So wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.
1 Joh 1,9
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Amazing grace
Hier ist zunächst das textliche Umfeld (Vers 8-10):
Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.
Als ich den Vers las, stand mir sofort das (katholische) Sakrament der Beichte vor Augen. Im Magazin „Vivat“ ist es wie folgt beschrieben:
Die Beichte gehört zu den sieben Sakramenten in der katholischen Kirche. Der Gläubige stellt sich in diesem Sakrament aufrichtig seinen Sünden, bekennt diese vor Gott und sie werden ihm schließlich vergeben, sofern er bereut. Darum wird das Bußsakrament auch als »Feier der Versöhnung« bezeichnet. (…) Die Beichte wirkt durch die Mittlerschaft der Kirche (hier in der Person des Priesters): So geht der Gläubige in den Beichtstuhl, bekennt seine Sünden vor dem Priester (der hierbei in »persona Christi« handelt) und bekommt sie unter Auflage einer Buße erlassen (mittels Lossprechung/Absolution).
Eine Mittlerschaft der Kirche lässt sich aus Johannes‘ Versen wohl nicht ableiten, ihr Grundgedanke aber ist in der Ohrenbeichte deutlich erkennbar: Eine Verfehlung, ein falscher Weg, eine Verstrickung müssen als solche erkannt, benannt und bekannt werden, bevor man sich mit Hilfe Gottes von ihnen befreien kann.
Das ist fast denknotwendig so. Wer sich falscher Haltungen nicht bewußt wird und sich davon nicht distanziert — wie wollte er davon loskommen? Kann man sich das Rauchen heimlich abgewöhnen? Gar noch ohne sich eingestanden zu haben, dass man Raucher ist und sich damit zugrunde richtet? In meinem Leben waren solche Erfahrungen stets mit Leid verbunden, und auch das ist unausweichlich. In den Gleichnissen vom verlorenen Sohn und vom verlorenen Groschen sagt Jesus, dass jemand verlorengehen muss, bevor er gefunden werden kann. Der Psalmist spitzt es noch weiter zu:
Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. (Ps 34,19)
Das bedeutet sicherlich nicht, dass Gott Gefallen daran hat, wenn wir am Boden liegen. Es geht um einen notwendigen Schritt in der Therapie — anthroposophische Mediziner würden es als ‚therapeutische Erstverschlimmerung‘ bezeichnen.
Fortwährende Bereitschaft zur Bekenntnis der eigenen Sünde und Verlorenheit — das findet man statt der Ohrenbeichte im protestantischen und evangelikalen Spektrum und es wirkt wahrhaftig nicht immer sympathisch. Aber hier liegt die Wurzel.
Amazing grace. Herr, hilf uns sehen, wo wir in die Irre gehen und hilf uns dann, Deine Hilfe anzunehmen.
Der Herr sei mit uns in dieser Woche,
Ulf von Kalckreuth