
Num 5,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Gottesurteil

Wieder ein Vers, über den vielleicht noch nie eine Predigt geschrieben wurde. Es geht um ein Gottesurteil, das die Schuld oder Unschuld von Frauen klären soll, die des Ehebruchs verdächtigt wurden. Es ist dies ein schwerer Verdacht: auf Ehebruch stand nichts weniger als die Todesstrafe, und zwar sowohl bei der verheirateten Frau als auch beim Mann, der in die Ehe einbricht, siehe Deut 22,22 und Lev 20,10. Das Gesetz ist asymmetrisch. Einem Mann sind außereheliche Beziehungen grundsätzlich erlaubt, sein Seitensprung bleibt folgenlos, wenn er dabei nicht die Ehe eines anderen Mannes bricht.

Andererseits aber sieht das ältere Judentum vor, dass Urteile wegen schwerer Vergehen nur aufgrund von Zeugenaussagen erfolgen können. Nach Deut 19,15 sind für ein Urteil mindestens zwei Zeugenaussagen nötig. Nun findet Ehebruch kaum je in der Öffentlichkeit statt, so dass die Norm in Gefahr steht, leer zu laufen. Selbst wenn eine Frau mit dem Kind eines anderen schwanger war, fehlte es ja an Zeugen. 

An dieser Stelle greift das in Num 5 beschriebene Verfahren ein. Ein Mann hat das Recht, seine Frau zum Priester zu bringen und ihre Treue durch ein Gottesurteil klären zu lassen. Er bringt ein Opfer mit, legt es ihr in die Hand, so dass sie selbst zur Opfernden wird, und der Priester lässt sie Wasser trinken, das mit Staub aus der Umgebung des Allerheiligsten verunreinigt ist. Das Wasser wird verflucht. Der Priester spricht — und sie bestätigt durch doppeltes Amen — dass dies Wasser sie unfruchtbar mache und schwer entstellen werde, wenn sie die Ehe gebrochen hat, dass es aber harmlos bleibe, wenn dies nicht der Fall ist. Hier ist ein Link zu einer eingehenden Beschreibung des Verfahrens.

Der Text nennt explizit zwei Anlässe für das Verfahren: die Schuld der Frau ist mehr oder weniger offensichtlich, oder aber der Mann ist nachhaltig „vom Geist der Eifersucht“ entzündet, ob zu Recht oder zu Unrecht. Diese Möglichkeit greift der gezogene Vers auf. In beiden Fällen kann die Ehe nicht ohne weiteres fortgeführt werden, und das Gottesurteil wird nötig.

Das Verfahren wird detailliert auch im Talmud beschrieben, in einem eigenen Abschnitt. Man kann davon ausgehen, dass es tatsächlich zur Anwendung kam. Gibt es hier irgendwo eine frohe Botschaft? Der Ritus bietet immerhin die Möglichkeit, den Schuldvorwurf aus der Welt zu schaffen. Und es ist kein Gottesurteil der Art, bei dem jemand mit einem Mühlstein um den Hals in den See geworfen wird, damit Gott ihn errette, wenn er unschuldig ist. Der Staub dürfte unappetitlich, aber nicht gesundheitsschädlich gewesen sein. Implizit beinhaltet das Verfahren eine starke Tendenz zugunsten der beschuldigten Frau. 

Aber manche Problemlösungen sind keine. Stellen wir uns die Szene vor: ein Mann geht mit seiner Frau den weiten, staubigen Weg zum Tempel in Jerusalem. Sie ist möglicherweise schwanger. Er stellt sie dem Priester vor und die drei vollziehen den Ritus. Wenn die Frau das „bittere, verfluchten Wasser“ trinkt und nicht daran stirbt, so könnte die Ehe fortgeführt werden. So ist es wohl gemeint. Aber was wird, was kann von dieser Ehe dann noch übrig sein? 

Vertrauen wäre besser — Vertrauen der Art, die sogar das Wissen überlagern kann. Aber solches Vertrauen ist nicht jedermanns Sache. Wie der Glauben auch.

Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 49/2020

…und Abidan, der Sohn des Gideoni, über das Heer des Stammes der Kinder Benjamin.
Num 10,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Auf dem Weg

Wir bewegen uns weiterhin in der Torah — in den letzten drei Wochen hatten wir nacheinander Verse aus den Büchern Genesis, Exodus und Leviticus. Nun also Numeri, und immer noch die Wüste.  Aus Numeri 10 hatten wir schon einmal gezogen; erinnern Sie sich an die schöne Stelle mit den zwei Trompeten in Woche 17/2019? Nun erleben wir die Trompeten in Aktion — es wird der Aufbruch vom Sinai beschrieben, der Beginn der langen, kreisförmigen Wanderung. 

Die Wolke, die für die Gegenwart Gottes steht, erhebt sich von der Stiftshütte — vor zwei Wochen erst hatten wir ihrem Bau beigewohnt. Die Hütte wird zerlegt und getragen. Für die Stiftshütte selbst sind andere Gruppen verantwortlich als für die schweren heiligen Geräte. Die Heerscharen der einzelnen Stämme brechen nacheinander auf, nach Stämmen und Heeresgruppen getrennt. Die jeweiligen Führer der Großverbände werden genannt — unser Vers bezeichnet den Aufbruch des Stammes Benjamin unter der Leitung von Abidan. Die Wolke indiziert einen neuen Ort, die Stiftshütte wird dort aufgebaut und die heiligen Geräte folgen. Die Wanderung des ganzen Volks wird angeführt von der Bundeslade.

Dies ist ähnlich wie beim Zug aus Ägypten hin zum Sinai, und doch ganz anders. Auf dem Weg aus Ägypten durch das Schilfmeer in die Wüste hatte die Wolke tags geführt und eine Feuersäule nachts. Immer noch sind die Israeliten in der Wüste und wandern. Aber als Ergebnis der Offenbarung gibt es nunmehr die Lade mit ihren Gesetzestafeln und die Stiftshütte mit dem Allerheiligsten und den Kultgegenständen, mit genauen Anweisungen für ihren Gebrauch. Eine neu gestiftete, geoffenbarte Religion — sie ist gleichzeitig Staats- und Zivilordnung — verbindet die Stämme. Als entlaufende Bausklaven waren sie zum Sinai gekommen, nun sind sie Nation, die sich auf eine Landnahme vorbereitet. Verband nach Verband bricht auf, in fester Ordnung, verlässt das Lager, zieht gemeinsam, lässt sich wieder nieder. 

Und so wird es bleiben während der nächsten vierzig Jahre. Die Wanderung, zunächst Übergang von einem Ort zum anderen, wird selbst Heimat. Fast alle, die wir hier aufbrechen sehen, werden auf der Wanderung ihr Leben beenden,. Erst die Kinder und Kindeskinder erreichen das versprochene Land. 

Das kann ein Bild für das Leben sein. Sie sind auf dem Weg. Die Orte, an denen sie sich aufhalten, sind vorläufig und letztlich unwichtig. Ihre eigentliche Realität tragen sie mit sich: Gott, das Gesetz und die Beziehungen untereinander. An „Social Distancing“ ist nicht zu denken — das Lagerleben ist eng, und in der Wüste ist die Sippe lebensnotwendig. 

Ein faszinierendes, sehr altes Bild. Und es ist so gar nicht das, was wir zu leben versuchen. Ist das gut für uns oder schlecht? Was soll unser Leben sein, Zustand oder Weg? Ein Zustand, als „So-sein“, ist seinem Wesen nach vergänglich. Wege können viel dauerhafter sein: die Römerstraßen und die antiken Handelswege werden oft heute noch genutzt. Der Begriff ‚Ewigkeit‘ ist für mich Chiffre eher für einen Weg als für einen Zustand.

Auf unserer Reise wünsche ich uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 19/2019

Nimm die Summe des Raubes der Gefangenen, an Menschen und an Vieh, du und Eleasar, der Priester, und die obersten Väter der Gemeinde; …
Num 31,26

Hier ist der Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Herz der Finsternis

Wenn ich einen Vers ziehe, gibt es einige Abschnitte in der Bibel, vor denen ich mich fürchte. Dieser hier gehört nun dazu. 

Der Herr befiehlt Mose kurz vor dessen Tod einen Rachefeldzug gegen die Midianiter, ein Wüstenvolk, den Arabern verwandt. Die Israeliten überfallen die Midianiter mit 12.000 Kriegern und töten alle Männer, deren sie habhaft werden können. Sie nehmen die Habe der Überfallenen; Frauen und Kinder lassen sie zunächst leben. Mose zürnt — gerade die midianitschen Frauen hätten doch das Unglück über die Israeliten gebracht. Also werden auch die Knaben getötet sowie alle Frauen, „die schon einen Mann erkannt und bei ihm gelegen hatten“. Nur die Mädchen bleiben am Leben. Es sind 32.000. Das erlaubt einen Blick auf die Zahl derer, die nicht überlebt haben.

Genozid also, knapp und präzise geschildert. Von Gott selbst angestoßen und von seinem Erzpropheten organisiert. Der gezogene Vers steht am Beginn der buchhalterisch genauen Regelung für die Teilung der Beute: der geraubten Mädchen, Tiere und Wertgegenstände. Von allem geht die Hälfte an die kämpfende Truppe, von diesem Teil wiederum steht ein festgelegter Satz dem Herrn zu — Gott wird als Kämpfer eingestuft. Er erhält zwei Promille aus der Hälfte, also ein Promille der Gesamtheit, darunter ausdrücklich 32 Mädchen. Die andere Hälfte geht an das ganze Volk, davon wiederum ein Teil an die Priester. 

Was den Anteil Gottes betrifft, so hat mich meine Hebräisch-Lehrerin davon überzeugt, dass es nicht um Menschenopfer geht, sondern dass „Trumah“ hier eine Art Abgabe ist. Das Wort kann zwar ein Opfer bezeichnen, Menschenopfer aber waren explizit verboten, und die in der Auflistung gleichfalls dem Herrn zugeführten Esel sind unreine Tiere, also für Opferhandlungen ungeeignet. 

Auch so aber ist das beschriebene Geschehen alptraumhaft genug. Woran können wir uns halten? Die Schilderung der Wüstenwanderung als ganze ist sicher nicht „historisch“. Dennoch mag es Bezüge zu realen Ereignissen geben. Auch in Richter 6-8 wird von einem Krieg zwischen den Israeliten und den Midianitern berichtet, der für letztere verheerend ausging. Und wann und wie auch immer der Text in das Buch Numeri gelangte, aus einer älteren Vorlage oder aus mündlicher Tradition: dem damaligen Redakteur und seinen Lesern erschien er „richtig“ — er entspricht dem Bild des Schreibers und seiner Leser von Gott und der eigenen Geschichte. Davon jedenfalls können wir sicher ausgehen. 

Dabei hat der Feldzug etwas eigentümlich Selbstzerstörerisches. Die Midianiter unterschieden sich in ihrer nomadischen Lebensweise von den Israeliten nicht. Man kannte sich gut. Die Völker waren verwandt, auch die Midianiter galten als Abkommen von Abraham. Mose war seinerzeit aus Ägypten nach Midian geflohen, hatte dort Zippora, eine Midianiterin, geheiratet, und sein Schwiegervater Jethro war midianitischer Priester — vermutlich sogar Priester des Herrn, denn er wohnte am Gottesberg. Die Begegnung mit Gott am Dornbusch hatte Mose, als er Jethros Schafe hütete. Jethro half Mose bei der Organisation des wandernden Volks. Später sollte Bileam, ein Prophet, die Israeliten im Auftrag der midianitischen Könige verfluchen, aber der Fluch geriet dem Volk zum Segen. Noch später (4. Mo 25) ließen sich Midianiterinnen mit den Israeliten ein. Das erregte den Zorn Gottes. 

Sonderbar also: die Völker waren verschwägert und es ist sogar denkbar, dass die Israeliten den Namen ihres Gottes bei den Midianitern kennengelernt haben: die Erzählung vom brennenden Dornbusch, von Jethro, dem Priester, und der Offenbarung am Berg Horeb deuten darauf hin. Wie mag Zippora das Massaker aufgenommen haben, wie Jethro? 

Wie kann man damit umgehen? Gott ist ewig und immer gleich. In dieser Ewigkeit ist er aber für uns nicht erkennbar. Was wir erkennen, sind Bilder von Gott. Diese Bilder sind nicht ewig, sondern wandelbar, wie wir Menschen. Sie haben viel mit uns selbst zu tun. Das ist legitim: wir sind nach seinem Bilde geschaffen, also ist sein Bild in uns.

Im Angesicht dieses furchtbaren Texts ist es verführerisch zu sagen, dass die alten Bilder eben falsch seien. Wissen wir, ob unser Bild heute richtig ist? Wer so verfährt, liest in der Bibel gern nur noch dasjenige, was glatt durch die Filter des Zeitgeistes geht — und das ist nicht eben viel. Die Warnung aus dem BdW der vergangenen Woche (2019 KW 18) vor selbst verfertigter Religion ist hier am Platz. Vielleicht ist es daher besser, einen größeren Abstand einzunehmen und die Bilder zu betrachten, als Bilder eben, nicht als eigentliche und ewige Wahrheit. 

Wir sind nach Gottes Ebenbild geschaffen, also ist sein Bild in uns. Ich habe einen Dominikanermönch sagen hören, er liebe es deshalb so sehr, Menschen zu beobachten, weil sich in allem was sie sind und tun, Eigenschaften des Göttlichen widerspiegeln. Er sagte das mit einem Lächeln, das um den Abgrund weiß. In der Tat: wenn wir und die Welt Gottes Werk sind, verhält sich alles Geschaffene irgendwie zu ihm. Auch die dunklen Seiten, auch die allerschwärzesten. Irgendwie ist alles enthalten und impliziert in dem, was selbst unerkennbar bleibt. 

In diesem Sinne ist der Abschnitt, in dem der Vers enthalten ist, eine Reise in die Finsternis in unseren eigenen Herzen. In Joseph Conrads „Heart of Darkness“ ist eine solche Reise am Ufer des Kongo angesiedelt; eine sehr bekannte Verfilmung spielt im Vietnamkrieg. Joseph Conrads Erzählung kulminiert in Bildern, die denen aus dem Midianiterfeldzug gleichen. 

Ich schreibe diese Zeilen am 2. Mai, dem israelischen Holocaust-Gedenktag, Jom Ha’schoa. Vielleicht ist das ein Schlüssel. Das „wahre“ Bild gibt es nicht, das wäre ein Widerspruch in sich. Was ist, wenn wir eine Verantwortung tragen für diejenigen Bilder des Unkenntlichen, die wir übernehmen, entwickeln, und wirksam werden lassen — in uns und dann auch in der Welt? Die Vielfalt der Bilder zulassen, sehen, begreifen, sich aber dann zu entscheiden und dabei Mitschöpfer werden? Geht das, ohne sich Religion selbst zu verfertigen?

Ich wünsche uns eine Woche, in der die Finsternis in unseren Herzen keine Macht über uns hat.
Ulf von Kalckreuth