Bibelvers der Woche 29/2023

Dies ist die Last über Arabien: ihr werdet im Walde in Arabien herbergen, ihr Reisezüge der Dedaniter
Jes 21,13

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine volle Runde

Es ist etwas geschehen, auf das ich längere Zeit schon warte. Ich habe einen Vers gezogen, den wir schon einmal hatten: es war der BdW 49/2019!

Die Bibel mit all ihren Büchern ist ein sehr großer Text, und so scheint das fast unmöglich, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es alles andere als das. In den letzten sechs Jahren, seit Beginn der Reise, habe ich 323 Verse gezogen. Der gesamte Korpus, die Lutherübersetzung (ohne Apokryphe), hat 31173 Verse. Während bei der zweiten Ziehung die Wahrscheinlichkeit, einen bereits gezogenen Vers noch einmal zu ziehen, bei verschwindenden 0,0032% lag, beträgt sie nun bereits mehr als 1 Prozent, und das Woche für Woche, und ständig weiter wachsend. Das Jahr hat 52 Wochen, irgendwann muß es also passieren. 

Das wusste ich vorher — schließlich bin ich Statistiker –, und ich hatte mir vorgenommen, den zweimal gezogenen Vers genau zu betrachten und nach Aspekten zu suchen, die ich übersehen hatte. Nun, was ich 2019 geschrieben hatte,, war schön und voll und fast poetisch. Ich kann dem nichts hinzufügen. Hier ist der Link:

BdW 49/2019

Eigentlich stand ich vor dem gleichen Problem schon in der letzten Woche. Da hatte ich zwar nicht exakt denselben Vers schon einmal gezogen, aber einen anderen, unmittelbar benachbarten, der dem gezogenen zum Verwechseln ähnlich sah.

Das Wort Gottes veraltet nicht und nutzt sich nicht ab. Pfarrer und Priester sprechen ihr ganzes Leben lang über dieselben Texte und gewinnen immer Neues daraus. Ich habe nun aber eine Sozialisation als Wissenschaftler durchlaufen, das schafft innere Vorbehalte gegenüber Wiederholungen. Und mein Horizont ist nicht weit genug, in denselben Versen immer mehr, immer neues zu sehen.

Nach sechs Jahren der Datenerhebung könnte nun aber die Zeit gekommen sein, die große Stichprobe auszuwerten. Ich möchte die Betrachtungen zu den 323 Versen gern kondensieren, zusammenstellen und den Rhythmus darunter suchen, die Melodie darin finden, vielleicht in Form eines kleinen Buchs. Das habe ich mir schon länger vorgenommen, aber die Energie zum letzten Schritt fehlte immer.

Ich werde also in den nächsten Monaten keine neuen Betrachtungen schreiben, ausser wenn es sehr wichtig scheint. Ich werde aber den Bibelvers der Woche weiter ziehen und die Website pflegen. Mit der gewonnenen Zeit will ich die Wegskizze finden, die meine Stichprobe vielleicht enthält.

Ich halte Sie auf dem Laufenden und wünsche uns allen eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 14/2023

Dies ist die Last über Damaskus: Siehe, Damaskus wird keine Stadt mehr sein, sondern ein zerfallener Steinhaufe.
Jes 17,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zerfallende Steinhaufen…

Dies ist einer der sogenannten „Fremdvölkersprüche“. So nennt man Passsagen in den Büchern der Propheten, die sich aus dem engen Bezug zum Volk Gottes in den beiden Staaten Juda und Israel lösen und die Nachbarvölker in den Blick nehmen. Unser Vers ist der Einstieg in einen Abschnitt, in dem Jesaja den Untergang des Reichs Aram-Damaskus (Syrien) prophezeit — oder vielleicht auch kommentiert: die Ereignisse, von denen die Rede ist, haben zu seiner eigenen Zeit stattgefunden. Meine Bibel verweist auf die in 2. Kö 17 berichteten Geschehnisse, den ephraimitisch-syrischen Krieg. Auch das Jesajabuch spricht über diesen Krieg, in Kap. 7 und 8. Es geht um eine Kette aus Bündnissen und Gegenbündnissen, die schließlich das Ende aller schwächeren Beteiligten bedeuten.

Ich will es ganz kurz machen. Über Jahrhunderte existierten zwei Reiche nebeneinander her, in denen Gott der Herr verehrt wurde, das Nordreich Israel und das Südreich Juda — nicht besonders friedlich und manchmal offen kriegerisch gegeneinander, obwohl die Einwohner sich als Angehörige desselben Volkes betrachten. Im achten Jahrhundert v. Chr. verbündet sich das reichere und mächtigere Nordreich mit Aram-Damaskus (Syrien), einem selbständig gewordenen ehemaligen Vasallen. Die vereinten Armeen marschierten gegen die Hauptstadt des Südreichs, Jerusalem. König Ahas von Juda kann sich mit knapper Not halten. Er ruft das mächtige Assyrien unter Tiglat-Pileser III zu Hilfe, zahlt Tribute und gelobt Vasallentreue, um den Schutz des Assyrers zu erhalten. Tiglat-Pileser geht darauf ein und schlägt die Verbündeten vernichtend. Damaskus legt er in Trümmer und das Nordreich wird zu einem auf einen kleinen Kern reduzierten Vasallenstaat. Beide, Nord- und Südreich, sind nun im Orbit Assyriens.  

Das ist leider nicht das Ende. Das Nordreich versucht, mit Hilfe von Ägypten seinen Verpflichtungen zu entkommen. 722/20 v. Chr. fällt Assyrien im Nordreich ein und verschleppt die Einwohner Samarias und der umliegenden Gebiete. Ihre Spur verliert sich. Nicht viel später, im Jahr 705 v. Chr., hätte Juda um ein Haar dasselbe Schicksal ereilt. Auch der König in Jerusalem wollte mit Hilfe der Ägypter dem Würgegriff der Assyrer entkommen. Eine gewaltige assyrische Armee zerschlägt die Städte und Festungen Judas und belagert Jerusalem. Nur ein Wunder — möglicherweise eine Pest im Lager der Assyrer — kann die Verteidiger retten.

Recht betrachtet ist unser Vers also gar kein Fremdvölkerspruch. Assyrien ist in dieser traurigen Erzählung die große Krake, die alles verschlingt. Aber es sind Uneinigkeit und Taktieren der Kleinen, die ihr die Beute in die Fangarme treiben. Jesaja warnt Ahas eindringlich vor dem Gegenbündnis mit Assyrien. Aber vielleicht hatte der judäische König zu diesem Zeitpunkt bereits keine Wahl mehr. Damaskus macht den Anfang; am Ende ist die ganze Levante gefüllt mit Blut und zerfallenden Steinhaufen.

Eine frohe Botschaft sehe ich hier nicht. Der Herr lasse uns gerade durchs Leben gehen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 03/2023

Ich will sie mit ihrem Trinken in die Hitze setzen und will sie trunken machen, dass sie fröhlich werden und einen ewigen Schlaf schlafen, von dem sie nimmermehr aufwachen sollen, spricht der HErr.
Jer 51,39

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Becher des Zorns

Ich glaubte schon, wir hätten diesen Vers bereits gesehen. Aber nicht dieser Vers, sondern sein unmittelbarer Nachfolger, Jer 51,40, hatten wir im vergangenen Frühling gezogen. Bitte gucken Sie kurz auf den Kommentar zum BdW 13/2022 — das wichtigste zum Kontext ist dort gesagt. Die beiden Verse, der frühere und der für diese Woche, gehören zusammen und auf der ersten Ebene machen sie dieselbe Aussage: Babylon, das Großreich, das Juda vernichtet und seine Bewohner deportiert hat, soll nun seinerseits vernichtet werden, das Werkzeug Gottes wird von Gott bestraft. 

Die Strafe, und das ist das Besondere hier, wird bewirkt durch Trunkenheit. Trunkenheit steht für Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit und die Ausschaltung des gesunden Empfindens. Das wird recht konkret beschrieben: In der größten Hitze setzen die Kämpfer sich nieder zum Trinken. „Hitze“ meint zweierlei: Die Lage der babylonischen Krieger ist zugespitzt und verzweifelt, aber auch die Lufttemperatur ist angesprochen. Hitze beschleunigt den Stoffwechsel, der Alkohol geht „schnell ins Blut“ und ein Mensch kann der aufsteigenden Trunkenheit nichts entgegensetzen. Im Augenblick größter Bedrohung also werden die babylonischen Krieger fröhlich und schlafen ein.

Das Motiv taucht auch in Jer 51,54 auf. In Kapitel 25 (15ff sowie 27ff) gebraucht Jeremia das Bild in verwandelter Form: die Völker des Großraums trinken reihum vom Becher des Zornes Gottes, zuletzt auch Babylon. Hier ist nicht mehr von physisch existierenden Kämpfern die Rede, es geht um Völker und ihre geschichtliche Schicksale in übertragener Form. Jesaja verwendet das Bild vom „Taumelbecher“ ganz ähnlich. In der Offenbarung (14,10 ff) steigert Johannes die Vorstellung des Zornestrunks noch einmal, er wird zum Teil des Weltgerichts,

Das sind keine angenehmen Bilder… Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit, lautet eine Redewendung aus dem antiken Griechenland. In unserem Vers schlägt Gott die Babylonier mit Trunkenheit. Das erinnert mich an die Geschichte vom Turmbau zu Babel: dort werden die Babylonier durch Verwirrung der Sprache ausser Gefecht gesetzt. Vielleicht hat die Fähigkeit zur koordinierten militärischen Aktion eine besondere Stärke der babylonischen Streitkräfte ausgemacht? 

Der Herr bewahre uns die Fähigkeit, unser Unglück zu sehen und gemeinschaftlich das Notwendige zu tun. 
Ulf von Kalckreuth


Nachtrag: Seit Juni 2017 ziehe ich jede Woche einen Vers. Bislang sind es 292. Zusammengenommen ist das immerhin schon fast ein Prozent des gesamten Korpus der Lutherbibel 1912, rund 0,974%! So hoch ist derzeit die Wahrscheinlichkeit, einen der bereits gezogenen Verse ein zweites Mal zu ziehen. Ich warte schon eine ganze Weile darauf, dass dies geschieht. Aber wer kurz nachdenkt, sieht, dass die Wahrscheinlichkeit, so wie in dieser Woche den unmittelbaren Nachfolger eines der bereits gezogenen Verse zu ziehen, genau denselben Wert hat, fast ein Prozent…! So oder so, allmählich entsteht ein Bild, stark verpixelt noch, aber erkennbar

Bibelvers der Woche 44/2022

Und will das Recht gehen lassen über Moab; und sie sollen erfahren, dass ich der HErr bin.
Hes 25,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Verurteilen

Ein „Fremdvölkerspruch“ von Hesekiel. Moab, Edom und eine Reihe anderer Völker haben zum Untergang Judas beigetragen, und sie sollen, so wünscht und prophezeit es Hesekiel, ihre Strafe erhalten. Auf seiner Reise ist der ‚Bibelvers der Woche‘ schon einige Male auf Sprüche zu anderen Völkern gestoßen. Die Tonlage kann sehr unterschiedlich sein. Mal weint der Prophet über das Unglück, das er sieht, siehe die BdW 4/2018 und 44/2018 zu Moab, mal sieht er Israel gleichrangig im Verbund mit den großen Völkern, siehe BdW 17/2021 zu Israel, Assur und Ägypten, und mal steht Vernichtung im Vordergrund, wie in BdW 13/2018 und auch in diesem Vers.

Ich bin in einem interreligiösen Chor, genannt ‚Tehillim‘, nach dem hebräischen Wort für ‚Psalmen‘. Wir singen zur Zeit den Psalm 137, in unterschiedlichen Vertonungen, hebräisch, deutsch, lateinisch, englisch. Er beginnt mit den bekannten Worten „An den Wassern von Babel saßen wir und weinten…“ Der Psalm kreist um die Erfahrung der Hilflosigkeit im erzwungenen Exil, und die Bedeutung des Festhaltens an der eigenen religiösen Identität. Und dann, am Ende des Psalms, kommen diese Worte: 

HERR, vergiss den Söhnen Edom nicht, was sie sagten am Tage Jerusalems:
»Reißt nieder, reißt nieder bis auf den Grund!«
Tochter Babel, du Verwüsterin
wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast
Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt
und sie am Felsen zerschmettert!

Wie singt man das eigentlich? Es ist eine Vernichtungsphantasie, hier spricht der blanke Hass gegen die Eroberer, die den Exilanten ihre Lebenswelt nehmen, um ihnen die eigene aufzudrücken. 

Die Bibel ist nicht nur Wort Gottes. Sie ist Transkript eines Gesprächs Gottes mit den Menschen — vielen Menschen, verschiedenen Menschen. Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenslagen, über vielen Hunderten von Jahren. Manche können verzeihen, andere nicht. In der Sprache der Musik ist das, was da gen Himmel steigt, nicht ein volltönender Akkord, sondern ein Cluster. Wenn ich Psalm 137 immer wieder lese und auch singe, verstehe ich den Menschen, der ihn geschrieben hat. Auch meine Familie wurde vertrieben, auch wir haben alles verloren. Seine Phantasie aber muß ich für mich nicht übernehmen

Gott will Recht über Moab sprechen, sagt Hesekiel. Es ist klar, welches Urteil der Prophet erwartet — immerhin aber bleibt offen, ob Gott nicht vielleicht zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Wer nicht selbst verurteilt werden will, sollte Verurteilungen anderer nicht herbeisehnen. Es gibt einen anderen Psalm, er singt die Worte: „So du willst, HERR, Sünde zurechnen — Herr, wer wird bestehen?“

Ich wünsche uns allen eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

P.S. : In wenigen Wochen, am 23. November um 19:30 Uhr, findet im jüdischen Gemeindezentrum von Frankfurt ein Konzert von „Tehillim“ zu Psalm 137 statt — hier ein Link.

Bibelvers der Woche 13/2022

Ich will sie herunterführen wie Lämmer zur Schlachtbank, wie die Widder mit den Böcken.
Jer 51,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Die Katastrophe nach der Katastrophe

Der Vers ist aus der Prophezeiung Jeremias zum Untergang Babylons. Sie ist datiert, und zwar auf das Jahr 3 der Regentschaft Zedekias, des letzten König Judas. König Zedekia ist Vasall Babylons und versucht sich in einem Ränkespiel gegen das Großreich. Juda bewegt sich auf einen Abgrund zu, und Jeremia warnt seine Landsleute mit immer schriller werdender Stimme — das ist das Leitmotiv des Buchs.

An dieser Stelle aber, lange noch bevor sich der Untergang Judas tatsächlich materialisiert, sieht Jeremia den Zusammenbruch Babylons. Der gezogene Vers beschreibt den blutigen Untergang der Armee. Eine Rolle mit den Worten dieser Prophezeihung lässt Jeremia an den Euphrat bringen und dort versenken, um sie in Kraft zu setzen.

Es ist nicht klar, wann dieser Text wirklich entstanden ist. Recht deutlich verweist er auf den Sieg der Perser über das babylonische Reich rund fünfzig Jahre später. In jedem Fall enthält er eine Botschaft, die in der Bibel immer wiederkehrt: alles trägt den Keim des eigenen Gegenteils in sich, der Anstieg des Pegels heute steht auch für die künftige Ebbe, und Gott allein ist Herr der Geschichte. 

Mir fällt der Krieg im Osten unseres Landes ein, der uns bedrückt. Auch Putin wird sein Ende finden. Bald vielleicht. Was kommt danach? 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth