Alle Köpfe werden kahl sein und alle Bärte abgeschoren, aller Hände zerritzt, und jedermann wird Säcke anziehen. Jer 48,37
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Weihnachten? Weihnachten!
Der letzte Bibelvers für dieses Jahr. Er spricht vom Fall Moabs. Vor fünf Jahren hatten wir mit BdW 44/2018 den herzzerreißenden Vers gezogen, der unmittelbar vorangeht und der BdW 14/2019 gibt gleichfalls tiefe Einblicke. Schauen Sie mal hinein.
Der gezogene Vers ist hart und kompromißlos. Das verhaßte Brudervolk, Moab, geht unter. Niemand kann es wenden und Gott wird nicht retten. An Versen dieser Tonlage ist die Bibel nicht arm, und wenn man zufällig zieht, kann man auch in der Weihnachtswoche einen erwischen. Das weiß ich, aber ich freue mich, wenn es einen Zweiklang gibt zwischen den großen Festen und ihren Versen, und häufig geschieht das auch. In der vergangenen Woche saß meine jüngere Tochter neben mir, als ich den Weihnachtsvers zog, und wir waren beide etwas enttäuscht, und sie sagte mir tröstend, dass ich doch wisse, dass die Bibel kein Orakel ist — sie kennt das Wort nicht, aber das hat sie gemeint.
Ja, das weiß ich. Die Bibel ist kein Orakel. Aber sie steckt voller Bezüge, innerhalb ihrer Texte, zu Gott und zu unserer Wirklichkeit. Und nach diesen Bezügen darf ich suchen.
Der Prophet ist verzweifelt, aber der Untergang Moabs, das übergroße Leid seiner Einwohner, ist Realität. Der Bezug zu unserer Welt ist sehr deutlich zu sehen. Und dort, genau dort gehört Weihnachten hin! Unsere Welt ist gefallen. Gott kommt zu uns, weil sie gefallen ist, und weil nichts dies noch ändern kann. Gott wird Mensch, wird geboren, leidet mit den Menschen und stirbt schließlich von ihrer Hand einen entsetzlichen Tod.
„Welt ging verloren, Christ ist geboren“. So heißt es im alten Lied, und eigentlich ist das zu schwach. Es müsste heißen: Christ ist geboren, weil die Welt verloren ging. Die gefallene Welt ist Voraussetzung für Weihnachten, Weihnachten ist gewissermaßen ihr Ausdruck. Weihnachten überwindet dies Fallen, ohne es aufhalten zu können. Jesus rettet die Welt nicht, er überwindet sie. Nicht umsonst feiern wir Weihnachten, wenn es kein Licht mehr gibt. Wenn man genau hinguckt, sieht man es: Sie umkreisen einander, die fallende Welt und ihr Weihnachtsstern.
Ein Zweiklang also, rauh und elementar! Ich wünsche uns allen ein frohes Weihnachtsfest, froh im freien Fall, trotz aller Feinde Toben, und viel Kraft für die Zeit, die vor uns liegt.
Ich schweige wohl eine Zeitlang und bin still und halte an mich; nun aber will ich wie eine Gebärerin schreien; ich will sie verwüsten und alle verschlingen. Jes 42,14
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Gott als Gebärende
Merken Sie es? Eine neue Zeit soll beginnen. Der Vers markiert den Umbruch, den Moduswechsel: von einem passiven, abwesenden Gott, der sich nicht äußert, zu einem Gott, der machtvoll eingreift. Er ist in ein Loblied zur Ehre Gottes eingebettet — Israel ist gefangen, und im Vorausgriff wird Gott gelobt für eine Rettungsta, die noch nicht stattgefunden hat.
Die Übersetzung der letzten Worte des Verses in der Lutherbibel von 1912 ist nicht recht nachvollziebar. In der Lutherbibel 1984 lautet der Vers gemeinsam mit den beiden Folgeversen:
Ich schwieg wohl eine lange Zeit, war still und hielt an mich. Nun aber will ich schreien wie eine Gebärende, ich will laut rufen und schreien.Ich will Berge und Hügel zur Wüste machen und all ihr Gras verdorren lassen und will die Wasserströme zu Land machen und die Seen austrocknen. Aber die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerige zur Ebene. Das alles will ich tun und nicht davon lassen. Aber die sich auf Götzen verlassen und sprechen zum gegossenen Bilde: »Ihr seid unsre Götter!«, die sollen zurückweichen und zuschanden werden. (V.14-17)
Eigenartig aber — diese Verse beschreiben Stadien im Erwachen und Eingreifen Gottes:
Schweigen und Passivität.
Gewaltiges Rufen, erst aus Schmerz, dann als Signal zu Aufbruch und Kampf. Gott als Gebärende. Eine neue Wirklichkeit wird geboren.
Gott kehrt das Unterste zuoberst.
Gott wendet sich den Blinden zu — den Orientierungslosen, die ihren Kurs im Leben und ihren Halt verloren haben. Für sie gibt es nun Führung und Licht und Gott bahnt ihre Wege.
Die Götzendiener treffen auf ihr Schicksal.
Dem Propheten steht das deutlich vor Augen, noch bevor der Umschwung begonnen hat, die Rettung einsetzt. Und alles beginnt damit, dass Gott laut wird, wie eine Gebärende schreit. Gott als Gebärende, Kraftzentrum einer Welt in Neuschöpfung, ein Bild in unglaublich leuchtenden und dynamischen Farben. In der Offenbarung des Johannes taucht es wieder auf.
Chag HaMolad heißt Weihnachten auf Hebräisch, Fest der Geburt. Die Verse sind aus einem Teil Jesajas, der vom Auftreten des Gottesknechts und der Errettung von Gottes Volk handelt. Ich wünsche uns eine laute, frohe Woche hin zum Weihnachtsfest. Keine Besinnlichkeit, sorry!
Der HERR aber, der selber vor euch her geht, der wird mit dir sein und wird die Hand nicht abtun noch dich verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht. Deut 31,8
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Fürchte dich nicht!
Wenn man Verse zufällig zieht, kann man echte Überraschungen erleben, echte Begegnungen. Vom Vers dieser Woche bin ich wie betrunken.
Mose fühlt sein Ende nahen und übergibt die Führung an seinen Nachfolger, Josua. Er selbst darf das Heilige Land nicht betreten, so hat es Gott lang vorher bestimmt. Hundertzwanzig Jahre ist er alt, bald wird das Volk den Jordan überschreiten und er wird nicht dabei sein. Dein eigenen Tod vor Augen spricht Mose seinem Nachfolger Mut zu. Alleine schafft es Josua nicht, das wissen alle, aber der Herr selbst wird für ihn streiten!
Es geht um Landnahme und einen Eroberungskrieg, der manches Mal zum Vernichtungskrieg gerät. Ich will hier etwas politisch Unkorrektes tun, das zudem gegen meine eigenen Prinzipien verstößt. Ich will den Kontext ignorieren und nur den Satz selbst betrachten. Hier wird jemanden, der bis weit über seine Grenzen hinaus mit Aufgaben beladen ist, Mut und Gewissheit zugesprochen, Gewissheit, dass des Herrn Kraft ihn tragen wird.
In dieser Lage sind wir alle, wenn wir unser Leben verstehen. Es gibt kein leichtes Leben — wem seines so vorkommt, der sieht die Herausforderungen nicht. Am Ende muß die Gegenwehr erlahmen, am Ende überwältigen die wachsenden Widernisse die schwächer werdenden Kräfte, in den Strudel eines Zusammenbruchs hinein.
Und doch! Und doch wird des Herrn Kraft uns tragen. Das ist es, was die Bibel uns im Kern sagt. Auch im Zusammenbruch, in der Überforderung, der Schwäche und der endlichen Vernichtung, dem Tod:
Des Herrn Kraft wird dich tragen. Fürchte dich nicht!
Das ist eine ungeheure Vorstellung. Wer kann sie annehmen? Der es tut, wird gänzlich anders leben.
Denn „alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen…„ 1 Pe 1,24
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…und ihre Stätte kennen wir nicht mehr
Zum Verständnis zunächst der engere Kontext, einschließlich der Fortführung des begonnenen Satzes im darauffolgenden Vers: .
…habt euch untereinander beständig lieb von Herzen, als die da wiedergeboren sind und nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt. Denn „alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit ist wie des Grases Blume, Das Gras ist verdorrt, und die Blume abgefallen, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit“ Das ist aber das Wort, welches euch verkündigt ist.
Die Vergänglichkeit des Menschen stellt Petrus neben die Ewigkeit des Worts Gottes. Und in sehr eigentümlicher Weise trägt der Vers seine Wahrheit in sich selbst!
Schauen Sie selbst. Petrus zitiert Jesaja 40,6-8. Dieser Abschnitt gehört zum „Trostbüchlein“ des Deuterojesaja, einer Schrift, die vermutlich aus der Zeit des babylonischen Exils stammt. Als Petrus die Verse in seinem Schreiben wiedergibt, ist das Trostbüchlein bereits rund 600 Jahre alt. Aber der zitierte Vers des Deuterojesaja selbst setzt sich aus uralten Psalmworten zusammen. Psalm 90f: „Du lässt sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst, und des Abends welkt und verdorrt.“ Psalm 103,15f: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennen wir nicht mehr.“ Und schließlich Psalm 119,89f; „Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht, und deine Wahrheit für und für.“
Und für uns ist es wiederum 2000 Jahre her, dass Petrus den Vers geschrieben hat. Der Vers und seine Quellen überbrücken also beinahe 3000 Jahre, das Leben einer unübersehbaren Vielzahl glaubender Menschen in denkbar verschiedenen Lebenslagen. Der Vers — Gottes Wort — blieb in dieser ganzen Zeit unverändert. Gibt es etwas anderes, was in dieser Zeit noch geblieben wäre? Welche Blume ist seither nicht dahingefahren? Und dann: Was wir lieben, wird bald ebenso dahin sein wie wir selbst.
Das Wort Gottes ausgenommen. Der Herr bleibe bei uns Ulf von Kalckreuth
Und da sie ihm zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will deinen Kamelen auch schöpfen, bis sie alle getrunken haben. Gen 24,19
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Verborgene Botschaften
Oben sehen Sie das Wappen meiner Familie. Im Schild sind zwei gekreuzte Werkzeuge, Kalkreuten genannt. Vielleicht sind es Kalkofengabeln, genau weiss man es nicht. Zu Wappen und Namen gibt es eine Sage, an die der Vers mich erinnert. Weiter unten will ich sie erzählen.
Zuerst aber der Vers. Abraham war schon hochbetagt, als seine gleichfalls alte Frau Sarah den gemeinsamen Sohn Isaak zur Welt brachte. Nun sollte Isaak verheiratet werden. Ehen wurden in dieser Zeit von den Vätern oder den Clanchefs der Brautleute gestiftet. Abraham war in Kanaan reich und mächtig geworden, aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass seine Schwiegertochter auf keinen Fall aus Kanaan kommen dürfe, sie solle vielmehr aus dem aramäischen Heimatland stammen. Harran, die Stadt, in die Abrahams Vater gezogen war und wo noch sein Neffe Betuel lebte, lag fast 1000 km nördlich von Machpela in Kanaan — er selbst konnte nicht dort hin. Was also tun?
Abraham schickt einen Diener in die weit entfernte Stadt mit dem Auftrag, eine Frau für seinen Sohn zu finden. Keinesfalls dürfe der Diener Isaak mitnehmen. Der Diener schwört es und macht sich auf den Weg. Schließlich erreicht er Harran. Nun müsste er eigentlich mit der Verwandtschaft Abrahams Kontakt aufnehmen, um in den Großfamilien nach einer Braut zu suchen oder nach Informationen, bei welchen anderen Clans die Werbung sinnvoll wäre. Aber er hat große Angst, nicht fündig zu werden oder auf eine Braut zu stoßen, die ihm nicht nach Kanaan folgen will.
Er bittet Gott um Hilfe, und mit großem Gottvertrauen und erstaunlichem Selbstbewusstsein zugleich nennt er Gott ein Zeichen. Die „rechte“ Braut solle mit einem Krug auf ihn zukommen, und wenn er sie um Wasser bitte, so solle sie antworten: Trinke, und deine Kamele will ich auch tränken. Der zweite Teil der Antwort ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Tat ein Zeichen ist: Wer würde für einen Fremden solche Mengen Wassers aus der Quelle schöpfen und nach oben tragen? Kamele sind berühmt für ihren ungeheuren Durst!
Und das Wunder geschieht: kaum hat der Diener sein Gebet gesprochen, sieht er ein zartes und unberührtes junges Mädchen, mit einem gefüllten Krug auf ihrer Schulter, und als er sie um Wasser bittet, gibt sie nicht nur ihm zu trinken, sondern will auch seine Kamele tränken. Sie spricht also die magischen Worte, das ist der gezogene Vers. Der Diener hat Rebekka gefunden, Isaaks künftige Frau, Mutter Jakobs, Stammmutter damit aller Israeliten und Juden! Der Himmel öffnet sich ein Stück. Die Sippe — nahe Verwandte Abrahams übrigens — nimmt des Dieners Werbung und die Brautgeschenke gern an. Und Rebekka ist ohne weiteres bereit, ins weit entfernte Kanaan zu gehen, um dort einen Mann zu heiraten, den sie nicht kennt. Schließlich aber sind die beiden Brautleute, als sie sich schließlich sehen, einander herzlich zugetan.
Der Diener bittet, dass Gott ihm die Braut zeige, und er legt fest, wie die Gesuchte sich als rechte Braut ausweisen soll. Wie Soldaten, die sich anhand einer Parole zu erkennen geben: der eine sagt ein Wort, der andere ein anderes. Aber die Verabredung über die Parole besteht mit Gott. Rebekka, als sie spricht, kennt ihre eigentliche Bedeutung ihrer Worte nicht.
In der Einleitung hatte ich Ihnen eine Sage versprochen. Es ist eine richtige Rittersage, ich gebe sie gekürzt wieder. Ein junger Mann zieht fort von seiner Heimat und kommt an den Hof eines fremden Königs. Er bewährt sich und macht sich beliebt, aber nicht bei allen. Es gibt Neider, und einer von ihnen beschließt, für des jungen Mannes vorzeitigen Tod zu sorgen. Er redet dem König ein, dass dessen Frau dem jungen Mann sehr — zu sehr — gewogen sei. Der König glaubt ihm und fragt, was zu tun sei. Der Verleumder sagt, der König solle nicht lang fackeln, sondern den jungen Liebhaber in einem Kalkofen verbrennen lassen. Dazu möge er den Jüngling zu einem Kalkofen schicken und dort fragen lassen, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Wer immer sich mit diesen Worten an die Arbeiter wende, den sollten die Arbeiter packen und in den Ofen werfen.
So geschieht es. Der Jüngling macht sich auf den Weg zum Kalkofen. Dabei wird er jedoch für einige Zeit aufgehalten. Dann macht auch der Verleumder sich auf den Weg, um zu sehen, ob alles gelungen sei. Er wendet sich an die Arbeiter und fragt, ob des Königs Befehl ausgerichtet sei. Diese packen ihn und wollten keine Ausflüchte und Begründungen hören, dass dies so doch gar nicht gemeint sei — sie werfen ihn in den Kalkofen und dort stirbt er, an des jungen Mannes Stelle.
Als der Jüngling verspätet beim Kalkofen erscheint, und seinerseits fragt, ob der Befehl ausgerichtet sei, kommt alles ans Licht, und der König ist sehr zufrieden, dass es der Verleumder in die selbst gegrabene Grube gefallen ist und nicht sein unschuldiges Opfer. Den jungen Mann aber macht er zu seinem Gefolgsmann und Ritter.
Wie bei der Brautschau im Vers haben die Worte, die der Jüngling an die Arbeiter richten soll, eine ganz eigene schwerwiegende Bedeutung, die der Überbringer selbst nicht kennt. Und in meiner Familie erzählt man sich, der junge Mann habe von den Kalkofengabeln das Wappen und seinen ritterlichen Namen bezogen, und niemand anders sei er als der Stammvater aller Kalckreuths…!
Verborgene Botschaften. Ja, wir überbringen Botschaften, und nicht immer kennen wir ihre Bedeutung für uns und für andere. Gebe der Herr, dass es Botschaften zum Heil sind, wie bei Rebekka, und nicht zum Unheil, wie in der Legende…! Ulf von Kalckreuth
Also kam Salomo von der Höhe, die zu Gibeon war, von der Hütte des Stifts, gen Jerusalem und regierte über Israel. 2 Ch 1,13
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Worauf es ankommt, Teil II
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei. Einen einzigen. Da kann man schon ins Grübeln kommen. Salomo opfert dem Herrn öffentlich auf der Höhe zu Gibeon, und in der Nacht darauf erscheint ihm der Herr und sagt ihm, er möge einen Wunsch äußern.
Ein wenig wie im Märchen. Was soll Salomo sich wünschen? Er ist das uneheliche Kind Davids mit Batseba, einer verheirateten Frau, deren Mann sein Vater hatte töten lassen. Um den Thron besteigen zu können, hat er sich aus einer hinteren Position gegen seine vielen Brüder durchgesetzt, auch gewaltsam. Seine Macht ist nicht gefestigt. Da wäre der Tod der Feinde als Wunsch naheliegend, auch Macht und Reichtum, um sich durchsetzen zu können. Aber Salomo wünscht sich etwas, das nicht auf der Hand liegt: Weisheit und Erkenntnis. Sehr zum Erstaunen des Herrn:
Weil du dies im Sinn hast und nicht gebeten um Reichtum noch um Gut noch um Ehre noch um deiner Feinde Tod noch um langes Leben, sondern hast um Weisheit und Erkenntnis gebeten, mein Volk zu richten, über das ich dich zum König gemacht habe, so sei dir Weisheit und Erkenntnis gegeben. Dazu will ich dir Reichtum, Gut und Ehre geben, wie sie die Könige vor dir nicht gehabt haben und auch die nach dir nicht haben werden. (2 Chr 1,11+12)
Ich sehe hier zweierlei. Manchmal schenkt Gott Dinge, um die wir nicht gebeten haben. Wenn wir hadern, dass das Leben die Erfüllung unserer Wünsche hartnäckig verweigert, mögen wir schauen, was da ist, ohne dass wir es uns gewünscht haben — Freundschaften, Erlebnisse, Musik, vielleicht ein wacher Geist oder die Freude an einem schönen und kraftvollen Körper. Wenn ich hinschaue, so ist meine Welt voll solcher Dinge.
Zweitens und spezifischer: Salomos Wunsch nach Weisheit ist ein weiser Wunsch. Könige haben ein spezielles Problem. Man ist König nur weil und solange andere sich nicht trauen, die Gefolgschaft zu versagen oder sich aufzulehnen. Ein König hat keine nennenswerte eigene Kraft, seine Kraft ist geliehen von anderen. Deren Schwert muß er einsetzen. Auf das eigene Schwert zurückgeworfen lebt er nicht lange. Die anderen sind stärker, wenn sie sich zusammentun, immer! Die Kräfteverhältnisse zu durchschauen, mit stets wachem Auge, das Gewicht zu verlagern, um das Gleichgewicht zu wahren und nicht abzustürzen, Erwartungen aufzubauen, Phantasien, Ängste und Träume anderer zu nähren, zu richten, zu steuern, dazu ist Erkenntnis und Weisheit nötig. Für Königtum ist das ist die Grundlage. So ausgerüstet steigt Salomo herab von der Höhe Gibeon, um Israel zu regieren. Und so kommt auch das andere, Reichtum, Macht und Ehre — und viele Frauen.
Der Vers der vergangenen Woche gab Anlass nachzudenken, worauf es ankommt im Leben. Und ich hatte gefragt, ob in der Aufzählung des Psalms etwas fehlt. Hier ist eine gute Antwort: Weisheit und Erkenntnis. Weisheit und Erkenntnis bergen indes manchmal Wahrheiten, denen man sich eigentlich gern entziehen würde. Vielleicht deshalb ist der Wunsch Salomos nicht universell. Aber am Ende wird die Wahrheit uns frei machen, sagt Joh 8,32. Daran habe ich stets geglaubt und tue es noch.
Der Herr verleihe uns Weisheit und Erkenntnis! Ulf von Kalckreuth
Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den HErrn fürchtet. Ps 128,4
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Worauf es ankommt
Worin besteht Gottes Segen? Allen, die Religion für eine diffuse und wenig konkrete Angelegenheit halten, sei Psalm 128 empfohlen. Hier ist kurze Psalm vollständig, in der Lutherübersetzung von 1984:
Wohl dem, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen geht! Du wirst dich nähren von deiner Hände Arbeit; wohl dir, du hast’s gut. Deine Frau wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock drinnen in deinem Hause, deine Kinder wie junge Ölbäume um deinen Tisch her. Siehe, so wird gesegnet der Mann, der den Herrn fürchtet. Der Herr wird dich segnen aus Zion, dass du siehst das Glück Jerusalems dein Leben lang und siehst Kinder deiner Kinder. Friede sei über Israel!
Die Aufzählung wird zweimal eingeleitet, danach stehen jeweils zwei Segensversprechen. Ich würde es gern in heutigem Deutsch schreiben. Also:
Wer den Wegen des Herrn folgt, dem wird zuteil: 1) wirtschaftliche Selbständigkeit und ein angemessenes Auskommen 2) ein glückliches Familienleben mit Partner und Kindern 3) ein geistlich erfülltes Leben mit wiederkehrenden, geglückten Pilgerfahrten 4) ein langes Leben mit Enkeln und Urenkeln
Nichts wird darüber gesagt, wie diese Gaben dem Gottesfürchtigen zuteil werden. Es muß durchaus nicht Belohnung sein, für das Einhalten der Gebote etwa, vielleicht sind es eher die Wege des Herrn selbst, die zu den Segensgaben führen.
Als ich anfing, über den Vers nachzudenken, mußte ich plötzlich verblüfft innehalten. Auf meinem Schreibtisch liegt seit vielen Jahren ein ziemlich großer glatter Flusskiesel, oben ist ein Bild. Er steht für drei Steine, mit denen ein Coach mir einst klargemacht hat, worum es geht — was Kraft kostet und woraus wir sie ziehen können. Er benannte drei Sphären:
Berufs und Erwerbsleben,
Familienleben, und
spirituelles Leben, worunter er neben Religion auch Kultur und Musik verstand, soweit sie zu gemeinschaftlichem Ereignis werden.
Wenn alles in Ordnung ist, beziehen wir aus diesen Sphären Kraft, sagte er. Geraten wir auf einer der Schauplätze in Schieflage, so wird dort Kraft abgezogen, auch aus den anderen Bereichen. Das funktioniert wie bei kommunizierenden Röhren. Eine schwere Störung in einem der Bereiche wird negative Folgen auch in anderen Bereichen nach sich ziehen — eine Ehekrise kann etwas mit Schwierigkeiten im Job zu tun haben und umgekehrt. Andererseits hat Wachstum in einem der Bereiche positive Wirkungen auch in den anderen.
Aber schauen Sie: die Bereiche, die er aufzählte, sind nichts anderes als die ersten drei Nennungen im Psalm! Die vierte Nennung fehlt in seiner Liste — langes Leben mit Kindeskindern. Sie steht für ein in der Zeit gegründetes Leben, das nicht ohne Folgen bleibt, sondern sich fortschreibt. Ganz kurz gefasst lautet also der Psalm:
Wer den Wegen des Herrn folgt, erlangt dabei das, worauf es ankommt im Leben!
Nicht alles mögliche oder alles, was man will, sondern das, worauf es ankommt. Was sagen Sie? Fehlt etwas? ‚Gesundheit‘ kann man unter die vierte Nennung subsumieren. Mir fällt sonst nichts ein. Nehmen Sie sich ruhig fünf Minuten Zeit dafür, die Frage ist wichtig. Schreiben Sie in den Blog, wenn Sie möchten, klicken Sie dazu auf den Beitrag, unten gibt es ein Feld dafür
Da sprach der HErr: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen; denn sie sind Fleisch. Ich will ihnen noch Frist geben hundertundzwanzig Jahre. Gen 6,3
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.
Außerirdisch…!
Wenn man jahrelang zufällig Verse aus der Bibel zieht, begegnet man auch den merkwürdigen Stellen, und irgendwann auch den GANZ merkwürdigen. Damit Sie wissen, worum es geht, stelle ich hier den Kontext ein:
Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der HERR: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.(Gen 6,1-4, Lutherbibel 1984)
Sie ahnen das Problem: Wer oder was sind diese Gottessöhne, die „Nephilim“? Manche sagen, die Geschichte sei älter als der Monotheismus, es handele sich um eigentlich eigenständige Götter. Andere denken an Engelwesen. Wieder andere denken an Menschen, die in besonderer Weise vom Geist Gottes begabt sind und daher als Söhne Gottes gelten können. Diese Variante ist zwar mit allen religösen Vorstellungen von Christen und Juden vereinbar, doch fehlt der Geschichte dann jeder Sinn. Und schließlich — googeln Sie mal mit den beiden Begriffen „Außerirdische“ und „Genesis 6″. Eine ganze Literatur befasst sich mit der These, Ausserirdische hätten sich mit Menschen gepaart und Genesis 6 enthalte die Erinnerung daran…!
Inmitten dieses merkwürdigen Texts wirkt unser Bibelvers selbst ausgesprochen sperrig, beinahe als gehöre er nicht wirklich dazu. Unsere Lebenszeit wird stark beschränkt. Das erinnert an die Vertreibung aus dem Paradies. Aber wofür die Strafe? Die ungleichen Paarungen verletzen eine Grenze, und hier wird es klassisch. Grenzen sind der Bibel heilig: zwischen Wasser und Land, Licht und Dunkel, Heiligem und Profanem, Gott und den Menschen, Mann und Frau, Israel und den Völkern. Entgrenzung wird mit Begrenzung beantwortet. Der Text oben ist eine Art ‚run-up‘ zur Sintflut, von der als nächstes berichtet wird.
Unser Vers markiert eine Wasserscheide in der biblischen Geschichte. Davor wurden Menschen viele hundert Jahre alt. Methusalem erreichte laut Gen 5 ein Alter von fast 1000 Jahren. Mit dem Vers wird die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre beschnitten. Mose erreichte dieses Alter, und auch Jojoda, erinnern Sie sich an den BdW 43/2023? In der Tat scheinen 120 Jahre eine Art biologisches Maximum zu sein, die allerältesten Menschen erreichen es, siehe hierzu eine Info des statistischen Landesamts in Baden Württemberg. Im Januar dieses Jahres verstarb die älteste Frau der Welt mit 118 Jahren, die derzeitige Rekordhalterin ist 115 Jahre alt.
Die Rätsel des Texts kann ich nicht lösen. Aber wie kommen denn Sie mit der Beschränkung der Lebenszeit zurecht — Ihrer eigenen und der Ihrer Lieben? Wäre es für Sie eine Verlockung, 240, 360 oder 480 Jahre alt zu werden? Zum Beispiel vierhundert Jahre Büroalltag und Zeitkorrekturbuchungen, 100 mal Bundestagswahlkampf mit K-Frage und Angst vor Klartext, 20.800 Bibelverse der Woche, 146.000 mal Nachrichten im Deutschlandfunk, aberhundertausend unerfüllte erotische Phantasien… Die Aufzählung ist bewußt nicht böswillig, aber man sieht: es würde in unendliche Gleichgültigkeit münden. Die Helden einer solchen Welt wären Menschen mit Strategien, die es ihnen ermöglichen, die eigene Fortexistenz dennoch zu ertragen. Etlichen würde das nicht gelingen. Altersbedingt gerät für mich ein Ende in Sicht, aber die Vorstellung eines unbegrenzten Lebens ist schreckender als die der Begrenzung, heute jedenfalls noch.
Frankfurt, 6. September 2023, Ulf von Kalckreuth
Nicht alle sehen das so. Bei der hessischen Landtagswahl im September kandidierte auch die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung„. Die Partei hält ein Alter von tausenden von Jahren für möglich und erreichbar. Für die Finanzierung der Forschung und der erforderlichen Dauerbehandlung — wiederkehrende Reparatur der Schäden auf molekularer und zellulärer Ebene — soll der Staat sorgen…!
Mit meinem Leben werden auch die vielen Dinge enden und dauerhaft verschwinden, die ich nicht lösen kann — und mit ihnen Ängste, Ungenügen, Schuld. So sei es. Was danach kommt, hat vielleicht nicht viel zu tun mit diesem Leben. Angefangen mit dem Grundlegendsten: Wird da Zeit sein? Raum? Masse? Identität? Überhaupt etwas? Bestimmt jedenfalls keine Zeitkorrekturbuchungen,…!
Gott sei mit uns auf der kurzen Strecke, wie auch auf der langen. Ulf von Kalckreuth
Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Jesu Christo. Phi 1,8
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Die Macht der Liebe
Am Anfang der Paulusbriefe steht die Begrüßung, am Ende ein Segen und dazwischen die Botschaft. Hier, im Philipperbrief, liegt wesentliche Botschaft schon in der Begrüßung.
Das habe ich erst gar nicht gesehen. Als ich den Bibelvers zog, sah ich nur, dass Paulus hervorhebt, wie wichtig ihm die Angesprochenen sind. Ich wollte dann eine kleine Betrachtung schreiben über das Thema „Wish you were here“. Weil ich gerade auf dem Rückweg von einer weiten Reise bin, wäre das nicht schwer gewesen. Aber dann irritierte mich das Wörtchen „Denn“. Denn was dahinter steht, ist eine Begründung oder ein Grund. Wofür? Worum geht es?
Vorher spricht Paulus davon, dass die Gemeinde in Philippi gesegnet sei: Gott werde in ihr das Werk vollenden, das er begonnen hat. Dabei könnte er es belassen. Statt dessen geht er einen Schritt zurück und fragt sich, wie er selbst zu dieser Einschätzung kommt. Er ist überzeugt, dass er recht hat, sagt er, weil er die Gemeinde in seinem Herzen hat, also liebt. Und dafür ruft er Gott in unserem Vers zum Zeugen auf.
Das klingt sonderbar, wie verkehrte Logik. Wir würden andersherum fragen — warum liebst du diese Gemeinde? — und nach Gründen suchen. Paulus aber begründet mit seiner Liebe die Einschätzung, dass die Gemeinde gesegnet sei.
Man kann das auf zwei Arten lesen, und ich denke, beide sind richtig. Zum einen könnte Liebe einen direkten und privilegierten Zugang zur Wirklichkeit vermitteln. Ich sehe richtig, weil ich liebe. Wir würden vielleicht antworten: Nein, Liebe macht blind — wer liebt, dessen Wahrnehmung ist nicht objektiv und spiegelt eher die Wünsche Wünsche und Sehnsüchte des Liebenden als die Wirklichkeit des Geliebten. Paulus dürfte dies nicht fremd sein, aber er mißt der Liebe eine Erkenntniskraft jenseits des Verstandes zu:
Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. (…) Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. (1 Kor 13, 8-10+12).
Weiterhin aber könnte der Liebe eine selbständige, wirklichkeitsverändernde Kraft innewohnen. Wie Fürbitte und Segen. Der Satz hieße dann: Der Segen Gottes wird mit Euch sein, weil ich Euch liebe! Nicht im Sinne von Erklärung, sondern von Ursache und Wirkung. Das hat etwas Grundstürzendes.
Ein Kind würde es vielleicht so sagen: „Warum ist denn dein Papa so großartig? — „Weil ich ihn lieb habe!“ — nicht etwa anders herum. Paulus ist kein Kind, er weiß, was er schreibt. Der Herr wird mit dir sein, dein Leben wird in guten Bahnen verlaufen, du wirst nicht fallen, weil ich dich liebe! Sonderbar. Oder nicht? Welche Rolle spielt die Liebe der Eltern für die Persönlichkeit von Kindern? Hat sie nicht konstitutive Kraft? Und wie steht es um die Liebe zwischen Geliebten und Eheleuten? Kann nicht das Wissen, geliebt zu werden, ein Dasein begründen?
Paulus verallgemeinert dies nur ein kleines bißchen. Durchaus unbescheiden, übrigens. Und er sagt, dass wir die Welt verändern können mit unserer Liebe!
Was bedeutet das? In meinem Lebenskontext, in Ihrem? Können Sie es sehen?
Wie Glaube und Hoffnung hat Liebe Macht, eigenständige Kraft. Sie ist nicht nur das Spiegelbild des geliebten Wesens, sie wirkt auf das Gegenüber zurück. Der Abschnitt aus dem Korintherbrief, aus dem oben schon zitiert wurde, endet wie folgt: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die Liebe aber ist die größte unter ihnen (1. Kor 13, 13).
Und der König Joas gedachte nicht an die Barmherzigkeit, die Jojada, sein Vater, an ihm getan hatte, sondern erwürgte seinen Sohn. Da er aber starb, sprach er: Der HErr wird’s sehen und heimsuchen. 2 Chr 24,22
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Kleiner König
Der Bibelvers stellt eine Frage. Um sie zu verstehen, muß man die Geschichte dazu kennen. Man kann sie als Märchen erzählen, als böses Märchen.
Es war einmal ein kleiner König, er hieß Joasch. Besser gesagt: am Anfang war er gar kein König, sondern ein Kleinkind, dessen Vater gestorben war. Der war König. Als Joaschs Vater tot war, liess seine böse Großmutter Atalja alle seine Geschwister töten: sie selbst nämlich wollte Königin sein und niemand sonst. Joasch überlebte als einziger, weil seine Tante Joscheba, Schwester seines Vaters, ihn im Tempel versteckte. Sie war verheiratet mit dem Priester Jojada, und die beiden sorgten viele Jahre im Geheimen für den kleinen König, der nicht König werden durfte. Seine böse Großmutter Atalja aber herrschte über das Land und betete fremde Götter an. Den Tempel Gottes ließ sie verfallen.
Nach sieben Jahren fasste der Priester Jojoda Mut. Er sprach mit Hauptleuten der bewaffneten Männer im Reich und sagte ihnen, dass doch eigentlich Joasch König sein müsse und nicht die böse Großmutter Atalja. Und die Hauptmänner hörten zu. Sie setzten die böse Großmutter Atalja ab und töteten sie; Joasch aber machten sie zum König.
Jetzt war der kleine König sieben Jahre alt, und Herrscher von Juda. Als er heranwuchs, gab Jojoda ihm zwei Frauen, und er zeugte viele Söhne und Töchter. Der Priester erinnerte Joasch daran, wie verfallen der Tempel war, in dem er so lange versteckt gelebt hatte, und König Joasch zog Steuern ein. Er ließ die Menschen viel Geld bezahlen, damit der Tempel erneuert werden konnte.
Nach langer Zeit starb Jojoda, er wurde 130 Jahre alt. Als er begraben war, kamen die Oberen Judas und huldigten dem König. Sie hielten nicht viel vom Gott des Volks Israel, sie beteten Aschera an und andere Götzen. Und merkwürdiges geschah: Joasch folgte ihnen.
Da stand Secharja auf, der Sohn Jojodas. Er machte dem König und den Oberen bittere Vorwürfe. Er sagte, der Gott Israels werde sein Volk verlassen, wenn man ihn verlasse. Die Oberen des Landes sprachen zum König und sagten, dass Secharja nicht länger leben dürfe. Man müsse ihn steinigen. Und Joasch, der kleine König, der nun ein großer war, gab den Befehl dazu. Secharja starb unter der Steinwürfen seiner Verfolger. Er konnte noch rufen, dass Gott dies sehen und rächen werde.
Hier endet unser Märchen und es kommt die Frage, die der Bibelvers stellt. Secharja war der Sohn des Hohepriesters Jojada, der Joasch nicht nur gerettet, sondern auch zum König gemacht hatte. Mit dieser Biographie — was um aller Welt trieb Joasch dazu, nun Götzen anzubeten und den Sohn Jojodas zu töten?
Man darf annehmen, dass Joasch und Secharja sich gut kannten. Secharja muß viel älter gewesen sein als der König, bedenkt man das hohe Alter Jojodas. Wollte Joasch den Übervater endlich ganz zum Schweigen bringen — endlich selbst wirklich König sein? Wenn es so war, gab es für ihn eine andere Möglichkeit? Wie wäre sein Leben dann verlaufen? Oder hatte er mit seinem Leben schon abgeschlossen?
Das Ende des kleinen Königs, wir ahnen es, ist tragisch und kommt schnell — lesen Sie nach. In Wahrheit ist die Geschichte alles andere als ein Märchen, sie ist Stoff für ein ausgewachsenes Drama, wie Shakespeare sie geschrieben hat.
Der Herr möge seinen Segen geben und seinen Zorn von uns wenden. Ulf von Kalckreuth