Bibelvers der Woche 15/2019

… wenngleich über ihm klingt der Köcher und glänzen beide, Spieß und Lanze.
Hiob 39,23

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Momente mit Gott im Grenzbereich

Weiterhin Passionszeit… ein Vers aus Hiob. Diesmal nicht aus dem Teil, in dem Hiob klagt und fragt, sondern aus Gottes Antwort aus dem Sturm. Zum Buch und seiner existentiellen Frage siehe den Text zum BdW 19/2018

Am Mittwoch sprach ich mit meiner Hebräisch-Lehrerin über den Text eines Lieds von Hanan Ben Ari. Hier ist ein Youtube-Link zu „Mah ata rozeh mimeni? — Was willst Du von mir? Die Schlüsselzeilen lauten: 

Genug geschwiegen. Jetzt sprich:
Was willst Du von mir? Was? Was?
Wer hat Dich gebeten, mir eine Seele zuzuwerfen?
Warum kommst Du nicht zur Mittagszeit? 
Halt mich fest. Sieh mir in die Augen.

Meine Tochter Mathilde hörte das Lied und wollte wissen, was der Text bedeutet. Ich übersetzte ein wenig und sagte, dass der Mann wohl mit Gott redet. Sie meinte, so dürfe man doch mit Gott nicht sprechen. Aber so ähnlich fragen Hiob, Jeremiah und manche der Psalmisten, und am Ende seines Lebens auch Jesus. 

Gottes Antwort aus dem Sturm: Vordergründig geht es um Gottes inkommensurable Macht und seinen über aller Vernunft stehenden Ratschluss, die es unsinnig machen, Rechte einzuklagen. Dahinter handelt der Text aber auch davon, wann und wo man Gott begegnet. 

Zum Beispiel zur Mittagszeit! Die Umgebung unseres Verses liest sich wie folgt: 

Kannst du dem Ross Kräfte geben oder seinen Hals zieren mit einer Mähne? Kannst du es springen lassen wie die Heuschrecken? Schrecklich ist sein prächtiges Schnauben. Es stampft auf den Boden und freut sich, mit Kraft zieht es aus, den Geharnischten entgegen. Es spottet der Furcht und erschrickt nicht und flieht nicht vor dem Schwert. Über ihm klirrt der Köcher und glänzen Spieß und Lanze. Mit Donnern und Tosen fliegt es über die Erde dahin und lässt sich nicht halten beim Schall der Trompete. Sooft die Trompete erklingt, wiehert es »Hui!« und wittert den Kampf von ferne, das Rufen der Fürsten und Kriegsgeschrei.

Ein Pferd, das mit seinem Reiter mit voller Kraft und gänzlich angstfrei auf die gegnerische Schlachtreihe zustürmt — in der gleißenden Mittagssonne blitzen die Waffen und die Welt ist angefüllt von unglaublichen Tönen: donnernde Hufe, Trompeten, überall Rufe und Kriegsgeschrei. Ein Kavallerieangriff, Sekunden vor dem blutigen Zusammenprall. Die Bewegung wird zur Zeitlupe, dann zum „Still“. Da also ist Gott. 

Politisch höchst inkorrekt natürlich. Ich ging mit dem Lied von Ben Ari im Kopf auf meinen Arbeitsplatz zu, in einem Frankfurter Büroturm. Noch ein paar Meter. Ja, warum zeigst du dich nicht, wo bist du? Und auf einmal war da das Morgenlicht, der Aprilhimmel, ich spürte den kühlen Wind, sah die vielfältige Bewegung auf der Straße, die Menschen, die Autos um mich her. Da also! Die Welt als Interface. Der Vers aus Hiob fiel mir ein, ich verstand ihn auf einmal und spürte den Donner der Schlacht und das unaufhaltsame Stürmen des Pferdes unter mir. So betrat ich die vollsynthetische Welt des Frankfurter Trianon, die keine Außenluft kennt. Was für ein Absturz! Und ich wusste, dass das Bild richtig ist, auch wenn ich’s nicht erklären kann.

Momente mit Gott im Grenzbereich. Wollen wir sie eigentlich? Was wollen wir?
Ulf von Kalckreuth

PS: Die erste Antwort Gottes aus dem Sturm (ab Kap 38!) ist von ungeheurer poetischer Kraft. Ich habe erlebt, wie ein Prediger sie einfach nur vorgelesen hat. 

Bibelvers der Woche 51/2018

Und der HErr redete mit Mose und sprach: …
Num 5,1

Hier ist ein Link für den Kontext, zur Übersetzung von 2017.

Der Herr spricht

Der Vers spielt mit Sprache, und dies auf mehreren Ebenen. Formal ist der Satz eine Einleitung, und man mag als erstes betrachten wollen, was denn der Herr zu Mose sagt. Es ist eine zwar traurige, aber vernünftige Regel, die hier aufgestellt wird: alle Israeliten, die an Lepra oder anderen schweren ansteckenden Krankheiten litten, sollten außerhalb des Lagers leben. Quarantäne ist noch heute medizinisch angezeigt, wenn es keine Behandlungsmöglichkeit gibt. 

Aber da ist noch etwas anderes. Man kennt den Satz nämlich, auch wenn man nicht oft in die Bibel schaut. Moses Leben erstreckt sich über die Bücher Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Ich habe den Computer zählen lassen: die Zeichenfolge „Und der HErr redete mit Mose“ kommt in diesen Büchern nicht weniger als 87 mal vor. Die vier Bücher gemeinsam haben 4319 Verse. Der Halbsatz hat also einen Anteil von fast exakt 2% an den Versen dieser Bücher! Das ist massiv. Als Variante kommt hinzu der erste Vers des Buchs Leviticus: „Und der Herr rief Mose und sprach: „

Irgendwann mussten wir den Satz also ziehen… Liest man ihn für sich selbst, so kann er drei Bedeutungen haben, je nachdem, wie man betont: 

1) Und der Herr redete mit Mose und sprach — was nun kommt, ist nicht von Mose oder einem Priesterangeordnet, sondern von Gott.

2) Und der Herr redete mit Mose und sprach: Gott richtet sein Wort an die Menschen.

3) Und der Herr redete mit Mose und sprach — nicht mit irgendeinem Menschen spricht er, sondern mit Mose, dem berufenen Vertreter.

Alle drei Bedeutungen sind präsent in dieser Phrase, die wie ein Mantra wiederholt wird. Aber die zweite ist herausgehoben: Dem Verb kommt in der hebräischen Sprache eine überragende Stellung zu. Es ist der Ausgangspunkt jeder Bedeutung, jeder sprachlichen Äußerung. Im Vers, wie im klassischen Hebräisch üblich, steht das Verb am Anfang des Satzes, und Subjekt und Objekt sind Attribute des Verbs. Die meisten Nomina und Adjektive im Hebräischen sind direkt von Verbstämmen abgeleitet. Der hebräische Name Gottes selbst ist formal ein Verb, in der 3. Person Einzahl männlich im Imperfekt. 

Gott redet und spricht, er richtet sein Wort an die Menschen, sein Wort, das die Welt erschaffen hat. Dass er dies tut, unterscheidet ihn vom „Gott der Philosophen“. Darin, dass wir miteinander sprechen und mit Gott, sind wir Gott gleich. Mit Worten können wir heilen und bauen, mit Worten zerstören und niederreißen. Und mit seinem Wort „baut “Gott sein Volk in der Wüste. 

Ich wünsche uns eine Woche, in der Gott sein Wort an uns richtet —in welcher Form auch immer,
Ulf von Kalckreuth