Des Königs Herz ist in der Hand des HErrn wie Wasserbäche, und er neigt es, wohin er will.
Spr 21,1
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Von Herzen und von Spanholzplatten
Als Kind hatte ich eine Modelleisenbahn. Es gab einen Bahnhof mit ein paar Häusern daran, einen Berg mit Tunnel, ein Wäldchen, eine Straße. Und man könnte sich auch einen Fluß vorstellen und einen Bach dazu, der ihn speist. Montiert war die Eisenbahn mit Trafo auf einer Spanholzplatte, die man auf einen Tisch stellen konnte
Wenn Konfirmanden fragen, warum Gott das viele Leid der Welt zulässt, bekommen sie heutzutage eine moderne, aufgeklärte Antwort: Weil die Menschen ihren freien Willen nutzen, um die Welt zu einem üblen Ort zu machen. Gott kann nichts dafür. Aber warum zeigt sich Gott nicht deutlicher, fragt der Konfirmand dann weiter. Wenn Gott und seine Macht offen sichtbar wären, könnten die Menschen sich doch gar nicht für das Böse entscheiden. Sie entscheiden sich für das Böse, weil es attraktiv erscheint. Ja, und weil das so ist, hält Gott sich bedeckt, bekommt der Konfirmand dann zur Antwort. Der freie Wille des Menschen wäre doch sonst zerstört…!
Dies Argument macht den freien Wille zum höchsten Gut der Schöpfung, nicht das Gesetz Gottes, das die Liebe umfasst, das Vertrauen, die Geborgenheit. Gott verschwindet bis zur Selbstverleugnung hinter diesem freien Willen.
Etwas altmodischer könnte man aber meinen, dass Gott doch auch mächtig ist, allmächtig sogar. Wie übt er seine Macht aus, wenn der Wille frei bleiben soll?
Unser Vers gibt eine interessante Antwort. Der Wille des Menschen — hier: des Königs — ist frei, aber Gott kontrolliert das Bezugssystem. Das Herz ist im Alten Testament nicht der Sitz der Gefühle, sondern des Verstandes. Ich stelle mir Herz und Verstand dieses Königs vor wie die Spanholzplatte meiner Modelleisenbahn. Flüsse, Bäche, und Seen sind darauf montiert. Die Bewegung des Wassers sind seine Gedanken. Wo wird das Wasser das Meer erreichen? Neige die Platte, und du bestimmst den Ausgang. Neige die Platte, und die Prioritäten verschieben sich. Der König sieht, was er sieht, aber je nach Neigung der Platte macht er etwas anderes, etwas neues daraus.
Stellen wir uns Wladimir Putin vor. Er sieht die Gebiete, die er erobern will. Er muss Erfolg haben, um sein Gesicht nicht zu verlieren, um die Macht zu behalten. Er sieht die hohen Staatsausgaben, die der Krieg kostet, er sieht, wie die Kriegswirtschaft sein Land immer ärmer macht und vom Rest der Welt isoliert. Er sieht die Menschen, die auf beiden Seiten sterben.
Auf all das kommt es nicht an, kann er denken. Dem Starken gehört die Zukunft, er kann sich die Zukunft formen nach seinem Willen. Dieser freie Wille entscheidet. Opfer müssen gebracht werden. Ich ziehe das durch bis zum Ende.
Das ist es nicht wert, kann er denken. Mit der Ukraine leben, Handel treiben, sich ergänzen, macht beide reich. Und weiter: mit den Europäern läßt sich eine Gegenmacht aufbauen zu China und den USA. Rußland ist Teil von Europa. Dort ist unsere Zukunft.
Dieselben Fakten, dieselben Wasserwege, aber anders geneigt. Anders geneigt fließt der Jordan ins Mittelmeer, nicht ins Tote Meer.
Und ich kann vor mir sehen, wie Gott die Spanholzplatte des Herzens von Benjamin Netanjahu neigt, oder von Donald Trump. Sie sind Könige, sie entscheiden, aber sie tun dies in einem Bezugssystem, das sie selbst nicht wirklich kontrollieren, das nicht ihr Werk ist.
Würden sie dies bemerken? Der biblische Autor vergleicht Informationsverarbeitung und Entscheidung mit einem Flußsystem — hat dies System ein Sensorium für die Neigung im Raum? Wie frei sind wir wirklich?
Geben wir Gott Verantwortung zurück. Beten wir, dass er die Herzen neigt: von Putin, von Netanjahu, von Trump. Und auch von uns.
In dieser Woche noch…! Amen!
Ulf von Kalckreuth