Bibelvers der Woche 21/2021

…haben auch anderes Geld mit uns hergebracht, Speise zu kaufen; wir wissen aber nicht, wer uns unser Geld in unsre Säcke gesteckt hat.
Gen 43,22

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Schulden, Schuld und Verzeihung

Der Vers ist aus der Josephsgeschichte, der längsten und komplexesten Erzählung in der Torah. Joseph, der von seinen Brüdern ausgestoßen und in die Sklaverei verkauft wird, macht mit seinen besonderen Fähigkeiten unglaubliche Karriere: er wird Vizekönig in Ägypten. Es ergibt sich, dass seine Brüder während einer Hungersnot nach Ägypten ziehen, um Nahrungsmittel zu kaufen. Sie erkennen ihn nicht, und Joseph verkauft ihnen alles, was sie brauchen. Einer der Brüder aber, Simeon, muss als Pfand und Geisel in Ägypten bleiben, weil die Brüder im Verdacht stehen, Spione zu sein. In Wahrheit will Joseph die Brüder zur Rückkehr zwingen, mit dem jüngsten der Söhne Israels, Benjamin, der nicht nur denselben Vater, sondern auch dieselbe Mutter hat wie Joseph.

Wie gesagt, komplex. Die Brüder kehren nach Hause zurück und auf dem Weg durchfährt sie ein Schrecken: sie finden das Geld, das sie für das Brot bezahlt haben, vollständig in ihrem Gepäck wieder. Eigentlich könnte es eine gute Nachricht sein, wenn man mehr Geld hat als erwartet. Aber die Brüder fürchten eine Falle — jemand könnte ihnen unterstellen, das Geld gestohlen zu haben. So bleiben sie lange mutlos bei ihrem Vater in Palästina, ohne Simeon auszulösen, aus Angst vor dem seltsamen, mächtigen Mann in Ägypten.

Schließlich gehen sie doch dorthin zurück, der Hunger ist stärker. Aber da ist das überschüssige Geld, und nun auch die Scham, den Bruder zurückgelassen zu haben. Sie bringen das Geld zurück, und weiteres dazu, um neues Brot zu kaufen, und rechtfertigen sich ausführlich vor dem ägyptischen Verwalter — das ist der gezogene Vers. Schuldenfrei seien sie und unschuldig! Der Verwalter zeigt sich großzügig und sagt: Alles ist gut, alles ist bezahlt, der Überschuss ist ein Geschenk des Gottes eures Vaters.

In Wahrheit war es Joseph, der das Geld zurücklegen ließ — weil er für die Rettung seiner Brüder und des alten Vaters kein Geld nehmen konnte, zum anderen auch, um Schuld zu erzeugen. Die heimliche Gabe greift auch vor auf das Ende der zweiten Begegnung; da bekommen die Brüder einen wertvollen Becher zugesteckt, und dieses Mal werden sie wirklich des Diebstahls bezichtigt.

Kaufleute rechnen genau: Bestände müssen erklärbar sein, ein Zuviel ist ebenso schlimm wie ein Zuwenig. Als ich bei der Bank von England arbeitete, erzählte mir ein älterer Kollege, wie vor Jahrzehnten viele Monate lang einem kleinen Überschuss nachgespürt wurde. Die gewaltige Bilanz der Bank von England war nicht in Soll und Haben ausgeglichen, die Summe der Aktivseite war um einige Penny länger als die der Passivseite. Die Aufregung war nicht grundlos: Wenn in einem Buchungssystem einige Penny unerklärt auftauchen oder verschwinden, kann das morgen auch mit Hunderttausenden oder Millionen von Pfund geschehen. In der Josephsgeschichte wissen die Brüder genau, dass sich Geld nicht von selbst in den Säcken ihrer Esel materialisiert — hier geschah etwas, das sie nicht verstanden und das stärker war als sie. Dass der Verwalter den Gott ihres Vaters erwähnt, macht die Sache nicht leichter, auch vor diesem fühlten sie sich nämlich schuldig.

Die Geschichte erzählt von einer Schuldspirale, die sich immer weiter dreht, sich den Brüdern wie ein Korkenzieher ins Fleisch bohrt. Bis einer der elf bereit ist, sich für einen anderen zu opfern. Juda will den zu Unrecht beschuldigten Benjamin auslösen. Da endlich kann Joseph verzeihen, und aus dem Beziehungsgeflecht der Brüder verschwindet die Schuld, die dunkle Energie. Sie wird gestrichen! Ganz einfach, und doch so schwer. Schwer ist es, Verzeihung auszusprechen, und fast ebenso schwer, sie anzunehmen, damit umzugehen, dass der andere verzeiht. Bedeutet es doch eine Anerkenntnis der Schuld, die gestrichen werden soll. Statt immer weiter „recht“ zu haben.

Ich glaube, man muß einander sehr lieben dafür. Und so ist es auch zwischen uns und Gott.

Der Herr sei und bleibe uns gnädig. Ich wünsche uns allen ein frohes Pfingstfest!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 18/2021

Den Gottlosen wird das Unglück töten; und die den Gerechten hassen, werden Schuld haben.
Ps 34,22

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Rezepte fürs Glück

Damit muss man leben, wenn man zufällig zieht. Der Vers droht demjenigen schlimmes Unheil an, der dem ‚richtigen‘ Weg nicht folgt und er passt damit gut zu einer verbreiteten Erwartungshaltung der Bibel gegenüber. Auch in Kirchenkreisen spricht man gern von der ‚Drohbotschaft‘ als traurigem Gegensatz zur ‚Frohbotschaft‘. Ein schrecklicher Kalauer übrigens, den meine Rechtschreibhilfe nicht verzeiht. 

Man mag es kaum glauben, aber unser Vers hat tatsächlich eine frohe Botschaft. Der zweite Teil von Psalm 34 ist ein Lehrgedicht, wie es auch im Buch der Sprüche stehen könnte. Es geht um Rezepte fürs Glück. Die Einstiegsfrage lautet: „Wer ist’s, der Leben begehrt und gerne gute Tage hätte?“ Der Autor des Psalms zählt Wege auf: Wahrhaftigkeit, gute Werke und die Suche nach Frieden, und verweist dann ausführlich auf Gottes umfassende Sorge, die er den Seinen widmet (18-23):

Wenn die Gerechten schreien, so hört der Herr
und errettet sie aus all ihrer Not.
Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind,
und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.
Der Gerechte muss viel leiden,
aber aus alledem hilft ihm der Herr.
Er bewahrt ihm alle seine Gebeine,
dass nicht eines von ihnen zerbrochen wird.
Den Frevler wird das Unglück töten,
und die den Gerechten hassen, fallen in Schuld.
Der Herr erlöst das Leben seiner Knechte,
und alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld.

Wie in den Spruchsammlungen üblich (siehe den Kommentar zum BdW 50/2020), wird die Botschaft rhetorisch als Gegensatzpaar formuliert. Positiv gewendet sagt unser Vers: Wer den Herrn liebt und ihm folgt, dessen Leben gelingt und er wird frei von Schuld.

Im Kern ist das eine empirische Aussage, wie sie für die Weisheitsliteratur typisch ist. Aber trifft sie denn zu? Es gibt in den Sozialwissenschaften eine gewachsene Literatur über die Determinanten der Lebenszufriedenheit, und in vielen Untersuchungen zeigt sich ein positiver Effekt von Religiosität. Ein großer Teil des Einflusses ist nicht direkt, sondern vermittelt über andere Größen wie gesundheitsbewusstem Verhalten, Familienleben, Altruismus. Hier (Link) ist eine neue Studie zu Deutschland, die mir methodisch gut gefällt, ich kenne einen der Autoren und sie stammt aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das über den Verdacht der Kirchennähe erhaben ist. Kirchgang oder Religiosität an sich fördert das Glück nicht so sehr wie die Dinge, die damit korreliert sind. Religiosität ist ein lebenspraktisches Muster, die Autoren sprechen von einem Rezept. Es würde mich übrigens nicht wundern, wenn Wahrhaftigkeit, gute Werke und die Suche nach Frieden in diesem Rezept eine wichtige Rolle spielten, leider sagt die Studie dazu nichts.

Unser Vers gibt der Schuld eine besondere Rolle für das Lebensglück — genauer gesagt: ihrer Abwesenheit. Die Seinen befreit der Herr von Schuld. Das ist im Christentum zentral. Aber warum sollte Gott das eigentlich tun? Regelbruch ist Regelbruch, und wenn Gott Regeln aufstellt und die Einhaltung verlangt, warum verzeiht er den Bruch? 

Schwierige Frage. Ich habe in der vergangenen Woche in einem Lied eine Antwort gefunden. Nicht in einem alten Choral diesmal, sondern in einem neuen Anbetungslied, Ever be von Bethel Music. Darin heisst es:

You’re making me like you, 
Clothing me in white,
Bringing beauty from ashes. 
For you will have your bride
Free of all her guilt and rid of all her shame
And known by her true name 
and it’s why I sing:
Your praise will ever be on my lips, ever be on my lips

Das Lied nimmt das Bild vom Volk Gottes als Braut auf, der Gott in herzlicher Liebe zugetan ist. Und dann ist es ganz natürlich, eigentlich selbstverständlich: Gott kann uns nicht erstickt in Schuld wollen, er will uns, seine Braut, frei und schön. Hier ist ein Link zum Lied,

Ich wünsche uns allen eine glückliche Woche!
Ulf von Kalckreuth

P.S. In dieser Woche erreichte mich die Email einer Freundin. Sie hat einen Blog begonnen, Tee mit Gott, worin sie den jeweiligen Wochenspruch mit einer kleinen Andacht versieht. Die Wochensprüche der evangelischen Kirchen in Deutschland werden nicht zufällig gezogen, sie sind eine kreisförmige und im Kirchenjahr sich wiederholende Bewegung durch die Bibel im Licht des Glaubens. Bei Desirées Blog geht es also nicht in der selben Weise wie hier um eine offene Entdeckungsreise durch die Bibel; sie legt statt dessen den Schwerpunkt auf das innere Erleben. Ich wünsche Desirée alles Gute auf der Fahrt und bin gern dabei!