Bibelvers der Woche 16/2023

Und er sprach zu mir: das ist der Fluch, welcher ausgeht über das ganze Land; denn alle Diebe werden nach diesem Briefe ausgefegt, und alle Meineidigen werden nach diesem Briefe ausgefegt.
Sach 5,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die fliegende Schriftrolle

Eine Schriftrolle gigantischen Ausmaßes kommt geflogen und enthält — eine Verfluchung der Diebe und meineidigen Lügner durch Gott selbst. Der Abschnitt aus dem Buch Sacharja enthält auch eine kleine Kostprobe des Fluchs: der Dieb soll in seinem Haus bleiben und es selbst aufessen, mit Holz und Steinen. 

Groß wie eine Cessna kommt sie geflogen, die Schriftrolle mit dem Fluch. Flüche im Orient können lang und ausführlich sein. Karl May bezeugt es und auch die Bibel: wir haben die Fluchpsalmen gesehen, die seitenlange Selbstverfluchung Hiobs und den Fluch, mit dem Gott sein Volk belegt für den Fall, dass es seinen Weg verlässt (Deut 28) . Hier aber ist der Fluch wichtiger Teil einer positiven Botschaft: alles soll wieder in die Ordnung kommen. Die Diebe und meineidigen Lügner sollen nicht länger tun können, was ihnen beliebt. Der Fluch trifft nun sie, und nicht das Volk Gottes,. Sie werden ihre wohlverdiente Strafe empfangen. Und wie!

Sacharja -- Fliegende Schriftrolle über Jerusalem
Sacharja — die Vision von der fliegenden Schriftrolle.
Ulf von Kalckreuth mit Dall-E2, 14.04.2023

Alles wird wieder gut. Das ist die Grundbotschaft des ganzen Buchs Sacharja. Gott wendet sich nach der traumatischen Exilserfahrung seinem Volk wieder zu. In einer Reihe von Visionen beschreibt es der Prophet: Jerusalem soll wieder aufgebaut werden, ein neuer geistlicher Leiter wird berufen, die Gottlosigkeit wird ausgekehrt und von zwei Engeln aus dem Land geflogen — das Bild von der Frau in der Tonne. Im zweiten Teil des Buchs entwickelt sich daraus ein endzeitliches Bild der Herrschaft Gottes.

Alles wird wieder gut. Ein Vers für die erste Woche nach Ostern. Ich persönlich finde ich die Vorstellung von der fliegenden Schriftrolle sehr eindrucksvoll. Daher habe ich mir von einer KI ein Bild dazu erstellen lassen. Die Anweisung dazu war einfach „A scroll, large as a Cessna, flying over ancient Jerusalem“. Wie finden sie es?

Ich wünsche uns allen gesegnete Tage, und dass die Diebe und meineidigen Lügner im Lande ihren Weg wieder finden…
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 15/2023

Und sprich zu ihnen: So spricht der HErr: Werdet ihr mir nicht gehorchen, dass ihr nach meinem Gesetz wandelt, das ich euch vorgelegt habe,…
Jer 26,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Karfreitag

Hier ist zunächst der vollständige Satz mit der Botschaft, die Jeremia an das Volk von Juda weitergeben soll: 

Und sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Werdet ihr mir nicht gehorchen und nicht nach meinem Gesetz wandeln, das ich euch vorgelegt habe, und nicht hören auf die Worte meiner Knechte, der Propheten, die ich immer wieder zu euch sende und auf die ihr doch nicht hören wollt, so will ich’s mit diesem Hause machen wie mit Silo und diese Stadt zum Fluchwort für alle Völker auf Erden machen.

Worum geht es hier? Jeremia lebt und predigt im Südreich Juda, in Jerusalem. Das Nordreich gibt es nicht mehr. In Silo stand der Tempel Gottes im Nordreich, bis er gemeinsam mit der Stadt von den Assyrern vernichtet wurde, wir hatten das in der vergangenen Woche kurz nachgezeichnet. Mittlerweile hat die Hegemonialmacht gewechselt: die Stelle der Assyrer hat die neubabylonische Supermacht eingenommen. Aber sonst ist in der Tat vieles wie zur Zeit der Vernichtung des Nordreichs. Die Könige Judas taktieren und suchen Bündnisse, um sich aus der Abhängigkeit von Babylon zu befreien. 

Gott befiehlt nun Jeremia, in den Tempel von Jerusalem zu gehen und dort mit des Tempels und der Stadt Vernichtung zu drohen, das ist die Botschaft des Verses. Einige Jahre später, unter der Herrschaft des nächsten Königs, sollte seine Prophezeiung wortwörtlich eintreffen. Die Warnung und die harten Worte sind lebensgefährlich für den Propheten. Jeremia verteidigt sich klug und entkommt der Hinrichtung, siehe hierzu die Betrachtung zum BdW 11/2019

Die Botschaft Jeremias ist dem Spruch Jesajas im Vers der vergangenen Woche recht ähnlich. Aber noch eine andere strukturelle Verwandtschaft fällt mir auf — muss mir auffallen. Heute ist Karfreitag. Am Palmsonntag vor rund 2000 Jahren, knapp 640 Jahre nach der Tempelrede Jeremias, zog Jesus von Nazareth in Jerusalem ein, um im Tempel zu predigen. Auch er kündigt die Vernichtung des Tempels an. Was er in den folgenden Tagen sagt und tut, ist für seine Umwelt unerträglich und löst dieselben Reaktionen aus wie die Tempelrede Jeremia. Dann war es schließlich so weit, am Karfreitag. Am frühen Morgen wird Jesus festgenommen, dann steht er vor Gericht, wie Jeremia in unserem Vers. Er verteidigt sich nicht und verliert noch am Abend sein Leben. Eine Fahrt in die Nacht. Was den Tempel betrifft, sollte Jesus allerdings genauso Recht behalten wie Jeremia.

Karfreitag also. Es ist früh am Morgen, es regnet. Ich sitze am Tisch, müde und mit Kopfschmerzen. Ostern ist kaum zu ahnen. Aber dennoch warten wir darauf, sonst wäre alles Nichts. Ich wünsche uns gesegnete Tage!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 14/2023

Dies ist die Last über Damaskus: Siehe, Damaskus wird keine Stadt mehr sein, sondern ein zerfallener Steinhaufe.
Jes 17,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zerfallende Steinhaufen…

Dies ist einer der sogenannten „Fremdvölkersprüche“. So nennt man Passsagen in den Büchern der Propheten, die sich aus dem engen Bezug zum Volk Gottes in den beiden Staaten Juda und Israel lösen und die Nachbarvölker in den Blick nehmen. Unser Vers ist der Einstieg in einen Abschnitt, in dem Jesaja den Untergang des Reichs Aram-Damaskus (Syrien) prophezeit — oder vielleicht auch kommentiert: die Ereignisse, von denen die Rede ist, haben zu seiner eigenen Zeit stattgefunden. Meine Bibel verweist auf die in 2. Kö 17 berichteten Geschehnisse, den ephraimitisch-syrischen Krieg. Auch das Jesajabuch spricht über diesen Krieg, in Kap. 7 und 8. Es geht um eine Kette aus Bündnissen und Gegenbündnissen, die schließlich das Ende aller schwächeren Beteiligten bedeuten.

Ich will es ganz kurz machen. Über Jahrhunderte existierten zwei Reiche nebeneinander her, in denen Gott der Herr verehrt wurde, das Nordreich Israel und das Südreich Juda — nicht besonders friedlich und manchmal offen kriegerisch gegeneinander, obwohl die Einwohner sich als Angehörige desselben Volkes betrachten. Im achten Jahrhundert v. Chr. verbündet sich das reichere und mächtigere Nordreich mit Aram-Damaskus (Syrien), einem selbständig gewordenen ehemaligen Vasallen. Die vereinten Armeen marschierten gegen die Hauptstadt des Südreichs, Jerusalem. König Ahas von Juda kann sich mit knapper Not halten. Er ruft das mächtige Assyrien unter Tiglat-Pileser III zu Hilfe, zahlt Tribute und gelobt Vasallentreue, um den Schutz des Assyrers zu erhalten. Tiglat-Pileser geht darauf ein und schlägt die Verbündeten vernichtend. Damaskus legt er in Trümmer und das Nordreich wird zu einem auf einen kleinen Kern reduzierten Vasallenstaat. Beide, Nord- und Südreich, sind nun im Orbit Assyriens.  

Das ist leider nicht das Ende. Das Nordreich versucht, mit Hilfe von Ägypten seinen Verpflichtungen zu entkommen. 722/20 v. Chr. fällt Assyrien im Nordreich ein und verschleppt die Einwohner Samarias und der umliegenden Gebiete. Ihre Spur verliert sich. Nicht viel später, im Jahr 705 v. Chr., hätte Juda um ein Haar dasselbe Schicksal ereilt. Auch der König in Jerusalem wollte mit Hilfe der Ägypter dem Würgegriff der Assyrer entkommen. Eine gewaltige assyrische Armee zerschlägt die Städte und Festungen Judas und belagert Jerusalem. Nur ein Wunder — möglicherweise eine Pest im Lager der Assyrer — kann die Verteidiger retten.

Recht betrachtet ist unser Vers also gar kein Fremdvölkerspruch. Assyrien ist in dieser traurigen Erzählung die große Krake, die alles verschlingt. Aber es sind Uneinigkeit und Taktieren der Kleinen, die ihr die Beute in die Fangarme treiben. Jesaja warnt Ahas eindringlich vor dem Gegenbündnis mit Assyrien. Aber vielleicht hatte der judäische König zu diesem Zeitpunkt bereits keine Wahl mehr. Damaskus macht den Anfang; am Ende ist die ganze Levante gefüllt mit Blut und zerfallenden Steinhaufen.

Eine frohe Botschaft sehe ich hier nicht. Der Herr lasse uns gerade durchs Leben gehen!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 08/2023

Er wird dir leihen, du aber wirst ihm nicht leihen; er wird das Haupt sein, und du wirst der Schwanz sein.
Deut 28,44

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Fluch oder Segen

Seit einigen Wochen ziehe ich ausgesprochen schwierige Verse. Aber das ist ja die Idee: die Bibel kennenlernen, wie sie wirklich ist. Dieser Vers hier spricht — von Gottes Fluch.

Es ist eine Kernbotschaft des Deuteronomiums, des fünften Buchs: Sieg oder Untergang des Volks hängen davon ab, ob es den Geboten Gottes folgt. Unser Vers stammt aus einem Abschnitt, den man als den Schlussstein des fünften Buchs bezeichnen könnte. Mose hat das ganze Gesetz dem Volk vorgelegt und stellt nun seine Zuhörer vor die Wahl. Sie können das Gesetz annehmen und in den Wegen des Herrn leben, dann ist der Segen Gottes mit ihnen. Dieser Segen wird reich bebildert. Wenn aber das Volk die Wege des Herrn verlässt, wird es vom Fluch getroffen. Der Fluch wird, eingangs jedenfalls, als genaues Gegenstück des Segens beschrieben: für jedes Stück Segen findet sich ein entsprechender Fluch.

Segen und Fluch richtet sich an das ganze Volk, nicht an das Individuum. Unser Vers entstammt dem Text über den Fluch. Hier geht es um den Fremdling, der bei den Hebräern wohnt, ohne selbst Hebräer zu sein. Vers 43 und 44 lauten:

Der Fremdling, der bei dir ist, wird immer höher über dich emporsteigen; du aber wirst immer tiefer heruntersinken. Er wird dir leihen, du aber wirst ihm nicht leihen können; er wird der Kopf sein und du wirst der Schwanz sein.

Wer leiht, hat die Macht, er kann den Schuldner versklaven, wenn dieser seinen Obliegenheiten nicht nachkommt. Hier äußert sich sehr konkret die Angst vor dem zugewanderten Fremden — er könnte die Macht an sich reißen und die Einheimischen marginalisieren. Wir kennen diese Angst, die Bilder würden gut in deutsche Forenbeiträge zur Asylpolitik passen.

Der entsprechende Segen findet sich in den Versen 12 und 13:

Und du wirst vielen Völkern leihen, aber von niemand borgen. Und der HERR wird dich zum Kopf machen und nicht zum Schwanz, und du wirst immer aufwärtssteigen und nicht heruntersinken, weil du gehorsam bist den Geboten des HERRN, deines Gottes, die ich dir heute gebiete zu halten und zu tun…

Das Segensversprechen hat eine Perspektive nach aussen: im festen Bund mit dem Herrn nimmt die wirtschaftliche und politische Macht der Israeliten unter den Völkern immer weiter zu. Vers 1 ist eine Art Überschrift für den Segen und lautet sehr klar: Wenn du nun der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchen wirst, dass du hältst und tust alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete, so wird dich der HERR, dein Gott, zum höchsten über alle Völker auf Erden machen,…

Auch das kennen wir, nicht wahr? Fremdenangst, Nationalismus und das Bedürfnis nach Vorherrschaft sind keine Erfindungen der AfD oder der Nazis, es sind sehr alte Muster. Mose zieht alle Register, auch dieses, um den Bund mit dem Herrn zu zementieren. Die beiden Welten, die er aufspannt, die des Segens und die des Fluchs, sind in krasser Weise verschieden. Wer vor eine solche Wahl gestellt wird, hat eigentlich keine. Will uns Gott denn wirklich so?

Ich gehe jetzt weiter vom Vers weg, als es mir eigentlich lieb ist. Das Deuteronomium und die damit verbundenen Teile der Bibel sind Antwort auf eine brennende Frage: Warum lässt Gott es zu, dass seinem Volk so Schreckliches widerfährt? In der Endfassung spiegeln die Texte die Erfahrung des Exils wider, und die Zeit danach. Die Antwort des fünften Buchs ist hermetisch, kaum angreifbar: Der Bund gilt, Gott hält ihn, Gott ist ewig treu! Aber der Bund hat zwei Seiten, er lebt nur, wenn beide Teile ihn leben. Sonst gilt — der Fluch. So schreiben die Deuteronomisten im Grunde über ihre eigene Zeit.

Auch im Fluch aber steckt der Segen, dann nämlich, wenn das treulose Volk zu Gott zurückfindet. So sagt es Deut 30. In der Welt des Fluchs besteht sie damit fort, die Wahl zwischen Segen und Fluch. Das wirkt sehr pragmatisch, fast vordergründig, als sollten die Anreize auch nach der nationalen Katastrophe noch erhalten bleiben. Aber Achtung: wunderbarerweise gibt es das jüdische Volk heute noch…

Gottes Segen sei mit uns — nicht sein Fluch!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 05/2023

Und ich will sie unter die Völker säen, dass sie mein gedenken in fernen Landen; und sie sollen mit ihren Kindern leben und wiederkommen.
Sach 10,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zeitlos…!

In der Betrachtung zum Bibelvers der vergangenen Woche schrieb ich, dass bei den Propheten Unheil und Verheissung oft nebeneinander stehen, manchmal sogar durcheinander. Hier geschieht es in ein und demselben Vers. 

Der gezogene Vers aus der Lutherübersetzung von 1912 steht ganz im Futur. In der neueren Lutherübersetzung 1984 (siehe den Link oben) steht folgendes:

Ich säte sie unter die Völker, dass sie meiner gedächten in fernen Landen und leben sollten mit ihren Kindern und wieder heimkehren. 

Die für das Alte Testament sehr akkurate katholische Einheitsübersetzung schreibt: 

Säe ich sie auch unter die Völker aus, werden sie doch in der Ferne an mich denken. Sie werden mit ihren Kindern am Leben bleiben und heimkehren. 

Das Aussäen — die schreckliche Diasporaerfahrung der Juden im Nordreich Israel und im Südreich Juda — wird in diesen drei Übersetzungen wechselnd in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt. In der ersten und der dritten Fassung liegt die dazugehörige Verheissung in der Zukunft, in der zweiten hat sich auch die Verheissung schon vollzogen.

Und nun wird es sonderbar: Nichts davon ist „falsch“. Der Originaltext ist sprachlich mit allen drei Fassungen vereinbar. Im alten Hebräisch haben die Verben keine „Zeitformen“, wie wir sie kennen, es sind vielmehr Aspekte. Den punktuellen, tatsachen- und faktenorientierten Aspekt nennt man Perfekt, den offenen, zeitraumbezogenen und potentialorientierten Aspekt dagegen Imperfekt. Der gezogene Vers steht im Perfekt. Oft stehen Handlungen, die in der Vergangenheit bereits stattgefunden haben und die man daher genau kennt, im Perfekt, wohingegen die Zukunft unsicher ist und in der Regel das Imperfekt fordert. Aber bei einer Prophetie, die der Sprechende sozusagen in Stein gemeisselt vor sich sieht, kann durchaus ein Perfekt stehen. Der Zeitbezug wird im alten Hebräisch manchmal durch Angaben wie „Wenn das Jahr sich wieder neigt“, oder „Im dritten Jahr des Königs Nebukadnezar“ geschaffen, in der Regel aber durch den Kontext. 

Wie sieht es inhaltlich aus? Wer ist gemeint? Teile von Sacharjas Buch wurden kurz nach dem Ende des babylonischen Exils geschrieben, als die Bevölkerung von Juda in ihr Land zurückzukehren begann. Der Vorgang war noch nicht beendet. Die Rückkehr der Nordstämme, die hundertfünfzig Jahre früher von den Assyrern deportiert wurden, erwartete man weiterhin vergeblich, sie gelten heute als die „verlorenen Stämme“.

Alles wäre sinnvoll — Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

Wir können Unheil und Verheissung heute als zeitlos lesen. Gott hat sein Volk unter die Heiden zerstreut, tut dies und wird es wieder tun, dies aber immer dergestalt, dass etwas Gutes daraus erwachsen kann — die Entwurzelten mögen Seiner gedenken, mit ihren Kindern leben und gedeihen, dort, wo immer sie hingepflanzt sind, Identität und Glauben weitergeben und dereinst zurückkehren… Der Vers enthält eine Aufforderung zum Leben, fast schon eine Verpflichtung. Folgerichtig findet der Prophet ein eigentümliches Wort für die Zerstreuung: „Aussaat“. 

Kann aus soziokultureller Vernichtung etwas Gutes, eine Renaissance erwachsen? Leben, Wachstum? Ernte? Spricht der Vers auch vom Leben einzelner Personen, Familien, Gruppen? Kann er Chiffre sein für unser aller Leben? Jesus gibt das Gleichnis vom Samenkorn, das vergehen muss, damit die Ähre erstehen kann.

Und ich will sie unter die Völker säen, dass sie mein gedenken in fernen Landen; und sie sollen mit ihren Kindern leben und wiederkommen.

Lesen Sie den Vers noch einmal so. Vielleicht antwortet er auf den Vers der vergangenen Woche. Unheil und Verheissung sind Seiten derselben Münze, irgendwie gibt es die beiden im Doppelpack. Vor nicht allzu langer Zeit, im September 2022, hatten wir einen Vers aus Sacharja mit sehr ähnlichen Botschaft, siehe den BdW 37/2022.

Gottes Segen sei mit uns, in dieser Woche, der vergangenen und den Wochen, die da kommen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 03/2023

Ich will sie mit ihrem Trinken in die Hitze setzen und will sie trunken machen, dass sie fröhlich werden und einen ewigen Schlaf schlafen, von dem sie nimmermehr aufwachen sollen, spricht der HErr.
Jer 51,39

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Becher des Zorns

Ich glaubte schon, wir hätten diesen Vers bereits gesehen. Aber nicht dieser Vers, sondern sein unmittelbarer Nachfolger, Jer 51,40, hatten wir im vergangenen Frühling gezogen. Bitte gucken Sie kurz auf den Kommentar zum BdW 13/2022 — das wichtigste zum Kontext ist dort gesagt. Die beiden Verse, der frühere und der für diese Woche, gehören zusammen und auf der ersten Ebene machen sie dieselbe Aussage: Babylon, das Großreich, das Juda vernichtet und seine Bewohner deportiert hat, soll nun seinerseits vernichtet werden, das Werkzeug Gottes wird von Gott bestraft. 

Die Strafe, und das ist das Besondere hier, wird bewirkt durch Trunkenheit. Trunkenheit steht für Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit und die Ausschaltung des gesunden Empfindens. Das wird recht konkret beschrieben: In der größten Hitze setzen die Kämpfer sich nieder zum Trinken. „Hitze“ meint zweierlei: Die Lage der babylonischen Krieger ist zugespitzt und verzweifelt, aber auch die Lufttemperatur ist angesprochen. Hitze beschleunigt den Stoffwechsel, der Alkohol geht „schnell ins Blut“ und ein Mensch kann der aufsteigenden Trunkenheit nichts entgegensetzen. Im Augenblick größter Bedrohung also werden die babylonischen Krieger fröhlich und schlafen ein.

Das Motiv taucht auch in Jer 51,54 auf. In Kapitel 25 (15ff sowie 27ff) gebraucht Jeremia das Bild in verwandelter Form: die Völker des Großraums trinken reihum vom Becher des Zornes Gottes, zuletzt auch Babylon. Hier ist nicht mehr von physisch existierenden Kämpfern die Rede, es geht um Völker und ihre geschichtliche Schicksale in übertragener Form. Jesaja verwendet das Bild vom „Taumelbecher“ ganz ähnlich. In der Offenbarung (14,10 ff) steigert Johannes die Vorstellung des Zornestrunks noch einmal, er wird zum Teil des Weltgerichts,

Das sind keine angenehmen Bilder… Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit, lautet eine Redewendung aus dem antiken Griechenland. In unserem Vers schlägt Gott die Babylonier mit Trunkenheit. Das erinnert mich an die Geschichte vom Turmbau zu Babel: dort werden die Babylonier durch Verwirrung der Sprache ausser Gefecht gesetzt. Vielleicht hat die Fähigkeit zur koordinierten militärischen Aktion eine besondere Stärke der babylonischen Streitkräfte ausgemacht? 

Der Herr bewahre uns die Fähigkeit, unser Unglück zu sehen und gemeinschaftlich das Notwendige zu tun. 
Ulf von Kalckreuth


Nachtrag: Seit Juni 2017 ziehe ich jede Woche einen Vers. Bislang sind es 292. Zusammengenommen ist das immerhin schon fast ein Prozent des gesamten Korpus der Lutherbibel 1912, rund 0,974%! So hoch ist derzeit die Wahrscheinlichkeit, einen der bereits gezogenen Verse ein zweites Mal zu ziehen. Ich warte schon eine ganze Weile darauf, dass dies geschieht. Aber wer kurz nachdenkt, sieht, dass die Wahrscheinlichkeit, so wie in dieser Woche den unmittelbaren Nachfolger eines der bereits gezogenen Verse zu ziehen, genau denselben Wert hat, fast ein Prozent…! So oder so, allmählich entsteht ein Bild, stark verpixelt noch, aber erkennbar

Bibelvers der Woche 48/2022

Und stärkten also das Königreich Juda und befestigten Rehabeam, den Sohn Salomos, drei Jahre lang; denn sie wandelten in den Wegen Davids und Salomos drei Jahre.
2 Chr 11,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gottesfurcht als Staatskunst?

Drei Jahre lang war alles gut!

Immer wenn sich die Könige Judas abwenden vom Herrn, geht es bergab mit ihnen und dem Reich. Zuwendung und Treue hingegen werden belohnt, meist unmittelbar. Das ist die Kernbotschaft des zweiten Buchs der Chronik. Der Darstellung nach ist der Zusammenhang fast naturgesetzlich, Er erklärt die große Katastrophe in der jüdischen Geschichte, die Vernichtung des Reichs Juda, der Hauptstadt Jerusalem und des Tempels, die Wegführung der Bevölkerung.

Schon ganz zu Beginn der Geschichte des Südreichs scheint der Zusammenhang mit Händen zu greifen. Da folgt ein König drei Jahre lang dem Herrn und ist erfolgreich. Er verlässt die Wege des Herrn und schnell gerät das Land an den Rand der Katastrophe. 

Rehabeam hatte einen denkbar schlechten Start. Nach dem Tod Salomos war er designierter Nachfolger auf dem Thron des israelitischen Gesamtreichs. Die Nordstämme baten — recht höflich, wie ich finde — um eine Verminderung der Last, die nur sie allein tragen mussten. Das große Juda hatte unter Salomo keine Abgaben zu leisten, siehe den BdW 43/2022. Rehabeam, schlecht beraten von jugendlichen Altersgenossen, antwortete harsch und unnachgiebig. Zehn Stämme verweigerten daraufhin die Gefolgschaft. Rehabeam blieb König nur über Juda. Im weitaus größeren Nordteil des salomonischen Reichs etablierte sich Jerobeam als König. Von da an herrschte ständig Krieg. 

Und doch läuft es zunächst gut. Der König des Nordreichs nämlich führte ausländische Kulte ein und vertrieb die Leviten aus seinem Land, die Priester des Herrn. Sie gingen nach Jerusalem. Dieser Migrationswelle schlossen sich andere Teile der Elite des Nordreichs an, die mit den neuen Götzen und dem veränderten Wind im Land nichts anfangen konnten. Der Zustrom half dem jungen Südreich bei der nationalen Konsolidierung. Drei Jahre lang. Dann, so wird weiter berichtet, wendet sich auch Rehabeam neuen Einflüssen zu, und prompt kommt mit Pharao Schischeck eine schreckliche Bedrohung aus Ägypten. Rehabeam bereut und demütigt sich vor Gott. Die Vernichtung der Hauptstadt kann abgewendet werden. 

Soweit der Vers und seine Botschaft. Ist es so? Meiner eigenen Lebenserfahrung entspricht es nicht: Abwendung von Gott bedeutet in der Welt, die ich kenne, durchaus kein sofortiges Scheitern, ebensowenig, wie die Hinwendung zu Gott Erfolg und Reichtum programmiert. Die Psalmen wissen das und beklagen vielfach, dass es der Gottlose sei, der auf der reich gedeckten Seite des Tischs sitzt, vorübergehend jedenfalls. Wenn der Zusammenhang so einfach und mechanisch wäre — wie könnte ein machtfokussierter König von Juda oder ein statusorientierter Manager unserer Zeit je die Wege des Herrn mißachten? Das hätte sich in interessierten Kreisen herumgesprochen, und die Zehn Gebote und ausgewählte Psalmen stünden in den Eingangskapiteln jedes Karriereleitfadens…! 

Nein, so ist es nicht. Es ist anders, und wirklich ausbuchstabieren kann ich es hier nicht. Hinwendung zu Gott bedeutet die Bereitschaft, Sinn zu erkennen und dankbar zu sein. Das Leben als Geschenk zu begreifen befähigt uns, die in den verworrenen Pfaden dieses Lebens verborgenen Chancen zu sehen. Dazu bekommen wir den Mut, diese Chancen zu ergreifen und auch Stehvermögen, wenn es zunächst nicht klappt. Das ist eine Erfahrung, die ich tatsächlich gemacht habe. Gebet hilft, zu sehen, worauf es ankommt, und richtet unsere Aufmerksamkeit auf Wunder oder ihre Keime — auf Außerordentliches also, das mit den Regeln, die wir zu kennen meinen, nichts zu tun hat. Das macht uns stark, und auf lange Sicht auch erfolgreich. 

Aber es geschieht dies in einer Weise, die wir nicht kontrollieren. Es ist das Gegenteil einer abrufbaren Mechanik — es ist offen. Unverfügbar.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche auf dem unbekannten Weg mit Gott,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 44/2022

Und will das Recht gehen lassen über Moab; und sie sollen erfahren, dass ich der HErr bin.
Hes 25,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Verurteilen

Ein „Fremdvölkerspruch“ von Hesekiel. Moab, Edom und eine Reihe anderer Völker haben zum Untergang Judas beigetragen, und sie sollen, so wünscht und prophezeit es Hesekiel, ihre Strafe erhalten. Auf seiner Reise ist der ‚Bibelvers der Woche‘ schon einige Male auf Sprüche zu anderen Völkern gestoßen. Die Tonlage kann sehr unterschiedlich sein. Mal weint der Prophet über das Unglück, das er sieht, siehe die BdW 4/2018 und 44/2018 zu Moab, mal sieht er Israel gleichrangig im Verbund mit den großen Völkern, siehe BdW 17/2021 zu Israel, Assur und Ägypten, und mal steht Vernichtung im Vordergrund, wie in BdW 13/2018 und auch in diesem Vers.

Ich bin in einem interreligiösen Chor, genannt ‚Tehillim‘, nach dem hebräischen Wort für ‚Psalmen‘. Wir singen zur Zeit den Psalm 137, in unterschiedlichen Vertonungen, hebräisch, deutsch, lateinisch, englisch. Er beginnt mit den bekannten Worten „An den Wassern von Babel saßen wir und weinten…“ Der Psalm kreist um die Erfahrung der Hilflosigkeit im erzwungenen Exil, und die Bedeutung des Festhaltens an der eigenen religiösen Identität. Und dann, am Ende des Psalms, kommen diese Worte: 

HERR, vergiss den Söhnen Edom nicht, was sie sagten am Tage Jerusalems:
»Reißt nieder, reißt nieder bis auf den Grund!«
Tochter Babel, du Verwüsterin
wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast
Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt
und sie am Felsen zerschmettert!

Wie singt man das eigentlich? Es ist eine Vernichtungsphantasie, hier spricht der blanke Hass gegen die Eroberer, die den Exilanten ihre Lebenswelt nehmen, um ihnen die eigene aufzudrücken. 

Die Bibel ist nicht nur Wort Gottes. Sie ist Transkript eines Gesprächs Gottes mit den Menschen — vielen Menschen, verschiedenen Menschen. Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenslagen, über vielen Hunderten von Jahren. Manche können verzeihen, andere nicht. In der Sprache der Musik ist das, was da gen Himmel steigt, nicht ein volltönender Akkord, sondern ein Cluster. Wenn ich Psalm 137 immer wieder lese und auch singe, verstehe ich den Menschen, der ihn geschrieben hat. Auch meine Familie wurde vertrieben, auch wir haben alles verloren. Seine Phantasie aber muß ich für mich nicht übernehmen

Gott will Recht über Moab sprechen, sagt Hesekiel. Es ist klar, welches Urteil der Prophet erwartet — immerhin aber bleibt offen, ob Gott nicht vielleicht zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Wer nicht selbst verurteilt werden will, sollte Verurteilungen anderer nicht herbeisehnen. Es gibt einen anderen Psalm, er singt die Worte: „So du willst, HERR, Sünde zurechnen — Herr, wer wird bestehen?“

Ich wünsche uns allen eine Woche in Gottes Segen,
Ulf von Kalckreuth

P.S. : In wenigen Wochen, am 23. November um 19:30 Uhr, findet im jüdischen Gemeindezentrum von Frankfurt ein Konzert von „Tehillim“ zu Psalm 137 statt — hier ein Link.

Bibelvers der Woche 36/2022

So höret nun und merket auf und trotzt nicht; denn der HErr hat’s geredet.
Jer 13,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Subway wall

Was hat der Herr geredet? Jeremia erzählt erst von einer Zeichenhandlung. Auf Weisung Gottes legt er sich einen Gürtel zu, trägt ihn eine Weile und legt ihn dann in einer Felsspalte in der Nähe eines Bachs ab. Als er lange Zeit später wiederkommt und den Gürtel sucht, findet er ihn verrottet. So kann Gott das Volk, mit dem er sich gegürtet hat, auch wieder von sich lösen, dann wird es verrotten. Im Anschluß kündigt Jeremia die Vernichtung an, die dem Volk wiederfahren wird — jeder wird wie volltrunken sein und der eine am andern zerschmettern. 

Das Buch Jeremia ist voll solcherlei Ankündigungen, und im Großen und Ganzen werden sie wahr. Das Königreich Juda büßt seine staatliche Existenz ein, die Hauptstadt und der Tempel werden vernichtet, ein großer Teil der Bevölkerung ins babylonische Ausland deportiert. In Kapitel 13 des Buchs ist das angekündigte Ende noch bedingt darauf, dass das Volk die eingeschlagenen Wege weitergeht. Das Unheil kann noch abgewendet werden. Dafür steht der gezogene Vers. Später schwindet die Bedingtheit: aus der Drohung wird eine einfache, hilflose Vorhersage.

Hier wird kollektive Vernichtung angedroht, als Konsequenz für kollektives Versagen. Aus der katholischen Konfessionsschule meiner Kindheit habe ich mitgenommen, dass — nach dem Tod übrigens, nicht vorher —  meine individuellen Sünden gewogen würden. Und aus evangelischen Gottesdiensten heutigen Tags scheint uns Gott als Allerbarmer auf, der möglichst vielen Menschen möglichst großes Glück schenken will. 

Es ist sonderbar, wie die Vorstellungen sich immer weiter von der Bibel und auch von der erfahrbaren Wirklichkeit entfernen. Kollektives Versagen bringt kollektives Unheil mit sich, das ist sehr bodenständig, hier gilt das Gesetz der großen Zahl. Beim Individuum ist der Zusammenhang längst nicht so streng: Glück, günstige Umstände und Zufall können verhindern, dass jemand für seine Fehler büßt. Mit Glück erntet auch ein dummer Bauer große Kartoffeln. Ob jemand für seine Fehler büßt scheint mir vor allem davon abzuhängen, wie gut er vernetzt ist. Und die letzte Vorstellung — gehen Sie gedanklich die Geschichte zurück: scheint es möglich, dass ein allmächtiger Gott zu jedem Zeitpunkt das größtmögliche Glück aller verfolgt hätte? 

Mit der Bibel hat diese Vorstellung nicht viel zu tun. Das Alte Testament spricht vom Bund, der Treue Gottes zu diesem Bund und der Strafe für die fehlende Bundestreue des Volk Gottes. Ebenso das Neue Testament. Diese Welt ist gefallen, sie bewegt sich unabwendbar ihrem Ende zu, sagt das Neue Testament. Gerettet wird, wer das Angebot des Bundes annimmt und hält, jenes diesmal, das Gott uns in Seinem Sohn macht. 

Gibt es kollektive Strafe? An den Judäern, an den Babyloniern, an den Deutschen wegen des Genozids, an den Reichen wegen der Armut der anderen, an uns allen wegen unseres Umgangs mit der Ökosphäre? Und wer ist gerettet? Alle? Das Volk Gottes in seinen zwei Gestalten? Die unter ihnen, die den Bund halten? Ich? Mein Nachbar? Und wenn ich, warum nicht er? Auch wenn Tausende fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, es wird dich nicht treffen! sagt Psalm 91. Wer sind die, die fallen, und wer ist hier gerettet? Was kann zur Rettung geschehen? Kann etwas geschehen?

Das sind Rätsel und Fragen, die mich verfolgen. And the sign said: The words of the prophets are written on a subway wall. „So höret nun und merket auf und trotzt nicht, denn der HErr hat’s geredet.“ Die Bibel ist eigentlich ziemlich deutlich. Was die Kirchen sagen, verstehe ich nicht. 

Uns allen wünsche ich die Gnade Gottes, derer wir bedürfen!  
Ulf von Kalckreuth


In dieser Woche starb Michail Gorbatschow, letzter Präsident der Sowjetunion und Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU bis zu ihrem Untergang. Im vergangenen Jahr gab es zum BdW 12/2021 eine Betrachtung, die Elemente eines Nachrufs enthält.

Bibelvers der Woche 13/2022

Ich will sie herunterführen wie Lämmer zur Schlachtbank, wie die Widder mit den Böcken.
Jer 51,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Die Katastrophe nach der Katastrophe

Der Vers ist aus der Prophezeiung Jeremias zum Untergang Babylons. Sie ist datiert, und zwar auf das Jahr 3 der Regentschaft Zedekias, des letzten König Judas. König Zedekia ist Vasall Babylons und versucht sich in einem Ränkespiel gegen das Großreich. Juda bewegt sich auf einen Abgrund zu, und Jeremia warnt seine Landsleute mit immer schriller werdender Stimme — das ist das Leitmotiv des Buchs.

An dieser Stelle aber, lange noch bevor sich der Untergang Judas tatsächlich materialisiert, sieht Jeremia den Zusammenbruch Babylons. Der gezogene Vers beschreibt den blutigen Untergang der Armee. Eine Rolle mit den Worten dieser Prophezeihung lässt Jeremia an den Euphrat bringen und dort versenken, um sie in Kraft zu setzen.

Es ist nicht klar, wann dieser Text wirklich entstanden ist. Recht deutlich verweist er auf den Sieg der Perser über das babylonische Reich rund fünfzig Jahre später. In jedem Fall enthält er eine Botschaft, die in der Bibel immer wiederkehrt: alles trägt den Keim des eigenen Gegenteils in sich, der Anstieg des Pegels heute steht auch für die künftige Ebbe, und Gott allein ist Herr der Geschichte. 

Mir fällt der Krieg im Osten unseres Landes ein, der uns bedrückt. Auch Putin wird sein Ende finden. Bald vielleicht. Was kommt danach? 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth