Bibelvers der Woche 39/2024

…denn es steht geschrieben: „Er wird befehlen seinen Engeln von dir, dass sie dich bewahren…
Luk 4,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wenn zwei das gleiche sagen…

… so ist es nicht das gleiche, sagt das Sprichwort. Im vorliegenden Fall ist einer der Psalmist, der andere der Teufel höchstpersönlich. In der Wüste trifft er auf Jesus, der vom Fasten geschwächt ist, und versucht ihn. Dabei bezieht er sich auf die überlieferten heiligen Gebete. Es ist Psalm 91, 11+12, den der Teufel zitiert:

Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest

Das sind beliebte Taufverse — Eltern wünschen das ihren Kindern. Der Teufel interpretiert die Verse messianisch: der Psalm richte sich an den Sohn Gottes. Er kann tun, was er will, er kann vom Turm springen, Gott wird ihn schützen. Damit will der Teufel Jesus versuchen. 

Hat er vielleicht recht? Ist der Sohn Gottes gemeint, oder wenigstens der König? Im Psalm geht es weiter: „Auch wenn tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten: es wird dich nicht treffen“. Wer sind die Tausende, die es erwischt? Wer ist der Angesprochene, den es nicht trifft — bin das ich? Wer unter uns wird von Engeln getragen, wer stößt seinen Fuß nicht an einen Stein? Vor einigen Jahren habe ich zu Psalm 91 ein Lied geschrieben. Aber es lässt mir keine Ruhe: wer fällt, wen wird es nicht treffen? 

Es ist Freitagmorgen. In einer Stunde muß ich aufbrechen zu einer Beisetzung. Ein Bruder unserer Gemeinde ist gestorben. Nach einem Herzinfarkt und vor einer Operation, die ihn hätte retten sollen, fiel er in ein Koma und erwachte nicht mehr. N. war 59 Jahre alt. Er hinterlässt eine Frau und vier Söhne.

Im Sommer dieses Jahres ist auch L. ins Koma gefallen, ein anderer Bruder unserer Gemeinde. Nach einem Herzstillstand war sein Gehirn wohl etwa zehn Minuten ohne Versorgung. Aber nach mehreren Wochen erwachte er. Er hat sich sehr weitgehend erholt und alles spricht dafür, dass keine wesentlichen Beeinträchtigungen verbleiben werden. L. ist etwa gleich alt wie N., auch er hat vier Kinder. Beide gehörten zur Kerngemeinde, gingen ihren Weg mit Gott, für beide wurde viel gebetet, intensiv, und auch verzweifelt. Warum L., warum nicht N.? 

Das wirkt beinahe erfunden, nicht wahr, fast wie ein Gleichnis. Aber es ist die reine Wahrheit. Mich erinnert es an den Bibelvers der Woche 04/2024. Im Gefängnis, dem Vorhof des Todes, trifft Josef auf den Mundschenk und den Bäcker des Pharao. Der Mundschenk wird begnadigt, der Bäcker aber gehängt. Der Ratschluss Gottes und des Pharao, und Josef erfährt ihn im Traum. Von Gründen erfährt er nichts. 

Jesus gibt dem Teufel eine Antwort. Es stehe auch geschrieben, so Jesus, dass wir den Herrn, unseren Gott, nicht versuchen dürfen. Vom Turm zu springen, hieße Gott zwingen zu wollen. Gott ist unverfügbar. Am Anfang und am Ende. Für Martin Luther war es die Frage seines Lebens: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Unter den Antworten, auf die er im Laufe seines Lebens stieß, ist sola gratia vielleicht die wichtigste: Allein durch Gnade. Das ist in machtvoller Weise zirkulär. Wir können uns die Gnade nicht verdienen. Oder mit Gebeten erzwingen. 

Der Teufel ist der Verwirrer. Wenn er Psalmen wörtlich zitiert, so dürfen wir davon ausgehen, dass seine Interpretation in die Irre leiten will. Nein, es ist nicht nur der Sohn Gottes gemeint. Und noch einmal nein, die Zusage kann nicht eingefordert werden. Sie gilt dem, der ‚unter dem Schirm des Höchsten sitzt‘, dem Gott gnädig ist, den er in dieser Welt behalten will. Wer das ist, entscheidet Er. Der HERR spricht: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich (2. Mose 33,19).

Das ist schwer zu akzeptieren, schwer zu tragen. Juden beten Psalm 91 auf Beerdigungen. Darin steckt eine Interpretation. Zum Ende seiner Traueransprache für N. sagte unser Pfarrer, dass der Herr unseren Ausgang und unseren Eingang behüten möge — unseren Ausgang aus dieser Welt und unseren Eingang in eine neue Welt, in der Gott all unsere Tränen abwischt…! 

So sei es.
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 51/2023

Ich schweige wohl eine Zeitlang und bin still und halte an mich; nun aber will ich wie eine Gebärerin schreien; ich will sie verwüsten und alle verschlingen.
Jes 42,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Gott als Gebärende 

Merken Sie es? Eine neue Zeit soll beginnen. Der Vers markiert den Umbruch, den Moduswechsel: von einem passiven, abwesenden Gott, der sich nicht äußert, zu einem Gott, der machtvoll eingreift. Er ist in ein Loblied zur Ehre Gottes eingebettet — Israel ist gefangen, und im Vorausgriff wird Gott gelobt für eine Rettungsta, die noch nicht stattgefunden hat. 

Die Übersetzung der letzten Worte des Verses in der Lutherbibel von 1912 ist nicht recht nachvollziebar. In der Lutherbibel 1984 lautet der Vers gemeinsam mit den beiden Folgeversen:

Ich schwieg wohl eine lange Zeit, war still und hielt an mich. Nun aber will ich schreien wie eine Gebärende, ich will laut rufen und schreien. Ich will Berge und Hügel zur Wüste machen und all ihr Gras verdorren lassen und will die Wasserströme zu Land machen und die Seen austrocknen. Aber die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerige zur Ebene. Das alles will ich tun und nicht davon lassen. Aber die sich auf Götzen verlassen und sprechen zum gegossenen Bilde: »Ihr seid unsre Götter!«, die sollen zurückweichen und zuschanden werden. (V.14-17)

Eigenartig aber — diese Verse beschreiben Stadien im Erwachen und Eingreifen Gottes: 

  1. Schweigen und Passivität.
  2. Gewaltiges Rufen, erst aus Schmerz, dann als Signal zu Aufbruch und Kampf. Gott als Gebärende. Eine neue Wirklichkeit wird geboren.
  3. Gott kehrt das Unterste zuoberst. 
  4. Gott wendet sich den Blinden zu — den Orientierungslosen, die ihren Kurs im Leben und ihren Halt verloren haben. Für sie gibt es nun Führung und Licht und Gott bahnt ihre Wege. 
  5. Die Götzendiener treffen auf ihr Schicksal.

Dem Propheten steht das deutlich vor Augen, noch bevor der Umschwung begonnen hat, die Rettung einsetzt. Und alles beginnt damit, dass Gott laut wird, wie eine Gebärende schreit. Gott als Gebärende, Kraftzentrum einer Welt in Neuschöpfung, ein Bild in unglaublich leuchtenden und dynamischen Farben. In der Offenbarung des Johannes taucht es wieder auf.

Chag HaMolad heißt Weihnachten auf Hebräisch, Fest der Geburt. Die Verse sind aus einem Teil Jesajas, der vom Auftreten des Gottesknechts und der Errettung von Gottes Volk handelt. Ich wünsche uns eine laute, frohe Woche hin zum Weihnachtsfest. Keine Besinnlichkeit, sorry! 

Der Herr sei mit uns,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 30/2023

Ich will die Früchte auf den Bäumen und das Gewächs auf dem Felde mehren, dass euch die Heiden nicht mehr verspotten mit der Teuerung.
Hes 36,30

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Die Not hat ein Ende…!

In dieser Woche stoßen wir gewissermaßen in eine Lücke: Den vorangehenden Vers, Hes 36,29, gab es vor etwa zwei Jahren als BdW 23/2019. Und den unmittelbar folgenden Vers, Hes 36,31, hatten wir ebenfalls schon, siehe BdW 42/2020. Zu beiden Versen früher gezogenen Versen gibt es Betrachtungen, die ich Ihnen gern empfehle 🙂

Das Wort „Teuerung“ steht für existenzielle Not. Mit der Kraft der Erde macht der Herr der Not ein Ende. Es tut gut, diesen Vers zu lesen. Tun Sie es doch einfach, drei oder vier Mal.

Gatineau, Ile de Hull, Quebec, Kanada, 19. Juli 2023

Uns allen wünsche ich eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 20/2023

Ach HErr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm!
Ps 6,2 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ach du, Herr, wie lange!

Wir haben den Beginn des ersten Bußpsalms gezogen. Ich muss eigentlich keine Betrachtung schreiben, das macht der Psalm viel besser und eindrücklicher selbst. 

Ein Psalm Davids, vorzusingen, beim Saitenspiel auf acht Saiten.

Ach HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn
und züchtige mich nicht in deinem Grimm!
HERR, sei mir gnädig, denn ich bin schwach;
heile mich, HERR, denn meine Gebeine sind erschrocken
und meine Seele ist sehr erschrocken.
Ach du, HERR, wie lange!

Wende dich, HERR, und errette mich,
hilf mir um deiner Güte willen!
Denn im Tode gedenkt man deiner nicht;
wer wird dir bei den Toten danken?
Ich bin so müde vom Seufzen; /
ich schwemme mein Bett die ganze Nacht
und netze mit meinen Tränen mein Lager.
Mein Auge ist trübe geworden vor Gram
und matt, weil meiner Bedränger so viele sind.

Weichet von mir, alle Übeltäter;
denn der HERR hört mein Weinen.
Der HERR hört mein Flehen;
mein Gebet nimmt der HERR an.
Es sollen alle meine Feinde zuschanden werden und sehr erschrecken;
sie sollen umkehren und zuschanden werden plötzlich.

Es ist das Gebet eines Menschen, der am Ende ist und weiss, dass nur die Hilfe Gottes ihn retten kann. In ihm und um ihn ist alles dunkel, allein Gott und seine Kraft — als entfernte Möglichkeit — sind hell.

„Ach du, Herr, wie lange!“ So intensiv, so dicht können fünf Worte sein…! 

Ich sehe ein Bild vor mir, und da ich nicht zeichnen oder malen kann, habe ich mich von einer KI unterstützen lassen. Das Ergebnis ist für mich überraschend und anrührend. Ich möchte es Ihnen schenken.

Psalm 6 — Ulf von Kalckreuth mit Dall-E 2, 6. Mai 2023

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 11/2023

Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass sie ihn hörten.
Luk 15,1

Hier ist ein Link  für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Abgrund und Neugeburt

Die dramatis personae in den Evangelien sind nicht Könige, Priester und Schriftgelehrte, obgleich auch sie vorkommen. Es sind im wesentlichen Menschen aus dem Volk. Auch Aussenseiter und Geächtete ließ Jesus an sich heran, er sprach mit ihnen und suchte sie auf. Das hat ihn eine Menge gekostet an Zustimmung, Einfluss, Gestaltungsmöglichkeiten in der jüdischen Gesellschaft und brachte ihn letztlich selbst in Gefahr.

Unser Vers thematisiert Jesu Umgang mit Aussenseitern. Er ist die Einleitung zu drei Gleichnissen, in denen Jesus erklärt, wer die Chance hat auf Umkehr und Neubeginn. Es sind Menschen in der Krise, die ihren Halt verloren haben. 

Eine Krise ist eine Chance , das sagen uns nicht nur Managementberater und Therapeuten, es ist auch wahr. Eine fundamentale Wende braucht eine tiefe Krise geradezu. Vor einigen Jahren habe ich in meiner Gemeinde eine Schriftlesung gehalten zu diesem Vers und den Gleichnissen. Bei der Arbeit daran habe ich viel verstanden und eine Intensität erreicht, die ich jetzt und heute nicht ohne weiteres aufbringe. Als ich vor drei Jahren einen (anderen) Vers aus Lukas 15 zog, habe ich den Beitrag ins Netz gestellt: hier ist der Link:

 BdW 2/2020

Noch etwas ist mir klargeworden in der Zeit seither. Damit ein Mensch seine Chance wahrnehmen kann, braucht er andere Menschen. Die drei Gleichnisse selbst sprechen das nicht direkt an. Aber Jesus selbst hat es vorgelebt, und der Vers oben berichtet davon.

Sein Geist sei mit uns in der kommenden Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 05/2023

Und ich will sie unter die Völker säen, dass sie mein gedenken in fernen Landen; und sie sollen mit ihren Kindern leben und wiederkommen.
Sach 10,9

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Zeitlos…!

In der Betrachtung zum Bibelvers der vergangenen Woche schrieb ich, dass bei den Propheten Unheil und Verheissung oft nebeneinander stehen, manchmal sogar durcheinander. Hier geschieht es in ein und demselben Vers. 

Der gezogene Vers aus der Lutherübersetzung von 1912 steht ganz im Futur. In der neueren Lutherübersetzung 1984 (siehe den Link oben) steht folgendes:

Ich säte sie unter die Völker, dass sie meiner gedächten in fernen Landen und leben sollten mit ihren Kindern und wieder heimkehren. 

Die für das Alte Testament sehr akkurate katholische Einheitsübersetzung schreibt: 

Säe ich sie auch unter die Völker aus, werden sie doch in der Ferne an mich denken. Sie werden mit ihren Kindern am Leben bleiben und heimkehren. 

Das Aussäen — die schreckliche Diasporaerfahrung der Juden im Nordreich Israel und im Südreich Juda — wird in diesen drei Übersetzungen wechselnd in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt. In der ersten und der dritten Fassung liegt die dazugehörige Verheissung in der Zukunft, in der zweiten hat sich auch die Verheissung schon vollzogen.

Und nun wird es sonderbar: Nichts davon ist „falsch“. Der Originaltext ist sprachlich mit allen drei Fassungen vereinbar. Im alten Hebräisch haben die Verben keine „Zeitformen“, wie wir sie kennen, es sind vielmehr Aspekte. Den punktuellen, tatsachen- und faktenorientierten Aspekt nennt man Perfekt, den offenen, zeitraumbezogenen und potentialorientierten Aspekt dagegen Imperfekt. Der gezogene Vers steht im Perfekt. Oft stehen Handlungen, die in der Vergangenheit bereits stattgefunden haben und die man daher genau kennt, im Perfekt, wohingegen die Zukunft unsicher ist und in der Regel das Imperfekt fordert. Aber bei einer Prophetie, die der Sprechende sozusagen in Stein gemeisselt vor sich sieht, kann durchaus ein Perfekt stehen. Der Zeitbezug wird im alten Hebräisch manchmal durch Angaben wie „Wenn das Jahr sich wieder neigt“, oder „Im dritten Jahr des Königs Nebukadnezar“ geschaffen, in der Regel aber durch den Kontext. 

Wie sieht es inhaltlich aus? Wer ist gemeint? Teile von Sacharjas Buch wurden kurz nach dem Ende des babylonischen Exils geschrieben, als die Bevölkerung von Juda in ihr Land zurückzukehren begann. Der Vorgang war noch nicht beendet. Die Rückkehr der Nordstämme, die hundertfünfzig Jahre früher von den Assyrern deportiert wurden, erwartete man weiterhin vergeblich, sie gelten heute als die „verlorenen Stämme“.

Alles wäre sinnvoll — Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

Wir können Unheil und Verheissung heute als zeitlos lesen. Gott hat sein Volk unter die Heiden zerstreut, tut dies und wird es wieder tun, dies aber immer dergestalt, dass etwas Gutes daraus erwachsen kann — die Entwurzelten mögen Seiner gedenken, mit ihren Kindern leben und gedeihen, dort, wo immer sie hingepflanzt sind, Identität und Glauben weitergeben und dereinst zurückkehren… Der Vers enthält eine Aufforderung zum Leben, fast schon eine Verpflichtung. Folgerichtig findet der Prophet ein eigentümliches Wort für die Zerstreuung: „Aussaat“. 

Kann aus soziokultureller Vernichtung etwas Gutes, eine Renaissance erwachsen? Leben, Wachstum? Ernte? Spricht der Vers auch vom Leben einzelner Personen, Familien, Gruppen? Kann er Chiffre sein für unser aller Leben? Jesus gibt das Gleichnis vom Samenkorn, das vergehen muss, damit die Ähre erstehen kann.

Und ich will sie unter die Völker säen, dass sie mein gedenken in fernen Landen; und sie sollen mit ihren Kindern leben und wiederkommen.

Lesen Sie den Vers noch einmal so. Vielleicht antwortet er auf den Vers der vergangenen Woche. Unheil und Verheissung sind Seiten derselben Münze, irgendwie gibt es die beiden im Doppelpack. Vor nicht allzu langer Zeit, im September 2022, hatten wir einen Vers aus Sacharja mit sehr ähnlichen Botschaft, siehe den BdW 37/2022.

Gottes Segen sei mit uns, in dieser Woche, der vergangenen und den Wochen, die da kommen,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 50/2022

Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahinkommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen:…
Jes 55,10

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Advent

Am Sonntag beginnt die dritte Adventswoche. Advent — das Kommen des Herrn, der Weg, der Ihn zu uns führt und uns zu Ihm. Als Jesus einen schrecklichen Foltertod starb, waren seine Jünger verzweifelt — ein solches Ende des Messias hatten sie nicht erwartet. In den schon damals sehr alten Versen, in denen Jesaja vom Gottesknecht singt, der sterben muss und mit seinem Opfer das Volk erlöst, fanden sie die Blaupause, die Erklärung für das Unerklärliche. Der gezogene Vers gibt ein Bild, ein Gleichnis für die lebensspendende Kraft von Gottes Wort. Hier ist der unmittelbare Kontext, zitiert nach der Lutherbibel 1984:

Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln. Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.
Jes 55,6-11

Ich wünsche uns allen eine gesegnete dritte Adventswoche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 49/2022

Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.
Mat 7,21

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

An den Früchten erkennen

Worauf kommt es an? 

Es gibt im protestantischen Christentum eine alte und starke Strömung, die sich gegen die sogenannte „Werkgerechtigkeit“ wendet. Damit ist der Versuch gemeint, sich des Heils durch sichtbare, gottgefällige Taten zu versichern. Es komme nämlich im Grunde nur auf den Glauben an, er verbinde den Menschen mit Gott, verwandele ihn  und führe ihn zum Heil. Taten seien dann Ausfluss einer gelungenen Gottesbeziehung, Symptom sozusagen, aber ohne eigene Bedeutung. Nur der Glaube, nur die Gnade, nur die Schrift, sagt Luther…! 

Wie ist das gemeint? Jesus jedenfalls sagt in diesem Textabschnitt, dass es nicht getan ist mit Bekenntnissen, inneren Einstellungen und religiösen Gefühlen, selbst solchen intensivster Art, die zu Wundern befähigen. Wenn sie nicht mit sichtbaren Früchten einhergehen, sind sie am Ende irrelevant. Dies ist das Bild, das Jesus hier gebraucht: einen Baum erkennt man an seinen Früchten. 

Welcher Art Früchte es sind, sagt Jesus nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es dabei durchaus auch um die innere Welt geht, um das Maß, in dem jemand mit sich, mit Gott und den Mitmenschen in Frieden lebt. Aber auch darum, ob jemand die eigenen Gaben auszuschöpfen vermag, zur Ehre Gottes und dem Wohl seiner Mitmenschen. Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist ein anderes wichtiges Bild von Jesus. 

Im Vers spricht Jesus sehr kondensiert und konzentriert davon, dass es im Ergebnis darauf ankommt, den Willen Gottes zu tun. Vielleicht nicht als ersten Schritt zum Heil, aber wohl als wichtigsten Begleiter auf dem Weg dorthin.

Aber was will Gott von mir? Ich weiss es nicht. Wow! Wie wäre mein Leben, wenn ich es wüsste? Um das herauszufinden, sind sie in der Tat unabdingbar: Glaube, Gnade und die Schrift…!  

Ich wünsche uns allen Gottes besonderen Segen in der zweiten Adventswoche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 38/2022

Er redete aber von dem Judas, Simons Sohn, Ischariot; der verriet ihn hernach, und war der Zwölfe einer.
Joh 6,71

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Fast allein

Jesus war streitbar — die Evangelien berichten, wie seine harten Formulierungen harte Gegenwehr erzeugen konnten, bis hin zu Gewalttätigkeit, und oft tat er nichts, dies zu vermeiden. 

Der Streit in Kapernaum, von dem hier die Rede ist, ist der erste, von dem Johannes berichtet. Und er kostete den Wanderprediger den größten Teil seiner Anhängerschaft, die durch das Wunder der Brotvermehrung gewaltig zugenommen hatte. 

Was war geschehen? Jesus sagt den Zuhörern, dass sie eins werden müssen mit ihm, dass sie nur so zum Vater kommen können. Ob dies gelingt, ob jemand diesen Weg findet, entscheidet der Vater. Jesus gebraucht für das Einssein mit Jesus ein krasses Bild, und es bleibt ausgesprochen unklar, ob es nur ein Bild ist oder mehr: Die Menschen, so sagt er, müssen sein — Jesu — Fleisch essen und sein Blut trinken, um zum ewigen Leben zu kommen. 

Da schießen explosiv Empfindlichkeiten hoch. Für Juden ist es eine grauenvolle Vorstellung. Menschenopfer sind abscheulich. Das Trinken von Blut ist absolut verboten, Fleischgenuß ist nur möglich, wenn dem Fleisch durch Schächten alles Blut entnommen wurde. Denn im Blut ist das Leben des Tieres, sagt Mose. Gemeint ist im Evangelium zunächst der Opfertod Jesu — das Opfer ist heilsnotwendig. Aber man kann Jesu Worte darüber hinaus auf das Heilige Abendmahl, die Eucharistie beziehen, und dann geht es um physisches Fleisch und physisches Blut. Auch unter Christen werden die Diskussionen hierzu sehr scharf, wenn sie nicht vermieden werden

Jesus vermeidet gar nichts und beharrt auf der Formulierung. Die Menschen wenden sich angeekelt ab. Nur die zwölf Schüler, die er sich selbst erwählt hatte, blieben. Er fragt, ob sie nicht auch gehen wollen, und Petrus antwortet für alle mit den Worten: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt,: Du bist der Heilige Gottes.

Ein anrührendes Bekenntnis. Jedem anderen hätte es an dieser Stelle die Stimme verschlagen. Aber Jesus antwortet: Habe ich nicht euch zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel.

Der gezogene Vers nun ist die Erklärung des Evangelisten: Jesus meint Judas Ischariot, der ihn später verraten würde. Johannes liefert diese Erklärung, weil die Antwort sehr schroff ist und ihr Sinn nicht offensichtlich — beweisen die Zwölf nicht gerade ihre Treue? Das ist doch wahrlich nicht dasselbe: herausgehobener Anhänger eines Stars zu sein, des angehenden Königs und Heilsbringers, oder zu den letzten Getreuen eines gemiedenen Aussenseiters zu zählen. Die zwölf bleiben bei ihrer Entscheidung für den Messias, den sie gefunden haben. 

Vielleicht meint Jesus wirklich Judas. Vielleicht aber bricht sich in ihm auch Enttäuschung Bahn. Die Zukunft, die vor ihm liegt, wird eben kein Siegeszug sein, keine erfolgreiche Bekehrung großer Massen, sondern ein leidensvoller und oft recht einsamer Weg. Das wird jetzt sehr deutlich.

Wie hätte ich mich entschieden? Wie die zwölf oder wie die vielen anderen? In Mat 7,14 spricht Jesus, dass der Weg zum Leben schmal sei und nur wenige ihn finden. Hat er das vor oder nach Kapernaum gesagt? Es ist die Gnade des Vaters, die zum Vater führt, so sagt er hier, in Joh. 6. 

Der Herr sei uns gnädig auch in der kommenden Woche!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 37/2022

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR.
Sach 2,14

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Ende — und Erlösung

Das ist sehr sonderbar, nicht wahr? Dieser Vers ist wie ein Echo auf den Vers der letzten Woche, ein spiegelverkehrtes Abbild. Hier spricht einer der letzten Propheten der hebräischen Bibel, Sacharja, dessen Name „Gott erinnert sich“ bedeutet. Der erste Teil des Sacharjabuchs stammt aus der Zeit um 520 v. Chr., als Juden aus dem babylonischen Exil zurückkommen und damit beginnen, aus den Trümmern Jerusalems wieder eine Stadt zu bauen. Staatliche und religiöse Ordnung entstehen neu — es gibt in Serubbabel einen Führer aus der alten Königsdynastie und in Jeschua einen charismatischen Hohenpriester. Der Bau eines Tempels wird in Angriff genommen.

Ein fröhlicher Vers, in befreiender Sprache. Er könnte aus dem Text eines Tanzlieds stammen, nicht wahr?

Gott erinnert sich seines Volks, seiner geliebten Braut. Ein altes Bild aus besseren Zeiten. Er kehrt zu seiner Braut zurück, um wieder bei ihr zu wohnen, so sagt es der gezogene Vers. Die Botschaften aus der Zeiten vor dem Exil – wie die im Vers der letzten Woche — kehren sich hier glatt um. Das spricht Sacharja in der Einleitung des Buchs selbst an (Sach 1,2-4):

Der HERR ist zornig gewesen über eure Väter. Aber sprich zum Volk: So spricht der HERR Zebaoth: Kehrt euch zu mir, spricht der HERR Zebaoth, so will ich mich zu euch kehren, spricht der HERR Zebaoth. Seid nicht wie eure Väter, denen die früheren Propheten predigten und sprachen: »So spricht der HERR Zebaoth: Kehrt um von euren bösen Wegen und von eurem bösen Tun!«, aber sie gehorchten nicht und achteten nicht auf mich, spricht der HERR.

Hier ist frohe Botschaft. Aber was genau ist die Botschaft? Denken wir an den Vers der vergangenen Woche, die angekündigte Vernichtung. Wer nun zweitausendfünfhundert Jahre später von beidem liest, vom Zorn Gottes, der Zerstörung Jerusalems und der Wegführung des Volks einerseits und der einem Wunder gleichen religiösen und staatlichen Wiedergeburt in der Gnade Gottes siebzig Jahre später, einem Tanz gleich — der hat es nicht leicht.

Der Herr ist zur Reue fähig wie nach der Sintflut, wäre eine Botschaft: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1. Mo 8,22). Die Bundestreue des Herrn überdauert den Bundesbruch der Menschen, so hätte es Sacharja selbst wohl gesehen. Die Gnade des Herrn ist mit denen, die sie annehmen, könnte Paulus sagen.  

In mir entsteht dies: Gottes Gnade kann durch Katastrophen tragen, auch und gerade dann, wenn sie Strafen sind. Das ist schön und schrecklich zugleich.

Die Bibel stellt in mehreren zentralen Stellen Leid und Freude nebeneinander, macht sie gar abhängig voneinander: Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei sind und ledig sein sollen, zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache unseres Gottes, zu trösten alle Trauernden. und einen Tag der Reue unseres Gottes, steht bei Jesaja (61,2). Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen, und tragen guten Samen, sagt Psalm 126. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen, sagt Jesus (Luk 6,21b), der Meister der Aporie, und die Offenbarung (7,17) spricht von den Geretteten der Endzeit so: denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Hier scheint auf, dass Leid und Strafe gar Voraussetzung sein könnten für Freude und Erlösung. Ich will das hier so weitergeben, obwohl ich es nicht wirklich verstehe.

Wir können schließen wie in der vergangenen Woche: die Gnade des Herrn sei mit uns, derer wir so sehr bedürfen!  
Ulf von Kalckreuth


Wieder ist jemand von uns gegangen, der unsere Zeit geprägt hat — nach Michail Gorbatschow nun Queen Elisabeth II. Sie war schon Königin, als ich sprechen lernte. Zeit ist ein Shredder, fortwährende Vernichtung. Im Gedächtnis Gottes sind wir alle aufgehoben.