Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Siehst du wohl allen diesen großen Bau? Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.
Mk 13,2
Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.
Apokalypse — how?
Der Tempel war das Herz des religiösen und gesellschaftlichen Lebens im jüdischen Palästina. Die Ruinen der Fundamente, die man heute noch sehen kann, sind beeindruckend genug. Auf die Zeitgenossen hatte er eine ungeheure Wirkung. Als Jesus daher unvermittelt sein baldiges Ende voraussagte, hat es die Jünger „kalt erwischt“:
Und als er aus dem Tempel ging, sprach zu ihm einer seiner Jünger: Meister, siehe, was für Steine und was für Bauten! Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Hier wird nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.
Im Markusevangelium steht diese Ankündigung im Zusammenhang mit Worten über das Ende der Welt, wie wir sie kennen und — nur angedeutet — der Heraufkunft einer neuen. Was Jesus sagt, erinnert in vielem an die Prophezeihungen am Ende des Buchs Daniel, vor allem Kapitel 12-14. Dort werden viele Angaben gemacht, die zu einer Datierung des Untergangs einladen. So steht etwa geschrieben: „Und von der Zeit an, da das tägliche Opfer abgeschafft und das Gräuelbild der Verwüstung aufgestellt wird, sind 1290 Tage“ (Dan 12,11). Von diesem Gräuelbild spricht auch Jesus (Mk 13,14).
Jesus selbst war vom nahen Ende überzeugt — „… dies Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht“ (Mk 13,39). Der Tempel ging wirklich unter. Im Jahr 70 zerstörten ihn die Römern im Zuge der blutigen und gewaltsamen Unterdrückung einer Revolte, und die Stadt wurde entvölkert. Die Apokalypse, das Ende der Welt, wie wir sie kennen, das Gericht, die Heraufkunft des Messias und des Reichs Gottes, lassen hingegen auf sich warten. Oftmals in den zweitausend Jahren seither haben sich Menschen versammelt in der Erwartung, dass es nun so weit sei.
Aber macht es einen Unterschied? Rom wirklich ist untergegangen, nur einige Sprachen, imposante Ruinen und die Reste des römischen Zivilrechts erinnern noch an das große Imperium. Ganz andere Menschen leben heute in Germanien, Italien, Palästina. Geschichte ist ein Mahlstrom, der in der langen Frist alles zerreibt. Und auch die große Katastrophe, der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, steht jedem von uns bevor: als individueller Tod. Er ist dem einen nahe, dem anderen noch näher. Ich bin in dieser Woche 59 Jahre alt geworden, das schärft den Blick.
Nichts bleibt. Das ist die Perspektive der Apokalypse, und sie ist realistisch, sehr im Unterschied zu unseren vielfältigen und komischen Versuchen, uns doch irgendwie unsterblich zu machen.
Und daneben, dahinter und davor steht die Aussage Jesu, die Aussage Gottes: Ja, alles vergeht, was du siehst, aber auf das, was du siehst, kommt es nicht wirklich an. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Es ist beständig und vergeht nicht: die Kraft Gottes, sein ewiges Reich und unsere Zugehörigkeit, unsere Heimstatt in dieser anderen Welt. Diese Welt gibt es schon, wir leben in ihr und sehen es nicht.
Ich wünsche uns allen eine gesegnete Woche!
Ulf von Kalckreuth