Du wirst alle Völker verzehren, die der HErr, dein Gott, dir geben wird. Du sollst ihrer nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen; denn das würde dir ein Strick sein.
Dtn 7,16
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Die Bibel spricht
Gestern (Freitag) verteidigte sich Ministerpräsident Binjamin Netanjahu vor der UN Vollversammlung gegen den Vorwurf des Völkermords. Sehr viele Abgeordnete hatten den Saal vorher demonstrativ verlassen. Es gebe keinen Genozid, sagte er der Welt. Israel werde beschuldigt, die Menschen gezielt hungern zu lassen. Tatsächlich würden sie mit Nahrungsmitteln versorgt. Wenn es an Nahrung fehle, dann weil die Hamas sie stehle, sagte er.
Seine Rede wurde über große Lautsprecher überall im Gaza-Streifen übertragen, ausserdem war sie nach den Worten des Ministerpräsidenten auf allen Mobiltelefonen des Gebiets zu hören. Eine gespenstische Vorstellung. Am Montag sprechen Netanjahu und Trump in Washington über die Zukunft von Gaza. Nur der amerikanische Präsident — ausgerechnet — kann die Annexion des Westjordanlands wohl noch verhindern. Unser Bibelvers ist schmerzhaft aktuell.
Am letzten Tag seines Lebens spricht Mose zum Volk. Es steht bereit, den Jordan zu überqueren und in Kanaan einzufallen. Rein soll beides sein, das Volk und das Land. Von Gott kommt der Auftrag, das versprochene Land gänzlich einzunehmen und die früheren Bewohner dabei vollkommen zu vernichten. Israel soll an ihnen den ‚Bann‘ vollstrecken. Über die Vernichtungsweihe wurde in den BdW 06/2023, 07/2023, 23/2023 und 49/2024 gesprochen. So setzt Abschnitt 7 des Deuteronomiums ein:
Wenn dich der HERR, dein Gott, ins Land bringt, in das du kommen wirst, es einzunehmen, und er ausrottet viele Völker vor dir her, die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn sie der HERR, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du an ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben und sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen für eure Söhne. Dtn 7,1-3
Schrift ist Kommunikation. Es gibt einen Sender und einen (intendierten) Empfänger. Wer ist hier Sender? Ist es Gott? Sind es Menschen? Menschen, die auf Gott reagieren und auf ihr eigenes Schicksal und auf die Schriften anderer Menschen? Für die wiederum dasselbe gilt? Wenn die Bibel Ergebnis eines Vorgangs in der Zeit ist — wie ist dieser Prozess beschaffen?
Die Antwort auf diese Frage kann helfen. Ich habe aber die wissenschaftliche Ausbildung nicht, die Genese eines Textes im Einzelfall zu beleuchten und das Für und Wider unterschiedlicher Deutungen abzuwägen. In diesem Blog arbeite ich mit einer Fiktion. „Die Bibel“ spricht, nicht Menschen oder Gott. Ich höre zu und versuche Zusammenhänge zu finden, innerhalb der Bibel und zur heutigen Zeit. Das ist bescheidener, und es erlaubt mir, sehr nah am Text zu bleiben und gleichzeitig Freiheitsgrade in den Wertungen für die heutige Zeit zu wahren.
Die Bibel spricht hier also, recht unmißverständlich, und ich verstehe, was sie sagt, und ich werte nicht. Ich kann aber werten, was Menschen daraus machen. Welches Gottesbild haben radikale Religiöse, die aus Deuteronomium Kapitel 7 und 20 (Kriegsgesetz) Handlungsanweisungen für ihre lebendige Gegenwart ableiten? Gott hält sich verborgen. Wir sind für unser Gottesbild selbst verantwortlich. Vielleicht werden wir eines Tags für unser Gottesbild gerichtet? Werten kann ich auch das Verhalten von Menschen, die religiöse Überzeugungen anderer gezielt nutzen, um selbst politisch Oberwasser zu behalten — die eigene Stellung zu verteidigen, die Macht, den Reichtum. Ohne jede Rücksicht auf Verluste, für andere und für das eigene Land.
Eine gute Antwort auf den Vers dieser Woche ist der Vers der vergangenen: Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich (Ps 118,2). Ich glaube, das kann viel ändern! Herr, hilf deinem Volk und den Palästinensern in ihrer Not, hilf den Geiseln, hilf uns allen. Amen.
Ulf von Kalckreuth
P.S. (01. 10.2025) DasTreffen von Netanjahu und Trump am Montag ergab einen Friedensplan, der unerwartet Anlass zur Hoffnung gibt. Er würde das Überleben der Menschen in Gaza sichern. Herr, sei mit ihnen, sei mit uns!