Bibelvers der Woche 36/2024

…aber der HErr nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!
Amos 7,15

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Vom Umgang mit dem Untergang

Zunächst einmal der vollständige Satz (Vers 14+15), nach der Lutherbibel 1984:  

Amos antwortete und sprach zu Amazja: Ich bin kein Prophet noch ein Prophetenjünger, sondern ich bin ein Hirt, der Maulbeeren züchtet. Aber der HERR nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!

Die Geschichte, in die wir hier hineinplatzen, spielt im Nordreich Israel, während der Regierungszeit von König Jerobeam, einige Jahrzehnte vor der Vernichtung des Reichs durch die Assyrer. Der Herr hatte Amos berufen, prophetisch zu sprechen. Er war Viehzüchter und zog Maulbeeren. Zu den beamteten und bestallten Propheten an Hof und Tempel gehörte er nicht. Er kam aus Juda, predigte jedoch in Beth-El, dem Tempel des Nordreichs. 

Und er predigt den Untergang — des Nordreichs, aber auch der umliegenden Länder und Regionen. Unheilbare moralische Verderbtheit, vor allem der Oberschicht und des Königshauses, ist der Hintergrund. Der Herr, so spricht Amos, hat die Geduld verloren. Die Erwählung schützt nicht mehr, sie ist im Gegenteil für Gott jetzt Anlass, besonders genau hinzusehen.  

Entsetzt und erbost wendet sich Amazja, der Hohepriester von Beth-El, an König Jerobeam. Wohl mit dessen Rückendeckung verweist er dann Amos des Landes und verbietet ihm alles prophetische Reden im Nordreich. Amos antwortet sinngemäß: ‚Was ich tue, ist mir nicht in die Wiege gelegt, ich bin mitnichten ein „echter“ Prophet. Aber was ich euch gebe, ist nicht mein Wort, sondern das des Herrn‘. Und dann, bevor er geht, fasst er vor Amazja seine Vision zu Israel zusammen und sagt dessen persönlichen Untergang voraus. 

Filmreif eigentlich. Amos gibt das Wort des Herrn weiter, verliert alles und wird ausser Landes gejagt. Immer wieder erzählt die Bibel von den traumatischen Erfahrungen ihrer Propheten. Wie geht man um mit dem Wort, wenn man es bekommt, wie eine heiße Kartoffel? Ein kleines Echo davon habe ich gerade kennengelernt. Ich zog diesen Vers, las nach und sah, dass er von Israels Untergang handelt. Da fiel mir Netanjahu ein, Gaza, die Hamas, der Vers der vergangenen Woche, die Bomben, die Hisbollah, die Raketen, die militanten Siedler, und meine erster Gedanke war: Nein, zu diesem Vers schreibe ich nichts! Aber das wäre gegen alle Regeln, und ausserdem sah ich sofort, dass der Vers selbst es ausdrücklich verbietet. 

Wie in der letzten Woche also: lasst uns beten für Juden und Palästinenser und ihr gemeinsames Heiliges Land!
Ulf von Kalckreuth

P.S. Hier ist eine Illustration zum Vers von ChatGPT. Ich habe die KI gebeten, das Gespräch aus der Perspektive von Amos‘ Innenwelt zu illustrieren, den Untergang Israels vor Augen. Es ist keine ganz große Kunst, aber für jemanden, der selbst keine Innenwelt hat, macht sie das gut. Amos klammert sich an seinen Maulbeeren regelrecht fest. Auf diese Idee wäre ich nicht gekommen. Auch der Hintergrund ist interessant — Amos hat ein warmes Weiß, Amazja ein kaltes. Amos erinnert mich an David.

Amos wird von Amazja verbannt

Bibelvers der Woche 13/2022

Ich will sie herunterführen wie Lämmer zur Schlachtbank, wie die Widder mit den Böcken.
Jer 51,40

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Die Katastrophe nach der Katastrophe

Der Vers ist aus der Prophezeiung Jeremias zum Untergang Babylons. Sie ist datiert, und zwar auf das Jahr 3 der Regentschaft Zedekias, des letzten König Judas. König Zedekia ist Vasall Babylons und versucht sich in einem Ränkespiel gegen das Großreich. Juda bewegt sich auf einen Abgrund zu, und Jeremia warnt seine Landsleute mit immer schriller werdender Stimme — das ist das Leitmotiv des Buchs.

An dieser Stelle aber, lange noch bevor sich der Untergang Judas tatsächlich materialisiert, sieht Jeremia den Zusammenbruch Babylons. Der gezogene Vers beschreibt den blutigen Untergang der Armee. Eine Rolle mit den Worten dieser Prophezeihung lässt Jeremia an den Euphrat bringen und dort versenken, um sie in Kraft zu setzen.

Es ist nicht klar, wann dieser Text wirklich entstanden ist. Recht deutlich verweist er auf den Sieg der Perser über das babylonische Reich rund fünfzig Jahre später. In jedem Fall enthält er eine Botschaft, die in der Bibel immer wiederkehrt: alles trägt den Keim des eigenen Gegenteils in sich, der Anstieg des Pegels heute steht auch für die künftige Ebbe, und Gott allein ist Herr der Geschichte. 

Mir fällt der Krieg im Osten unseres Landes ein, der uns bedrückt. Auch Putin wird sein Ende finden. Bald vielleicht. Was kommt danach? 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2022

Im fünfzigsten Jahr Asarjas, des Königs in Juda, ward König Pekahja, der Sohn Menahems, über Israel zu Samaria, zwei Jahre;…
2 Kö 15,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Der drittletzte König Israels, des Nordreichs: er regiert nur zwei Jahre und fällt dann einer Verschwörung zum Opfer, wird in seiner eigenen Palastanlage getötet. Der Mörder wird sein Nachfolger. Es geht dem Ende zu…

Der Herr sei mit uns in dieser Woche!

Bibelvers der Woche 14/2021

Und weil sie den HErrn auch fürchteten, machten sie sich Priester auf den Höhen aus allem Volk unter ihnen; die opferten für sie in den Häusern auf den Höhen.
2 Kö 17,32

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Ungleiche Geschwister

Manchmal ist die Bibel nicht so großherzig, wie ‚man‘ sie gern hätte. Gottes Wort ist sie, überliefert aber von Menschen, die in ihrem eigenen Leben stehen und in dem ihrer Gemeinschaft. Da tut sich gelegentlich ein Spalt auf.

Der Abschnitt, in dem unser Vers steht, berichtet von der Entstehung der samaritanischen Gemeinschaft. In der letzten Woche war schon die Rede davon: das Nordreich Israel war im Jahr 720 v. Chr. vom assyrischen König Sargon II im Rahmen einer Strafaktion erobert und als selbständiger Staat zerschlagen worden. Teile der Bevölkerung wurden deportiert und andere Bevölkerungsgruppen auf dem Land um die frühere Hauptstadt Samaria angesiedelt. Im 2. Buch der Könige wird berichtet, dass alle Einwohner des Nordreichs deportiert wurden und die Bevölkerung vollständig ausgetauscht wurde. Das ist schwer vorstellbar, aber es hat klare Konsequenzen: ihre Nachfahren waren nicht Volk Gottes, sie gehörten nicht ‚dazu‘. Die zehn der zwölf Stämme Israels, aus denen sich das große Nordreich zusammensetzte, gelten in der Tradition als ‚verschwunden‘. Aber viele Jahrhunderte später, zu Jesu Zeiten, selbst heute noch, leben im Norden Palästinas „Samariter“, oder Samaritaner, die den Gott Israels verehren und eine hebräische Torah haben — die fünf Bücher Mose, mit einigen Unterschieden zur jüdischen Fassung. Sie sind Nachfahren der Bevölkerung, die sich nach dem Untergang des Nordreichs herausbildete. Die Samaritaner haben einen Tempel auf dem Berg Garizim, in dem der traditionelle Opferbetrieb während der letzten zweieinhalb Tausend Jahre nie ganz eingestellt wurde, und sie sehen sich als Träger einer Tradition, die unverfälscht ist von späteren Zusätzen. 

Später brach auch das Südreich Juda zusammen, auch dort mussten viele Menschen die Heimat verlassen. Das Exil und dann die Rückkehr bedeutete eine schwierige Zeit der Identitätsfindung, der Wiedergeburt und des Neubeginns. In dieser Zeit entstanden die Bücher der Könige. Die Samaritaner waren für das sich neu formierende Judentum eine Herausforderung. Sie hatten eine Tradition und einen Anspruch, der ebenso weit zurück reichte wie der eigene. Und sie vertraten das größere der Brudervölker.

Der Abschnitt aus 2. Kö weist diesen Anspruch schlicht von der Hand. Die Samaritaner seien gar keine Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs. Dass sie dennoch Gott den Herrn verehren, erklärt der Text so: die neuen Siedler aus fremden Völkern wurden ständig von bösartigen Löwen angegriffen. Die Assyrer führten die ungewöhnlichen Attacken darauf zurück, dass der Herr des Landes, der Gott Israels, nicht ordnungsgemäß verehrt werde, und der assyrische König befahl daher seine kultische Verehrung. Ein Priester des früheren Nordreichs sei entsandt worden, eine Priesterkaste auszubilden. Daneben aber führten die neuen Einwohner ihre eigenen, spezifischen Kulte fort. „So fürchteten diese Völker den Herrn und dienten zugleich ihren Götzen. Auch ihre Kinder und Kindeskinder tun, wie ihre Väter getan haben, bis auf diesen Tag“ (2.Kö.17,41). Der Text delegitimiert die Samaritaner, und er ist Grundlage für fortwährende Aus- und Abgrenzung, in biblischer Zeit und weiter bis heute.

In der vergangenen Woche hatten wir einen Vers gezogen, in dem Gott nach seinen Kindern im untergegangenen Nordreich ruft. Und ich schrieb, dass der Ruf ohne Antwort blieb. War das richtig? Kam nicht die Antwort von den Samaritanern? 

Die Fortexistenz dieser uralten Gemeinschaft über die Jahrtausende hat in meinen Augen Zeugnischarakter. Ihre Anzahl ist heute auf 800 Menschen geschrumpft. Aber geschichtlich sind sie — beständig über die Zeit — Kinder einer uralten Katastrophe, des Untergangs des Nordreichs im Jahr 720 v. Chr. Das Judentum in seiner heutigen Form ist Ergebnis einer anderen Katastrophe, des Untergangs des Südreichs 586 v. Chr. und des Exils. Und ist das Christentum, als eigenständige Religion jedenfalls, nicht teilweise Ausfluss einer dritten Katastrophe: der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Römer im Jahr 70, gepaart mit massenhafter Vertreibung? 

Hier liegt ein Geheimnis, eine Art geistliche Dialektik. In der Konsequenz sind diese drei gleichartigen Katastrophen identitätsstiftend, werden Grund für neues geistliches Leben, auf je verschiedene Art. Neue Welten auf den Trümmern der alten. Gottes Treue zeigt sich darin auf sehr eigene Art. Verweist dieses Muster etwa auch auf die Auferstehung? 

Frohe Ostern!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 13/2021

So kehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam. Siehe wir kommen zu dir; denn du bist der HErr, unser Gott.
Jer 3,22

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ruf ohne Antwort

Früh im Buch Jeremia spricht Gott zu seinen beiden Völkern, Israel und Juda. Israel, das Nordreich mit Hauptstadt Samaria, war reichlich 100 Jahre zuvor von den Assyrern in seiner staatlichen Existenz ausgelöscht worden. Viele Menschen waren deportiert worden, umgekehrt hatten die Assyrer auf dem Gebiet des Nordreichs fremde Völker angesiedelt, deren Nachkommen nun neben den Nachkommen der Hebräer lebten. Juda, dem Südreich mit Hauptstadt Jerusalem, steht ein ähnliches Schicksal durch die Babylonier kurz bevor. Das ganze Buch handelt davon, die ersten Kapitel stehen im Zeichen einer Warnung.

Gott will Israel verzeihen und ruft sein Volk. Die Abschnitte enthalten eine vorweggenommene Vision von der Rückkehr aus dem Exil. Wo sie auch sind, sollen sie kommen und sich in Jerusalem versammeln und dort gemeinsam mit Juda Leuchtturm aller Völker sein. Wer eine frohe Botschaft sucht, kann sie hier finden — noch 100 Jahre nach dem Untergang gedenkt der Herr seines Bundes und seines Volks. 

Im ersten Satz ruft Gott sein Volk, es möge zurückkommen. Im zweiten Satz imaginiert er die Antwort: ein freudiges Ja, verbunden mit tiefer Reue. In der Übersetzung von 2017 lautet der Text im Zusammenhang der folgenden beiden Verse:

Kehrt zurück, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam. »Siehe, wir kommen zu dir; denn du bist der Herr, unser Gott. Wahrlich, es ist ja nichts als Betrug mit den Hügeln und mit dem Lärm auf den Bergen. Wahrlich, es hat Israel keine andere Hilfe als am Herrn, unserm Gott. Der schändliche Baal hat gefressen, was unsere Väter erworben hatten, von unsrer Jugend an, ihre Schafe und Rinder, Söhne und Töchter. So müssen wir uns betten in unsere Schande, und unsre Schmach soll uns bedecken. Den wir haben gesündigt wider den Herrn, unsern Gott, wir und unsere Väter, von unsrer Jugend an bis auf den heutigen Tag, und haben nicht gehorcht der Stimme des Herrn, unseres Gottes.«

Die in der neuen Übersetzung hinzugefügten Anführungszeichen erhellen den Text und verdunkeln ihn zugleich. Sie trennen sauber zwei Ebenen: das Rufen Gottes und die imaginierte Antwort seines Volks. Eigentlich ist beides eines: Gott ruft, weil er diese Antwort erhofft. Wie ein Vater, der nach seinem Kind ruft. 

Der Vers ist tragisch. Die Antwort kommt nicht. Es kommt gar keine Antwort. Vielleicht ist auch niemand mehr da, der antworten könnte. Gott, der Herr der Welt, zeigt sich hier hilflos und verletzlich. Er, dessen Wort die Wirklichkeit schöpft, spricht, und was er sagt, kommt leer zurück. Ich muß an König Lear denken, wie er auf der Heide im Sturm seine Töchter ruft — und Jeremia ist Zeuge, als hilfloser Narr.

Der Herr geleite uns durch diese Karwoche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 09/2021

Du Menschenkind, schreib diesen Tag an, ja, eben diesen Tag; denn der König zu Babel hat sich eben an diesem Tage wider Jerusalem gelagert.
Hes 24,2

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Den Schuss hören

Ein Vers für die Passionszeit. Er markiert den Anfang vom Ende. Im Januar 588 v. Chr schickte der babylonische König Nebukadnezar seine Truppen gegen das unbotmäßige Jerusalem, und anderthalb Jahre später, im Juli 587 v. Chr., fiel die ausgehungerte Stadt — das Ende der staatlichen Eigenständigkeit Judas und des jüdischen Volks, bis zur Staatsgründung Israels zweitausend Jahre später. Im gezogenen Vers nun eröffnet Gott dem Hesekiel / Ezechiel, dass die Belagerung begonnen hat. Er soll das Ereignis mit genauem Datum festhalten. Der Prophet Hesekiel wohnt in Tel Abib am Fluß Kebar in der Nähe von Babylon, wohin er gemeinsam mit anderen im Zuge der ersten babylonischen Eroberung rund zehn Jahre früher verschleppt wurde.

Ein Ereignis wird notiert. So weit, so gut. Das Besondere liegt darin, dass der Beobachter rund 2700 Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt lebt — das neubabylonische Reich ist wirklich ein Großreich. Zu Pferd benötigt man für diese Entfernung wohl zwei bis drei Monate. Wir haben das beinahe vergessen, aber ohne moderne Kommunikationsmittel übersetzt sich die räumliche Distanz in eine zeitliche. Das ist wie bei der Explosion eines Sterns: wenn er fünf Lichtjahre entfernt ist, erfahren wir davon erst nach fünf Jahren. Es ist heute schwer vorstellbar, wie man in der Antike Reiche dieser Größenordnung überhaupt verwalten konnte. 

Was wir also sehen, ist eine Sonderform der Prophetie. Das Ereignis, von dem Hesekiel erfährt, liegt in der Gegenwart, er ist aber dennoch mehr als zwei Monate davon getrennt. 

In der Ökonomie gibt es das auch. Daten zu sammeln und zu verarbeiten kostet Zeit, und so können Analytiker einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch erst mit größerer Verzögerung genau beziffern. Vorher muß man sich mit mehr oder weniger guten Konjekturen behelfen. Wir konnten das sehen, als es darum ging, die Schäden zu beziffern, die Corona angerichtet hat. „Nowcasting“ — abgeleitet von „Forecasting“ — nennt man den Versuch, durch Nutzung innovativer Datenquellen und Projektionsmethoden das laufende Wirtschaftsgeschehen früher zu quantifizieren, als es auf Basis der amtlichen Statistik möglich wäre. Man kann sagen: Nowcaster erkennen die Zeichen der Zeit, noch bevor sie manifest geworden sind. 

Hesekiel hört den Schuss. Er steht in ständigem Austausch mit Gott. Er versteht, was geschieht und gibt es weiter. Schön ist das nicht für ihn. Im selben Kapitel erfährt er vom Tod seiner geliebten Frau und er darf nicht trauern — Gott verbietet es ihm. Der Austausch mit Gott ist für ihn nicht nur eine Quelle der Kraft, wir wir es gern sehen würden. Oft ist die Begegnung angsterregend und gelegentlich führt sie ihn an den Rand seiner geistigen Gesundheit. Man muss sich fragen, wie Hesekiel es so lang ertragen konnte. 

Es bedarf wohl auch des eigenen festen Entschlusses, den Schuss hören zu wollen. 

Gottes Segen sei mit uns in dieser Woche, und chag sameach purim!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 08/2021

Und er tat, was dem HErrn wohl gefiel, doch nicht wie sein Vater David; sondern wie sein Vater Joas tat er auch.
2.Kö 14,3

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

2+ für einen Versager

Unser Vers enthält ein zusammenfassendes Urteil über die Herrschaft von König Amazja, Herrscher von Juda, Es ist fast uneingeschränkt gut. „Nur die Höhen wurden nicht entfernt, sondern das Volk opferte und räucherte noch auf den Höhen“.

Der Leser selbst könnte zu einem ganz anderen Urteil kommen — die Regierung Amazjas war nämlich eine Katastrophe für Juda. Amazja war Sohn von König Joasch. Dieser war einer Verschwörung der Großen des Landes zum Opfer gefallen. Amazja gelang es, die Verschwörer seinerseits zu töten, er verzichtete aber darauf, wie die Bibel vermerkt, die Rache auf ihre Familien auszudehnen. Er führte einen erfolgreichen Krieg gegen die Edomiter, Judas Dauerfeind. Aber dann wollte er richtig hoch hinaus.

Israel, das große Reich im Norden, war geschwächt und hatte Gebiete an die Aramäer abtreten müssen. Amazja nun, als er sich stark genug fühlte, forderte den König des Nordreichs zu einer Feldschlacht heraus. Dieser antwortete erst blumig „Der Dornstrauch, der im Libanon ist, sandte zur Zeder im Libanon und ließ ihr sagen: Gib deine Tochter meinem Sohn zur Frau. Aber das Wild auf dem Libanon lief über den Dornstrauch und zertrat ihn.“ Aber Amazja bestand auf seiner Feldschlacht und bekam sie schließlich. Sein Heer wurde zerrieben, er selbst als Gefangener nach Jerusalem geführt, die Mauer der Stadt wurde zerstört und der Tempelschatz geplündert. Viele Jahre später fiel auch er, wie schon sein Vater, einer Verschwörung zum Opfer. Der Fluchtversuch in eine Festung an den Grenzen seines Reichs war vergeblich. Mehr zu Amazja berichtet 2. Chr 25, darunter eine sehr häßliche Geschichte über einen Massenmord an Kriegsgefangenen. 

Warum also die 2+ für Amazja? Das will so gar nicht passen. 

Die Bücher der Könige wurden verfasst während und nach dem Exil. Die Autoren suchten nach Gründen für die Katastrophe, die Auflösung der staatlichen Verfasstheit von Juda und Israel, der beiden Reiche, in denen Gott der Herr verehrt wurde. Es wird nachgezeichnet, wie sich zunächst im Reich Davids und Salomos alle Versprechen Gottes erfüllten, und danach in einer langgezogenen Abstiegsbewegung eine Entfremdung sich vollzog, weil die Könige und ihre Völker den Bund nicht halten wollten. Die Bücher lassen die Regierungszeit und das Leben der Könige Israels und Judas chronologisch Revue passieren. 

Am Anfang der Vita eines jeden Königs steht ein generelles Urteil über ihn und seine Regierung. Einen solchen Vers haben wir gezogen. Bei dem Verdikt stehen Themen im Vordergrund, denen die Autoren der Königsbücher eine zentrale Bedeutung im zerrütteten Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk beimessen. Die Könige werden danach beurteilt, wie sehr sie diesen Entwicklungen Vorschub leisteten oder ob sie etwas dagegen taten. Dabei ging es zum einen um die fortgesetzte Verehrung anderer Götter, vor allem Baals und Astartes. Ausserdem verstießen beide Länder gegen die Zentralisierung des Gottesdienstes In Jerusalem. Im Nordreich baute man eigene Tempel, die in Konkurrenz zu Jerusalem standen, in Juda wurde dem Herrn auch auf den ‚Höhen‘ geopfert und geräuchert, also auf Altären, die frei im Hügelland standen. 

Auf dieser Skala schnitt Amazja offenbar insgesamt gut ab. Und das ist interessant für mich, der ich am Frühstückstisch sitze, an einem Dienstagmorgen in Frankfurt am Main. Der Vers sagt uns nämlich, dass es am Ende nicht immer um die üblichen Erfolgsmetriken geht. Und: Hat Amazja eigentlich gewusst, was bei ihm am Ende zählt? Wahrscheinlich nicht. Was könnte es bei uns sein? Wissen wir es?

Gottes Segen sei mit uns in dieser Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 42/2020

Alsdann werdet ihr an euer böses Wesen gedenken und an euer Tun, das nicht gut war, und wird euch eure Sünde und Abgötterei gereuen.
Hes 36,31

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wüste bei Eilat

Und die Wüste wird blühen

In eigentümlicher Weise spiegelt unser Vers die Worte von Paulus über den Geist Gottes und das Gesetz im Vers der vorletzten Woche 40/2020. Hesekiel wurde von den Babyloniern verschleppt zu einer Zeit, als es das judäische Reich noch gab, an den Fluß Kebar in Mesopotamien. Er verfolgte den Untergang des Reichs und seiner Hauptstadt Jerusalem aus großer Entfernung, anders als Jeremia, der zur gleichen Zeit auf die Innenperspektive festgelegt war. Nach seiner Berufung zum Propheten war Hesekiel verstummt und musste sich mit seiner Umwelt mit Zeichen und Zeichenhandlungen auseinandersetzen — sprechen konnte er nur, wenn er Worte Gottes wiederzugeben hatte. 

Dann erreichte ihn die Nachricht vom Untergang der Stadt. Die Mauern gefallen, die Häuser verbrannt, der Tempel zerstört, die Einwohner der Willkür der Eroberer preisgegeben, soweit sie Feuer, Pest und Schwert überlebt hatten. Als geschehen war, vor dem er gewarnt hatte, löste seine Zunge sich und er konnte wieder frei sprechen. Wie einfach wäre es nun, zu verkünden, wie recht er doch hatte!

Statt dessen beginnt er über Dinge zu reden, die niemand sich jetzt vorstellen konnte: Eine Zeit, in der Israel und Judäa sich wieder sammeln aus vielen Völkern. Gottes große Gnade für sein Volk, das ihn so enttäuscht hat. Einen König wie David, von Gott gesandt. Ein neues Reich. Die Auferstehung der Toten. Ein Feldzug der Mächte des Bösen gegen die Kinder Gottes, der spektakulär scheitert (siehe Vers der Woche 35/2020). Und schließlich das neue Jerusalem, neue Grenzen, ein neuer Tempel. Wasser fließt daraus, es macht die Wüste fruchtbar — bis hin zum Toten Meer, das vor Fischen wimmelt. Immer eindrücklicher wird Hesekiels Beschreibung einer Welt, die niemand sieht außer ihm…

Aber wie ist das möglich? Hat nicht Hesekiel selbst unbarmherzig immer wieder auf die dramatischen Verfehlungen des Volks hingewiesen und die unabwendbare Vergeltung der verletzten und enttäuschten Gottheit? Das sichere Ende? Denen widersprochen, die sagten, Gott werde sein Volk nicht im Stich lassen und am Ende könne nichts schiefgehen?

Gott spricht zu Hesekiel. Der Fall sei tatsächlich hoffnungslos, das Volk entehre den heiligen Namen des Herrn, wohin es auch kommt. Und daher — um seines heiligen Namens willen, und nicht etwa, weil das Volk gut sei — werde Gott dem Volk einen neuen Geist geben und ein neues Herz. Er werde es von seiner Sünde erlösen und rein machen, ihm das Land zurückgeben, es zu einem Paradies machen. Und dann, so sagt der Vers, wird das Volk erkennen, wie sehr es gefehlt hat! 

Die übliche Reihenfolge ist hier auf den Kopf gestellt. Die Vergebung erfolgt nicht aus dem Bewusstsein und dem Bekenntnis der Schuld, sondern die Verzeihung ist geschenkt, gänzlich a priori, nicht nur ohne Verdienst, sondern sogar ohne Schuldbewusstsein seitens der Menschen. Das Bewusstsein der Schuld folgt der Verzeihung, zeitlich und sachlich.

Das ist überraschend. Hesekiel spricht sonst meist von Schuld und Sühne. Aber es ist auch realistisch. Wenn Konflikte zwischen Eltern und Kindern eskalieren, funktioniert der einfache Mechanismus aus Schuldbewusstsein und Bitte um Verzeihung nicht. Er setzt innere Distanz voraus, die dem Kind in der Hitze des Gefechts völlig fehlt. Die Eltern sind schuld! Wenn dann Verzeihung nicht vorauseilt, findet gar kein Austausch mehr statt und die Bitte um Verzeihung wäre im schlimmsten Fall gelogen, ein Tribut an die größere Macht der Eltern. 

Hier ist es also wieder, rund 630 Jahre vor Paulus. Dieses sonderbare Versprechen vor dem Hintergrund der Katastrophe: Einen neuen Geist, ein neues Herz will ich euch geben und ihr werdet rein vor mir sein. Nicht euer Tun wird das zuwege bringen, sondern meines. Und die Wüste wird blühen!

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 32/2020

… und sprach zu ihnen: So spricht der HErr, der Gott Israels, zu dem ihr mich gesandt habt, dass ich euer Gebet vor ihn sollte bringen:…
Jer 42,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Entscheidung

Vor zwei Wochen hatten wir einen Vers zu einem erfolgreichen Neubeginn. Heute geht es um einen Neubeginn, der nicht stattfand. Judäa hat den Krieg gegen Babylon verloren. Das Land ist besetzt, die Hauptstadt zerstört, der Tempel vernichtet. Ein großer Teil der Elite wurde in das Innere des babylonischen Reichs deportiert. Doch im Umland gibt es noch Judäer, und auch einige Familien aus der Oberschicht sind da, die den Nukleus für eine Selbstverwaltung bilden könnten. Die Babylonier setzen Gedalja als Statthalter ein. 

Es gelingt Gedalja, das zivile Leben wieder in Gang zu bringen und mit Erfolg organisiert er die Ernte. Aus den Nachbarländer kehren geflohene Judäer ins Land zurück. Der Beginn einer ganz anderen biblischen Geschichte beginnt sich abzuzeichnen — als Jischmael, ein Verwandter des letzten Königs, Gedalja tötet und ein Massaker an seinen Leuten und an Pilgern anrichtet. Siehe hierzu den BdW 2019 Woche 39

Jischmael wird schließlich von Jochanan überwunden und vertrieben. Aber nun weiß die Gruppe der Überlebenden nicht, was tun. Warten, bleiben, und den Zorn der Babylonier auf sich nehmen? Oder nach Ägypten fliehen, dem Verbündeten im verlorenen Krieg? Sie beschließen, Jeremia zu fragen — was immer dieser auch vom Herrn erfahre, werden sie tun, sagen sie.  

Warten und dem Übel ins Auge sehen oder fliehen? Jeremia nimmt sich viel Zeit. Nach zehn Tagen kennt er die Antwort des Herrn. Unser Vers ist die Einleitung. Im Lauf der späteren Geschichte taten Juden oft gut daran, rechtzeitig zu fliehen. Hier nicht: Der durch Jeremia verkündete Wille des Herrn ist es, dass sie bleiben und das Land wieder aufbauen. Gott sagt ihnen seinen Schutz zu.

Die Männer weigern sich und fliehen, in offener Auflehnung gegen Gottes Wort. Verständlich ist das durchaus. Im Buch Jeremia ist es jedoch eine Art Todesurteil: den Flüchtlingen wird die Vernichtung vorhergesagt. Jeremia geht mit ihnen, und seine Spur verliert sich in Ägypten. 

In Elephantine gab es dort seit der Zeit des Exils über mehrere Jahrhunderte eine bedeutende jüdische Kolonie. Jüdische Religion wurde dort in heterodoxer Welse gepflegt, es gab sogar einen Tempel. mit Opferdienst. Vielleicht hat die Gruppe um Jochanan individuell das richtige getan. Jeremia aber und das nach ihm benannte Buch verurteilen die Flucht. Aus Sicht des Volks war es die falsche Wahl. Der durch Gedalja vorgezeichntete Weg der Erneuerung hätte jetzt gegangen werden können, nicht erst lange Zeit später durch Männer wie Nehemia und Esra, unter ganz anderen Vorzeichen. Mit der Flucht retten die Männer und ihre Familien sich. Das judäische Volk aber gibt sich an dieser Stelle auf.

Was hätten wir getan? Ich bin heute südlich der Elbe am Rand der Altmark mit dem Fahrrad den früheren Todesstreifen abgefahren. In der Zeit dieses Streifens gab es viele Entscheidungen, die individuell richtig waren und kollektiv falsch. Wie zur Zeit Jeremias hatte man vorher in einem langen Krieg den Menschen im Namen des Volks Dinge abverlangt, die das Volk in den Ruin geführt hatten. Druck und Zwang von oben verstärken einen Zwiespalt, dem wir uns ohnehin täglich stellen müssen. Ein Erfolg kann dann auch darin bestehen, dass wir beim Rasieren noch ruhig in den Spiegel gucken können, auch wenn Gott dabei zuguckt.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, die uns Entscheidungen dieser Art nicht abverlangt!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2020

Der zwei Säulen aber war eine jegliche achtzehn Ellen hoch, und eine Schnur, zwölf Ellen lang, reichte um sie her, und war eine jegliche vier Finger dick und inwendig hohl;…
Jer 52,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Ein letzter Blick

Vor zwei Wochen erst haben wir sie im Bibelvers der Woche kennengelernt, Jachin und Boas, die beiden bronzenen Säulen vor dem Allerheiligsten. Das erste Buch der Könige gibt Bericht von ihrem Bau. Im letzten Kapitel des Buchs Jeremia, wird erzählt, wie Nebusaradan, der Statthalter des babylonischen Königs, den Tempel zerstört. Hierzu siehe den BdW 10/2018. Dieser ganze Abschnitt ist fast wörtlich dem Ende des zweiten Königsbuch entnommen.

Unser Vers ist ein letzter Blick auf Jachin und Boas. Darin wird die Beschreibung der Baugeschichte, 1 Kö 7,15-22, noch einmal vergegenwärtigt. So schließt sich ein Kreis. Was auf dem Höhepunkt der Geschichte Jerusalems zur Ehre Gottes gebaut wurde, lässt dieser auf dem unteren Totpunkt zerstören! Die Eroberer verwenden die Säulen als Altmetall und geben sie zurück in den Materialkreislauf.

Ich ziehe diese Verse zufällig. Sie sollen ein vergröbertes, aber objektives Bild der ganzen Bibel liefern. Es fühlt sich nun ausgesprochen sonderbar an, um es zurückhaltend zu sagen, wenn diese Verse plötzlich zusammenhängen, fast Klartext sprechen. Die Verse der Wochen 25 und 26 berichteten vom Bau des Allerheiligsten und der Säulen. In der vergangenen Woche lasen wir im Dankgebet Salomons bei der Einweihung des Tempels und nun, in Woche 27, sehen wir die Säulen fallen. 

Es ist, was es ist. Aber was ist es? Gott lässt sich nieder, aber er gibt seine Wohnstatt wieder auf. Das Kostbarste — gewonnen und verloren. Warum tut Gott das und unter welchen Umständen? Was sagt die Geschichte von Aufbau und Vernichtung des Tempels und seines Kerns, des Allerheiligsten?

Man kann die kollektiven Erfahrungen mit Gott, wie sie im Alten Testament niedergelegt sind, auch individualistisch auf das eigene Leben beziehen, Juden wie Christen tun dies. Wen Gott berührt hat, wer ihn in sein Leben aufgenommen hat, kann sich seines Besitzes nicht sicher fühlen — Gott ist kein Konto in der Schweiz.

Im Allerheiligsten war die Bundeslade verwahrt, darin die Bundestafeln mit den zehn Geboten. Die Königsbücher sagen, dass das Leben mit Gott ein Bund ist, der fortbesteht, solange beide Seiten ihn halten. Eine Seite, Gott, ist unbedingt treu. Somit liegt es in unserer Hand. Individuell wie kollektiv.

Diese Zusammenfassung aus fünfhundert Jahren biblischer Geschichte ist durch den Neuen Bund nicht hinfällig geworden. Im Gegenteil. 

Jachin und Boas sind gegenwärtig. Sie sind in der Geschichte aufgehoben. Und in unseren Gedanken an das Allerheiligste, was auch immer die Gestalt ist, die es für uns hat. Sie können uns entstehen und vergehen. Und vielleicht wieder erstehen. Denn auch davon spricht die Bibel, in beiden ihrer Teile, gerade auch in Jeremia.

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth