Bibelvers der Woche 26/2021

Und die vier Tiere sprachen: Amen! Und die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an den, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Off 5,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gottes Gegenwart — jenseits der Zeit

Ein Vers zur Sonnenwende, und es wirkt, als führten die Verse der vergangenen Wochen auf diesen hin. Erst die Offenbarung am Sinai und Mose Erfahrung mit Gottes Gegenwart, dann ein Psalmvers, der die machtvolle Gegenwart Gottes bekennt — nun sehen wir mit Johannes, wie am Ende der Zeit vor Gottes Thron das Buch mit den sieben Siegeln eröffnet wird. Die Zeitenwende ist als Erzählung in einer Schriftrolle fixiert: das Ende der Welt, wie wir sie kennen, und die Heraufkunft einer neuen. Das Schicksal der Welt vollzieht sich, indem die Rolle geöffnet und verlesen wird. Die Buchstaben dieser Schrift erzeugen Wirklichkeit, sind Wirklichkeit. Das Buch wird Christus übergeben, der es öffnen wird, Siegel für Siegel. Nach der Öffnung des siebenten Siegels werden sieben Posaunen ertönen, danach sieben Schalen des Zorns vergossen. 

Das Auditorium sind, neben Gott selbst, vierundzwanzig „Älteste“, und vier Lebewesen („Tiere“ in der alten Übersetzung), die in unmittelbarer Nähe Gottes stehen. Bevor das erste Siegel erbrochen wird, kommt die Rahmenhandlung zu einem Stillstand. Für einen Moment schwebt alles. Die Szene vor Gottes Thron  erweitert sich in einen Lobpreis der Schöpfung, an dessen Ende der gezogene Vers steht (Off 5, 13+14 i.d. Lutherbibel 1984):

Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer, und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und die vier Wesen sprachen: Amen! und die Ältesten fielen nieder und beteten an. 

In Bibelkommentaren und im Internet liest man unterschiedliche Meinungen darüber, wer oder was die vierundzwanzig Ältesten und die vier Lebewesen dieser Thronszene sind. Bei den vieren gibt es einen deutlichen Bezug auf die Thronszene in Hes 1. Die Wesen dort werden später, in Hes 10, als Cherubim identifiziert. In Jes 6, einer anderen Thronszene, werden sie Serafim genannt. Hier sind sie „Lebewesen“ (zoon), sie können für natürliche und übernatürliche Kräfte in der Schöpfung stehen. Die Ältesten werden in einem Kommentar meiner katholischen Übersetzung als Engel bezeichnet, für meine kommentierten Lutherausgabe sind es Repräsentanten der geretteten Menschheit, die Väter der zwölf Stämme Israels und die zwölf Apostel.

Ich denke, man sollte hier und anderswo die Offenbarung nicht als Allegorie zu lesen, wo allem eine und genau eine Bedeutung zukommt, als wäre der Schrift ein unsichtbares Lexikon beigelegt. Ich lese sie poetisch: sie trägt ihre eigene Wirklichkeit in sich und schafft einen eigenen Bedeutungsraum. Verzichtet man auf das unsichtbare Lexikon, kann man die Offenbarung aufnehmen, wie sie ist, die machtvollen Bilder auf sich wirken lassen und sehen, was sie zeigen. Den exakten Tag des Weltuntergangs kann man so freilich nicht mehr bestimmen…

Lese ich also poetisch, stehen für mich die vierundzwanzig Ältesten und vier Lebewesen für die ganze Gott zugewandte und auf ihn bezogene Schöpfung. Diese Zugewandtheit besteht, obwohl doch das zu öffnende Buch den gottesfernen Teil dieser Schöpfung untergehen lässt. Es mag also hier um einen Wesenskern oder eine Bestimmung gehen, um eine überzeitliche Perspektive: die Eröffnung des Buchs vom Ende der Zeit spielt sich ja selbst nicht in der Zeit ab. Vor und hinter aller Zeit sind Gott und Schöpfung eine Einheit. Und am Anfang vom Ende aller Zeit steht der Lobpreis:

Und die vier Tiere sprachen: Amen! Und die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an den, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Ich wünsche uns allen eine gute Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

Anm.: Die nähere Bestimmung „den, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit“ im Bibelvers der Woche nach Luther 1912 findet sich nur in einem Teil der griechischen Quelltexte, die moderne Lutherbibel (siehe das Zitat oben) und die Einheitsübersetzung beziehen sich auf einen Text, der diesen Zusatz nicht enthält.

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