Bibelvers der Woche 40/2024

Er sprach: Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden. Sie antwortete: So gib mir ein Pfand, bis dass du mir’s sendest.
Gen 38,17

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Wer es sagt, ist’s selber…!

Eine schmutzige Geschichte, keine, die unmittelbar das Herz erheben könnte. Aber unser Vers steht mitten darin und spielt dort eine Schlüsselrolle, und so muß ich sie ganz erzählen. Bitte bleiben Sie dran, ich glaube, es lohnt sich!

Juda, der Sohn Jakobs und Stammvater Davids, hat drei Söhne. Sein ältester Sohn, Er, heiratet Tamar. Aber bald darauf stirbt er, und Tamar ist Witwe. Juda gibt ihr seinen zweiten Sohn, Onan, zum Mann. Eine sogenannte Leviratsehe zur Sicherung der Witwe, der Erbfolge und der Verbindung zweier Familien: Starb ein verheirateter Mann kinderlos, so mußte sein Bruder die Witwe zur Frau nehmen und an seiner Stelle für Nachwuchs sorgen. Der erste Sohn galt als Kind des Bruders, siehe Dtn 25,5-10. 

Onan aber will seine Pflicht nicht erfüllen. Im ehelichen Verkehr mit Tamar läßt er seinen Samen „auf die Erde fallen und verderben“. Coitus interruptus — wenn wir heute von ‚Onanie‘ sprechen, benutzen wir eigentlich ein falsches Wort. 

Dem Herrn ‚mißfiel dies‘, schreibt die Bibel, und er läßt auch Onan sterben. Nun müsste Juda eigentlich Tamar seinen jüngsten Sohn Schela zum Mann geben. Aber er hat Sorge, dass auch sein dritter Sohn sterben könnte. Er sagt Tamar, sie könne Schela heiraten, wenn er groß geworden sei. Bis dahin möge sie bitte bei ihrem Vater bleiben. Viele Jahre gehen ins Land, Judas Frau stirbt und Tamar versteht, dass dieses Versprechen auf immer ein Versprechen bleiben soll. Juda verweigert Tamar „seinen Samen“, wie in Genesis die Nachkommenschaft eines Mannes genannt wird — im Grunde wie sein Sohn Onan.

Tamar ist in der Ecke, scheinbar ohne Handlungsmöglichkeiten, in völliger Passivität. Im Hause ihres Vaters soll sie warten, bis Schela kommt. Sie ist mit ihm verlobt und die Verpflichtungen aus ihren beiden Ehen gelten fort. Sie kann nicht einmal einen anderen Mann suchen. So geht es viele Jahre. Ihre Uhr tickt, immer lauter. Schließlich bricht sie aus und holt sich Judas Samen auf eigene Art.

Sie setzt sich an den Weg, auf dem Juda kommen muss, der einen Freund besuchen will. Tamar trägt einen Schleier und macht sich unkenntlich. Juda hält sie für eine Prostituierte und will sich ihr nähern. Er einigt sich mit ihr über den Preis, den er allerdings nicht an Ort und Stelle bezahlen kann. Sie bittet um ein Pfand — das ist unser Vers! — und er hinterlässt ihr seine Siegelkette, seine Schnur und seinen Stab. Die Insignien seiner Stellung als Patriarch. Es ist fast, als habe er seinen Personalausweis als Pfand gegeben. 

Sie verkehren miteinander und Juda geht seiner Wege. Tamar taucht ab. Als Judas Freund sie sucht, um den verabredeten Preis zu entrichten, weiß niemand von ihr — nie war an diesem Ort eine Prostituierte tätig. Tamar war ins Haus ihres Vaters zurückgekehrt, und sie ist schwanger. Bald sehen es die Leute, und sie hinterbringen es Juda: Deine Schwiegertochter hat gehurt und bekommt ein Kind. Sie soll sterben, sagt Juda, sie soll herausgeführt und hingerichtet werden. 

Tamar läßt ihm die drei Teile des Pfandes bringen: Der Vater des Kinds ist, wem diese Dinge gehören, sagt sie — erkennst du sie? Juda erkennt sie, und er erkennt auch, welchen Fehler er gemacht hat. Tamar bringt Zwillinge zur Welt und Juda akzeptiert sie als seine Söhne und Tamar als seine Frau. „Aber er ging nicht mehr zu ihr ein“, sagt die Bibel.

Wir können die Geschichte aus Genderperspektive betrachten. Das ist einfach, harte Worte wären wohlfeil, aber die Wertungen wären nutzlos, und ich will Ihnen und mir das ersparen. Die Geschichte ist eine Miniatur aus der frühen Eisenzeit. Sie steht isoliert mitten in der Josephsgeschichte, und ich denke, sie steht dort, weil sie eine interessante Botschaft hat. 

Es geht um das Wesen von Schuld. Onan und Juda verweigern sich und berauben damit Tamar der Grundlage ihres Lebens als Frau m alten Orient. Beide geben nicht, aber sie nehmen: Sex. Tamar wird schwanger. Juda sieht die Gelegenheit, die fortwährende Schuld endgültig aus der Welt zu schaffen und fordert ihren Tod. Die Bibel spricht es nicht aus, aber ich vermute, dass er sich auf das mit Todesdrohung bewehrte Verbot des Ehebruchs beruft (Lev 20,10). Wenn aber sie eine Ehebrecherin ist, dann ist er der Ehebrecher — er bricht die fortwirkende Ehe seiner Söhne und verstößt noch dazu gegen das explizite Verbot sexueller Beziehungen zu Schwiegertöchtern (Lev 18,12).

Sein Finger zeigt auf Tamar, aber indem er das tut, weisen drei Finger zurück auf ihn selbst: Bruch zweier Ehen und Sex mit einer nahen Verwandten. Dabei ist seine eigentliche Schuld eine andere. In diesem Augenblick steht er da als vollkommenes Monster — vor uns und wohl auch vor sich selbst. „Sie ist gerechter als ich“, stöhnt er.

Weit mehr als 1000 Jahre später steht ein direkter Nachkomme von Tamar und Juda auf einem Platz im Jerusalemer Tempel. Aufgebrachte Menschen zerren eine Frau zu ihm. Sie ist Ehebrecherin und von ihm, dem Gesetzeslehrer, verlangen die Leute ein Urteil. Es kann nur eines geben. Jesus spricht es nicht aus, sondern malt in den Sand. Schließlich sagt er, dass derjenige den ersten Stein werfen möge, der ohne Schuld sei. Keiner rührt sich, und die Menge verläuft sich schließlich. 

Hat Jesus an Tamar gedacht, als er im Sand malte? 

‚Wer es sagt, ist’s selber‘, sagen unsere Kinder, und es stimmt. Schuld ist Gift und in gewisser Weise wird es geschaffen durch den, der die Beschuldigung ausspricht. Etwas bleibt hängen. Manchmal ist es viel. Vielleicht kann nur Gott Schuld zuweisen, ohne schuldig zu werden? 

Gelobt sei, der unsere Schuld vergibt — so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…!
Ulf von Kalckreuth


Nachspiel: Richtig vergeben ist gar nicht so einfach. Ich habe diesen Text in den Pausen eines großen Musikfestivals geschrieben. Vielleicht merkt man das. Als ich aufstand, rempelte eine Frau, die rasch in den nächsten Saal wollte, mich hart von hinten. Wir sahen uns an und schließlich sagte sie genervt: „Entschuldigung!“ Ich erwiderte: „Ich habe darüber nachgedacht, wer von uns beiden sich entschuldigen muß, aber wenn Sie es nun tun, will auch ich Sie gern um Verzeihung bitten!“ Ihre etwas rätselhafte Antwort war: „Aber ich habe mich als erste entschuldigt…!!“ Mmh. Besser hätte ich gesagt: „Ist schon ok, ist die Musik nicht großartig? 

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