Mohren und Ägypten war ihre unzählige Macht, Put und Libyen waren ihre Hilfe.
Nah 3,9
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Biblische Dialektik
Zufällig Verse ziehen führt irgendwann überall hin, auch zu den sogenannten kleinen Propheten. Diese heißen so wegen des Umfangs ihrer Schriften. Das ‚Buch‘ Nahum ist in meiner Bibelausgabe zwei Seiten stark. Zwischen Micha und Habakuk findet man es kaum. Noch kürzer ist das Buch Obadja, mit 25 Versen…
Nahum hat ein einziges Thema: der herbeigesehnte, herbeigeflehte, klar und immer klarer gesehene Untergang des verhassten Assyrerreiches, während vieler Jahrhunderte die dominierende Macht in der Levante. Die Assyrerkönige waren von beispielloser Grausamkeit. Sie beuteten ihre Vasallenstaaten und Territorien aus, bis sie blutleer waren und durch neue Eroberungen ersetzt werden mussten. Getrieben von institutionalisierter Gier, mechanisch fast, dehnte sich das Riesenreich immer weiter aus und implodierte schließlich geradezu.
Juda lag im Herrschaftsbereich Assyriens und Nahums Schrift musste im Geheimen entstehen. Stellen Sie sich einen polnischen Autor in Warschau vor, der im Jahr 1941 seine Visionen vom Untergang Berlins zu Papier bringt und mit wenigen Freunden teilt. So etwa liest sich die Schrift Nahums: sarkastisch, hasserfüllt, verächtlich, ironisierend, poetisch gar an einigen Stellen. Im gezogenen Vers geht es konkret um den Untergang der assyrischen Hauptstadt, Ninive. Zum Verständnis hier das Textumfeld des Verses:
Meinst du, du seist besser als die Stadt No-Amon, die da lag am Nil und vom Wasser umgeben war, deren Mauern und Bollwerk Wasserfluten waren? Kusch und Ägypten waren ihre unermessliche Macht, Put und Libyen waren ihre Hilfe. Dennoch wurde sie vertrieben und musste gefangen wegziehen. Ihre Kinder sind auf allen Gassen zerschmettert worden, und um ihre Edlen warf man das Los, und alle ihre Gewaltigen wurden in Ketten und Fesseln gelegt. Auch du musst trunken werden und von Sinnen kommen; auch du musst Zuflucht suchen vor dem Feinde!
No-Amon, so sagen die Alttestamentler, ist ein Name für Theben, die ägyptische Stadt des Gottes Amun. Der Vers, den wir gezogen haben, ist ihnen Schlüssel zur Datierung des Texts: er wurde geschrieben, als Theben bereits zerstört war, aber Ninive noch nicht.
Ninive, so schreibt Nahum, du kannst auf gewaltige Ressourcen zurückgreifen. Aber das wird dir nichts helfen. Wie Theben wird es dir gehen. Ägypten, der Sudan und große Teile Nordafrikas dienten dieser Stadt und dennoch fiel sie und wurde von Grund auf zerstört.
Er sollte recht behalten. Spannend und denkwürdig ist die Tatsache, dass es die Assyrer selbst waren, die das ägyptische Theben nahmen und völlig zerstörten. Nahum erinnert an einen großen assyrischen Sieg, um daraus ein Bild für die kommende Niederlage zu gewinnen! Es ist so, als ob unser polnischer Untergrundautor im Jahr 1941 prophetisch schriebe: „Berlin, Feste des Bösen, die große Macht deines Landes wird dir nichts helfen. Wie Paris wirst du deinen Feinden erliegen. Wie Warschau wirst du brennen!“
Ein großes Thema blitzt auf. Gott kehrt und stürzt um. Er tritt die Starken in den Staub und macht die Schwachen stark. Eine Art Dialektik zieht sich durch die Bibel, lang bevor es das Wort gab. Siehe zuletzt die Betrachtung zum BdW 09/2024, aber auch die BdW 51/2023, 11/2022 und 37/2020. Und ist es nicht so, dass bei unseren Stärken und Erfolgen, auf dem Schauplatz unserer Siege, gerade dort auch unsere Gefährdungen liegen?
Der historische Nahum lebte in Juda, vermutlich in Jerusalem. Wenn er heute in der Ukraine lebte, was würde er über Moskau schreiben? Und wenn er — darf ich das fragen? — in Rafah, in Gaza -Stadt oder im Westjordanland wohnte, was wären seine Worte über Jerusalem?
Gott schütze sein Heiliges Land!
Ulf von Kalckreuth