Bibelvers der Woche 21/2022

Und dieweil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.
Gen 5,24

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Ein Leben ohne Tod

In der nun kommenden Woche feiern wir Christi Himmelfahrt. Aber in diesem Vers geht es um Henoch, auch Enoch genannt: einem der allerersten Menschen, der siebte Mann, dessen Namen uns in der Bibel überliefert wird, Vater des Methusalem. Methusalem war der Mensch, dessen Leben mit 969 Jahren so lange währte wie das keines anderen Menschen, aber Henoch übertraf ihn noch, denn er starb gar nicht.

Nachdem er 365 Jahre auf Erden gelebt hatte, nahm Gott ihn unmittelbar zu sich auf — auf theologisch: Henoch wurde entrückt. Im Alten Testament wird dies sonst nur von Elia berichtet, im Neuen Testament gibt es als Gegenstück die Himmelfahrt Jesu — nach Tod und Auferstehung allerdings. 

Und nur eine einzige Zeile widmet der Chronist in Genesis diesem unglaublichen Vorgang. Aus der Bibel wissen wir fast nichts über Henoch, sein Name wird nur einige Male noch erwähnt, als Muster eines Lebens mit Gott. In der frühjüdischen Literatur allerdings ist Henoch wichtig. Mehrere apopkryphe Bücher zu Henoch sind überliefert. Eines davon, das erste Henochbuch, ist in der äthiopischen christlichen Kirche kanonisiert, also echter Teil der Bibel. Nur dort allerdings. Das uralte Buch berichtet vom Sündenfall der Engel: sie paaren sich mit Menschenfrauen und zeugen Riesen, die die Welt zerstören, siehe auch Genesis 6. Gottes Gericht soll über sie kommen. Henoch reist durch Himmel und Hölle und berichtet von der apokalyptischen Schau des Schicksals der Welt, die ihm dort zuteil wird. Teilweise ist das Buch in der Ich-Form geschrieben.

Ich habe es mir als E-Buch gekauft, für €0,49 bei Amazon. Wie man sich eben heute Bücher besorgt, die vielen heilig sind und für deren Übersetzung einmal Menschen ihr Berufsleben eingesetzt haben. Aber das Medium ist durchaus von Bedeutung — wer etwas für einen halben Euro auf den Bildschirm seines winzigen iPads bekommt, kann sich damit nicht wirklich auseinandersetzen. So habe ich leider nicht viel mitgenommen aus der Bekanntschaft mit dem ersten Henochbuch. 

Aber der Vers oben, den ich gezogen habe, schwingt in mir. Wörtlich übersetzt heisst es: „Und Henoch ging mit Gott, und dann war er nicht (mehr), denn Gott hatte ihn (zu sich) genommen.“ Umstandslos, einfach so. Ohne Alter, ohne Kampf, ohne Tod, ohne Leichnam, ohne Beerdigung — ins Licht. Ist das nicht schön? Aus dem Mahlstrom menschlicher Existenz genommen, der uns alle anderen zerreibt und schließlich verschlingt. Wer wollte Macht und Reichtum, wenn er dies bekommen könnte? Hätte ich einen Sohn, vielleicht würde ich ihn Enoch nennen. Enoch von Kalckreuth…

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 19/2022

Der HErr hat gesagt: „Aus Basan will ich sie wieder holen, aus der Tiefe des Meeres will ich sie holen,…
Ps 68,23

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Noch einmal Baschan…

Erinnern Sie sich an den Bibelvers der vorvergangenen Woche, dem BdW 17/2022 ? Er kam auch aus Psalm 68, und hatte ebenfalls Baschan zum Thema, die gebirgige Grenzregion im Nordosten des heiligen Landes. Es ist schwer, dies als Zufall zu akzeptieren, aber recht betrachtet ist alles, was im Leben geschieht, aus irgendeiner Perspektive heraus unwahrscheinlich. Für den BdW 4/2021 immerhin habe ich seinerzeit die Wahrscheinlichkeit berechnet, zweimal hintereinander aus demselben Kapitel zu ziehen.  

Habe ich eigentlich in der vorvergangenen Woche etwas übersehen? Vielleicht dies: Der Ausdruck har elohim in Ps 68,16 ist mehrdeutig, es könnte auch ‚Berg fremder Götter‘ gemeint sein. So übersetzt es die Basisbibelelohim wäre dann hier nicht die ehrende Bezeichnung für den (einen) Gott, sondern ein echter Plural: ‚Götter‘. Im gezogenen Vers 23 ist dann die Höhe des Baschangebirges — ebenso wie die Tiefe des Meeres — ein Bild für größtmögliche Gottesferne. 

An Not und Gewalt jedenfalls ist gedacht, wie die Fortsetzung des Satzfragments in Vers 24 zeigt: „dass du deinen Fuß im Blut der Feinde badest und deine Hunde es lecken“. Der Vers sagt uns, dass Gott den Seinen treu ist, und zwar auch in extremen, ‚unmöglichen‘ Situationen. Psalm 139, 8-10 singt es so: „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“ Gott hält seinen Bund, er hilft den Seinen.

Ein unbedingtes Treueversprechen in der Not also, und die Hoffnung auf Heimkehr. Mir fällt ein Erlebnis ein, das ich vor langer Zeit mit meiner Frau hatte. Während einiger Monate lebten wir damals in London, und wir besuchten die „Speakers‘ Corner“ im Hyde Park. Es gab dort nicht die politischen Querdenker, mit denen wir gerechnet hatten, sondern es waren vor allem religiös motivierte Menschen aus aller Welt, einzelne und kleine Grüppchen, die dort Gehör suchten. Ich weiss nicht mehr, woran es lag, aber wir beide fühlten uns unglücklich, es gab ungelöste Probleme. Man muss uns das angesehen haben. Eine junge Frau löste sich aus ihrer Gruppe, ging auf uns zu und sagte einfach und fröhlich: „Don’t worry, there will be a better tomorrow!“

Ich stotterte und bedankte mich, überrascht und ein wenig glücklich, und wir gingen bald weiter. Dieses unbedingte Versprechen hat auf meine Frau und mich einen großen Eindruck gemacht — nach zwanzig Jahren haben wir beide diese Szene noch vor Augen. Und in wieder zwanzig Jahren, wenn ich noch lebe, werde ich weiter daran denken. Aus Baschan, aus der Tiefe des Meeres…

Gottes Segen sei mit uns allen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 16/2022

Und das währte von Tag zu Tag, als die Zeit zweier Jahre um war, ging sein Eingeweide von ihm in seiner Krankheit, und er starb in schlimmen Schmerzen. Und sie machten ihm keinen Brand, wie sie seinen Vätern getan hatten.
2.Chr 21,19 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Drei Bilder

Bild 1: Heute ist Karfreitag. Der Vers dieser Woche markiert das grausige Ende eines Gewaltherrschers. Joram, König von Juda, Sohn von Joschafat, beginnt seine Herrschaft mit einem Mord. Alle seine Brüder, sechs an der Zahl, lässt er umbringen. Er heiratet die Tochter des anderen Gewaltherrschers, Ahab, des gottlosen Königs des Nordreichs, und übernimmt dessen Praktiken. In einem Brief prophezeit ihm Elia ein grausiges Ende. 

Die Araber und die Philister fallen über sein Reich her und schlagen ihn vernichtend, nur ein Sohn bleibt ihm. Während zweier langer Jahre zerfrisst ihn eine schreckliche Krankheit, ein Krebs vermutlich, bis schließlich die Eingeweide aus dem Bauchraum heraustreten. 

Die Woche, für die ich ziehe, beginnt mit dem Ostersonntag. Joram steht für Mord, Verwerfung und einen grausigen Tod. Das gerade Gegenteil von Leben in Eintracht mit Gott und den Menschen, das Gegenteil von Nachfolge, das Gegenteil von Erlösung und von Leben.

Bild 2: Heute ist Karfreitag. Gestern habe ich vom Tod eines Freundes unserer Familie erfahren. Er hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder. Ein viertes Kind kommt bald zur Welt. Ich selbst bin mit meiner Tochter an der Côte d’Azur. Das Licht hier ist so hell, wie ich es lange schon nicht mehr gesehen habe. Wie absurd.

Bild 3: Heute ist Karfreitag. Der Vers oben ist ein Gegenbild. Kennen Sie das noch, aus der analogen Fotografie? Ein Film wird belichtet. Wo Licht den Film berührt, wird er schwarz. Wo das Bild dunkel ist, bleibt der Film weiss. Der belichtete Film heisst Negativ. Der Fotograf fixiert es, damit er es betrachten kann, und entscheidet dann, welches der Bilder er vergrößern will. Bei der Erstellung des Positivs kehren sich die Lichtwerte wieder um. Mit ein wenig Erfahrung kann man im Negativ das dahinter liegende Positiv fast so gut sehen, als läge es schon vor.

Joram ist ein Negativ. Ein Bild steckt darin, ein drittes Bild, von Gottes Liebe, seinem Segen, Erlösung und Auferstehung. Wo Joram und sein Ende schwarz sind, ist Ostern weiß!

Heute ist Karfreitag. Das Bild von Ostern ist in der Welt nicht wirklich angekommen — die Welt hat’s nicht erkannt. So ist es, so ist es wirklich!

Herr, nimm unseren Freund zu Dir!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 15/2022

Ich harre des HErrn; meine Seele harret und ich hoffe auf sein Wort.
Ps 130,5 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Palmsonntag

Es ist nicht leicht zu fassen. Erinnern Sie sich an den Bibelvers der letzten Woche? Es war der Eröffnungsvers des siebten Bußpsalms. Nun ein Schlüsselvers aus dem sechsten Bußpsalm, der wie eine Antwort ist. Als Zufall ist das gar nicht zu begreifen. Irgendwie ergibt es ein perfektes Ganzes — so fühle ich mich, so fühlt sich die Welt, so ist das Kirchenjahr und auch das Wetter. Ostern und Pessach sind nun sehr nahe, aber noch bleibt die Welt dunkel. 

Der Vers sagt uns, sehr klar übrigens, wie wir damit umgehen sollen — warten, hoffen, harren, getrost sein. Die Welt wird das nicht ändern, nein, aber wir können in ihr bestehen mit Blick auf ein besseres Morgen. Gerade habe ich den Psalm neu gelesen. Er spricht unmittelbar zur Seele. Ich lade Sie ein, dasselbe zu tun:

Ps 130 Ein Wallfahrtslied. 

Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. Herr, höre meine Stimme! 
Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!
Wenn du, HERR, Sünden anrechnen willst – 
Herr, wer wird bestehen? 
Denn bei dir ist die Vergebung, 
dass man dich fürchte. 

Ich harre des HERRN, meine Seele harret, 
und ich hoffe auf sein Wort. 
Meine Seele wartet auf den Herrn 
mehr als die Wächter auf den Morgen; 
mehr als die Wächter auf den Morgen
hoffe Israel auf den HERRN! 
Denn bei dem HERRN ist die Gnade 
und viel Erlösung bei ihm. 
Und er wird Israel erlösen 
aus allen seinen Sünden.

Ich wünsche uns eine gesegnete Karwoche!!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 14/2022

Ein Psalm Davids. HErr, erhöre mein Gebet, vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen, erhöre mich um deiner Gerechtigkeit willen.
Ps 143,1

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017. 

Passion

Die Verse der letzten Wochen passen gut ins Kirchenjahr. Es ist Passionszeit, und da ist es richtig, der Katastrophen zu gedenken, auch der eigenen. Gott wird sich denen zuwenden, die im Leben Demut gelernt haben. 

Der gezogene Vers dieser Woche leitet den siebten Bußpsalm ein — es ist der letzte, übrigens. Das Ende gerät in Sicht. Hier ist der ganze Psalm. David ist zerschmettert und gibt sich in den Herrn. Aber er wäre nicht David, wenn er nicht die Gelegenheit nutzte, seinen Feinden zu fluchen…

Ein Psalm Davids. 

HERR, erhöre mein Gebet, vernimm mein Flehen um deiner Treue willen,
erhöre mich um deiner Gerechtigkeit willen, 
und geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht; 
denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.
Denn der Feind verfolgt meine Seele 
und schlägt mein Leben zu Boden, 
er legt mich ins Finstere 
wie die, die lange schon tot sind. 
Und mein Geist ist in mir geängstet, 
mein Herz ist erstarrt in meinem Leibe.  

Ich gedenke an die früheren Zeiten; ich sinne nach über all deine Taten 
und spreche von den Werken deiner Hände. 
Ich breite meine Hände aus zu dir, 
meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land. Sela. 
HERR, erhöre mich bald, mein Geist vergeht; 
verbirg dein Antlitz nicht vor mir, 
dass ich nicht gleich werde denen, 
die in die Grube fahren. 
Lass mich am Morgen hören deine Gnade; 
denn ich hoffe auf dich. 
Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; 
denn mich verlangt nach dir. 
Errette mich, HERR, von meinen Feinden; 
zu dir nehme ich meine Zuflucht. 

Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott; 
dein guter Geist führe mich auf ebner Bahn. 
HERR, erquicke mich um deines Namens willen; 
führe mich aus der Not um deiner Gerechtigkeit willen, 
und vernichte meine Feinde um deiner Güte willen 
und bringe alle um, die mich bedrängen; denn ich bin dein Knecht.

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche, auch unseren Feinden!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 33/2021

…darum habe ich auch mich selbst nicht würdig geachtet, dass ich zu dir käme; sondern sprich ein Wort, so wird mein Knecht gesund.
Luk 7,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Von ‚Abstandsregeln‘ und ihrer Überwindung

Der Hauptmann von Kapernaum, ein römischer Zenturio, bittet Jesus, seinen Knecht zu heilen, den er sehr liebt. Als Jesus in die Nähe des Hauses kommt, bittet er ihn ausserdem, nicht näherzutreten, sondern die Heilung aus der Entfernung zu bewirken, nur durch sein Wort.

Die Geschichte wird in Matthäus 8 und in Lukas 7 erzählt. Der parallele Vers aus Matthäus ist eine wichtige Formel in der katholischen Abendmahlsliturgie. Bei Lukas tritt das Motiv des Abstands viel deutlicher hervor. Hier bittet der Hauptmann nicht selbst, sondern lässt jüdische Freunde, Älteste in der Gemeinde, ein Wort für ihn einlegen. Die haben guten Grund, der Bitte Folge zu leisten: der Hauptmann hatte den Bau der Synagoge in Kapernaum finanziert. Jesus selbst hat dort schon gepredigt. Und als Jesus in die Nähe des Hauses kommt, spricht wiederum nicht der Hauptmann selbst ihn an. Er schickt vielmehr Freunde, die Jesus bitten, die Heilung aus der Ferne zu bewirken. Diesen Inhalt trägt unser Vers.

Der Hauptmann ist Zenturio, Chef einer Garnison der verhassten römischen Besatzungsmacht. Ihm sind selbst Beschränkungen im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung auferlegt — wie in jeder Besatzungssituation gab es in der römischen Armee Fraternisierungsverbote. Aber das Problem ist wechselseitig: Juden durften nur sehr eingeschränkt Umgang mit Menschen haben, die nicht dem jüdischen Volk angehörten. Dabei galt der Umgang mit den römischen Besatzern in besonderer Weise als unmoralisch, schlimmer noch als der Kontakt mit Prostitutierten, Zöllnern und Dieben, die dem eigenen Volk angehörten.  

Für den Zenturio war dies zum Trauma geworden. Er „liebte“ die jüdische Gemeinde, schreibt Lukas. Der Zenturio war Proselyt, ein Mensch, der den Gott der Hebräer als seinen Gott anerkannte, ohne selbst Jude zu sein und ohne vollgültig der Gemeinde angehören zu können — und dies, obwohl er ihren Versammlungsort finanziert hatte. Er dürfte seine Erfahrungen mit religiösen Lehrern gemacht haben. Auch heute behandeln ultraorthodoxe Juden in Israel Andersgläubige gelegentlich mit ablehnender Indifferenz. Das kann verletzend sein, und diese Art Verletzung kann sich der Führer der Kommandantur am See Genezareth nicht leisten, auch aus politischen Gründen nicht. 

In seiner Verzweiflung versucht der Hauptmann die Quadratur des Kreises. Er bittet Jesus, an dessen Wirkmacht er glaubt, um Hilfe, und gleichzeitig um sicheren Abstand. Er selbst macht es vor: Älteste der jüdischen Gemeinde bitten für ihn, und dann Freunde. Jesus soll den Knecht aus der Entfernung heilen!

Sonst heilt Jesus mit körperlichem Kontakt. An dieser Stelle könnte die Handlung aus mehreren Gründen kippen. Der Hauptmann geht sehr weit, indem er Jesus sagt, wie dieser die erbetene Hilfe zu leisten hat. Ausserdem hat Jesus selbst sich um ‚Abstandsregeln‘ nie gekümmert und durch seinen unterschiedslosen Umgang mit Prostituierten, Zöllnern und anderen Sündern viel Anstoß erregt. Mit der Frage, warum denn der Zenturio es nicht ebenso halte, könnte er die Bitte mit einer klaren Botschaft abweisen. Stünde die Geschichte so im Evangelium, würde es nicht auffallen.

Aber frei wählt Jesus eine andere Interpretation. Er sieht die Not des Hauptmanns und erkennt, dass dieser das Unmögliche versucht. Jesus staunt, schreibt Lukas! Und er sagt laut: Ja, du hast recht, das Unmögliche ist möglich. Und genau darauf kommt es an. Dein erstaunlicher Glaube ist besser und tiefer als derjenige der rechtgläubigen Umstehenden. Und dann bewirkt er die Heilung, ganz genau so, wie der Hauptmann sie sich wünscht. 

Später, lange nach Jesu Tod, verbreitete seine Lehre sich besonders schnell und leicht unter den Proselyten der griechisch-römischen Welt. In gewisser Weise war der Hauptmann von Kapernaum der erste von vielen. Unten sind zwei Bilder, von den Resten des Fischerdorfs Kapernaum und vom See Genezareth. Es war Anfang April 2017. Bei diesem Licht fällt es leichter als anderswo, das Unmögliche für möglich zu halten! 

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 52/2020

Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Frau gering gegen sich.
Gen 16,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Maschine und Keil

Im Jahr 1985 veröffentlichte Margaret Atwood einen Roman, der später verfilmt wurde und als Vorlage für eine Serie diente. Der deutsche Titel lautet Der Report der Magd. Aufgrund chemischer, bakteriologischer und radioaktiver Verseuchung sinkt die Fruchtbarkeit der Menschen in den USA drastisch. In der Folge wird Fruchtbarkeit wichtiger als alles andere. Eine christlich-fundamentalistische Gruppierung übernimmt die Macht und verwandelt das Land in einen Gottesstaat. Die Frau wird auf ihre Funktion als Gebärerin fokussiert und beschränkt. Frauen verlieren ihre bürgerlichen Rechte. Sie sind dabei aber ausgesprochen ungleich. Während Ehefrauen den höchsten Status einnehmen, gibt es neben einer Kaste von Unberührbaren auch „Mägde“. Das sind Frauen, die wegen ihrer Fertilität in ein spezielles Dienstverhältnis zu Angehörigen der Elite gestellt werden und diesen Kinder gebären sollen. Atwood erzählt ihre Geschichte aus der Sicht einer Magd.

Die Welt Abrahams, vielleicht 4000 Jahre vor unserer Zeit, ist nicht weit weg von Atwoods Fiktion. Abraham ist Chef eines großen halbnomadischen Clans. Unter seinem Befehl stehen so viele waffenfähige Knechte (Gen 14,14), dass er damit kleine Kriege führen kann. Er und seine Frau Sara sind alt geworden und trotz einer Zusage Gottes immer noch kinderlos. Im Clan sind Kinder alles: sie tragen die kollektive Identität fort und stützen die Erwachsenen im Alter, stehen für Wehrhaftigkeit und Vitalität, mit ihnen steht und fällt der Status der Frauen. 

Sara gibt auf und bietet Abraham ihre ägyptische Magd Hagar als Zweitfrau an, sie soll ihm an ihrer Statt Kinder gebären. Das war in solchen Fällen ein gängiges Verfahren, auch die beiden Ehefrauen Jakobs lassen sich von ihren Mägden helfen. Die Ehe wird geschlossen und vollzogen, Hagar wird schwanger. Sofort entsteht ein Konflikt zwischen den Frauen — das ist der gezogene Vers. 

Wir sind hier im Inneren einer Maschine, der Clanwelt, wo ein Rädchen ins andere greift, und die Akteure wenig Wahlmöglichkeiten haben. In dem Moment, als Hagars Schwangerschaft offenbar wird, nimmt Sara einen Wandel an ihrer Magd wahr — sie achte ihre Herrin gering. Es ist nicht wichtig, ob Hagar sich tatsächlich anders verhält oder ob sich Saras Wahrnehmung ändert — beide sind in ihrer Rolle gefangen. Die Schwangerschaft bedeutet für die Sklavin einen ungeheuren Bedeutungszuwachs und für die Herrin ist sie eine Bedrohung. Sie interveniert bei Abraham, und der sagt einen Satz, der Hagars Tod bedeuten könnte: „Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt: tu mit ihr, wie dir’s gefällt!“ Sara drangsaliert ihre Sklavin derart, dass diese das Lager flieht. 

Des Herrn Engel findet sie an einer Wasserquelle in der Wüste und bedeutet ihr, zurückzugehen und sich unter das Joch ihrer Herrin zu beugen. Sie folgt und bringt ihren Sohn Ismael zur Welt. Der Name des Kindes bedeutet „Gott hört“. Gen 21 erzählt, wie sich viele Jahre später das Geschehen verschärft wiederholt. In höchstem Alter bringt Sara selbst ihren Sohn Isaak zur Welt, und nun kennt ihre Eifersucht keine Grenzen: der erste Sohn und ihre Mutter müssen weg. Abraham willigt ein, und Hagar und ihr Sohn werden in die Wüste geschickt. Hagar legt ihren Sohn unter einen Strauch und setzt sich einen Bogenschuss entfernt hin, um das Weinen des sterbenden Kindes nicht hören zu müssen. Eine unfassbare, herzzerreissende Szene.

Gott hat alles zugelassen und gar noch Abrahams Zweifel zerstreut. Nun wird er im Wortsinn Deus ex Machina — die Maschine wird angehalten und aufgebrochen. Eine Quelle bricht hervor, mitten in der Wüste, und Gott sagt Hagar zu, auch ihr Sohn werde der Vater eines großen Volks von zwölf Fürsten. Es ist das arabische Volk, das sich auf Ismael zurückführt, etwa 370 Millionen Menschen sprechen heute die arabische Sprache.

Der gezogene Vers berichtet von einem Kind und seiner unglaublichen Geburt. Bei der Geburt Ismaels war Abraham sechsundachtzig Jahre alt. Der Vers für sich selbst hat dennoch nichts weihnachtliches. Die Maschine rattert und klickt wie gewohnt, selbst unter außergewöhnlichen Umständen. Das ändert sich erst, als der Herr selbst in sengender Wüste einen Keil hineinwirft…!

عيد ميلاد سعيد — so schreibt man „Frohe Weihnachten“ auf arabisch!

Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 22/2020

So hätte ich nun Trost, und wollte bitten in meiner Krankheit, dass er nur nicht schonte, habe ich doch nicht verleugnet die Reden des Heiligen.
Hiob 6,10

Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.

Behind the blind

Leid und Gottes Schutz 

Vor einigen Wochen gab es zwei Verse aus Hiob hintereinander. Hiob begegnet uns recht häufig — wir hatten Hiob-Verse in den Wochen 12/2020, 11/2020, 15/2019, 45/2018 und 19/2018. Trügt die Hoffnung oder trägt sie: durch zufälliges Ziehen langsam und mit der Zeit, lernend, ein authentisches Bild der Bibel jenseits der ausgetretenen Pfade zu gewinnen? Jedesmal finde ich in diesem Buch eine neue wichtige Facette.

Der gezogene Vers gehört in den ersten Teil des Buchs, wo die Dimensionen der Frage und die Konfliktlinien sichtbar werden. Um seine Gottesfurcht zu erproben, wird Hiob mit Zustimmung Gottes von Satan mit unsäglichem Leiden gequält. Drei Freunde besuchen ihn. Hiob hat nach langem Schweigen ausgiebig den Tag verflucht, an dem er geboren wurde, mit großer Lust am verbalen Detail. Er fragt nach Gottes Gerechtigkeit und danach, warum Gott Wesen in die Welt setzt, nur um sie zu peinigen.

Elifas, einer seiner Freunde, antwortet. Aus der Rede des Elifas gab es früher schon den BdW 2018/45. Im Kern sagt er, dass niemand ohne Sünde ist, das sei Illusion. Individuelles Leid ist Zurechtweisung Gottes und damit Gnade, denn verstockte Sünder gehen unweigerlich unter. Es ist dem Leben dienlich, die Zurechtweisung zu hören und sein Verhalten anzupassen: „Selig ist der Mensch, den Gott zurechtweist; darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht. Denn er verletzt und verbindet, er zerschlägt und seine Hand heilt.“ (Hiob 5, 17f). Dann preist Elifas mit großer poetischer Kraft Heil und Schutz, den Gott den Seinen gibt und schließt: „Siehe, das haben wir erforscht, so ist es; darauf höre und merke du dir’s.“

Wenn man selbst im Dreck liegt, ist es unerträglich, so etwas von jemandem zu hören, dem es selbst gut geht. Hiob reagiert scharf — in der Fahrrinne seiner ersten Rede wünscht er sich nun, der Herr möge endlich ein Ende machen mit ihm und zwar schnell, dann könne er vor Freude hüpfen (so im Original), weil er trotz allem den Worten des Heiligen treu geblieben sei bis zum Schluss. Der gezogene Vers ist das sprachliche Kunstwerk eines Menschen, der am Rand seiner Kräfte steht. Die angekündigte Freude über den raschen Tod, den er hüpfend begrüßen würde (wie mag man sich das vorstellen?) — das ist blanke Ironie. Hiob besteht auf seiner Gerechtigkeit, sagt aber implizit, dass er die Worte des Heiligen unter diesen Umständen vielleicht nicht mehr lang werde achten können. 

Der Gott der Juden und der Christen ist Einer: nichts geschieht ohne seinen Willen. Im ersten Jahrtausend vor Christus war man nicht so schnell bereit wie heute, ganze Wirklichkeitsbereiche aus Gottes Zuständigkeit zu nehmen, etwa unter Verweis auf „die Naturgesetze“, oder „die Folgen des willensfreien menschlichen Handelns“. Gott ist allmächtig, allwissend und damit allverantwortlich: auch für Leid und Qual. Das Buch Hiob ist die Auseinandersetzung damit: Hiobs Anklage gehört ebenso dazu wie der Lobpreis in Elifas erster Rede. Das Buch Hiob beleuchtet seinen Gegenstand, diesen unerträgliche Widerspruch, nach allen Seiten. Eine klare Antwort, die man nach Hause tragen könnte, gibt es am Ende nicht. 

Am Himmelfahrtstag hatte ich Gelegenheit, auf der Trauerfeier für eine in Treue und Zuneigung sehr alt gewordenes Schwester unserer Gemeinde Psalm 91 vorzutragen und ein Lied dazu zu singen. Es war der erste Gottesdienst seit vielen Wochen. Wie ich hier nun schreibe, muß ich an diesen Psalm ständig denken. Hier ist der Text des Lieds, aus den Versen 4b-7 und 11-12 von Ps 91:

Er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich hüten auf all deinen Wegen,
dass sie dich auf Händen tragen,
dass dein Fuß keinen Stein anstosse.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 
dass du nicht erschrecken mußt, nicht erschrecken mußt:

vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die fliegen am hellichten Tag,
vor der Seuche im Finstern,
vor der Pest, die am Mittag Verderben bringt.
Auch wenn Tausende fallen,
so wird’s dich nicht treffen, dich nicht treffen!

Denn er…

Elifas Lobpreis klingt im Psalm genauso an wie Hiobs Qual. Er stellt die beiden Seiten göttlichen Wirkens nebeneinander. Das Verderben in der Welt und Gottes Güte und Schutz sind gleichermaßen wirklich, auch in unserem Leben. Und beides bedingt sich gegenseitig — wie Karfreitag und Ostern ist eines alleine sinnlos. Unser Gott ist Einer, aus seiner Hand empfangen wir beides. Darin ist Trost. Es ist das Geheimnis von Leben, Tod und Auferstehung.  

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 28/2019

Unsre Gebeine sind zerstreut bis zur Hölle, wie wenn einer das Land pflügt und zerwühlt.
Ps 141,7

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Bitte um Bewahrung

Das klingt nicht so gut: unsere Gebeine sind zerstreut bis zur Hölle… Liest man den Kontext, so versteht man nicht recht. Der Betende steht im Kampf mit seinen Feinden (siehe hierzu den BdW 2019 KW 26). Er wünscht, ihre Führer (hebräisch: Richter) mögen an einem Felsen zerschmettert werden, dann würde seine Stimme wieder lieblich klingen. Dann kommt unser Vers, gefolgt von einem Bekenntnis des Vertrauens und einer Bitte an Gott.

Wer ist mit „unsere“ gemeint? Der Rest des Psalms steht in der ich-Form. Und warum steht das Bild völliger Verheerung erst im Anschluss an die Vision von den zerschmetterten Bedrängern? Der Satz vorher ist auch nicht einfach. In der Einheitsübersetzung betet der Psalmist nicht gegen seine Bedränger, sondern für sie. Die Übersetzungen sind sich auch nicht einig, ob nun die Führer der Feinde auf die Felsen stürzen oder die Feinde in die harte Hand ihrer Richter. Zwei Übersetzungen (darunter die Einheitsübersetzung von 1980) habe ich gefunden, die den gezogenen Vers als direkte Rede der Feinde interpretieren, nachdem sie besiegt sind — dann liegen die Feinde verheert am Boden, nicht der Betende. Das ist mutig, aber immerhin stellt es einen klaren Bezug zu den übrigen Teilen her, nebenbei ist die 1. Person Plural erklärt. Der hebräische Urtext ließe das alles zu, soweit ich es beurteilen kann. 

Ich muss mich entscheiden. Die neue Einheitsübersetzung von 2016 gibt uns: 

Ja, immer noch bete ich für sie trotz ihrer Bosheit. Sind ihre Richter auf Felsen hinabgestürzt,/ dann werden die Frevler meine Worte hören, denn diese waren freundlich. Wie beim Aufhacken und Pflügen der Erde, so sind unsere Knochen hingestreut an den Rand der Totenwelt. Doch auf dich, GOTT und Herr, richten sich meine Augen, bei dir habe ich mich geborgen, gieße nicht aus mein Leben! (Ps 141, 5b-8)

Das scheint plausibel: die Szene mit den zerschmetterten Anführern der Feinde spielt in der Phantasie. Dann kehrt der Psalmist zur Wirklichkeit zurück. Da nun liegt er am Boden, nicht die Feinde. Desintegration, Auflösung erkennt der Psalmist an sich und seiner Persönlichkeit. Dafür hat er ein starkes Bild: die Teile seines Körpers sind nicht mehr sinnvoll aufeinander bezogen, sondern liegen verstreut, „wie wenn einer das Land pflügt und zerwühlt.“ Tod, eigentlich: das altjüdische sche‘ul, ist ein grauer Un-Ort, der für die Nicht-Existenz nach dem Leben steht — mit der flammenden, strafenden, von Teufeln regierten christlichen Hölle hat sie nichts zu tun

Mit Blick auf Gott aber wird Integration und Fokussierung wieder möglich: „Doch auf dich, GOTT und Herr, richten sich meine Augen“. Es blitzt dabei auf, dass das Gebet selbst Teil der Heilung ist. Das ist ein schöner Gedanke, der uns in dieser Woche begleiten kann!

Gott sei mit uns in dieser Woche und bewahre uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 26/2019

…daß du meine Feinde hinter sich getrieben hast; sie sind gefallen und umgekommen vor dir.
Ps 9,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Bewahrung und die Feinde

Der Betende wird gerettet und dankt dem Herrn. Es wurde festgestellt, dass Psalm 9 und der ganz anders, fast verzweifelt gestimmte Psalm 10 ursprünglich eine liturgische Einheit bildeten — Bitte und Dank. Der gezogene Vers ist in der Übersetzung von 1912 nicht leicht zu lesen. Eine wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen von Vers 3 und 4 ergibt: 

3 Ich freue mich und frohlocke über dich; lobsingen will ich Deinen Namen, du Höchster. 
4 Meine Feinde fliehen nach hinten, straucheln dabei und vergehen vor deinem Angesicht. 

Es ist erstaunlich, wie oft in den Psalmen von den „Feinden“ die Rede ist, mit denen der Betende es jeweils zu tun hat. Vor drei Wochen erst hatten wir einen anderen Psalmvers dieser Art. Es geht um Beleidigung und Schmähung, um Verleumdung und Betrug, manchmal um tödlichen Kampf und wechselseitigen Fluch. Einige Psalmen sind geradezu gefüllt vom Schlachtenlärm. Das entspricht durchaus nicht modernen religiösen Rezeptionserwartungen. Die entsprechenden Stellen sind in der Lutherbibel jedenfalls nie gefettet gedruckt, man öffnet das Buch der Psalmen ja eher auf der Suche nach Kontemplation und Erbauung. 

Was tun damit? Die meisten Menschen haben nicht viele Feinde, ihr Leben mag vom Kampf ums Dasein geprägt sein, aber nicht so sehr durch den Kampf gegen lebende Menschen. 

Mir fallen zwei verschiedene Dinge ein, die vielleicht zusammengehören. 

Erstens. Die Feindfiguren müssen nicht Menschen aus Fleisch und Blut sein: es geht um Umstände, Regelmäßigkeiten, eingefahrene Verhältnisse, die uns schaden und vernichten können. Und wie im Psalm entfalten sie ihre eigentliche Kraft im Plural. Ein Mensch mag im Job demotiviert und überlastet sein. Die Signale in seiner Familie nimmt er nicht wahr — zentrifugale Kräfte aller Art schlagen durch und treffen auf jemanden, der nichts tun kann und will. Die Partnerschaft leidet; wenn auch der andere geschwächt ist, wird aus dem Miteinander ein überfordertes, aufreibendes Gegeneinander, das viel, sehr viel weitere Kräfte kostet. Das Leben wird unerträglich, der Körper reagiert mit Krankheit: Herz, Rücken, Magen, Schlaflosigkeit, psychische Beschwerden. Kurzfristig helfen Alkohol und Tabletten, langfristig schwächen sie weiter. Im Job geht gar nichts mehr. Überall Streit. Ehescheidung, gesundheitlicher Zusammenbruch, Arbeitslosigkeit… Die „Feinde“ triumphieren, sie überrennen die Festung, sie fällt. 

Die Aspekte unserer Lebenslagen sind über unsere Wünsche, Kraftreserven und Abneigungen aufs intimste miteinander verbunden. Mit ein wenig Lebenserfahrung kann man spüren, dass hinter jeder Lebenswelt andere Lebenswelten schlummern, die sich aus den vorhandenen Elementen auch bauen ließen. Zu schönen Lebenslagen gibt es schreckliche Gegenwelten — und umgekehrt. Man kann die Geschichte, die ich skizziert habe, ja auch anders herum erzählen! Versuchen sie’s: Eine Geschichte, bei der jeder Schritt der Gesundung die Kraft stärkt, mit anderen Aspekten des Lebens umzugehen.

Wie gelangt man in die andere, gute Lebenswelt, wenn man erst einmal feststeckt? Wir sind diesem Muster schon einmal begegnet, im BdW 13/2019, Ps 38,3. Der betende Psalmist vertraut auf die Hilfe Gottes, bittet darum und dankt dafür. Gegen die „Feinde“ brauchen wir eine Vision dessen, was manifest nicht ist, Leitung, die unser Wissen übersteigt, Kraft, wo eigentlich keine mehr ist, die Fähigkeit zum Umgang mit Menschen, wenn man nicht einmal mehr sich selbst erträgt. Wir brauchen Gott. Vor deinem Angesicht straucheln die Feinde und vergehen.

Zweitens, und nun stelle ich mir unter den Feinden wieder lebende Menschen vor, mögen wir uns daran erinnern, dass unser Verhältnis zu Gott ein sehr konkretes sein kann und soll, bei dem es zur Sache geht. Der Gott der Bibel ist nicht der abstrakte Gott der Philosophen. Er wirkt in der Welt, nicht hinter der Welt, und seine Gerechtigkeit ist nicht die unsere. Er mischt sich ein, ist parteiisch, und von uns Menschen lässt er sich provozieren, bis aufs Blut reizen, bereden und beschwichtigen. Das ist schwierig für uns. Wir hätten Gott gern regelmäßig und erwartbar, als metaphysisch überhöhte Kombination von Grundgesetz und StGB gewissermaßen. Wenn er sich nun auf die Seite des einen oder des anderen stellt, ist denn das nicht Willkür? 

Und wie können wir ihm dann gegenübertreten? Als selbstbewusste Antragsteller, der sich auf eine gültige Verordnung berufen kann, jedenfalls nicht. Sondern als lebende Menschen, die sich ihrer Schwäche und ihrer Ausweglosigkeit bewusst sind — ungefähr so, wie es die Psalmen vorgeben.

Vor deinem Angesicht straucheln die Feinde und vergehen. Also: Ich wünsche uns eine Woche, in der wir fröhlich über die Feinde obsiegen, mit Gottes Hilfe!
Ulf von Kalckreuth