Bibelvers der Woche 03/2025

Meinst du wegen deiner Gottesfurcht strafe er dich und gehe mit dir ins Gericht?
Hiob 22,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 1984.

Eine entscheidende Frage

Das Buch Hiob ist vieles: Auseinandersetzung des Menschen mit Gott, seiner Macht und der hellen wie dunklen Seiten seines Wesens, Klage über die Bedingtheiten unseres Lebens, über Leid und Tod, Lehrerzählung, Gedicht, Gebet. Aber auch intellektuelle Auseinandersetzung, ausformulierte Lehrgespräche, die im Talmud oder einer Jeschiwa ihren Platz haben könnten. 

Das ganze Buch ist eigentlich ein Gespräch, es setzt ein mit einer Auseinandersetzung Gottes mit dem Teufel über das Wesen der Gottesfurcht — ist sie Ausfluss und Ergebnis Gottes gütiger Sorge und Bewahrung der Seinen? Macht Gott sich die Gottesfurcht dann nicht eigentlich selbst? Was wäre sie dann wert? Oder ist sie etwas eigenständiges? Gibt es Gottesfurcht auch im Unglück? Wo ist Ursache, wo ist Wirkung? Gott und der Teufel einigen sich auf ein wissenschaftlich sauberes Experiment: ein perfekt gottesfürchtiger Mensch, der in seinem Leben alles hatte, wird dem Teufel ausgeliefert, der ihm alles nimmt bis auf sein nacktes Leben — was geschieht mit seiner Gottesfurcht? 

Hiob liegt im Staub, seine Existenz ist völlig vernichtet. Sein Leben hat er gottesfürchtig gelebt, er weiss es, Gott und der Teufel wissen es auch, aber die Freunde, die ihn besuchen und mit denen er nun über sein Schicksal spricht, wissen es nicht. 

Der Vers, den wir gezogen haben, wird gesprochen von Elifas, einem der drei Freunde. Er hat eine Theorie über den Zusammenhang von Wohlergehen und Gottesfurcht. Es ist nicht die These, über die Gott und der Teufel debattieren, sondern die traditionelle Vorstellung vom Tun-Ergehens-Zusammenhang, die so wichtig ist für jüdisch-christliche Ethik, siehe den BdW 50/2021. Gott belohnt gutes Verhalten und bestraft Vergehen. Der Satz ist gewichtig: Elifas hat die ganze Torah und die Psalmen auf seiner Seite. Wenn dem aber so ist — wie kann Hiob dann behaupten, gottesfürchtig gelebt zu haben? Ist sein Schicksal dann nicht Beweis genug, dass es nicht so war? Würde Gott ihn bestrafen wegen seiner Gottesfurcht?  Elifas wird hier ironisch.

Aber ironischerweise ist es genau so — mit einem Sünder und Frevler hätten Gott und der Teufel ihr Experiment nicht machen können. Im Anschluß zählt Elifas Vergehen auf, denen Hiob sich schuldig gemacht haben könnte. Hinter diesen imaginierten Übertretungen steht eine fortgeschrittene Ethik — was Elifas aufzählt, sind keine Verstöße gegen den Wortlaut der Torah, sondern gegen ihren Geist. Elifas vermutet, Hiob könnte eigensüchtig, berechnend und kalt gegenüber seinen Mitmenschen gewesen sein, seine Macht genutzt haben, um sie auszuplündern.  Im konkreten Fall haben die Vorwürfe keinerleiGrundlage, aber immerhin: Elifas sagt an dieser Stelle genau, worum es eigentlich geht bei der Gottesfurcht, oder worum es gehen sollte. 

Aber dann: stellen Sie sich das vor. Sie liegen im Dreck und ihr Freund, der an Ihrem Bett sitzt, phantasiert darüber, wie Sie selbst an allem schuld sind mit Ihrem widerwärtigen Verhalten den Mitmenschen gegenüber. Sie müssen ein schlechter und verabscheuungswürdiger Mensch sein, denn sonst ginge es Ihnen gut und Gott wäre Ihnen gnädig. 

Das wirkt etwas absurd. Schaut man genau hin, bohrt Elifas mit untauglichen Mitteln ein dickes Brett. Wenn Gott gut ist und gerecht und mächtig, wenn er sich interessiert für unser Leben und unser Schicksal — wie können Menschen unverschuldet leiden und zugrunde gehen?

Das Buch Hiob stellt diese Frage in aller Schärfe und lotet den Raum für die Antwort sorgfältig aus. Aber auf eine bestimmte Antwort legt die Schrift sich nicht fest. Das Wesen des menschlichen Leids bleibt im Dunkeln, fast wie das Wesen Gottes selbst. In Jesus Christus begegnen sie sich und werden eins.  

Haben Sie eine Antwort auf die Frage? 

Ich habe den Text und die Frage ChatGPT vorgelegt, und was zurückkam, war erstaunlich. Aber wertvoll wird die Antwort nur, wenn und soweit sie unsere eigene ist.

Ich wünsche uns eine gute und gesegnete Woche unter Gottes Schutz,
Ulf von Kalckreuth

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