Bibelvers der Woche 44/2021

Die waren alle Kinder Jediaels, Häupter ihrer Vaterhäuser, gewaltige Männer, siebzehntausend zweihundert, die ins Heer auszogen, zu streiten.
1.Ch 7,11

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Jediaël — Botschaft Gottes

In den ersten Kapiteln von 1.Ch werden die dramatis personae vorgestellt, die Völker der Staaten Israel und Juda und ihre Führer, und dies geschieht über ihre Stammtafeln, siehe dazu den BdW 18/2020. Wir haben einen Vers aus dem Abschnitt über den Stamm Benjamin gezogen. Benjamin, so heisst es da, hatte drei Söhne, Bela, Becher und Jediaël. Dann werden die Kinder dieser Söhne genannt. Zu Jediaël wird geschrieben (Luther 2017): Der Sohn Jediaëls aber war: Bilhan. Bilhans Söhne aber waren: Jëusch, Benjamin, Ehud, Kenaana, Setan, Tarsis und Ahischahar. Die waren alle Söhne Jediaëls, Häupter der Sippen, gewaltige Männer, 17200, die als Heer ausziehen konnten zum Kampf. 

So weit, so gut. Ich stelle mir gern die Söhne Jediaëls vor, „Häupter der Sippen, gewaltige Männer“. In meinem Kopf ist das Patriarchat durchaus noch nicht verschwunden. Aber eine Frage tut sich auf, wenn man ein wenig weiterliest. Gleich am Anfang des nächsten Kapitels gibt es eine andere Stammtafel Benjamins, und zwar im Kontext der Ahnenreihe Sauls. Dort steht (8,1+2): Benjamin aber zeugte Bela, seinen Erstgeborenen, Aschbel als zweiten Sohn, Achrach als dritten, Noha als vierten, Rafa als fünften. Von Jediaël ist nicht die Rede, nur Bela taucht in beiden Ahnreihen auf. Gab es Jediaël überhaupt? 

Es wird noch unangenehmer. Ahnreihen Benjamins gibt es bereits in der Thora. Gen 46,21 lautet: Die Söhne Benjamins: Bela, Becher, Aschbel, Gera, Naaman, Ehi, Rosch, Muppim, Huppim und Ard. Bela und Becher kennen wir aus 1.Ch 7 bereits. Huppim und Mumim tauchen als Nachkommen von Ir, einem Sohn von Bela auf. Aschbel kennen wir aus der Ahnenreihe in Kapitel 8. Gera und Naaman tauchen dort unter den vielen Söhnen von Bela auf. Was ist mit Ehi, Rosch und Ard? Und Jediaël?

Eine vierte Ahnenreihe finden wir in Num 26, 38-41: Die Söhne Benjamins nach ihren Geschlechtern waren: Bela, daher kommt das Geschlecht der Belaiter; Aschbel, daher kommt das Geschlecht der Aschbeliter; Ahiram, daher kommt das Geschlecht der Ahiramiter; Schufam, daher kommt das Geschlecht der Schufamiter; Hufam, daher kommt das Geschlecht der Hufamiter. Die Söhne Belas aber waren: Ard und Naaman, daher kommt das Geschlecht der Arditer und Naamaniter. Das sind die Söhne Benjamins nach ihren Geschlechtern, an Zahl 45600.

Bela wird wieder als erstes genannt, Aschbel kennen wir aus der Ahnreihe Sauls in 1.Ch 8, Ard und Naaman kennen wir aus Gen 46, dort allerdings als Söhne Benjamins, nicht als Enkel. Die Namen Ahiram, Schufam und Hufam finden sich in keiner der anderen Stammtafeln. Becher wird in Num 26 als Sohn Ephraims, nicht Benjamins genannt. Von Jediaël keine Spur.

Mmmh…. Als gesichert könnte man mitnehmen, dass Benjamins ältester Sohn Bela hieß, und dass er darüber hinaus weitere Söhne hatte. Jediaël, von dem unser Vers handelt, taucht in keiner der anderen Stammtafeln auf. Ist er ein Gespenst?

Das gibt es öfter in der Bibel. Gleich ganz am Anfang, in Gen 1 und 2, finden wir hintereinander zwei Schöpfungsberichte, die sich gegenseitig ausschließen. Wie gehen wir damit um? Die überlieferten Schriften sind durch Kompilation und Redaktion unterschiedlicher Quellen entstanden. In ältere Überlieferungen werden dabei fremde Texte integriert, denen Autorität zukommt. Oft aber bleiben die originalen Versionen daneben bestehen. Jüdische Redaktoren löschen nichts, aus Ehrfurcht vor der Schrift. Christliche (evangelische) Theologen versuchen dann, durch Abschichtung der Textebenen die ursprünglichen Texte zurückzugewinnen. Manchmal gelingt das überzeugend. Man steht dann vor zwei oder mehreren verschiedenen Texten und kann Hypothesen über ihre Herkunft bilden. Aber was machen wir damit? 

Der Anspruch, Wahrheit zu repräsentieren, gehört zum Wesenskern der Bibel. Sie hört auf, Bibel zu sein, wenn wir sie als fiktionalen Text oder als geronnenen Zeitgeist der Jahrtausende lesen. Jüdische Interpreten bilden daher in solchen Fällen Konjekturen und Interpretationen, die es erlauben, alle sich scheinbar widersprechenden Darstellungen gleichermaßen wahr sein zu lassen. Solche Konjekturen können sehr kunstvoll sein, so kunstvoll, dass es nicht leicht fällt, eine Wahrheit zu akzeptieren, die davon getragen wird, davon abhängig ist.

Ich selbst mache ein wenig von beidem und doch etwas anderes. Die Wahrheit, die die Bibel abbildet, ist göttlicher Natur. Dies Abbild muß nicht notwendigerweise ein logisch konsistentes, widerspruchsfreies System von Aussagen bilden. Wir können in der Bibel nach der ihren Textteilen je innewohnenden Wahrheit suchen. Diese Wahrheit ist in der ersten Schöpfungsgeschichte eine andere als in der zweiten, und in der Genealogie von Chr. 7, die auf Heerformationen fokussiert, eine andere als im Stammbaum Sauls. Ich kann und muss Bibelstellen zusammen lesen, um sie zu verstehen. Dazu suche ich solche, welche die Stelle erleuchten, die ich zu verstehen suche, nicht diejenigen, die zu ihr im Widerspruch stehen. Je nachdem, wo ich anfange, betrachte ich manche Textstücke und andere nicht. Ich bleibe mir dabei der Existenz jener anderen aber stets bewusst. Es sind andere Wahrheiten, nicht die, um die es jetzt gerade geht. Jediaël ist kein Gespenst, es gibt ihn! Der Name, hebräisch ידיעאל, bedeutet: „Kunde / Botschaft Gottes“.

So kann ich auch mit Widersprüchen zur historischen Evidenz und zur Naturwissenschaft umgehen. Ich sehe sie — und versuche den Text zu verstehen. Auch wenn Archäologen zeigen, dass Jericho nie eine Mauer hatte und es historisch eine kriegerische Landnahme Palästinas durch einen Verband hebräischer Stämme nicht gegeben haben kann. Gelernt habe ich das bei der Arbeit am Bibelvers der Woche. Das Verfahren wirkt ein wenig unwissenschaftlich. Man muss zulassen, dass es mehrere Wahrheiten gibt, die im Widerspruch zueinander stehen, aber dennoch — wahr sind. Und ich denke, dass es genau so ist. Man muß es aushalten. Hinter den sich widersprechenden Wahrheiten mag eine übergeordnete Wahrheit liegen, die wir nicht erkennen können. 

ידיעאל — Botschaft Gottes. Was für ein Name!

Genug der Philosophie. Ich wünsche uns eine gesegnete Woche, 
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 43/2021

…daß golden werde, was golden, silbern, was silbern sein soll, und zu allerlei Werk durch die Hand der Werkmeister. Und wer ist nun willig, seine Hand heute dem HErrn zu füllen?
1.Ch 29,5 

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Gerne geben!

David wollte seinem Herrn einen Tempel bauen, ein Haus, wie er es nennt. Dieser Wunsch blieb ihm versagt — der Herr sagt David, dass er kein Haus brauche von ihm, dass vielmehr er, der Herr ihm, David, ein Haus bauen wolle (1. Chr. 17). Den Tempel Gottes solle Salomo bauen, sein Sohn. 

David aber bleibt seinem Projekt eng verhaftet. Man bekommt beinahe das Gefühl, dass für seinen Sohn nicht viel zu tun bleibt. In Kap 18 der Chronik wird berichtet, dass David die Beute seiner Kriegszüge dem Tempelbau widmet, hierzu siehe auch BdW 27/2021. Gott lässt ihn den Tempelplatz finden (Kap 22) — eine merkwürdige Geschichte, in der Gott David und das Volk straft wegen einer Volkszählung, um dann der Plage Einhalt zu gebieten. Dann (Kap 23) sucht David Bauleute und Steinmetze, und er verpflichtet die im Lande wohnhaften Ausländer zu Zwangsarbeit. Ausserdem lässt er Baumaterial heranschaffen. In den Kapiteln 24, 25 und 26 wird bestimmt, welche Familien welche Ämter im Tempel haben sollen, als Priester und Sänger, Torhüter, Schatzmeister, Amtleute und Richter. Feierlich überreicht David dann seinem Sohn die fertigen Pläne.

Noch etwas sehr wichtiges tut er: er sammelt das nötige Geld. Er selbst widmet dem Bau über den Ertrag der Kriegszüge hinaus eine große Summe — 3000 Zentner Gold und 7000 Zentner Silber. Aktuell kostet ein Kilo Feingold 50.000 Euro und ein Kilo Silber 670 Euro. David spendet also einen Gegenwert von heute 80 Millionen Euro. Und damit wirbt er — sehr modern — um die Unterstützung des Volks. Die Sippen sollen das fehlende Geld aufbringen, das ist unser Vers. Und sie tun es, gerne, freiwillig und großzügig, so wird berichtet: fünftausend Zentner Gold, zehntausend Gulden und zehntausend Zentner Silber, ausserdem viel Bronze, viel Eisen. 

Von einer ähnlichen Begebenheit berichtet Ex 35. Während der Wüstenwanderung sollte die prächtige Ausstattung der Stiftshütte finanziert werden, ein transportabler Tempel. Die Israeliten gaben so viel, dass Mose die Annahme weiterer Spenden ablehnen musste. Auch in Exodus wird berichtet, dass die Gabe freiwillig und freudig erfolgte. 

Es gibt noch einen weiteren Bezug zurück auf Exodus: David fragt, „wer ist bereit, heute seine Hand für den Herrn zu füllen?“ Dieser Ausdruck steht sonst für eine Handlung im Rahmen der Weihe eines Priesters: dem Novizen werden die Hände gefüllt, damit er vor dem Herrn ein Schwingopfer verrichten kann, siehe Ex 29. Ich verstehe, dass David mit seinen Worten der Spende eine besondere Heiligkeit zuspricht, die vielleicht auf den Geber zurückstrahlt.

Gerne sollen wir geben, und freudig, und die Gabe wird auf uns zurückstrahlen. Und noch etwas sagt uns der Vers, die Gabe macht, dass „golden werde, was golden, und silbern, was silbern sein soll“ — mit anderen Worten, sie kann dazu beitragen, dass die Welt heil wird, dass sie so wird, wie sie sein soll. Bei diesen Worten denke ich an meine Frau, sie würde es vielleicht ähnlich sagen…

Ich wünsche uns eine freudige Woche, und der Herr segne unsere Gaben,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 42/2021

Und setzten sich nieder, zu essen. Indes hoben sie ihre Augen auf und sahen einen Haufen Ismaeliter kommen von Gilead mit ihren Kamelen; die trugen Würze, Balsam und Myrrhe und zogen hinab nach Ägypten.
Gen 37,25

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Zweimal Knechtschaft und zurück

Der Vers markiert eine der Gabelungen, aus denen sich die biblische Geschichte aufbaut. Die Ausgänge dieser Wegscheiden, Wendungen, Entscheidungen sind oft überraschend und lassen sie insgesamt als von Gott geschrieben erscheinen.

Josef wird von seinen Brüdern gehasst und sie haben sich seiner gewaltsam bemächtigt. Er ist anders als sie, ein Träumer und Visionär, und von ihrem Vater wird er offenkundig bevorzugt. Ruben, der Älteste, will ihn dennoch retten. Auf seine Intervention hin töten ihn die Brüder nicht sofort, sondern werfen ihn erst einmal in ein leeres Wasserloch. Ruben verlässt die Szene, wir erfahren nicht, warum. An dieser Stelle wird die Handlung gänzlich unbestimmt. Wird er sterben, wird er leben? Josef ist unten im Wasserloch, oben sind die Brüder und essen. Die Zeit steht still. 

Da heben sie ihre Augen auf — in der Bibel ist dies der Code für eine unmittelbar folgende schicksalhafte Wendung. Sie sehen ismaelitische Händler, eine Kamelkarawane, die von Gilead im Norden nach Ägypten im Süden zieht. „Warum Josef töten und an ihm schuldig werden? Wir verkaufen ihn!“ Sie ziehen ihn aus der Grube und geben ihn den Händlern für einen ordentlichen Preis, zwanzig Silberstücke. Sie mögen der Karawane noch eine Weile nachgesehen haben: Josef würde nie zurückkommen, und wie lange er in der Sklaverei zu leben hätte, war eigentlich gleichgültig… 

Aber an dieser Stelle beginnt eine ganz andere, eine ganz große Geschichte: Josef wird nach Ägypten gebracht, der Träumer macht dort eine unglaubliche Karriere, die ihn zum Manager macht, ins Gefängnis bringt und endlich ins Amt eines Vizekönigs von Ägypten führt. In vielen Wirrungen holt er seine Brüder nach, sie ziehen fort aus Palästina. Ihre Nachkommenschaft wächst und wird in Ägypten zu einem ganzen Volk, dem Volk Israel. 

Obwohl wir Entscheidungen treffen, schreibt Gott die Geschichte, sagt uns die Bibel hier, weil wir die Konsequenzen unserer Entscheidungen nicht überblicken. Die Erzählung von Josef in Ägypten mag völlig aus der Luft gegriffen erscheinen. Und doch kenne ich eine ähnliche Begebenheit, die sich in der Vergangenheit unserer Familie wirklich zugetragen hat. Ich will Ihnen das erzählen. 

Unsere Familiengeschichte berichtet von Caspar von Kalckreuter, Gutsherr in der Niederlausitz und Soldat — letzteres, wie es scheint, aus freiem Willen. Nach dem Dreissigjährigen Krieg kämpfte Schweden mit dem Vereinigten Königreich von Polen und Litauen um die Vorherrschaft im Nordosten. Die Preußen hatten sich unter dem Großen Kurfürsten aus dem polnischen Verband gelöst und waren mit den Schweden verbündet, die Polen hatten ihrerseits ein großes Tatarenheer als Unterstützung. Der große Kurfürst war auch Markgraf der Lausitz. Caspar zog also 1656 im Alter von 30 Jahren mit den Preußen gegen Polen und Tataren.

Am Michaelistag, Anfang Oktober, kam es zu einer katastrophalen Niederlage. Caspar wurde von den Tataren gefangengenommen, nackt ausgezogen und mit den anderen Gefangenen misshandelt. Den Gefangenen wurde nachts die Füße zwischen zwei Bretter gebunden und an der Erde befestigt, und gelegentlich legten sich die Tataren quer über die Gefangenen. Mit dem Hauptheer der Tataren gelangte er an den Dnjepr. Im strengem Winter hütete er Schafe und putzte die Pferde. 

Mit dem schweifenden Heer kam er schließlich ins Donaudelta, wo er einem türkischen Sklavenhändler verkauft wurde. Dieser brachte ihn nach Konstantinopel und verkaufte ihn auf dem Sklavenmarkt weiter. Caspar gab sich seinem neuen Herrn, einem Kaufmann, als Schotte aus und mußte zunächst einfache und harte Arbeit verrichten. Mit der Zeit wurde er des Kaufmanns Gehilfe. Sein Herr gab ihm die Erlaubnis, sich freizukaufen und setzte den Preis erst auf 1000, dann auf 500 Taler fest. Im Auftrag seines Herrn führte Caspar mehrere Seereisen durch. Eine davon ging nach Ägypten (!), den Nil hinauf. Erst nach abenteuerlichen Wegen und Umwegen gelangten sie zurück nach Konstantinopel, sein Herr hatte das Schiff verlorengeglaubt. Es gelang Caspar, Kontakt mit dem Gesandten des Deutschen Reichs aufzunehmen, der half, das fehlende Geld von Caspars Bruder zu besorgen. Sein Herr bat ihn sehr, zu bleiben und Muslim zu werden, und auch der Kadi, der ihm am Kai den Freibrief überreichte, wollte ihn halten. Aber er machte sich auf den weiten Weg zurück.

Zu Pfingsten 1660 schließlich, dreieinhalb Jahren nach seiner Gefangennahme, gelangte er in seine Heimat in der Niederlausitz. Er war gesundheitlich angeschlagen und die Familiengeschichte gibt das Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung wieder: 

Es ist aber der von Kalckreuter nach seiner Wiederkunft nicht mehr so gesund, so schön und so fröhlich als vorher gewesen. Er konnte sich die harte, unvermuthete Dienstbarkeit nicht gänzlich aus dem Gemüte schlagen. Auch litt er öfter unter bösen Vorstellungen, weshalb er einst im Winter bei tiefem Schnee ohne Kleider aus dem Bette gesprungen und sich eine halbe Meile entfernt an einem anderen Orte versteckt hat, worüber er in eine gefährliche Krankheit gefallen. — Endlich hatte er fast alles vergessen, wo er gewesen war.
(Aus dem Bericht von Johann Magnussen, ev. Prediger zu Albrechtsdorf, 1679)

Vizekönig ist Caspar nicht geworden bei den Tataren und in der Türkei, nein. Aber er besaß die Kraft, weiterzuleben und durchzuhalten, als die Lage ausweglos war, und die Klugheit, seine Möglichkeiten zu nutzen, als sie sich ihm, nach langer Zeit, endlich zeigten. Mit Gott blieb er stets verbunden: als einziges Besitztum war ihm ein Gebet- und Gesangbuch geblieben, das „Lüneburger Handbüchlein“, mit dem Neuen Testament, dem Katechismus und den Psalmen — eine Kostbarkeit im 17. Jahrhundert! Die Türken ließen ihn ungehindert darin lesen. 

Der gezogene Vers handelt von der Unbestimmtheit, die in vielen persönlichen Katastrophen steckt. Unversehens habe ich nun darüber geschrieben, wie man damit umgehen kann. Ich glaube, es ist eine mächtige Überlebensstrategie. Weiterleben und durchhalten, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, und warten. Mit Gott im Gespräch bleiben. Und dann die Chancen begrüßen, wenn sie kommen — falls sie kommen. Wie Josef. Wie Caspar. 

Ich wünsche uns eine gesegnete Woche,
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 41/2021

Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch!
Phi 4,4

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Freude!

Vor etwas mehr als einem Jahr zogen wir einen Vers, der diesem hier unmittelbar folgt: Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen! der Herr ist nahe! (Phi 4,5), und damals betrachtete ich beide gemeinsam. Hier ist ein Link zum BdW 34/2020. Das ist nicht lange her, es stimmt noch alles, einschließlich leider auch der Probleme mit dem Rücken und der Erziehung. Der Vers zeigt einfach und unmißverständlich, ob jemand auf dem richtigen Weg ist. Dann nämlich geht Freude von ihm aus — sichtbar, spürbar — dann kann er ein Segen für die Welt sein. Wir dürfen uns freuen, wir sollen es sogar, Gott will es so, will uns so. Die Frohe Botschaft trägt ihren Namen aus gutem Grund. Und umgekehrt: wenn man unfroh ist, läuft etwas, läuft man falsch. 

Da es die Betrachtung zum Bibelvers dieser Woche also schon gibt, darf ich aufschauen und den Blick weiten. Und da sehe ich, dass wir in den vergangenen Wochen Verse gezogen habe, die jeweils eine Essenz des Glaubens auf einen einfachen und lebenspraktischen Nenner bringen — zum Anfassen gewissermaßen:

  • Vor zwei Wochen wurden wir aufgefordert, unseren Nächsten, gar unseren Feind zu lieben. Ihn in seiner Mitgeschöpflichkeit zu sehen und die eigenen Interessen nicht automatisch höher zu bewerten als die Bedürfnisse des Anderen.
  • Vor einer Woche gab es einen Vers, der uns den Schatten der Flügel Gottes als Zufluchtsort bot, in persönlicher Not, bei Verzweiflung, Lebens- und Todesangst.
  • Und der Vers dieser Woche sagt uns, dass der Weg mit Gott in Freude mündet: Freude aus Gott, die wir nicht nur empfangen dürfen, sondern aktiv weitergeben können. 

Mir scheint, die drei Verse und die damit verbundene Haltung charakterisieren den christlichen Glauben, und zwar im Ergebnis. Ein Menschen, der so lebt, folgt Jesus, auch wenn er ihn nicht kennt. Immer wieder habe ich mich in dieser Woche gefragt, welcher dieser drei Verse der richtige sei, wenn ich traurig war oder in Schwierigkeiten steckte. Die Antwort war stets einfach. 

Dabei sind die Verse selbst sehr anspruchsvoll, jeder für sich. Über Nächsten- und Feindesliebe brauche ich nichts zu sagen. Dann aber: wer von uns weiß sich unter den Schatten der Flügel Gottes jederzeit geborgen? Auch das sagt uns Jesus immer wieder: sorgt euch nicht, der Vater sorgt für euch! Aber die Sorge ist ziemlich fest verdrahtet in uns. Und Freude ist wahrhaftig nicht immer leicht — ich will es hier nicht ausbuchstabieren, das würde die Freude verderben, aber gelegentlich grenzt Freude durchaus an Realitätsverweigerung. Das ist mit allen drei Versen so: sie enthalten ein lautes „Trotzdem!“

Was macht den Kern des Glaubens aus? Kanonische Versuche, das Unsagbare in Worte zu fassen, sind die Glaubensbekenntnisse. Sie sind nicht leicht zu lesen und zu verstehen. Wichtiger als Aussagen und ihre logischen Beziehungen zueinander ist das, was daraus folgt, für unser Leben, das der anderen und unser Verhältnis zu Gott. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Wahrheit unerkennbar ist. Paulus fand dafür das Wort vom dunklen Spiegel, durch den wir blicken. Für die eine, unerkennbare Wahrheit können wir Bilder, Vorstellungen und begriffliche Konstrukte suchen. Sie sind dann gut, wenn sie zu richtigem Sein, zu richtigem Handeln führen. Sie sind Stützen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Was zählt, ist die Haltung, die innere Verfasstheit, die mit diesen Vorstellungen einhergeht und wechselwirkt. Der Rest ist Theologie.

Mein Credo könnte also lauten: In Jesus Christus will ich ein Mensch sein, der das Mitgeschöpf im Anderen sieht, auch wenn er ihm fern steht, der sich geborgen weiß unterm Schatten der Flügel Gottes, und der dem Leben, seinen Mitmenschen und seinem Gott — und schließlich auch seinem Tod — mit Freude begegnet, innerlich und äußerlich. 

Wenn Sie Zeit und Ruhe haben, gehen Sie in sich und versuchen Sie, sie zu spüren, die Freude. Sie ist da, in Ihnen, sie will gefunden werden!

Ich wünsche uns Freude, und die Fähigkeit dazu, in der kommenden Woche und immer!
Ulf von Kalckreuth

Bibelvers der Woche 40/2021

Wie teuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
Ps 36,8

Hier ist ein Link für den Kontext des Verses, zur Lutherbibel 2017.

Unter dem Schatten der Flügel Gottes

Wie ein Geschenk ist dieser Vers. Aus Psalm 36 werden gern Sprüche für Konfirmation und Taufe gewählt: die Worte wirken aus sich selbst heraus. Da nehme ich mich gern zurück. Lesen Sie einfach (Ps 36,6-10): 

HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, 
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. 
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes 
und dein Recht wie die große Tiefe. 
HERR, du hilfst Menschen und Tieren. 
Wie köstlich ist deine Güte, Gott, 
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! 
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, 
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. 
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, 
und in deinem Lichte sehen wir das Licht. 

Vor vielen Jahren stand der Vers über der Trauerfeier für meine Großmutter.

Der Herr schenke uns den Schatten seiner Flügel,
Ulf von Kalckreuth