…von Syrien, von Moab, von den Kindern Ammon, von den Philistern, von Amalek, von der Beute Hadadesers, des Sohnes Rehobs, König zu Zoba. 2 Sa 8,12
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. Der gezogene Vers ist ein Fragment. Hier ist der vollständige Satz, 2 Sa 8, 1+12:
Auch diese heiligte der König David dem HERRN samt dem Silber und Gold, das er geheiligt hatte von allen Völkern, die er unterworfen hatte, von Aram, von Moab, von den Ammonitern, von den Philistern, von Amalek und von dem, was er erbeutet hatte von Hadad-Eser, dem Sohn Rehobs, dem König von Zoba.
David sammelt Geld und Güter für den Bau des Tempels… bei anderen! Für den Zusammenhang siehe auch den Kommentar zum BdW 27/2021, eine Parallelstelle aus der Chronik.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, Ulf von Kalckreuth
Der BdW 07/2022 ist ein guter Abschluss. Ich fühle mich mit der Kommentierung überfordert. Seit über vier Jahren begleitet mich die Arbeit daran durch die Woche — meist habe ich sonntags angefangen, Material, Ideen und Assoziationen zu sammeln, und am Freitagabend sollte es druckreif im Netz stehen. Jetzt gibt es 216 solcher Kommentare. Mit vielleicht anderthalb Seiten je Kommentar ist das ein stattliches Buch. 245 Bibelverse habe ich insgesamt gezogen, das sind fast 0,8% der ganzen Bibel!
Ich werde vielleicht einmal darüber schreiben, was ich dabei gelernt habe. Es ist viel. Als ich anfing, kannte ich die Bibel kaum, heute liegt sie wie eine Höhle voller Schätze vor mir, und ich halte ein Öllämpchen in der Hand, mit dem ich diese Schätze sehen kann — manches davon funkelt leuchtend, anderes schimmert schemenhaft im Hintergrund.
Die Website steht, und ich werde sie erhalten. Ich will auch vorerst weiter ziehen und manchmal vielleicht das nötigste dazu sagen. Vielleicht findet sich jemand, der einen Kommentar abgeben will, vielleicht sind Sie es? Technisch ist es ganz leicht, am Ende eines jeden Beitrags steht ein Kommentarfeld, Was Sie dort schreiben, steht unter dem Bibelvers, nach einer Freigabe durch mich.
Ich wünsche uns eine gute Reise durchs Leben, Ulf von Kalckreuth
Jesus aber sprach zu ihm: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte.” Mat 22,37
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Das ganze Gesetz und die Propheten
Der Vers ist eine Antwort. Die Frage lautet „Was ist das höchste Gebot im Gesetz“. Jesus fügt hinzu: „Dies ist das höchste und erste Gebot“,. und fährt dann fort: „Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. In diesen beiden Geboten, sagt er, hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Die Antwort besteht aus zwei Kernsätzen der Thora. Die erste Forderung, Gott unbedingt zu lieben, ist aus 5.Mo 6,5 und steht am Beginn des „Schma‘ Israel“, mit dem Juden den Herrn bekennen. Die Forderung, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, steht in 3.Mo 19,18 geschrieben. Jesus fasst das Gesetz zusammen und er tut es für Christentum und Judentum gleichermaßen:
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«
»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«
Es sind zwei Gebote, die innig zusammengehören. Wir können Gott im Menschen lieben und den Menschen in Gott. Manchmal mag das eine im Vordergrund stehen, manchmal das andere.
Wie sie so vor uns stehen, beschreiben die Gebote einen Heiligen. Möge aber die kommende Woche einen Tag haben, an dem uns beides gleichermaßen gelingt. Ulf von Kalckreuth
—————— In eigener Sache ———————————
Dieser Vers ist ein guter Abschluss. Ich fühle mich mit der Kommentierung überfordert. Der Bibelvers der Woche begleitet mich seit über vier Jahren durch die Woche — meist habe ich sonntags angefangen, Material, Ideen und Assoziationen zu sammeln, und am Freitagabend sollte es druckreif im Netz stehen. Jetzt gibt es 216 solcher Kommentare. Mit vielleicht anderthalb Seiten je Kommentar ist das ein stattliches Buch. 245 Bibelverse habe ich insgesamt gezogen, das sind fast 0,8% der ganzen Bibel!
Ich werde vielleicht einmal darüber schreiben, was ich dabei gelernt habe. Es ist viel. Als ich anfing, kannte ich die Bibel kaum, heute liegt sie wie eine Höhle voller Schätze vor mir, und ich halte ein Öllämpchen in der Hand, mit dem ich diese Schätze sehen kann — manches davon funkelt leuchtend, anderes schimmert schemenhaft im Hintergrund.
Die Website steht, und ich werde sie erhalten. Ich will auch vorerst weiter Verse ziehen. Vielleicht findet sich jemand, der einen Kommentar abgeben will, vielleicht sind Sie es? Technisch ist es ganz leicht, am Ende eines jeden Beitrags steht ein Kommentarfeld, Was Sie dort schreiben, steht unter dem Bibelvers, nach einer Freigabe durch mich.
Ich wünsche uns eine gute Reise durchs Leben, Ulf von Kalckreuth
Du erneuest deine Zeugen wider mich und machst deines Zornes viel auf mich; es zerplagt mich eins über das andere in Haufen. Hiob 10,17
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Ungute Wendung
Noch einmal Hiob, wie in der letzten Woche. Während es aber dort eine letztlich positive Botschaft gab, ist dieser Vers Kernstück einer schweren Anklage.
Hiob erinnert daran, wie Gott ihn geschaffen habe. Mit Vers 8 beginnt eine Art persönlicher Schöpfungsbericht: Der Herr habe ihn aus Lehm gemacht, wie Milch hingegossen und wie Käse gerinnen lassen, ihm Haut und Fleisch angezogen, und Sehnen ihm geflochten: „Leben und Wohltat hast Du mir getan, und deine Obhut hat meinen Odem bewahrt.“
Das klingt ganz wie Lobpreis und Dank im Psalmvers, Aber Hiob setzt anders fort. In dieser großartigen, väterlichen Schöpfung verbirgt nämlich Gott etwas, das erst später zum Vorschein kommt. Er wird sein Geschöpf drangsalieren mit Schuld. Wenn Hiob sündigt, wird er hart bestraft. Wenn er nicht sündigt und sich in allem nach Gottes Wort richtet, muß er dennoch mit Schmach und Elend leben, darf er sein Haupt nicht aufrichten. Täte er es doch, würde Gott wie ein Raubtier über ihn herfallen — „würdest Du mich jagen wie ein Löwe“. Dann kommt unser Vers. In der modernen Übersetzung lautet er: „Du würdest immer neue Zeugen gegen mich stellen und deinen Zorn auf mich noch mehren und immer neue Heerhaufen gegen mich senden.“
Hiob erlebt sein Leben mit Gott als ausweglos. Ich lerne gerade ein hebräisches Lied singen, „Laila, Laila“ von Mordechai Zeira und Natan Alterman. Das Lied ist aus der Mitte des 20. Jahrhundert, aber es wirkt viel älter. Form und Melodie sind die eines Schlaflieds: „Nacht, Nacht“ beginnen viele Verszeilen und andere mit „Still, still“. Die erste Strophe evoziert die Nacht und ihre unbestimmte Ruhelosigkeit. Die angesprochene Frau, ein Mädchen vielleicht, soll die Kerzen löschen und still sein. Dann wird von drei bewaffneten Reitern erzählt, die durch diese Nacht eilen, um ihr zu helfen. Soweit könnte man es seinem Kind am Bett singen. Aber wie bei Hiob nimmt es eine ungute Wendung. Der erste Reiter nämlich fällt einer Gewalttat zum Opfer, der zweite dem Schwert, und der dritte kommt durch, hat aber den Namen derer vergessen, die er retten soll. Und sie ist allein und wartet am leeren Weg… Hier ist ein Link zum Lied, von einem Meister gesungen.
„Mich ekelt mein Leben an!“, beginnt das Kapitel, und Hiob schließt seine Anklage wie folgt:
So höre auf und lass ab von mir, dass ich ein wenig erquickt werde, ehe denn ich hingehe – und komme nicht zurück – ins Land der Finsternis und des Dunkels, ins Land, wo es stockfinster ist und dunkel ohne alle Ordnung, und wenn’s hell wird, so ist es immer noch Finsternis.
Zu diesen Versen gibt es ein bekanntes Gegenstück, Psalm 139 11f:
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
Ich glaube, diese beiden Stellen gehören zusammen, eine antwortet der anderen wie der Tag der Nacht und die Nacht dem Tag. Man hat das Bedürfnis, Hiobs Klage wegzuargumentieren. Seine Freunde übertreffen sich darin gegenseitig. Ich will das nicht tun Das Buch Hiob ist für die Ewigkeit — auch und gerade mit seiner Anklage. Gott kann damit umgehen. Die Antwort, die er schließlich gibt, gilt Hiob und niemandem sonst.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, die uns seiner Antwort an je uns näherbringen möge, Ulf von Kalckreuth
Laila, Laila von M. Zeira und N. Alterman (1948) Übersetzung Ulf von Kalckreuth
Auch legt man die Hand an die Felsen und gräbt die Berge um. Hiob 28,9
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Weisheit — und wie man sie findet
Das ist orientalisch: die Hälfte des Kapitels wird auf eine Hinführung verwendet, bei der das, worum es eigentlich geht, nicht erwähnt wird. Zwölf lange Verse hindurch gibt Hiob ein Beispiel nach dem anderen für Dinge, die ihre versteckte Orte haben, und die man doch findet, mit großer Mühewaltung und Kunst. Der Vers ist ein Teil dieser Beschreibung, die schließlich zu dem führt, worum es eigentlich geht (Vers 9-12):
Auch legt man die Hand an die Felsen und gräbt die Berge von Grund aus um. Man bricht Stollen durch die Felsen, und alles, was kostbar ist, sieht das Auge. Man wehrt dem Tröpfeln des Wassers und bringt, was verborgen ist, ans Licht. Wo will man aber die Weisheit finden? Und wo ist die Stätte der Einsicht?
Zu finden ist sie nicht, und zu kaufen auch nicht. Weisheit wird als inkommensurabel mit Gold und Gütern bezeichnet — man kann sie nicht bezahlen, weil es keinen Betrag gibt, der ihrem Wert entspricht. Das ist eine Botschaft, die wir aus dem Buch der Sprüche schon kennen, siehe den BdW 50/2020. Gibt es sie dann überhaupt? Ja, sie ist bei Gott. Und Gott schuf sie nicht einfach. Bei der Schöpfung der Welt „sah er sie und verkündete sie, bereitete sie und ergründete sie“ (V. 27). Sie ist Gott zwar nachgeordnet, aber ebenso ewig wie er. In der Einleitung des Buchs der Sprüche spricht die Weisheit selbst (Spr 8, 22- 31):
Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
Die Weisheit spielt mit Gott und er mit ihr, es ist dies eine sehr vertraute Beziehung. Uns hingegen ist sie unsichtbar und unzugänglich — das Wühlen im Berg als Bild für ein mühsame Erarbeiten hilft ebensowenig wie der Versuch, sie zu kaufen. So spricht ein Text, der geschrieben ist von Menschen, denen Weisheit das kostbarste war.
Hiob kommt zu einer sehr einfachen Conclusio: Dem Menschen selbst ist die Weisheit nicht zugänglich und sie ist bei Gott. Wenn Gott also dem Menschen geneigt ist, dann führt ein Weg zu ihr über Gottes Gebote: „Siehe: die Furcht des Herrn, das ist Weisheit und meiden das Böse, das ist Einsicht“.
Weisheit ist im Kern praktische Lebenskunst, siehe den BdW 16/2019. Gottes Gebote sind von Weisheit durchdrungen und der Weg zu gutem Leben. Wenn du sie befolgst, so sagt das Kapitel, verhältst du dich weise, auch wenn deinem Verstand die dafür eigentlich nötige Einsicht fehlt. Du brauchst die analytische, die intellektuelle Einsicht gar nicht: befolgst du die Gebote Gottes, tust du ebendas, was du auch tun würdest, wenn du diese Einsicht hättest. Gottesfurcht ist ein damit Surrogat, mehr noch, ein Äquivalent zur Weisheit, im Ergebnis nicht von ihr zu unterscheiden.
Philosophisch interessant ist folgendes: der Mensch gelangt so auf einem Umweg tatsächlich zu Weisheit — wenn die Brücke trägt, wenn Gott sein Freund ist. Der Hermeneutiker würde nämlich sagen, dass wahre Weisheit auch die eigenen geistigen Beschränkungen berücksichtigt und den bestmöglichen Umgang damit. Und der Empiriker könnte feststellen, dass zwei Dinge nicht verschieden sind, wenn sie sich nicht unterscheiden lassen.
Das Buch Hiob ist eine Übung in Dialektik. Jede seiner Wahrheiten wird zur Waffe für den Verfechter der gegenteiligen Position. Manchmal will es mir scheinen, das Buch sei darin wie die Welt selbst. Hiob entwickelt seinen Freunden das Konzept von der in Gottes Geboten eingebetteten Weisheit, um damit seine finale Anklage vorzubereiten. Gott hält sein Versprechen nicht, sagt er, denn Hiob gerät ins Unglück, obwohl er sein Leben ganz auf Gottes Gebote gebaut hat. Die Brücke trägt nicht!
Aber am Ende leuchtet Gott wie die Sonne, ohne sich auf einen einfachen Zusammenhang reduzieren zu lassen. Er lässt sich nicht berechnen und ergreift Hiob, nimmt ihn einfach mit. Im Grunde macht er damit Hiobs Worte über die Weisheit wahr.
Ich wünsche uns eine Woche, in der Weisheit in unserem Tun liegt, auch wenn unser Verstand sie nicht erreicht, Ulf von Kalckreuth
…wie geschrieben steht: „Der viel sammelte, hatte nicht Überfluss, der wenig sammelte, hatte nicht Mangel.” 2 Kor 8,15
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Die Bibel und Karl Marx
Der Bibelvers der Woche wird zufällig gezogen, aber manchmal arbeitet der Zufallsgenerator in meinem Computer wie ein Herausgeber: Heute geht es noch einmal um die große Sammlung für die Gemeinde in Jerusalem, aber aus einer anderen Perspektive!
In der letzten Woche sind wir Paulus auf seiner letzten Reise begegnet. Die Gemeinde in Jerusalem war in Not geraten, und er wollte den Brüdern eine große Gabe der heidenchristlichen Gemeinden überbringen, als Zeichen der Einheit. Der Vers dieser Woche stammt aus einer Werbeschrift für ebendiese Sammlung. Im armen Makedonien war sie erfolgreich abgeschlossen, und nun wirbt Paulus im reichen Korinth dafür — das ist Kapital 8 und 9 des zweiten Korintherbriefs. Dabei zieht er alle Register. Die Gemeinde sammelte seit dem letzten Jahr, und Paulus will nun gern auch ein Wollen erkennen, sagt er, sie sollen nun aber das Tun vollenden, damit es nicht beim Wollen bleibe.
„Nicht, dass die anderen (in Jerusalem) Ruhe haben und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme (V. 13). Und dann er gebraucht er ein Bild, aus dem sich eine Ethik der Gleichverteilung ableiten lässt. Unser Vers oben ist ein Zitat aus Exodus, er erinnert an die Erzählung vom Manna, das in der Wüste den hungrigen Israeliten Nahrung brachte. Als das Manna erstmals vom Himmel fiel, hieß Mose die Kinder Israel sammeln, und gab ihnen dazu eine Verteilungsregel:
Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: ein jeder sammele, soviel wie er zum Essen braucht, einen Krug voll für jedem nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten’s und sammelten, der eine viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. (2. Mo 16,16-18)
Was Mose hier fordert und Paulus mit ihm, ist deckungsgleich mit dem Diktum von Karl Marx: „…, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Dieses Diktum hat aber auch den ersten Teil: „Jeder nach seinen Fähigkeiten,…“. Der real existierende Sozialismus ist an der Frage gescheitert, wie diese Forderungen zugleich zu erfüllen seien: wenn alle dasselbe erhalten, unabhängig von ihrem Beitrag, dann fehlen den Leistungsfähigen die nötigen Anreize. Es ist jetzt fast genau vierzig Jahre her, dass ich meine erste volkswirtschaftliche Vorlesung hörte, aber wie die beiden Teile des Marx’schen Diktums zu vereinen seien, weiss ich immer noch nicht.
In der Laborsituation der Wüste Sinai aber funktioniert es! Nichts muss produziert werden — Gott gibt, und alle können nach ihren Bedürfnissen versorgt werden. Manna ist zudem nicht lagerfähig, wer sich also mehr nimmt, als er essen kann, muß zusehen, wie das Ersparte in der Glut des Mittags verdarb. Mose hätte die Verteilungsregel gar nicht verkünden müssen, eine andere ist kaum denkbar — oder vielleicht doch? Jedem nach seiner Kraft und der Länge seines Schwerts, wäre schließlich eine denkbare Alternative. Aber nur für schnelle Esser…
Jedem nach seinen Bedürfnissen — Paulus wirbt dafür, im Verhältnis der christlichen Gemeinschaften ebenso zu verfahren, Und er sieht ausserdem den großen geistlichen Strom, der von Jerusalem aus zu den Heiden gekommen ist, siehe auch den BdW 28/2018. Die große Gabe ist also ausgleichende Gerechtigkeit in einem doppelten Sinne.
In Kapitel 9 setzt er noch anders an: Gott hat einen fröhlichen Geber lieb, und das Gegebene kommt in verwandelter Gestalt an uns zurück.
Das Verhältnis des Apostels zu der von ihm gegründeten Gemeinde in Korinth war ausgesprochen gespannt, fast vergiftet. Der zweite Brief an die Korinther ist voll Polemik und Reaktion auf Polemik. Man sieht manchmal die zwei Hälften eines zerschnittenen Tischtuchs vor sich. Aber hier, in den Kapiteln 8 und 9, ist Paulus bei sich und seinem großen Projekt. Sein Argument ist ruhig, souverän und überzeugend.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, in der wir nach unseren Fähigkeiten geben und nach unseren Bedürfnissen erhalten, Ulf von Kalckreuth
Und nun siehe, ich weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, alle die, bei welchen ich durchgekommen bin und gepredigt habe das Reich Gottes. Apg 20,25
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Abschied
Dies ist wieder ein Vers zu Paulus schicksalhafter letzter Reise, die ihn zunächst freiwillig nach Jerusalem führte und dann gefangen nach Rom. Hierzu hatten wir früher bereits Bibelverse der Woche: 18/2018, 30/2018, und 20/2019.
Entlang der Küste reiste Paulus vom griechischen Festland Richtung Syrien, teils zu Wasser, teils zu Lande. Auf dem Weg nahm er Abschied von den Ältesten der Gemeinde in Ephesos, wo er drei Jahre lang gelebt hatte. Wegen eines Aufruhrs, in dessen Mittelpunkt er selbst stand, hatte er nach Norden ausweichen müssen und war dort einige Monate geblieben. Auf der langen Durchreise nach Süden nun kam er nach Milet, etwa 50 km entfernt von Ephesos. Er verzichtete auf den zeitraubenden und gefährlichen Umweg, den die Reise nach Ephesos für ihn bedeutet hätte und bat statt dessen die Ältesten, zu ihm nach Milet zu kommen.
Warum Abschied? Er war sich sicher, dass er nicht zurückkehren würde. Paulus stand, wie man sagt, auf „verlorenem Posten“, seine Position war unhaltbar. Er selbst hatte sie unhaltbar gemacht. Seine Missionsarbeit war sehr erfolgreich, er hatte dem Christentum in den griechisch geprägten Städten eine große Zahl Anhänger werben können. Eine neue Religion war im Entstehen, sie war nicht länger mehr nur ein neuer Weg im Judentum. Gegen Ende von Paulus Wirken war der Vorgang vielleicht schon unaufhaltsam. Warum also stand er auf verlorenem Posten?
In der Mission war er auf die Proselyten zugegangen — Heiden, die den Gott der Juden kannten und verehrten, aber wegen ihrer nichtjüdischen Abstammung keine vollen Mitglieder der jüdischen Gemeinden sein konnten. Ihnen und auch den Juden hatte er gesagt, dass mit Christus das Gesetz und seine Notwendigkeit überwunden sei. Ein Erfolgsgeheimnis, ja, aber schon für Judenchristen sehr schwierig. Für fromme Juden öffnete Paulus die Heilsgemeinschaft für Menschen, die nicht dazugehörten und diskreditierte gleichzeitig das Gesetz. Das war unerträglich; umso unerträglicher, je erfolgreicher die Bewegung wurde. Paulus, der Torahlehrer, der Pharisäer, verstand das gut.
Paulus war die Einheit des Christentums wichtig, er wollte nicht Spalter sein. Die Einheit konnte es nur mit den Brüdern in Jerusalem geben, der Urgemeinde, nicht gegen sie. Vor Jahren hatte er sich dort im Apostelkonzil weitgehend durchgesetzt — die vielen Bestimmungen der Torah sollten für Heidenchristen nicht gelten, bis auf einen kleinen Kern, siehe Apg 15, 20-29 und 21,25. Das hatte zur Folge, dass Judenchristen und Heidenchristen sehr unterschiedlich lebten, vergleichbar den Unterschieden zwischen heutigen Christen und messianischen Juden in Israel.
Paulus wollte nach Jerusalem gehen, um persönlich eine große Gabe zu bringen, die die heidenchristlichen Gemeinden für die „Heiligen“ der Urgemeinde gesammelt hatten, als Zeichen der Zusammengehörigkeit in der Verschiedenheit. In Jerusalem erwarteten ihn Gegner unter den Judenchristen und bittere Feinde unter den religiösen Juden. Und es gab die Militärmacht der Römer, die jederzeit Gewalt anzuwenden bereit war, um die Pax Romana aufrecht zu halten. Diese Kombination hatte einst seinem Meister das Leben gekostet. Schon auf dem Weg bis Milet hatte es gewaltsame Zusammenstöße gegeben, und das weitere Geschehen zeigt, dass die Maschine noch genauso funktionierte wie 25 Jahre zuvor, alle Rädchen griffen perfekt ineinander. Aber Paulus musste hinein — es zu verweigern, hätte geheissen, kein Zeugnis abzulegen und seinem Christus nicht zu folgen. Er hätte sich irgendwo in der griechischen Welt verstecken müssen., um sich zu retten. Schwer vorstellbar bei Paulus.
Paulus sah also in Umrissen, was ihm bevorstand. Es war abgemacht und ausweglos, er wusste, was er tat. Und er war traurig, seine Gemeinde in eine ungewisse Zukunft zu entlassen:
So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat. Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes reden, um die Jünger an sich zu ziehen. Apg 20,28-30
Den Ältesten ging es ebenso, sie waren (V 38) „am allermeisten betrübt durch das Wort, das er gesagt hatte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen“.
Eine eigentümliche Szene, dieser Abschied, eine extreme Situation. Aber wir selbst erleben ähnliches, wenn wir uns bei Menschen verabschieden, die wir nicht mehr sehen werden. Und entspricht das Bild nicht auch unserem Wissen um die Endlichkeit unserer Existenz, ein Wissen, das umso konkreter und präziser wird, je älter wir werden? Für Paulus verband sich das alles mit einem selbstgewählten Ziel, das ihm mit vielen Bildern und der Erfahrung langer Jahre deutlich vor Augen stand, und das ihn mit seinem Herrn verband, den er lebend nie gesehen hatte: Jerusalem.
Ich wünsche uns eine gesegnete Woche auf unserer eigenen Reise nach Jerusalem, Ulf von Kalckreuth
…samt den Schwellen, den engen Fenstern und den drei Umgängen ringsumher; und es war Tafelwerk allenthalben herum. Hes 41,16
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Unverständliches verstehen
Hesekiel beschreibt etwas, das niemand als er selbst je gesehen hat: den Neuen Tempel, wie er im Reich Gottes stehen wird. Hesekiel beschreibt dieses Reich Gottes vom Tempel ausgehend. Er wird von einem Boten Gottes durch den Tempel geführt, der Bote nimmt vor seinen Augen überall Maß, damit Hesekiel sich diese Maße notieren kann. Und es scheint, als würde Hesekiel dabei so konkret wie nur immer möglich.
Wenn der gezogene Vers ein Fragment ist, stelle ich ihn auch im Zusammenhang ein, meist mit der Lutherübersetzung 2017, die leichter verständlich ist als die alte Übersetzung von 1912. Wie sie sich mit dem Link oben selbst überzeugen können, unterscheidet sich i vorliegenden Fall die neue Übersetzung erheblich von der alten. In solchen Fällen greife ich als erstes zu der für das Alte Testament zuverlässigen und texttreuen katholischen Einheitsübersetzung, hier ein Link. Zu meiner Überraschung ist dort die Wiedergabe der alten Lutherübersetzung ähnlicher als der neuen. Ich schaue auf den hebräischen Urtext — der Text strotzt vor bautechnischen Termini und ich kann ihn auch mit einer Interlinearübersetzung nicht wirklich lesen.
Was ist hier geschehen? Die Einheitsübersetzung gibt Hinweise. Viele Verse in Kapitel 41 tragen Fußnoten, man sei an dieser Stelle in der Übersetzung der Septuaginta (der antiken griechischen Übersetzung der jüdischen Schriften) gefolgt, weil der überlieferte hebräische Text nicht verständlich sei. Die Worte „waren getäfelt…“ zu Beginn von Vers 16 in der Einheitsübersetzung und der neuen Lutherbibel sind zum Beispiel der Septuaginta entnommen. Für den Folgevers 17 schreibt die Einheitsübersetzung schlicht: „Text unklar.“
Es scheint, als habe der Überlieferungsvorgang beim dutzend-, vielleicht hundertfach wiederholten Abschreiben den Text von Kap 41 so weit zerstört, dass der Inhalt nicht mehr eindeutig bestimmt werden kann. Weil den Neuen Tempel niemand kennt, waren Fehler schwer zu sehen und zu korrigieren. Die großen Übersetzungen gehen unterschiedlich weit darin, den überlieferten hebräischen Text durch besser verständliche alte Übersetzungen zu stützen — wobei unklar ist, ob sich die antiken Übersetzer nicht schon demselben Problem ausgesetzt sahen.
Ist das tragisch? Ja und nein. Hier wird der Tempel im Reich Gottes beschrieben, in der neuen Welt, auf die Juden wie Christen warten, und wir verstehen die Beschreibung nicht! Aber vielleicht tritt hier auch etwas sehr Grundsätzliches zutage. Wenn Sie Kapitel 40 und 41 lesen, dann werden Sie erstaunt sein über die Fülle von Details, die genauen Maße überall. Es wirkt auf den ersten Blick, als sei der Text ein Plan, und man könne den Neuen Tempel damit bauen. Aber der Eindruck täuscht. Wenn Sie versuchen, sich das Beschriebene vorzustellen, werden Sie feststellen, dass es nicht gelingt — zu oft setzt der Prophet ein Vorwissen des Lesers, das dieser nicht haben kann. Man muß wissen, wie der Tempel aussieht, um ihn sich vorstellen zu können…!
Hesekiel kennt den alten, den salomonischen Tempel genau: er war als junger Priester darin ausgebildet worden. Vielleicht bezieht er sich einfach auf die (beim Leser als bekannt vorausgesetzte) Grundstruktur des alten Tempels? Aber als er schrieb, war der Tempel schon viele Jahre lang zerstört. Am Anfang von Kapitel 40 datiert er seine Vision auf das vierzehnte Jahr nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier. Und die Menschen, für die er schrieb, waren bereits im ersten Exil nach Babylon gelangt, also noch einmal zehn Jahre zuvor. Nur die Alten unter ihnen konnten den Tempel noch gesehen haben. Einen Bauplan müsste Hesekiel für eine solche Leserschaft anders schreiben.
Man muss den Tempel des Reichs Gottes kennen, um ihn nach dem Text bauen zu können… Und mir will scheinen, als sei dies oft in der Bibel so. Ein hermeneutischer Zirkel: ohne Vorwissen um die Bedeutung erschließt sie sich nicht. Dieses Wissen mag aus der religiösen Tradition kommen, oder Gott selbst muß helfen. Sola scriptura, sagt Luther — aber die Heilige Schrift allein führt in ein Spiegelkabinett. Das ist eine schwierige Erkenntnis, auch und gerade mit Blick auf das Projekt dieses Blogs.
Gott selbst könnte den Tempel bauen, Hesekiels Text sagt nichts darüber, wie er entsteht. Man kann es aber auch so lesen: es kommt eine Zeit, in der Menschen wissen, wie der neue Tempel zu bauen ist. Für einen Propheten eigentlich keine ungewöhnliche Vorstellung. Hesekiels Vision wäre dann ein Vorgriff, und würde helfen, den Plan zu erkennen, wenn er ausgeführt werden kann.
Vielleicht also das: Wir brauchen Vertrauen in unsere Fähigkeit, das Entscheidende zu sehen, das Entscheidende zu tun, wenn die Zeit dafür reif ist. Christen erkennen darin den Heiligen Geist.
Ich will Ihnen zum Ende die Übersetzung von Rosenzweig und Buber anbieten. Sie ist sehr wörtlich und gibt den zerklüfteten Charakter des hebräischen Texts ungeschminkt wieder. Auch sie interpretiert natürlich, so sind etwa alle Satzzeichen Hinzufügungen, es gibt sie im hebräischen Quelltext nicht. Lesen Sie und verzichten Sie für diesmal auf ein genaues Verständnis. Vielleicht können Sie durch die Worte hindurch doch einen kleinen Blick in das Innere der Halle des Neuen Tempels werfen:
15Und er maß die Länge des Gebäudes vor dem Abgetrennten, das an seiner Hinterseite ist, und seine Altane hüben und drüben: hundert Ellen. Und die Halle, und das Innere, und die Flursäle des Hofs, 16die Schwellen und die abgeblendeten Fenster und die Altane rings an den dreien, gegenüber der Schwelle Holzgetäfel rings ringsum, und der Boden, und bis zu den Fenstern [die Fenster aber gedeckt], 17bis über dem Einlaß und bis ins innere Haus und nach außen, und an der Wand überall, rings ringsum, im Innern und im Äußern, nach Maßen, 18da wars gemacht: Cheruben und Palmen – je eine Palme zwischen Cherub und Cherub, und der Cherub hat der Antlitze zwei, 19ein Menschenantlitz nach der Palme hüben und ein Löwenantlitz nach der Palme drüben – , gemacht an all dem Haus rings ringsum, 20vom Boden bis über dem Einlaß sind die Cheruben und die Palmen gemacht an der Wand. Hes 41,15-20
Die Reihe von Palmen und zwiegesichtigen Cheruben ringsum sehe ich jedenfalls klar vor mir. Vielleicht weil ich ähnliches kenne: das babylonische Ischtar-Tor im Berliner Pergamon-Museum. Und ich wünsche uns eine gesegnete Woche, mit Einsicht zur rechten Zeit, am rechten Ort… Ulf von Kalckreuth
So lasset uns nun fürchten, dass wir die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, nicht versäumen und unser keiner dahintenbleibe. Heb 4,1
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Gottes Ruhe
Der Vers spricht eigentlich für sich selbst, nicht wahr? Aber ich würde gern über die Verheißung nachdenken, „einzukommen in seine Ruhe“.
Hier gibt es eine Kette von Bezügen. Der unbekannte Autor des Hebräerbriefs bezieht sich auf Psalm 95: Dort erhält Gott der Herr selbst das Wort, eingeleitet mit einer Warnung: Wenn ihr doch heute auf seine Stimme hören wolltet… Denn dann erginge es den Angesprochenen nicht wie den Israeliten, als sich Gottes Zorn gegen sie wendete und er seine Verheissung an die damals lebende Generation zurücknahm. Statt dessen sollten sie vierzig Jahre durch die Wüste ziehen, und erst ihre Kinder durften das Gelobte Land sehen. Dies wird erzählt in 4. Mo 14, 20f. „In seine Ruhe eingehen“ bedeutet im ursprünglichen Kontext also schlicht „sesshaft werden“ — aufhören zu wandern, den Nomadenstatus ablegen und eine Existenz als Eigner des von Gott zugewiesenen Land aufnehmen.
Im Psalm geht es im übertragenen Sinne um die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Noch einnal viel später schreibt der Autor des Hebräerbriefs, dass auch wir eine Verheissung erhalten haben, „auch uns ist verkündigt wie jenen“. Und wir sollen diese Verheissung nicht verlieren. Dabei geht es nicht um die Sesshaftigkeit in Kanaan. „Es ist … noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes“ schreibt der Autor in Vers 9, ohne auszubuchstabieren, was genau er meint. Er weist auf den Schabbat hin, die Ruhe von den Werken. Die folgenden Abschnitte machen klar, dass es um die Gemeinschaft mit Gott in Christus geht. Man kann diese Gemeinschaft annehmen, man kann sie auch versäumen.
Wir sehen hier eine kleine Kette, in der ein ursprünglich sehr konkreter Begriff eine Umdeutung erfährt mit Blick auf eine höhere Realität, die nicht mit Händen zu greifen ist: zunächst im Psalm und dann, auf Christus bezogen, im Hebräerbrief.
Gottes Ruhe… requiem aeternam dona eis, Domine….
Ruhe in Gott, Ruhe von den Werken. Das Gegenteil davon wäre Bewegung, die nicht aufhört, weil sie nicht aufhören kann. Als extremes Bild drängt sich mir der „Fliegende Holländer“ auf. Ich habe mit meiner Tochter kürzlich „Fluch der Karibik“ gesehen: der Film bringt den alten Mythos neu auf die Leinwand. Das wäre eine Form des ewigen Lebens, die wahrlich niemand haben will.
Ich wünsche uns allen ein gesegnetes neues Jahr in Gottes Schutz und Beistand, in dem wir an seiner Ruhe nicht vorbeigehen, und auch keinen von uns zurücklassen! Ulf von Kalckreuth
„Du sollst”, sagen sie, „das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren” Kol 2,21
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Zumutung
Paulus äfft nach, wie es Kinder manchmal tun, wenn Forderung der Eltern für absolut inakzeptabel halten. Als ich den Vers gezogen habe, rief ich meiner Tochter zu: „Hier ist ein Vers für Dich!“ und habe ihn ihr gelesen, in einem entsprechenden Tonfall — und wie als Echo, fast automatisch, aber im Spiel, kam die Mimik, die Gestik und der Tonfall zurück, den ich von ihr bekomme, wenn ich etwas will, was sie nicht will. Auf dieser Ebene hat sie den Vers sofort verstanden.
Paulus warnt vor Irrlehren in der Gemeinde der Kolosser. Er kennt diese Gemeinde nicht selbst, sie ist eine Gründung seines Gefährten und Sekretärs Epaphras, daher wird vermutet, dass dieser Teil des Briefs auf Epaphras zurückgeht.
Es ist im einzelnen unklar, welche Gebote und Forderungen Paulus und Epaphras hier karikieren, Vers 16 deutet darauf hin, dass es sich um Speisegebote und Feiertage handelt. Dann stünde der Vers vielleicht in der langen Debatte, ob und in welchen Teilen die Gesetzlichkeit der Torah für Christen verbindlich sei. In ihrer extremen Form ist es die Frage, ob nicht zuerst Jude werden muß, wer Christ sein will — weil das Erlösungswerk Jesu sich an Juden richtet.
Die Antwort der christlichen Kirchen auf die Frage nach der Verbindlichkeit der Torah habe ich nie ganz verstanden. Für einen Versuch siehe BdW 41/2020. Das Gesetz ist nicht verbindlich. Aber die ethischen Maximen mit den zehn Geboten als Kern haben denselben Stellenwert wie im Judentum, vielleicht weil Jesus selbst sich auf sie beruft. Aber hat er sich nicht wiederholt auf die ganze Torah berufen? In manchen christlichen Traditionen sind im Laufe vieler Jahrhunderte andere rituelle Forderungen an die Stelle der mosaischen getreten. Vielleicht begreift man den christlichen Umgang mit dem alten Gesetz im Kern am besten als Ergebnis einer kulturellen Evolution, dessen genaues Ergebnis zu Paulus‘ Zeit noch nicht feststand.
Paulus jedenfalls sagt, hier und anderswo, wir seien von allen solchen Forderungen frei:
Wenn ihr nun mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was lasst ihr euch dann Satzungen auferlegen, als lebtet ihr noch in der Welt: »Du sollst das nicht anfassen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren« – was doch alles verbraucht und vernichtet werden soll. Es sind menschliche Gebote und Lehren. Diese haben zwar einen Schein von Weisheit durch selbst erwählte Frömmigkeit und Demut und dadurch, dass sie den Leib nicht schonen; sie sind aber nichts wert und befriedigen nur das Fleisch.
Die Welt ist gefallen und fällt weiter, so verstehe ich es, und die Gebote der Welt führen uns in die Irre, dann jedenfalls, wenn wir sie für wesentlich halten. Worauf es einzig ankomme, ist die Führung Jesu Christi. Paulus selbst fiel es ausgesprochen leicht, sich an die Regeln des Umfeldes zu halten, in dem er sich jeweils bewegte — er wusste, was er tat und warum. Im 1. Korintherbrief (9, 19-23) schreibt Paulus:
Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die unter dem Gesetz gewinne. Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe. (1. Kor 9,19-23)
Der gelernte Pharisäer scheut nicht einmal davor zurück, Opferfleisch zu essen; ob man das tue oder nicht, solle nur von den Gefühlen desjenigen abhängen, mit dem man Gemeinschaft haben wolle, schreibt er ein paar Abschnitte weiter unten, in 1.Kor 10,23ff.
Für Paulus steht Jesus an der Stelle der Torah, ich denke, das trifft es recht buchstäblich. Das Befolgen von Regeln mag seinen Wert in der Welt haben, mag helfen, bestimmte Ziele zu erreichen, aber der Jünger Christi soll sich nicht um ihrer selbst willen mühen. Die Regeln und Riten haben keinen Wert an sich. Der Ritus ähnelt darin dem Götzendienst, wie es in Jesaja 44, 9ff beschrieben wird: ein Mann spaltet Holz, verfeuert die eine Hälfte um sich zu wärmen und schnitzt sich aus der anderen Hälfte ein Bild, um es anzubeten.
In unserem Vers macht Paulus sich über Riten und Gebote lustig. Aber was bedeutet das positiv? Wonach soll man das Handeln denn ausrichten? Im Galaterbrief gibt Paulus zwei Antworten. Sie sind sehr allgemein, der Glaubende muss sie selbst ausfüllen:
Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt (3. Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom andern aufgefressen werdet. (Gal 5,14f), und
Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit; gegen all dies steht kein Gesetz. (Gal 5,22f).
„Prüft aber alles, und das Gute behaltet!“ (1. Tess 5,21), und auch: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ (1. Kor 10,23). Nicht das Richtige sollen wir tun, sondern das Gute, um den Pastor meiner Gemeinde zu zitieren.
Ich zitiere so viel, weil ich mir zutiefst unsicher bin. Ich weiß um den Wert von Regeln in meinem eigenen Leben — ohne Regeln bin ich freigiebig nach Kassenlage, freundlich nach Kassenlage, herzlich nach Kassenlage. Und da gibt es meistens Dringendes, das mich vom Wichtigen abhält. Das Wichtige ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit, so steht es oben. Oft aber sind Regeln dasjenige, was mich gerade noch vom Gegenteil abhält, und manchmal helfen auch sie nicht mehr.
Als Kinder des Heiligen Geists sollen wir selbst wissen, was gut sei, sagt Paulus. Eine unglaubliche Zumutung. Ich bin Bundesbeamter, mich überfordert das. Wie kann ich rund 17 Stunden am Tag wissen, was gut ist, ohne das Auffangnetz von Regeln? Ich kann es nicht! Aber ich soll! Der Taufspruch meiner älteren Tochter lautet:
Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit (Eph 5,8f).
Ein ganzes Wochenende lang feiern wir den Geburtstag desjenigen, der uns hierbei leiten kann. Ohne ihn geht es nicht. Der Herr segne uns, an diesem Tag, in dieser Woche und im Jahr, das kommt, Ulf von Kalckreuth