Du erneuest deine Zeugen wider mich und machst deines Zornes viel auf mich; es zerplagt mich eins über das andere in Haufen.
Hiob 10,17
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Ungute Wendung
Noch einmal Hiob, wie in der letzten Woche. Während es aber dort eine letztlich positive Botschaft gab, ist dieser Vers Kernstück einer schweren Anklage.
Hiob erinnert daran, wie Gott ihn geschaffen habe. Mit Vers 8 beginnt eine Art persönlicher Schöpfungsbericht: Der Herr habe ihn aus Lehm gemacht, wie Milch hingegossen und wie Käse gerinnen lassen, ihm Haut und Fleisch angezogen, und Sehnen ihm geflochten: „Leben und Wohltat hast Du mir getan, und deine Obhut hat meinen Odem bewahrt.“
Das klingt ganz wie Lobpreis und Dank im Psalmvers, Aber Hiob setzt anders fort. In dieser großartigen, väterlichen Schöpfung verbirgt nämlich Gott etwas, das erst später zum Vorschein kommt. Er wird sein Geschöpf drangsalieren mit Schuld. Wenn Hiob sündigt, wird er hart bestraft. Wenn er nicht sündigt und sich in allem nach Gottes Wort richtet, muß er dennoch mit Schmach und Elend leben, darf er sein Haupt nicht aufrichten. Täte er es doch, würde Gott wie ein Raubtier über ihn herfallen — „würdest Du mich jagen wie ein Löwe“. Dann kommt unser Vers. In der modernen Übersetzung lautet er: „Du würdest immer neue Zeugen gegen mich stellen und deinen Zorn auf mich noch mehren und immer neue Heerhaufen gegen mich senden.“
Hiob erlebt sein Leben mit Gott als ausweglos. Ich lerne gerade ein hebräisches Lied singen, „Laila, Laila“ von Mordechai Zeira und Natan Alterman. Das Lied ist aus der Mitte des 20. Jahrhundert, aber es wirkt viel älter. Form und Melodie sind die eines Schlaflieds: „Nacht, Nacht“ beginnen viele Verszeilen und andere mit „Still, still“. Die erste Strophe evoziert die Nacht und ihre unbestimmte Ruhelosigkeit. Die angesprochene Frau, ein Mädchen vielleicht, soll die Kerzen löschen und still sein. Dann wird von drei bewaffneten Reitern erzählt, die durch diese Nacht eilen, um ihr zu helfen. Soweit könnte man es seinem Kind am Bett singen. Aber wie bei Hiob nimmt es eine ungute Wendung. Der erste Reiter nämlich fällt einer Gewalttat zum Opfer, der zweite dem Schwert, und der dritte kommt durch, hat aber den Namen derer vergessen, die er retten soll. Und sie ist allein und wartet am leeren Weg… Hier ist ein Link zum Lied, von einem Meister gesungen.
„Mich ekelt mein Leben an!“, beginnt das Kapitel, und Hiob schließt seine Anklage wie folgt:
So höre auf und lass ab von mir, dass ich ein wenig erquickt werde, ehe denn ich hingehe – und komme nicht zurück – ins Land der Finsternis und des Dunkels, ins Land, wo es stockfinster ist und dunkel ohne alle Ordnung, und wenn’s hell wird, so ist es immer noch Finsternis.
Zu diesen Versen gibt es ein bekanntes Gegenstück, Psalm 139 11f:
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
Ich glaube, diese beiden Stellen gehören zusammen, eine antwortet der anderen wie der Tag der Nacht und die Nacht dem Tag. Man hat das Bedürfnis, Hiobs Klage wegzuargumentieren. Seine Freunde übertreffen sich darin gegenseitig. Ich will das nicht tun Das Buch Hiob ist für die Ewigkeit — auch und gerade mit seiner Anklage. Gott kann damit umgehen. Die Antwort, die er schließlich gibt, gilt Hiob und niemandem sonst.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, die uns seiner Antwort an je uns näherbringen möge,
Ulf von Kalckreuth