Darum ist ihr Weg wie ein glatter Weg im Finstern, darauf sie gleiten und fallen; denn ich will Unglück über sie kommen lassen, das Jahr ihrer Heimsuchung, spricht der HErr.
Jer 23,12
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Richtige und falsche Propheten
In diesem Vers und dem Abschnitt, aus dem er gezogen wird, geht es um falsche Propheten und ihr Schicksal, Jeremia kündigt ihren Untergang an. Das Buch Jeremia ist nicht leicht zu lesen. Nicht nur, dass es von Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart, zukünftigen Möglichkeiten und Visionen handelt — es gibt auch viele Brüche, und einige historischen Ereignisse und Einzelheiten aus dem Leben des Propheten begegnen vorne wie hinten immer wieder, so als sei die Schriftrolle aus mehreren anderen Rollen zusammengefügt, die ihrerseits zerschnipselt waren. Das Buch ist stellenweise wie ein Fiebertraum. Aber manches zieht sich durch den Text, und Jeremias Auseinandersetzung mit den anderen Propheten seiner Zeit gehört dazu.
In seiner Zeit hatten Propheten eine fast amtliche Stellung, sie werden gemeinsam mit hohen Priestern und Regierungsbeamten genannt und stehen manchmal dem König nahe. Oder eben auch nicht, und das konnte gefährlich werden, wie wir in Woche 11/2019 gesehen haben. Jeremia fand sich im Laufe seines langen Lebens auf beiden Seiten. Unter König Josia war er sehr geachtet, er trug dazu bei, das zu errichten, woraus später einmal die jüdische Orthodoxie wurde. Unter seinen Söhnen Jojakim, Jojachin und Zedekia geriet er in Ungnade, immer weiter, und musste schließlich im Gefängnis und einer schlammgefüllten Zisterne ein Leben am Rand des Todes führen. Aber immer kannte man ihn, und sein Wort konnte Unruhe stiften. Seine Stellung als einer, der das Wort Gottes weitergeben konnte, stand nicht wirklich in Frage, selbst vor Gericht nicht.
Jeremia spricht über diejenigen, die politisch korrekte Wahrheiten produzieren, direkt vom Herrn. Ein Prophet urteilt über Propheten. Ein wenig so, wie wenn heute Wissenschafter anderen Wissenschaftlern käufliche Forschung vorwerfen, oder Panikmache. Wie soll man damit umgehen? Im 5. Mose 18,20f gibt es eine Regel: falsche Propheten müssen sterben, und man erkennt sie einfach daran, dass ihre Prophezeiungen nicht eintreffen, wenn sie über die Zukunft sprechen. Jeremia nimmt das ernst, diese Drohung hängt ja ständig über seinem Leben, und er richtet sie konsequent auch gegen seine Gegner. In diesem Vers geschieht das allgemein, an anderer Stelle konkret gegen die mächtigen Gegner Hananja (Jer 28) und Schemaja (Jer 29, 24f).
Soweit ist alles klar. Wer behauptet, das Wort Gottes zu haben, um damit seine eigenen Ziele zu verfolgen, handelt in gesteigertem Maße verwerflich, so wie jemand, der die Wissenschaft zur Magd von kommerziellen Interessen macht. Die Lüge beraubt nämlich gleichzeitig die Gemeinschaft ihres Kompasses. Aber es ist ungeheuer schwer, dies festzumachen. Propheten verfügen eben über exklusive Erkenntnismöglichkeiten, ebenso wie Wissenschaftler, und Moses einfache Regel mag die Dinge zwar entscheiden, aber erst nach Jahren und Jahrzehnten. Welcher der vielen Projektionen zum Klimawandel ist denn gut abgesichert? Gar keine vielleicht?
Und wie mag es den Propheten selbst gegangen sein? Wussten sie denn immer, ob sie selbst echt sind oder falsch? Vielleicht war Hananja (immer wieder) ehrlich davon überzeugt, Bote der Wahrheit zu sein, und vielleicht wurde Jeremia in der Zisterne von Zweifeln heimgesucht? Unser Vers macht es eigentlich noch schwerer: Jeremia könnte seinen abschüssigen Lebensweg auch als Hinweis darauf lesen, dass er auf der falschen Seite steht.
Wir sind keine Propheten, aber auch uns geht das etwas an. Glaube braucht, um wirksam zu sein, feste Überzeugung, aber feste Überzeugung kann auch dem Irrglauben zu großer Kraft verhelfen, im eigenen Leben und darüber hinaus. Noch eine Analogie zur Wissenschaft: Um nicht in die Sackgasse zu gehen, müssen Forscher sorgfältig die eigenen Erkenntnismöglichkeiten im Auge behalten und sich stets ihrer impliziten und expliziten Wünsche nach bestimmten Ergebnissen bewusst bleiben, die auf dem großen wissenschaftlichen Markt honoriert werden oder zum eigenen Weltbild passen. Sie müssen sich dann selbst bei den vielen kleinen Entscheidungen gut über die Schulter schauen. Und bescheiden bleiben, und anspruchslos, denn wer den Erfolg unbedingt will, wird seine Magd. Das ist sehr, sehr viel verlangt: alle Wissenschaftler wollen den Erfolg, so sind sie gestrickt. Und irgendwie muss man ja auch leben.
Sorgfalt, Achtsamkeit und Bescheidenheit können helfen, Glauben von Irrglauben zu unterscheiden. Und wir können Gottes Hilfe erbitten, wie in dem alten Lied:
Nun bitten wir den Heiligen Geist
um den rechten Glauben allermeist,
dass er uns behüte an unserm Ende,
wenn wir heimfahrn aus diesem Elende.
Kyrieleis.
Damit versehen, können wir unsere Glaubensüberzeugungen leben. Sie mögen dann immer auch falsch sein — als Menschen können wir nichts ganz richtig sehen. Aber Gott wird uns tragen. Ich wünsche uns eine Woche abseits der glatten, abschüssigen Bahn in der Dunkelheit eingebildeter Wahrheiten.
Ulf von Kalckreuth