Und sie kamen nahe zum Flecken, da sie hineingingen; und er stellte sich, als wollte er weiter gehen.
Lk 24,28
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Diese Welt und jene…
Am Morgen des dritten Tags nach Jesu Tod ist sein Grab leer, und er zeigt sich Menschen, die er gut kennt. Nicht als Gespenst, sondern als lebender Mensch. Das ist durchaus nicht einfach für die, die ihn sehen.
Maria Magdalena ist die erste, und sie erkennt ihren geliebten Meister nicht. Wie es ihr schließlich doch gelingt, ist eine berührende Erzählung. Siehe den BdW 47/2024 vor fast genau einem Jahr.
Im Vers dieser Woche sind es zwei Männer, Jünger, nicht aus der Kerngruppe der Zwölf. Sie sind unterwegs nach Emmaus, rund 12 km von Jerusalem entfernt. Sie diskutieren: Der Meister ist tot. War er der Messias? Wo ist sein Leichnam? Ist Maria Magdalena verrückt? Wie geht es weiter? Da gesellt sich ein Mann zu ihnen. Er versteht nicht, wovon sie sprechen, und sie klären ihn auf. Dann aber weiß er erstaunlich gut, wie alles zusammenhängt und aus den Schriften zu interpretieren sei. Ein reges Gespräch entwickelt sich. Als sie nach Emmaus kommen, stellt sich der Mann, als wolle er weiter gehen. So heißt es im Vers, und der Wortlaut impliziert, dass der Erzähler es besser weiß. Die Jünger nötigen den Fremden, in Emmaus zu übernachten. „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Beim Abendmahl nimmt er das Brot, bricht es und reicht es den beiden. Da erst erkennen sie Jesus.
Ich lese die Geschichte in zweifacher Weise. Auf der tatsächlichen Ebene beschreibt sie eine ‚kognitive Dissonanz‘. Um Jesus zu erkennen, hätten die Jünger eine Wahrnehmung akzeptieren müssen, die einen offenen Widerspruch zu den bekannten Tatsachen bedeutet. Jesus war tot, sie hatten es selbst gesehen, also kann er nicht neben ihnen gehen. Unsere Sinneseindrücke verarbeiten wir zu bewußten „Wahrnehmungen“ unter Hinzunahme all dessen, was wir über die Welt wissen. Unmögliches wahrzunehmen, ist uns (fast) unmöglich.
Es geht aber auch um Transzendenz. Transzendenz birgt das Unmögliche in sich. Der Kern von Jesu Botschaft ist das Reich Gottes. Jesus hat es nie abstrakt beschrieben, immer nur in Bildern. Es naht, es ist nicht manifest, es ist aber in uns und um uns, wie ein Korn, das mit seinen Möglichkeiten in dieser Welt IST. Eine Parallelwelt, würde ich es nennen. Alles was hier geschieht, hat Bedeutung dort, und umgekehrt. Die Welten berühren sich in Jesus und in seiner Gegenwart.
Und nun berühren sie sich vor den Augen der beiden Jünger — und sie sehen es nicht. Materielle Identität ist auch unerheblich. Von Bedeutung ist die Einheit in Christus, und dafür steht das Abendmahl, das ihnen schließlich die Augen öffnet.
Unser Vers steht für die Gleichzeitigkeit der beiden Welten. In ihrer bewußten Wahrnehmung ist der Mann für die Jünger ein Fremder. Was sie aber tun, entspricht dem, was im Reich Gottes richtig und angemessen ist. Als der Mann gehen will, lassen sie ihr Heil nicht los, sie zwingen ihn geradezu, bei ihnen zu nächtigen. Ohne es zu wissen, sind die Jünger in beiden Welten zugleich unterwegs. Die Geschichte sagt, dass das nicht leicht ist, und auch, dass man die Gleichzeitigkeit in sich zulassen muss.
Morgen ist Ewigkeitssonntag. Wir sind auf dem Weg in meine Heimatstadt und ich werde im Gottesdienst meines verstorbenen Vaters gedenken. Am kommenden Sonntag ist erster Advent, und ich darf den Gottesdienst mitgestalten: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe…“ Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, in beiden Welten zugleich!
Ulf von Kalckreuth

