… deine Rede hat die Gefallenen aufgerichtet, und die bebenden Kniee hast du gekräftigt.
Hiob 4,4
Hier ist ein Link zum Kontext in der Lutherbibel 2017.
Mit Trauernden sprechen
Hiob ist ein gottesfürchtiger Mann, doch Satan hält das für Schönwettertreue und fragt sich, was davon übrigbleibt, wenn die Zeiten schlecht werden. Gott erlaubt dem Satan, in diesem Sinne mit Hiob zu verfahren wie ihm beliebt, vorausgesetzt, jener bleibt am Leben. Und so geschieht es: Hiob verliert alles, Geld, Gut, Gesundheit, all seine Kinder… nur sein Leben nicht.
Drei Freunde kommen, ihn zu trösten. Eine Woche lang spricht keiner ein Wort, entsprechend dem jüdischen Trauerritus. Dann bricht Hiob das Schweigen. Über zwei normale Druckseiten hinweg verflucht er den Tag, an dem er geboren wurde, ganz wie einen Menschen, mit phantastischen, sprachlich sehr schönen Ausschmückungen und fast grotesker Liebe zum Detail.
Dann erhebt Elifas von Taman das Wort. In die Einleitung dieser ersten von vielen Reden und Gegenreden fällt unser Vers. Im Kontext steht dort:
Du hast’s vielleicht nicht gern, wenn man versucht, mit dir zu reden; aber Worte zurückhalten, wer kann’s? Siehe, du hast viele unterwiesen und matte Hände gestärkt; deine Rede hat die Strauchelnden aufgerichtet, und die bebenden Knie hast du gekräftigt. Nun es aber an dich kommt, wirst du weich, und nun es dich trifft, erschrickst du!
Ein Vorwurf gleich zum Einstieg! Hiob hat vielen geholfen, die in einer Krise steckten, nun, da es ihn selbst trifft, ist alles vergessen. Man fühlt sich an das später von Jesus ironisch zitierte Sprichwort „Arzt, hilf Dir selbst!“ erinnert.
Aber so hart ist es nicht gemeint. Elifas hat eine echte Botschaft und hofft auf Hiobs Zustimmung. Seine erste Rede enthält zwei Stellungnahmen die damals ausgesprochen innovativ waren. Erstens: „Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat?“ Das klingt sehr modern — man hört Paulus und Luther — in den älteren Büchern des AT und den Psalmen gewinnt man eher den Eindruck, dass alles gut werde, wenn man nur die Regeln befolgt, und dass dies auch nicht zu viel verlangt sei. Elifas sagt, dass nur die Hinwendung an Gott und das Vertrauen in ihn Erlösung ermöglicht. Zweitens: „Siehe, selig ist der Mensch, den Gott zurechtweist; darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht. Denn er verletzt und verbindet; er zerschlägt und seine Hand heilt“. Auch aus dem Unglück kann Gott uns Glück erwachsen lassen, dies ist nicht durch- oder überschaubar, aber der Glaube daran macht es wahr.
Der zuletzt zitierte Vers ist in meiner Bibel sogar fett gedruckt, als ein Wort, das man sich zu Herzen nehmen möge. Was ist also falsch daran? Ich frage so, weil später im Text Gott persönlich die Reden der Freunde in Bausch und Bogen verwirft und Hiobs Worte stehen lässt, zuvörderst allerdings dessen endliche Unterwerfungserklärung unter Gottes Allmacht. Und nur Hiobs Gebet für die Freunde kann diese am Ende vor Gottes Zorn retten.
Ich denke, Elifas’ Fehler ist im gezogenen Vers codiert. Der Vers weiß mehr als derjenige, der ihn spricht. Elifas ist ja hier selbst in der Rolle des Helfenden, nicht Hiob. Da gilt es achtzugeben: Er spricht zu einem Trauernden, und es gibt Wahrheiten, die in manchen Situationen falsch sind. Es mag sein, dass es gänzlich unvermeidlich ist, in Gottes Augen schuldig zu werden und dass dies das Leben anfrisst wie Säure, und nur die unbedingte Hinwendung an Gott uns retten kann, und es mag auch sein, dass manches Leid heilende Wirkung hat, weil es Kräfte freisetzt für wesentlichen Dinge — allein: dies mitzuteilen ist kein Weg in das Herz des Trauernden. Damit diese Wahrheiten wirksam werden, muss dieser selbst darauf stoßen, muss erkennen, dass es FÜR IHN so ist.
Hiobs Reaktion im nächsten Abschnitt ist sehr „sprechend“. Er wünscht sich einen schnellen Tod und schreit seine Freunde an, sie mögen ihn mit sinnlosen Belehrungen verschonen und wenigstens an dieser Stelle mehr Gnade zeigen als Gott.
Im Mund des nicht Betroffenen werden Wahrheiten dieser Art zu Besserwisserei oder gar Selbstgerechtigkeit. Man kann mit dem Leid anderer nicht umgehen wie mit dem Thema einer Seminararbeit. Es geht es nicht darum, „recht zu haben“ und die eigene Kompetenz zu beweisen. Das klingt banal, aber im Vollzug ist es richtig schwer! Elifas hat Wahrheiten gefunden und will sie weitergeben. Er beschreibt die Vision, die ihm diese Wahrheiten eröffnet hat. Nach alttestamentarischer Konvention ist seine Rede damit prophetisch. Ja, „Worte zurückhalten — wer kann’s?“
Wie wären wir in das Gespräch eingestiegen? Wären wir denn überhaupt den weiten Weg zu Hiob gekommen?
Ich wünsche uns eine Woche, in der wir die rechten Worte finden — zur rechten Zeit, am rechten Platz.
Ulf von Kalckreuth
Eine Antwort auf „Bibelvers der Woche 45/2018“